MONTEVERDI: L'Incoronazione di Poppea (1642)

  • So empfinde ich ihn ja auch, obwohl er viel mehr ist, was mir ebenso bewusst ist. Das ist ja das Hakelige an der Rolle: so viel zu sein in der Rolle des "kleinen Jungen". Und ist damit die eigentliche Hauptrolle- zumindest in meinem Werkverständnis ...


    Ich berichtete ja von der Einführungsveranstaltung der "L' Incoronazione di Poppea"-Aufführung (Bielefeld). Interessanterweise empfinde ich die Fotos, die der Nerone-Darsteller, Ray Chenez, getwittert hat, als sehr passend zu dem, was du schriebst:

    https://twitter.com/raychenezct?lang=de

    Er schaut einerseits sehr nobel und erhaben aus (vor allem durch seine Kleidung), andererseits halt die jugendliche und stilvolle Ausstrahlung. Gesanglich hat er mich ja eh schon sehr überzeugt. Morgen ist Premiere. Bin nachmittags allerdings auf einer Familienfeier. Sollte ich mich früh genug loseisen können, werde ich spontan hinfahren, da es eh noch Tickets gibt. Ansonsten bleibt es halt bei der Juli-Vorstellung ... Sollte ich morgen schon hinfahren, würde ich in einem separaten Thread darüber berichten, insofern es sich lohnt ... wovon ich jedoch ausgehe. Bin jedenfalls sehr, sehr neugierig auf diese Inszenierung.

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Und ich frage mich zudem, weshalb diese Oper nur so selten aufgeführt wird

    Vielleich, weil die Mehrzahl der Programmverantwortlichen der Überzeugung ist - vermutlich nicht einmal zu unrecht - daß eine große Mehrheit des Opernpublikums mit Opern aus der 1. Hälfte des 17. Jhs nicht allzuviel anfangen kann. Bei Tannhäuser ist die Hütte voll, das ist eine sichere Nummer, bei Händelopern gibt's noch freie Plätze in allen Kategorien und als ich das letzte Mal in einer Monteverdioper war (Ulisse, Mannheim, 2. Aufführung am 7.März 2017), war das Haus zur Hälfte leer, obwohl musikalisch und von der Inszenierung her hervorragend, mit begeisterten Premierenkritiken. Sogar in München ist/war Cavallis "Callisto" meist nicht wirklich üppig verkauft. So etwas muß man sich erst einmal leisten können (und wollen!)...

    Ein anderes Problem ist das der Instrumentierung. Frühbarocke nicht-Standard-Instrumente oder Instrumente in historischer Stimmung sind normalerweise in einem Opernorchester nicht vertreten, und Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, ist meist nicht vorhanden. Das bedeutet budgetrelevanten Zukauf entsprechender Spezialkräfte (wie in Mannheim geschehen). Außerdem kann man bei so einem Projekt nicht einfach zu einem Musikverlag gehen und sich entsprechende Noten kaufen. Wenn man so etwas vorhat, dann muß es vorher erst einmal eingerichtet werden - abgestimmt auf den vorhandenen Apparat. Für ein kleineres, vielleicht sogar kommunales Haus sind das killing-Faktoren, wenn das die Geldgeber nicht mittragen und politisch dahinterstehen.

    Die Poppea kommt übrigends in Mannheim nächstes Jahr im April auf die Bühne.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Monteverdis Poppea ist keine selten aufgeführte Oper (oder nur dann, wenn man sie mit den 30 meistaufgeführten Werken der Gattung vergleicht). Ihre Aufführungszahlen bewegen sich etwa im gleichen Rahmen wie diejenigen von Bellinis I Puritani oder Verdis Luisa Miller oder der zwei bis drei populärsten Händelopern. Allein von 2015 bis 2018 wird Poppea auf zwölf Opernbühnen des deutschspachigen Raums gegeben, im Laufe der letzten zwanzig Jahre haben bestimmt zwei Drittel aller deutschen Opernhäuser die Poppea auf dem Programm gehabt. Dazu kommen noch konzertante und halbszenische Aufführungen, demnächst tourt beispielsweise Gardiner mit allen drei Monteverdi-Opern über diverse europäische Festivals.

    Wenn man schon jammern will: Beklagenswert ist eher, dass das Opernrepertoire des 17. Jahrhunderts nur aus Orfeo (Abstand), Poppea (Abstand), Ulisse (Abstand) und Cavallis La Calisto zu bestehen scheint. Wirklich selten aufgeführt werden z.B. Cestis oder Alessandro Scarlattis Opern, von tausenden anderer Werke dieser Zeit gar nicht zu reden.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Zwielicht war schneller!

    Die weltweit meistaufgeführte Barockoper ist Händels "Giulio Cesare" (273 Auff. in 44 Produktionen). In der Größenordnung der Poppea (179 Auff. in 25 Produktionen) liegt außer den von Zwielicht genannten auch z.B. Wagners "Meistersinger". Auf erheblich höhere Aufführungszahlen kommt nur die Top 20 mit der "Traviata" an der Spitze (4180 Auff. in 869 Produktionen).

    (Quelle: Operabase. Bezugszeitraum: Spielzeiten 11/12 bis 15/16)

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Vielen Dank für eure Rückmeldungen! :wink: Ich fänd' ja ein Ranking der meistaufgeführten Opern des Jahres (in Deutschland, Österreich und Schweiz bzw. im deutschsprachigen Raum) sehr interessant ... vielleicht unter den jeweiligen Komponisten? Wäre aber sicher viel Arbeit ...


    ... Ein anderes Problem ist das der Instrumentierung. Frühbarocke nicht-Standard-Instrumente oder Instrumente in historischer Stimmung sind normalerweise in einem Opernorchester nicht vertreten, und Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, ist meist nicht vorhanden. Das bedeutet budgetrelevanten Zukauf entsprechender Spezialkräfte (wie in Mannheim geschehen). Außerdem kann man bei so einem Projekt nicht einfach zu einem Musikverlag gehen und sich entsprechende Noten kaufen. Wenn man so etwas vorhat, dann muß es vorher erst einmal eingerichtet werden - abgestimmt auf den vorhandenen Apparat. Für ein kleineres, vielleicht sogar kommunales Haus sind das killing-Faktoren, wenn das die Geldgeber nicht mittragen und politisch dahinterstehen. ...


    Das sind natürlich gute Argumente. :thumbup: Und die "Spezialkräfte" bzw. Musiker bringen dann die Instrumente selbst mit oder werden diese womöglich verliehen? Was wäre denn so die Regel?

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Grins: Monteverdi und Regeln....
    aber bustopher würde ich zustimmen: trägt das Ganze das "Haus" nicht, was mehr meint als das Theater selbst, dann kann das arg schwachbrüstig werden.
    Ich selbst beziehe mich auch noch immer auf so reiche Inszeniererungen wie die Ponnelles/Harnoncourts, die ja nun schon bejahrt sein müssten.

    Geht aber auch ohne Szene, man höre hier:
    http://www.swr.de/swr2/programm/…bkrp/index.html

    Oops, knapp daneben, aber man findet die "Poppa" problemlos. Mein Irrtum ja nicht ganz ungewollt.

    Monteverdis Musik sagt doch alles!

    Herzliche Grüße,
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Und die "Spezialkräfte" bzw. Musiker bringen dann die Instrumente selbst mit oder werden diese womöglich verliehen? Was wäre denn so die Regel?

    die bringen das normalerweise mit: spezialisierte Ensemles für alte Musik halt...

    Ich fänd' ja ein Ranking der meistaufgeführten Opern des Jahres (in Deutschland, Österreich und Schweiz bzw. im deutschsprachigen Raum) sehr interessant

    guckstu da: http://operabase.com/index.cgi?lang=de

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Vielen Dank, bustopher! Ich werde mir die Statistik mal genauer anschauen. :wink:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Seit Tagen schon verkneife ich's mir, Aber eigentlich erwarte ich Menschen, die Rollen ausfüllen.
    Wie unendlich schwer das sein kann, zeigen manchmal Filme, die mit dem Thema so gut wie nichts( wirklich?) zu tun haben.
    Der "Stargate" mit Jaye Davidson: als Ra wäre eine perfekte Besetzung für diese schwierige Rolle.

    Gibt es jemanden, der derart androgyn und doch selbstbewusst daherkommt?
    Wir reden von Geschlechtslosigkeit, Monteverdis Musik redet eine ganz andere Sprache; die des Androgynen.

    Heute kaum zu machen....wie der Film vor zwanzig Jahren nicht. Und nicht "Stargate", ich meine The Crying Game.
    Die Äußerungen Kubricks zur Rollenbesetzung sagen vieles.

    Nur ist das Thema nicht neu. Und, so glaube ich, hat Monteverdi als Opernkomponist darum so wenig einen Bogen gemacht wie später Händel.
    Doch wieder "Gender" statt "Gendel"- nur neu ist das nicht, die Menschheit ist damit wohl solange befasst wie sie existiert.
    Mein Wunsch: nicht das Ausgrenzen über Schreibveränderungen und Toiletten, sondern ganz klar eingestehen: wir alle sind nicht so eindeutig wie wir es gern hätten.
    Statt fünf Klos nur eins, eins für alle, das wäre toll. Niemand muss sich seiner schämen, niemand muss sich herausstellen.

    Angelegt ist das in Monteverdis Musik, in der Handlung, und wie Monteverdi mit ihr verfährt.
    Gleichwertigkeit aller Geschlechter- besser, ihres Verständnis, ist so alt wie die Menschheit.
    Deswegen Kriege zu führen auch.
    Fronten statt miteinander- wir sind heute kein Stück weiter als Monteverdi in seinem "Versteckspiel" und, ja, der "geilen Mucke".

    Eifelplatz, lies lieber weg...oder ganz ganz genau vor Deinem Urteil, das mich wieder verdammen wird.

    Mit unverschämten Grüßen,
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nicht mehr, was du eigentlich sagen willst - weißt du es noch selber? Ich kenne diese Oper schon ziemlich gut und weiß um die erstaunliche Vielschichtigkeit im Libretto - und ich spüre auch, daß Monteverdi das ebenso begriffen hat. Für ihn war dieser Stoff ein gefundenes Fressen: den hätte er womöglich auch für sich selber im stillen Kämmerlein geschrieben - einfach so, um höllischen Spaß zu haben... :saint:

    Aber den Sprung von Jaye Davidson zu Nero ist ein bißchen simpel - er ist Schauspieler und konnte gewisse Sachen darstellen, wenn sie genau dieser Androgynität entsprachen. Aber bei Nero funktioniert das eher nicht - Nero ist ein Junge (ein sehr großer Junge!), doch diese Gender-Mischmasch würde die eigentliche Schärfe dieser Geschichte komplett killen. Denn ich finde, es geht eben auch darum, daß die Charaktere ein Geschlecht haben und es ausfüllen.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • L'incoronazione di Poppea unterscheidet sich von den beiden anderen erhaltenen Monteverdi-Opern (und insbesondere von dem auf dem Papier mit einer sehr ähnlichen Besetzung arbeitenden Ulisse) ja dadurch, dass sie so sopranlastig ist. Warum? Ich glaube, ein wesentlicher Grund liegt darin, den Kontrast Seneca-Hofgesellschaft, bzw. in der Konfrontationsszene im ersten Akt auch den Kontrast Seneca-Nerone musikalisch schärfer herauszuarbeiten. Seneca wird so (metaphorisch, nicht litteral) zum einzigen Erwachsenen im ganzen Stück.

    Monteverdi spielt zwar in der ganzen Oper mit der Travestie (Ottones Verkleidung, die Ammen, wohl auch die Szene Nerone-Lucano), aber ich würde auch davor warnen, hier die Andogynität überzubetonen oder überzubewerten. Denn gerade die Travestie erhält ja zumindest einen großen Teil ihrer Reize nicht aus Androgynität, sondern aus der Tatsache, dass die Charaktere und Sänger/-innen eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden und in den Köpfen des Publikums binäre Geschlechterrollen/-bilder existieren.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Am vergangenen Samstag gab es in Mannheim im Nationaltheater die Incornazione in einer Neuinszenierung, die am 12. April Premiere hatte. Die musikalische Leitung hatte Jörg Halube, es spielte das Ensemble Il giusto barroco. Ich kannte ehrlich gesagt beide nicht. Verantwortlich für die Inszenierung zeichnete Lorenzo Fiorini verantwortlich. Eine sehr moderne jederzeit stimmige Inszenierung, die den Akteuren auch physisch so einiges abverlangte: Die Bühne war unter Wasser gesetzt, die Akteure standen häufig knöcheltief im Wasser. Auf der Homepage des Nationaltheaters findet Ihr einen Youtube-Clip, so das Ihr Euch einen Eindruck machen könnte. Eine Frage: Welche Stimmlage hatte den Monteverdi ursprünglich für Nerone vorgesehen? Der wurde nämlich am Samstag von einem Tenor gesungen.

    Herzliche Grüße

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Hohe Lage - sowas wie Sopran/Countertenor/Kastrat.

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    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Lieber Cesar73. :verbeugung2:

    Ja Monteverdi hatte die Partie einem Kastraten zugedacht und sie ist unheimlich schwer zu singen.

    Das Unter Wasser finde ich etwas eigentümlich, na ja. In Wien sang ihn Gerhard Stolze der einen sehr hohen Tenor hatte, damals.

    Liebe Grüße vom Streiferl und Guten Morgen. :wink: :wink:

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