Verfolgt, vertrieben, ermordet - Opfer des Nationalsozialismus - Literatur

  • Er zählte/zählt zu den bedeutenden Lyrikern Israels

    Der Ort, an dem wir recht haben

    So leid es uns tut - das Gedicht ist Copyright geschützt (und zwar noch für 55 Jahre).
    Algabal für die Moderation


    Dieses Gedicht von Jehuda Amichai wurde von Israels Oberstem Gerichtshof in einer Urteilsbegründung zitiert, als es darum ging, gegenüber abstraktem Recht auch die Stimme der Menschlichkeit sprechen zu lassen.


    hat mich interessiert, wie Lyrik eines Verfolgten wohl aussehen kann, wenn derweil andernorts mit Lyrik grundsätzlich gehadert wird ... einfach mal geschaut, gefunden, und hierher kopiert, da es mir sehr gefallen hat


    LG
    tastenrabe

  • hey großen Dank für die Info !

    von Leseinteressierten wird Amichai durchaus in Israel gelesen..
    .. Lyrik ist allerdings dort - wie überall auf der Welt - bedeutungslos.

    Aber ob jemals ein Gerichtshof einer anderen Nation einen Lyriker zwecks einer Urteilsbegründung zitierte bzw. zitieren wird?

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Erich Arendt (1903- 1984)

    wurde in Neuruppien geboren, schmiss eine ihm verhasste Banklehre, in dem er in kurzen Hosen zur Arbeit erschien.

    Er nahm auf Seiten der Antifaschisten am spanischen Bürgerkrieg teil; musste dann vor Wehrmacht, SS, also Nazis nach Südamerika (Kolumbien) fliehen.

    1950 kehrte er in die damalige DDR zurück.

    Viele Eindrücke/Motive seiner Gedichte wurden durch Mittelmeer-Reisen (während der 50ziger Jahre) geprägt.

    Er arbeitete an Übersetzungen spanisch-lateinamerikanischer Lyrik z.B. Alberti, Cernuda, Aleixandre, aber auch Walt Whitman und veröffentlichte Bücher über seine Eindrücke aus den Mittelmeerreisen

    Die umfangreiche Übersetzungsarbeit nervte ihn zuweilen tierisch, weil durch diese – wie er’s mal sagte - seine eigenen Metaphern quasi geklaut wurden.

    Arendt war ein Spätzünder.
    Denn seine bedeutende Lyrik entstand erst mit dem Band Ägais (1967). Sie setze sich fort mit Feuerhalm (1973), Memento und Bild (1976), Zeitsaum (1978) und seinem letzten Band Entgrenzen (1981).

    Die Qualität dieser Bände katapultierten seine Lyrik locker in den Rang von z.B. Celan und Huchel. Arendts Spätlyrik ist ähnlich hermetisch, dunkel und gedankenreich gestaltet.

    Mit Celan hatte er Kontakt und Austausch.
    Als SED-Diktatoren Repressionen gegen Peter Huchel vollzogen und ihn zwangsisolierten, blieb er mit ihm befreundet.

    In der BRD ist er – auch nach der Wende - weitgehend unbekannt geblieben.


     

     


    http://www.rimbaud.de/arendt.html“

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Selma Meerbaum-Eisinger (1924 - 1942), Dichterin

    Möchte in diesem Thread unbedingt auf die jüdische Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger hinweisen, deren 57 Gedichte, veröffentlicht in dem Band
    "Ich bin in Sehnsucht eingehüllt", mich sehr bewegt haben. Hatte das Buch per Zufall entdeckt, als ich noch in die Schule ging, glaube ich, oder kurz danach.
    Seitdem ist mir der Ort Czernowitz ein Begriff.
    Sie war eine Groß-Cousine von Paul Celan, starb mit nur 18 Jahren ins Arbeitslager der Nazis deportiert an Flecktyphus.
    "Das schmale Werk der jungen Autorin gehört neben den Gedichten Rose Ausländers und Paul Celans zum großen literarischen Erbe der ausgelöschten deutsch-jüdischen Kultur der Bukowina", so Wikipedias sehr lesenswerter Eintrag.
    "https://de.wikipedia.org/wiki/Selma_Meerbaum-Eisinger"

    Hier noch genauer, sehr sehr sehr sehr lesenswert, nicht zuletzt der Schluss als recht "typischer" deutscher Schluss - so viele Nazi-Schergen kamen unbelangt davon!
    "http://www.selma.tv/de/selma/"
    Darin auch das Vorwort von Jürgen Serke, der Ihre Gedichte wieder an die breite Öffentlichkeit brachte, und die Geschichte der Rettung und Veröffentlichung (400 Büchlein auf eigene Kosten durch einen ihrer einstigen Lehrer) Ihrer Gedichte

    Ein Wunder, dass man ihre Gedichte überhaupt lesen kann!
    Ab und an geschehen kleine Wunder. Große leider allzu selten.

    Hier das Buch:

    oder auch dieses, mit Fotos und Infos (Bild bockt)
    "http://www.amazon.de/wei%C3%9Ft-wie…326Y7PTFR3A30FN"

    Dieses freut den schmalen Geldbeutel

    Mehrere Hörbuch-Varianten gibt es auch


    :wink:

    amamusica :pfeif:

    PS: Muss gestehen, habe erst jetzt mal nachgesehen, wo genau Czernowitz liegt. Ukraine, nicht weit von der rumänischen Grenze.
    Galizien. Bukowina. Wurde dann österreichisch, dann rumänisch, dann sowjetisch... jetzt Ukraine.
    Bukowina. Das Buchenland. Und in der Tat befinden sich dort unbeschreibliche UNESCO-Weltnaturerbe-Buchenwälder.
    (Das Thema Buchenwälder ist leider für Deutschland auch kein Ruhmesblatt, Stichwort "Lex Steigerwald" nur als ein Beispiel, aber das gehört nicht hierher)
    "Noch vor dem Ersten Weltkrieg galt Czernowitz, die Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina, als ein osteuropäisches jüdisches Paradies („Jerusalem am Pruth“). Zahlenmäßig machten hier die Juden mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung aus. Die meisten jüdischen Intellektuellen waren deutschassimiliert und bildeten somit ein reges geistiges Potenzial für deutsche Kultur. Hier gab es ein gut entwickeltes deutsches Schul- und Pressewesen, ein deutsches Theater, eine deutsche Universität."
    aus: "http://www.czernowitz.de/122/Deutschj%C…Bukowina-0.html"

    Hier noch mehr zu Czernowitz, dieser kulturell so wichtigen Stadt im "Land der Buchenwälder":
    "http://www.czernowitz.de/76/Europa%20de…Bukowina-0.html"

    PPS:
    Rose Ausländer fehlt noch hier im Thread! Guter Wiki-Artikel, auch nur knapp und sehr abenteuerlich die Nazi-Zeit überlebt, aber zum Glück geschafft.
    Mit Ausländer wäre das Czernowitz-Dichter-Trio Celan - Ausländer - Meerbaum-Eisinger dann komplett

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Möchte in diesem Thread auch auf die "Bibliothek der verbrannten Bücher" hinweisen.

    Ein Privatmann bei München, Herr Georg P. Salzmann, trug diese Bücher mühsam zusammen, viel Flohmarkt-Sucherei.
    Er suchte dann für seine Sammlung eine gute, dauerhafte Unterkunft, und schließlich interessierte sich zum Glück die Uni Augsburg dafür.
    Dort ist sie nun gut untergebracht, ist katalogisiert und öffentlich zugänglich.
    Ca. 12.000 Bände, auch Doubletten. Ca. 8000 unterschiedliche Werke

    Hier Infos:
    "https://www.bibliothek.uni-augsburg.de/salzmann/"
    "http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.p…alien&lid=28807"

    "http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Bibli…id15037006.html"
    "http://www.daz-augsburg.de/?p=36740"

    Dies hier ist auch sehr interessant:
    "http://www.verbrannte-buecher.de/"


    :wink:

    amamusica :pfeif:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Liebe Amamusica,
    vielen Dank für Deinen Hinweis auf Selma Merbaum!
    Ich habe mir, nachdem ich Deinen Beitrag gelesen habe, folgendes Buch bestellt:

    Es enthält die Gedichte und eine Biographie.
    Wie wichtig sind doch unsere Gedenktafeln, zumindest für mich, die ich so viel Unbekanntes erfahre aus dem, was die Capriccio-User zusammentragen!

    Sobald ich etwas Zeit habe, möchte ich Ilse Weber kurz vorstellen.

    Liebe Grüße und vielen Dank an alle, die sich an den Tafeln beteiligen,

    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Wie wichtig sind doch unsere Gedenktafeln, zumindest für mich, die ich so viel Unbekanntes erfahre aus dem, was die Capriccio-User zusammentragen!

    Geht mir genauso, Talestri!
    Freut mich, wenn Dich die Gedichte und die Lebensgeschichte von Selma Meerbaum-Eisinger auch so berührt haben.
    Habe schnell "gespickt", denn von Ilse Weber hatte ich noch nie gehört.
    Auch wieder so gut, und auch wieder so furchtbar, so tragisch.
    Sehr gute Idee, dieser Thread.
    Und falls sich jemand mit Rose Ausländer auskennt und gerne über sie posten möchte - wäre schön!


    :wink:

    amamusica :pfeif:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Sieben Jahre nach dem letzten Eintrag sollte dieser Thread doch dringend wieder belebt werden. Hier also nun:

    Thomas und Heinrich, Klaus und Erika Mann.

    Der 'Dichterfürst' und sein eher sozialistisch angehauchter Bruder, die aus der 'bürgerlichen' Art geschlagenen Kinder. Deutschlands literarisches Aushängeschild, relativ spät erst den republikanischen Pfad betretend, dann der von Beginn an politisch links eingestellte Bruder und die sich am Vater abarbeitenden Ältesten, gleichgeschlechtlich orientiert, mit bohème-hafter Vergangenheit - allesamt passten nicht in das nationalsozialistische Weltbild und wollten dort auch, aus verschiedenen Gründen, gar nicht eingebunden sein. Überstürzte Flucht, bzw. das 'Glück' des gerade auswärtigen Aufhaltens, Odyssee durch verschiedene Länder, Suche nach einem neuen Lebensmittelpunkt und dann letztlich Ankunft und 'Ausruhen' in den USA.

    Natürlich waren sie privilegiert, der eine Bruder mehr als der andere, aber verglichen mit den vielen fast namenlosen, eher unbekannten allemal. Trotzdem der Verlust der Heimat, der Sprache, auch der Reputation. Neubeginn in einer wahrlich ungewissen Zeit galt auch für sie. Und immer die Frage, wie umgehen mit dem gehasst-geliebten Deutschland.

    Thomas hatte es materiell und ansehensmäßig sicherlich am einfachsten (Wie leicht sich das sagt!), Heinrich litt unter den Verhältnissen, wie sicherlich auch unter dem Bruder. Und die Kinder? Klaus fand einen, kurzzeitig befriedigenden, Ausweg in der Armee, Erika wurde auf Dauer 'her Masters Voice'.

    Wäre es ihnen in Deutschland ohne Nationalsozialismus anders ergangen? Müßige Frage, weil reine Spekulation. Trotzdem als Gedankenspiel - Heinrich hätte bestimmt seine politisch links orientierte Karriere weiter ausbauen können, Thomas wäre wohl nicht zu diesem 'Weltgewissen' geworden, sondern eher der 'Dichterfürst in Weimarer Nachfolge, als der er sich gesehen hat, geblieben, Klaus wäre auch in der Heimat an dem 'Übervater' gescheitert und Erika vielleicht trotzdem 'brav' geworden.

    Aber, wie gesagt, reine Spekulation. Das Exil war für alle eine völlig neue Situation, Karten wurden neu gemischt, jeder musste sich irgendwie erneut erfinden. Den einen gelang es, den anderen nicht. Charakterlich bedingt oder Folge der Umstände? Sicherlich eine Gemengelage, ein Gemisch von verschiedenen Ursachen.

    Eine Katastrophe für die jeweiligen Menschen? Mit Sicherheit! Ein Verlust für die Kunst? Nicht unbedingt, denn Großes ist teilweise daraus entstanden.

    Aber was für ein fürchterlicher Satz, geschrieben in 2022, ruhig zurückgelehnt im Sessel, es warm habend und auch wenn die Eier teurer geworden sind - wer ist man, dass man Kunst über Menschenschicksal stellt. Sie haben alle gelitten im Exil, gerade, weil es Exil war, weil sie das alles nicht wollten, weil sie gezwungen wurden, weil sie Gewohntes/Notwendiges aufgeben mussten.


    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

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