VERDI: Otello – Drama und Psychologie
Meine Lieben,
Am Wochenende ergab sich die Gelegenheit, wieder einmal den "Otello" in der Zeffirellischen Filmversion anzuschauen und sich dabei Gedanken über die Schwierigkeit zu machen, die mit der Interpretation dieses musikalischen und optischen Kolossalgemäldes verbunden sind. Denn hier findet sich extrem Gegensätzliches: Leidenschaftliche Wucht, zarte Empfindung, monumentale Pose, lyrisches Verströmen - jeder, der die Titelrolle verkörpert, wird wohl irgendwann mit all den vielen Facetten dieser Figur überfordert sein.
Zeffirelli setzt natürlich sehr stark auf Farbe und Detailreichtum. Seine Kompositionen wirken oft recht kleinteilig, was mir bei diesem Shakespearestoff nicht ganz angemessen scheint. Was für die Bildsprache der "Traviata" von suggestivem Reiz ist, wirkt hier mitunter ablenkend und dem gleichsam heroischen Konflikt widersprechend. Die knappere Bildsprache der Karajanschen Fassung (mit Vickers/Freni/Glossop) wirkt da bei weitem konziser, obwohl sie in stilistischer Hinsicht viel disparater und widersprüchlicher ist. Auch hat Zeffirelli relativ viel weggelassen und dafür andere Szenen ausgeschmückt bzw. hinzugefügt (wie z.B. das heidnische Ritual, mit dem Otello seinem Christentum entsagt). Er hat damit das erzählerische Moment gestärkt. Ob das wirklich immer ganz im Sinn der Musik ist, möchte ich fast bezweifeln. Natürlich hängt das auch mit seinem Hauptdarsteller zusammen. Placido Domingo ist ein ausgezeichneter Sänger und ein sehr guter Schauspieler, der intensiv in die Rolle hineinschlüpft. Trotzdem fehlt ihm natürlich vom Typ her und stimmlich jenes Element stählern-wilder Substanz, dessen der Otello nicht ganz entraten darf. Domingo wirkt am stärksten in den weichen, stimmungsvollen Augenblicken, im Elegischen. Seine Temperamentsausbrüche dagegen muten meist zu äußerlich-aufgesetzt an. Dieser Feldherr ist energisch nur nach außen, aber in Wirklichkeit ein komplexbeladenes Nervenbündel. Man kann den Otello so auffassen, und Domingo gestaltet ohne Zweifel eine bemerkenswerte Leistung, aber für mich kommt er bei weitem nicht an die stimmliche und auch visuelle Gestaltung heran, die Jon Vickers bietet (stimmlich in der früheren Aufnahme mit Rysanek unter Tullio Serafin, optisch bei Karajan). Ramon Vinay möchte ich mir demnächst vornehmen, der liefert unter Toscanini ja das Barbarisch-Wilde par excellence.
Katia Ricciarelli kommt mir mit der Desdemona stimmlich überfordert vor. Darstellerisch und vom Typ her paßt sie und macht ihre Sache großartig, aber sängerisch kommt sie gegen die Freni sie bei weitem nicht an. An den dramatischen Stellen hat man fast das Gefühl, daß sie meist auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck ist. Am ehesten sprechen noch einige Teile des "Ave Maria" an. Sie spielt die Desdemona, aber sie ist nicht Desdemona.
Sowohl sie wie Domingo werden von Justino Diaz als Iago eindeutig in den Schatten gestellt. Er singt nicht nur ausgezeichnet, sondern bringt in der stilisierten Bösartigkeit, die sich des Übertreibens enthält, exakt jene Überzeugungskraft ein, die man beim Hauptpaar teilweise vermißt. Auch alle anderen Nebenrollen sind eigentlich ausgezeichnet besetzt und strahlen jenes klassische Maß aus, das hier am Platz ist. Daraus resultiert aber auch bis zu einem gewissen Maß ein Bruch mit dem Zeffirellischen Manierismus. Trotz wunderschöner Bildeinstellungen und einiger atemberaubender Momente bleibt dieser "Otello" in meinen Augen nur zum Teil gelungen. Das Dirigat Lorin Maazels möchte ich ähnlich einordnen. Sehr gut, aber ein wenig zu sehr auf einzelne Effekte ausgerichtet und nicht immer die große Linie voll haltend.
Um es klar zu machen: Hier geht es um Kritik an sehr hohem Qualitätsniveau. "Otello" ist jedoch keine Oper, die man zu sehr als Kostümstück bringen darf.
Liebe Grüße
Waldi