Theodor W. Adorno über Wagner, Mahler, Berg u. a. m.: Inzwischen überholt oder immer noch aktuell?

  • warum Adorno in Vergangenheit und Gegenwart?

    pardon, wenn folgendes aus etwas persönlicher Perspektive gesschrieben ist.

    Man fand sich also, sagen wir, Ende 50ger, 60ger als Schönberg-Fan vor. Was war die naheliegendste Lektüre? Adorno war klarerweise der schriftstellerische Exponent der Wiener Schule (ich sage nicht "Sprecher"!). da gabs dann als zugängliche Werke die Sammlungen Moments musicaux, Impromptus, Dissonanzen (sowas wie Philosophie der neuen Musik kommt hier nicht in Betracht). Da gabs dann auch über Schubert, späten Beethoven, Ravel, Parsifal, Webern zu lesen, wie so bei keinem leicht zugänglichen Musikschriftsteller (oder wer hätte es sein können?) auch bei Tristanfieber half Adorno.

    Adorno hatte damals Breitenwirkung. Außer der Auseinandersetzung mit der Wiener Schule wären das m.E. die drei Gebiete:

    1) Kritik der "musikpädagogischen Musik ", was damalige Musikpädagogik gehörig aufmischte
    2) Kritik an den ersten Anfängen oder Vorläufern der Alte-Musik-Bewegung
    3) Mahler. Adorno hat gewiß nicht die Mahler-Renaissance in Gang gesetzt, aber ich möchte behaupten, daß seine Art der Mahlerdeutung bis heute das Mahlerhören mitbestimmt, auch bei Leuten, die nie ein Wort von Adorno gelesen haben, ob man nun eher mit Adorno mitgeht oder sich an ihm reibt.

    ok, das wäre Vergangenheit, aber doch offenbar eine, die noch heute virulente Fragestellungen aufwirft.
    natürlich

    An musikbezogenen Veröffentlichungen nach Adornos Tod wären m.W. vor allem die beiden Fragment gebliebenen Projekte, das Beethoven-Buch und die Aufzeichnungen zur "Theorie der musikalischen Reproduktion" zu nennen . Letzter dürften nicht nur im Bereich der Wiener Schule, sondern überhaupt zu den am weitestgehenden diesbezüglichen theoretischen Bemühungen zählen (daß Adorno auf dem Gebiet Praktiker war, dürfte er mit dem getreuen Korrepetitor hinreichend belegt haben).

    Auch bei den Beethoven-Aufzeichnungen finde ich es wohltuend, Adorno bei seiner Bemühung um Details, Aspekte zusehen zu können, ohne daß man irgendwie schon weiß, was herauskommt.

    Adorno dürfte im Umkreis der Wiener wohl dem Interpreten die größte Bedeutung zugemessen haben (in "Reproduktion" steckt immerhin "Produktion"), aber von der Interpretation als "eigenständigem Kunstwerk" kann natürlich keine Rede sein. Also hochaktuell.

    Bei alledem möchte ich keinesfalls den Eindruck erwecken, ich wäre der Meinung, Adorno zu "verstehen".

    Wie machen es eigentlich die Metaphern, philosophischen Begriffe und Gedanken, sich auf Musik beziehen zu können und den Eindruck zu erwecken, hochdifferenzierte ästethische Erfahrungen formulieren zu können?


    ich möchte aber noch auf einen anderen Adorno hinweisen und ihn empfehlen.

    und das ist der Adorno, der für Kulturottonormalzeitungsleser geschrieben hat. In Bd. VI der Musikalischen Schriften (Suhrkamp) finden sich ca. 300 Seiten Konzert- und Opernkritiken aus den 20ger Jahren. Ich denke, auch für denjenigen, der an Adorno kein besonderes Interesse hat, eine interessante Quelle. Hier gilts nicht, im Interesse der Kunst die kritischen Instrumente soweit möglich zu schärfen, hier gilts wohlwollender Förderung des Musiklebens.

    Dabei steht für Adorno immer die Auseinandersetzung mit den Kompositionen im Zentrum, so daß sich Stellungnahmen zu 100ten von Werken finden, was auch geeignet sein sollte, eine besseren Einblick in Adornos Interessenshorizont zu kriegen.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Danke, lieber zabki, für Deine Zusammenfassung!

    Adorno hatte damals Breitenwirkung.

    Die reicht offensichtlich noch bis heute; ich verweise da nur einmal auf einen ganz aktuellen Artikel, auch wenn der mit Musik nichts zu tun hat: https://www.sueddeutsche.de/kultur/aspekte…rkamp-1.4531555.

    Man kann fragen, woher diese Breitenwirkung rührt. Ein Aspekt, der mir dazu einfällt: Adorno war sowohl professioneller Musikwissenschaftler und Komponist (Schüler von Alban Berg!) als auch professioneller Gesellschaftstheoretiker und Philosoph (Universitätslehrer und Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung).

    Wenn man etwa fragt, wer außer Adorno derart wissenschaftlich fundiert über Beethoven, Wagner und Schönberg einerseits und Aristoteles, Hegel und Marx andererseits Bescheid wußte: Da fällt mir sonst niemand ein.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Wenn man etwa fragt, wer außer Adorno derart wissenschaftlich fundiert über Beethoven, Wagner und Schönberg einerseits und Aristoteles, Hegel und Marx andererseits Bescheid wußte: Da fällt mir sonst niemand ein.

    Im Prinzip Zustimmung.
    Bei Marx ist sich Brägen bisher nicht so sicher. Ihm ungeneigte Zungen kolportieren, dass er sich darüber von seinen Schülern sehr viel erklären ließ.
    Teddielein räumte auch ein, dass ihm die Sphäre von Ökonmomie verhasst bis brutalst widerlich rüberkam, ihm also totalst auf die Nüsse ging... es gibt in seiner Schreibe merkwürdige Analogien zwischen Warenform bei Marx und Denkformen. Aber Chose m.E. nicht so richtig durchgeführt. Ich checke das bei ihm nicht (was ja erstemal nix besagt): Wünsche mir sogar, dass mein Brägen darin sich irrt.
    (Eine Bitte an Mods. Wäre es möglich, trotz magerer Besetzung, in einem Subbotnik, die Teddielein-Postings aus dem Kritiker-Thread in diesen Teddielein-Thraed hineinzukopieren. Wär echt supi.)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ihm ungeneigte Zungen kolportieren, dass er sich darüber von seinen Schülern sehr viel erklären ließ.

    Wirklich? Wenn's stimmt: Ein Professor, der sich von seinen Studenten dort, wo sie es besser wissen, etwas sagen läßt, handelt in meinen Augen keineswegs unprofessionell. Im Gegenteil!

    Was die Adorno-Beiträge im Kritiker-Thread angeht: Da kann doch jeder, der Lust hat, die betreffenden Äußerungen ohne Probleme als Zitate hier einsetzen. Dazu braucht's nach meiner bescheidenen Meinung keine Moderation. Das sehe ich ebenso wie dort geschrieben.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • die betreffenden Äußerungen ohne Probleme als Zitate hier einsetzen.

    sicher, aber ich würde es auch begrüßen, wenn hier dann ein kontinuierlicherer Ablauf mir seinen "ecken und kanten" zu finden wäre. Gibt ja auch einen Einblick, wie Adorno auf Capricio so gesehen wird.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Gibt ja auch einen Einblick, wwie Adorno auf Capricio so gesehen wird.

    So isses. Postings, die angenervt von Teddieleins Denke rüberkommen in einem Thread versammelt sich reinziehn zu können, käme schon cool rüber :thumbup: . Vermutlich brechen keine Verbal-Schlachten-Kriege aus, wie in lustigen RT-Threads. :P

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  • Die Adorno-Diskussion aus dem Thread "Kritikerberechtigung - Wer die Eiche kratzt" wurden jetzt in diesen Thread kopiert, d. h. ab hier.

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • War es vielleicht Thea Dorn?

    der hat jetzt aber ne Weile gebraucht bei mir ...

    Andererseits hat philmus ihn mit Genuss gelesen.

    wobei das wohl schon eher postmoderne Rezeption ist: den Philosophen, für den es keinen "richtigen" Genuss im Falschen (Leben) geben kann/soll/darf, als kulturellen Genuss ge- oder mißbrauchen - so wird ers nicht gemeint haben, ist mir aber egel, ich hör ja auch Sibelius, Schönberg dagegen eher selten bis garnicht.

    indem Kunst durch Formstrenge gegen schäbige Herzenswärmerei, mit Rätselcharakter gegen kommunikative Alles-Einschleimerei sich versteift, versucht sie der Anpassung/Integration zu widerstehen .. .. auch indem deren formale Strukturen darin auf die Härte von Zwängen der Welt verweisen … und .. und .. und .

    da kriegt aber die Ablehnung des Unterhaltungs-Aspektes auch wiederum etwas totalitäres, an dem sich dann auch selbst musikschaffende Adornoschüler wie Volker Kriegel abgearbeitet haben - es reizt, diesem Geist auf seiner Höhe zu widersprechen, ist aber furchtbar schwer, weil die schwarzsehende Dialektik immer irgendwie "Recht hat" und dennoch nicht die ganze Wahrheit erfasst: weil die im Künstlerischen eben nicht immer im strenggeschiedenen Schwarz-Weiß sich erschöpft, sondern das Sowohl-als-auch braucht wie die Mischung der Farben.

    Bei Marx ist sich Brägen bisher nicht so sicher. Ihm ungeneigte Zungen kolportieren, dass er sich darüber von seinen Schülern sehr viel erklären ließ.

    Glaube an oder Wille zur Utopie findet sich eher in negativer Form: Absage ans Bestehende ohne Idee, wie man ins Bessere gelangen könnte...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • weil die im Künstlerischen eben nicht immer im strenggeschiedenen Schwarz-Weiß sich erschöpft, sondern das Sowohl-als-auch braucht wie die Mischung der Farben.

    :jaja1: :jaja1: :jaja1:

    Inwieweit lässt sich Adorno denn auf die neue Musik von heute noch anwenden? Eine Formstrenge kann ich jedenfalls sowieso kaum noch erkennen.


    Aber mei, wie hat Heinrich Heine doch gesagt:

    "Die Werke des Geistes sind ewig feststehend, jedoch Kritik ist etwas Wandelbares. Sie geht aus den jeweils gängigen Ansichten der Zeit hervor."

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • "Die Werke des Geistes sind ewig feststehend, jedoch Kritik ist etwas Wandelbares. Sie geht aus den jeweils gängigen Ansichten der Zeit hervor."

    Hat Heine das gesagt? Nun denn, daß Kritik wandelbar ist und den gängigen Ansichten der jeweiligen Zeit entspricht, das bestreite ich nicht. Aber ebendas gilt für die "Werke des Geistes" nicht minder. Wäre auch im Sinne Adornos, der das immer wieder betont hat. Mit Recht, wie ich meine: Auch Kunstwerke sind nicht "ewig feststehend".

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Ich verstehe Heine hier so, dass revolutionäre Kunst weniger an die Zeit des Entstehens gebunden ist, wie die Rezeption der solchen. Sonst kann sie doch nicht revolutionär sein, sondern nur reaktionär?

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • Daß "revolutionäre Kunst" über die Entstehungszeit hinaus weist, also nicht nur zeitgebunden ist, leuchtet mir durchaus ein. Ein gutes Beispiel wäre Beethovens "Eroica". Aber deshalb sind solche Werke noch lange nicht "ewig feststehend". Hier verfällt Heine m. E. einem Kunstmythos - der allerdings im 19. Jahrhundert durchaus wirksam und mächtig war.

    Adorno selbst zitiert mehrfach eine, wie ich finde, ziemlich kluge Bemerkung von Walter Benjamin über den "Zeitkern" der Wahrheit, und das im affirmativen Sinn:

    Entschiedne Abkehr vom Begriffe der »zeitlosen Wahrheit« ist am Platz. Doch Wahrheit ist nicht – wie der Marxismus behauptet – nur eine zeitliche Funktion des Erkennens sondern an einen Zeitkern, welcher im Erkannten und Erkennenden zugleich steckt, gebunden. Das ist so wahr, daß das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist als eine Idee.

    Ich reagiere stets skeptisch, wenn ich lese oder höre, daß ein Werk als "zeitlos schön" bezeichnet wird.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Hier verfällt Heine m. E. einem Kunstmythos - der allerdings im 19. Jahrhundert durchaus wirksam und mächtig war.

    Also hat Heine hier einen Widerspruch par excellence begründet, da seine Aussage wiederum selbst "aus den jeweils gängigen Ansichten der Zeit" hervorging? :herrje1:

    Hm...ich bin mir nicht sicher, ob ich Adornos Bemerkungen und Zitate über den Zeitkern der Wahrheit richtig verstehe. Ist hiermit gemeint, dass sich die Bedeutung eines Werks dem Wandel der Zeit anpassen kann? Wenn ja, dann stimme ich natürlich zu.
    Im materiellen Sinne würde ich aber behaupten, dass Kunst ersteinmal existiert und dadurch automatisch zeitlos ist, ob hier ein "Erkennen" letztlich erfolgt oder nicht.

    So unpassend finde ich Heines Zitat daher nicht, denn der Kritiker selbst ist immer nur Reaktionär und nie der Schaffende.

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • Ist hiermit gemeint, dass sich die Bedeutung eines Werks dem Wandel der Zeit anpassen kann?

    Dass Zugang/Erfahrung von vergangenen Kunstwerken sich wandelt, räumt Teddieleins Brägen ein. Aber auf das Werk bezogen.
    Also in der Perspektive/Erfahrung der Moderne kommen andere Schichten, wie Dissonanzen in Schuberts, Brüche in Beethovens Mucke schärfer rüber. Kunst selbst funzt nach Teddieleins Denke ja nicht ewig, sondern entsprang mal historisch, koppelte sich zunehmend mehr oder weniger autonomiesiert u.a. auch vom Kult ab...
    Er fragt sich sogar, ob versöhnte Gesellschaft überhaupt noch Kunst "braucht" bzw. es da sowas gibt.
    Und, ob in dieser (unversöhnten) Welt, Kunst mit sowas wie unkorrumpierten Restsubstrat, es überhaupt schafftt bzw. vermag noch zu überwintern oder gänzlich verkackt. :( .

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  • Hm...ich bin mir nicht sicher, ob ich Adornos Bemerkungen und Zitate über den Zeitkern der Wahrheit richtig verstehe.

    Ich auch nicht. :D

    Ist hiermit gemeint, dass sich die Bedeutung eines Werks dem Wandel der Zeit anpassen kann?

    Gerade Bedeutungen wandeln sich ständig, und ich denke, das gilt auch für die Bedeutung von Kunstwerken, die sich deshalb auch nicht ein für allemal festlegen läßt. Beethovens Symphonie Nr. 3 bedeutete 1804 sicher anderes als 2019. Das ist schon deshalb komplex, weil sich auch so etwas wie "Bedeutung 1804" und "Bedeutung 2019" nicht fixieren läßt.

    Im materiellen Sinne würde ich aber behaupten, dass Kunst ersteinmal existiert und daduch automatisch zeitlos ist, ob hier ein "Erkennen" letztlich erfolgt oder nicht.

    Verstehe ich nicht ganz: Wenn etwas materiell existiert, soll es zeitlos sein? Gerade dann, so scheint mir, ist es vergänglich, also eben nicht zeitlos. Entscheidend finde ich allerdings nicht das Materielle, sondern das Geistige, bezogen auf Musik: nicht die physikalisch meßbaren Schallwellen, sondern das, was es eben bedeuten kann: Vermutlich trägt jedes (zumindest große) Kunstwerk einen sich ständig wandelnden Kosmos an Bedeutungen in sich - und Kunstwerke können auch sterben...

    Soweit eigene kleine Versuche; ich bin weit davon entfernt, hier als Kenner der Ästhetik Benjamins oder Adornos auftreten zu können.

    Er fragt sich sogar, ob in versöhnter Gesellschaft überhaupt noch Kunst braucht bzw. es da sowas gibt.

    Ja, das fragt sich. ;)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Ich habe festgestellt, daß in Deutschland jeder, der über Musik schreibt, irgendwann den Namen Adorno erwähnen muß.
    Da diese Regel in anderen Ländern und Sprachen nicht gilt und es dort nichts zu fehlen scheint, steige ich aus, wenn ich diesen Namen sehe.
    Und bislang habe ich keine Nebenwirkungen gespürt,

    Als junger Mann dachte ich einst, man müsse ja irgendwie auch mal Adorno lesen - aus den von dir genannten Gründen. Das war kein Genuss. Ich bin ausgestiegen und mir fehlt ebenfalls nichts. Inzwischen scheint es mir, als wäre diese Adornorei nur noch toter Bildungsballast, der zumeist im Sinne von name dropping mitgeschleppt wird.


    Faszinierend! Bisher dachte ich, dass eine derartig offen zur Schau gestellte Intellektualitäts-Feindlichkeit vor allem in Regietheater-Diskussionen in einem gewissen anderen Forum zu finden sei. Ich habe mich offensichtlich geirrt.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Bisher dachte ich, dass eine derartig offen zur Schau gestellte Intellektualitäts-Feindlichkeit vor allem in Regietheater-Diskussionen in einem gewissen anderen Forum zu finden sei.

    Es ist keine Intellektualitäts-Feindlichkeit, es ist nur Adorno-Sättigung.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Bisher dachte ich, dass eine derartig offen zur Schau gestellte Intellektualitäts-Feindlichkeit vor allem in Regietheater-Diskussionen in einem gewissen anderen Forum zu finden sei.

    Naja, Leuten "Intellektualitäts-Feindlichkeit" zu unterstellen, die offen bekennen, auf einen einzigen Intellektuellen, nämlich Theodor W. Adorno, allergisch zu reagieren, finde ich schon reichlich übertrieben. Jedenfalls ist mir weder von Philbert noch von Knulp bekannt, daß sie Intellektuelles nicht mögen.

    Ich wäre ja auch kein Klassikmusikfeind, wenn ich verkündete, Beethoven ganz schrecklich zu finden und seine Musik konsequent zu meiden.

    :tee1:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Naja, Leuten "Intellektualitäts-Feindlichkeit" zu unterstellen, die offen bekennen, auf einen einzigen Intellektuellen, nämlich Theodor W. Adorno, allergisch zu reagieren, finde ich schon reichlich übertrieben. Jedenfalls ist mir weder von Philbert noch von Knulp bekannt, daß sie Intellektuelles nicht mögen.

    Ich wäre ja auch kein Klassikmusikfeind, wenn ich verkündete, Beethoven ganz schrecklich zu finden und seine Musik konsequent zu meiden.


    Wenn man sich mit einer Sache in gewisser Gründlichkeit befasst hat und dann zu dem Schluss kommt, sich nicht weiter mit ihr befassen zu wollen, so ist dagegen nichts einzuwenden.

    Ebenso ist nichts dagegen einzuwenden, sich nicht mit einer Sache befassen zu wollen, weil man sich mit anderen Dingen beschäftigen möchte (oder evtl. auch muss).

    Es ist aber eine andere Qualität, wenn man anführt, dass einem das Nicht-Befassen nicht geschadet habe und man trotzdem glücklich sei. Das ist ein unsinniges Argument, da man ja 1) die Gegenprobe nicht gemacht hat und 2) dieses Argument auf jeden Gegenstand des künstlerisch-kulturellen Bereichs anwendbar wäre (es gibt vermutlich auch viele glückliche Menschen, die noch nie die Goldberg-Variationen gehört haben). Ergo ist dies ein Argument, das man dann rausholt, wenn man etwas ignorieren möchte. Es ist m. E. auf einer Stufe mit dem Argument "die Inszenierung xxx muss ich nicht sehen, das ist sowieso Verunstaltungstheater". Und ja, das ist aus meiner Sicht Intellektualitäts-feindlich, auch wenn es nur einen Gegenstand intellektueller Erörterung betrifft - weil es eben diese Erörterung nämlich in selbstkonsistenter Rechtfertigung verweigert (auch wenn dies nur ein spezifisches Thema betreffen mag).

    Wohlgemerkt: ich kann natürlich nicht beurteilen, in welcher Tiefe sich Philbert und Knulp irgendwann mal mit Adorno befasst haben - zumindest Knulp hat seine Schriften ja früher wohl mal in Teilen gelesen. Umso unsinniger finde ich dann aber die Bemerkung "und mir fehlt ebenfalls nichts", die einfach dem Abqualifizieren eines Gegenstands dient, für dessen nähere Erkundung einem vielleicht Stimmung, Rezeptivität und/oder Zeit gefehlt haben (was ja alles vollkommen in Ordnung wäre).

    Meine Verwunderung kommt eben gerade daher, dass ich von beiden Usern niemals angenommen hätte, dass sie sich eines derartigen Arguments bedienen würden. Ich meine sogar, dass ein prominenter Regietheater-Gegner in einem anderen Forum mal eine beinahe gleichlautende Aussage über seine Adorno-Nichtkenntnisse verfasst hätte...

    LG :wink:

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  • eine derartig offen zur Schau gestellte Intellektualitäts-Feindlichkeit vor allem in Regietheater-Diskussionen

    Ich meine sogar, dass ein prominenter Regietheater-Gegner in einem anderen Forum mal eine beinahe gleichlautende Aussage über seine Adorno-Nichtkenntnisse verfasst hätte...

    Kommt hier doch noch endlich Stimmung auf, wie in diversen RT-Threads ? Au ja. :thumbup: :sofa1:

    der hat jetzt aber ne Weile gebraucht bei mir ...

    Ach, menno. Schon wieder check ich mal einen Joke nicht. :heul1: :heul1: :heul1: :heul1:

    da kriegt aber die Ablehnung des Unterhaltungs-Aspektes auch wiederum etwas totalitäres,

    Erwägt mein Brägen auch. Teddieleins Denke ist dieser Schwierigkeit sich klar. Auch Denken trägt von den Verhältnissen, vom Ganzen, blaue Flecken, Schrammen, Eiter-Beulen; bildet keine chillige Datsche fern in der Walachei.
    Ist bisher wieder mal bloße Vermutung meines Brägens: Indem Teddieleins Begriffs-Eagle das Meer der Kunst ansteuert, wähnt er möglicherweise damit auch den dabei weiterhin unverzichtbaren Totalitätsanspruch wenigstens etwas abmildern zu können, m.E. vor allem durch Versenkung in Details darin….

    an dem sich dann auch selbst musikschaffende Adornoschüler wie Volker Kriegel abgearbeitet haben -

    Danke für Hinweis. Wär mir echt supi, falls du dazu weitere Infos, Hinweise rüberwachsen lässt

    es reizt, diesem Geist auf seiner Höhe zu widersprechen, ist aber furchtbar schwer, weil die schwarzsehende Dialektik immer irgendwie "Recht hat" und dennoch nicht die ganze Wahrheit erfasst: weil die im Künstlerischen eben nicht immer im strenggeschiedenen Schwarz-Weiß sich erschöpft, sondern das Sowohl-als-auch braucht wie die Mischung der Farben.

    Beim Aufdröseln seines Begriffs „Rätselcharakter“ (womit mein Brägen noch lange nicht „fertig“ ist) wird das deutlich.

    "Sowohl" richtet sich seine Denke gegen eine Hermeneutik (keinen Schimmer, welche damit gemeint ist oder ob lediglich Popanz zum Draufhaun, ist ja schließlich auch Jahrzehnte her, dass Chose verzapft wurde), die meint, Kunstwerk totalst auf Begriff bringen zu können. Denn beim Checken von Kunstwerken verpisst sich Rätselcharakter keinesfalls, sondern taucht quasi koboldhaft erneut wieder auf, um Denke-Reinzieh-Fresse zu polieren. Aber, so what, begriffliche Vermittlung von Kunst müsste das halt mit einbeziehen.

    "Als auch", dass „ästhetisches“ Selbst-Verblöden eben keine Alterbnative dazu bildet, indem man ganz ohne Denke-Eagle bzw. denkende Erfahrung auf Kunstwerk direkt zu landen versucht.

    Glaube an oder Wille zur Utopie

    Da plädiert eigner Brägen ganz für Willen. Glaube muss den Willen Platz machen.

    findet sich eher in negativer Form: Absage ans Bestehende ohne Idee, wie man ins Bessere gelangen könnte...

    Du beziehst dich vermutlich auf sein Bilderverbot (BV).
    Okay, okay, das schafft einerseits Angriffsfläche. Andererseits bilden die Schrecken im Ostbereich bis zur Wende einen wichtigen Grund für seine Enthaltsamkeit in Gestalt von BV.

    Teddielein begründet BV vor allem damit, dass Idee, Vorstellungen von Versöhnung überformt, kontaminiert sind von zerstörerischer Dynamik, vom Zwang, vom Kontinuum der bürgerlichen Gesellschaft.

    Teddielein „übersteigt“ BV höchst selten und dann auch ganz sachte, sanft bis vage; vermutlich, weil brutalst durchgeführtes BV sonst die im Brägen verortete Vorstellung scheinbarer Alternativlosigkeit der herrschenden Verhältnisse echt fies und übelst zu inkrustieren droht.

    Die winzigen Ausbrüchleins vom strengen BV kommen in seiner Schreibe rüber (z.B. in MM) etwa, dass versöhnte „Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig“ wäre „und läßt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt“ oder „Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen“ (Sur l'eau.).. oder so einen mega-geilen Knaller, wie „den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann“ (Melange) … in einem Radio-Talk (aus den 60zigern ?) bezieht Teddielein dabei sich recht konkret auf den technischen Stand der Produktivkräfte….

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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