Christian Thielemann: "Das ist für mich sehr wichtig, dass es einen guten Ausgang nimmt."

  • Was Du als "Handicap" beschreibst, ist in meinen Augen eine seiner Stärken: Die Orchester spielen zu lassen, sie nicht nur zu "dirigieren" sondern vor allem hörend zu animieren. Anders gesagt: Er beherrscht die Kunst, nicht zu stören, und das ist für einen Dirigenten keine Kleinigkeit. Im Ergebnis spielen z.B. die Wiener Philharmoniker bei den Beethoven-Symphonien (von denen ich seit gestern ein paar gehört habe) so temperamentvoll und mitreißend, wie ich sie schon lange nicht mehr gehört habe (und übrigens auch in den Tempi weit ab von der angeblichen "teutonischen Schwerfälligkeit", die Thielemann immer wieder unterstellt wird). Ob das Ergebnis nun mehr "Konzeption" des Dirigenten oder des Orchesters ist, scheint mir eine müßige Frage zu sein, weil sein Einfluss einerseits in jedem Moment hörbar ist, er aber andererseits natürlich so auch nur mit Spitzenorchestern arbeiten kann. Sein Konzept besteht auch sicherlich nicht darin, Furtwängler "nachzueifern", sondern er sieht sich seiner grundsätzlichen Musizierweise in einer Tradition mit diesem verbunden. Das ist etwas ganz anderes.


    (Hervorhebungen durch den Zitierenden)

    Daß die Wiener unter seiner Leitung gut klingen und daß auch ich diese Beethoven-Aufnahmen besser finde als nach meinem Thielemann-Mozart-Erlebnis antizipiert, habe ich ja bereits oben geschrieben. Dennoch: was heißt es, daß ein Dirigent mit einem Spitzenorchester gute Ergebnisse erzielt und dort nicht stört? Eben dieses: er kann gut mit diesen Musikern umgehen, etwas besser vielleicht als Hinnerk Hinnerksen, weshalb das Orchester auch besser klingt als bei Hinnerk Hinnerksen. Das ist eine Leistung, vielleicht gar eine Kompetenz, aber für meine Begriffe wenig mehr als die Kompetenz eines guten bis sehr guten Kapellmeisters. Von einem Weltklasse-Dirigenten hingegen erwarte ich mehr, z. B. daß er es schafft, ein Orchester so klingen zu lassen, wie man es nicht erwarten würde - so daß man sich fragt: "wie macht der das nur"?

    Thielemann mag die Wiener und die Berliner gut zum Klingen bringen, aber würde man ihm eine Leistung wie Järvi in Bremen oder früher Rattle in Birmingham zutrauen - einem Orchester der Mittelklasse zu Höchstleistungen zu verhelfen?

    Und wenn er sich in einer Tradition mit Furtwängler sieht, muß er es sich gefallen lassen, auch an diesem gemessen zu werden. Ich habe bei meiner Begegnung mit Thielemanns Beethoven dieses Experiment gemacht: die (wirklich nicht schlechten) Thielemann-Aufnahmen gehört, und direkt danach Meister Wilhelm. Sorry, aber da hat Thielemann keine Chance gehabt! Diese Intensität und Binnenspannung in Furtwänglers Neunter finde ich bei Thielemann in dieser Form schlicht nicht.

    Im Übrigen plädiere ich sehr dafür, die Bewertung seiner musikalischen Ergebnisse von der seines Seitenscheitels, seiner Interview-Eloquenz, seiner vermeintlichen oder tatsächlichen politischen Vorlieben zu trennen. Da scheint mir hier doch mancher die Dinge etwas zu vermischen...

    Dafür möchte ich auch plädieren - nur ist es dafür wohl zu spät. Namentlich bei denjenigen, die sich mit klassischer Musik seit längerem befassen, ist ein Thielemann-Bild entstanden, dass sich nicht mehr löschen lässt. Der Seitenscheitel hat sich derart eingebrannt, dass er bestimmend wird, und die Diskussion um Thielemann doch vielfach schon zu Beginn ersterben oder ins Unergiebige kippen lässt. Es ist ja auch naheliegend: Wer sich gegen Thielemann positioniert, ist ein moderner, aufgeklärter Klassikliebhaber; wohingegen den Thielemann-Freund der Ruch des Gestern umweht, weil doch der Kapellmeister eben auch so gestrig ist. Ende der Debatte.


    Ich würde dies ja gerne unterschreiben, aber Thielemann ist an der semantischen Aufladung seines Seitenscheitels selbst schuld. Es liegt mir eigentlich nicht, Leute nach Äußerlichkeiten einzuschätzen, aber wenn der Verdacht naheliegt, daß jemand mit seiner äußeren Erscheinung etwas signalisieren möchte oder diese Teil einer übergeodneten Konzeption ist, so fände ich es merkwürdig, dies nicht zu thematisieren.

    Hierzu möchte ich zunächst etwas klarstellen: niemand, der eine Thielemann-Aufnahme oder auch ihn selbst schätzt, ist deswegen sogleich der deutschnationalen Ecke zuzuordnen! (Ebenso ist ein Fan der "Toten Hosen" nicht automatisch ein Punk...) Man sollte sich aber doch mal vergegenwärtigen, aus welcher Sektion der Klassikhörerschaft Thielemann den lautstärksten Applaus bekommt und warum (auch in einem gewissen Internet-Forum ist das übrigens ganz gut dokumentiert...). Was ich Thielemann vorwerfe ist nicht, daß er musikalische Vorlieben in Sachen Repertoire und Musizierstil pflegt, die sich evtl. mit den Präferenzen der nationalkonservativ bis reaktionär eingestellten Hörer decken. Ich werfe ihm vor, daß er nichts tut, um diese vermeintliche Verbindung zu kappen oder zu schwächen und infrage zu stellen, sondern sie im Gegenteil als seine persönliche Komfortzone zumindest toleriert, wenn nicht gar pflegt. Dies meinte ich weiter oben mit dem "Gesamtkunstwerk" dieser Stoßrichtung, zu dem er letztlich geworden ist. Es geht mir dabei nicht primär darum, daß diese Denkrichtung nicht die meine ist (das ist sie in der Tat nicht, aber das ist eigentlich unerheblich), sondern eher darum, daß man sich hier auf relativ plumpe Art mit einer Gruppe von Leuten verbrüdert, die in der Musik ihre Weltanschauung meinen ausleben zu müssen. Wäre Thielemann ein Linker, der sich chronisch bei irgendwelchen Palästina-Solidaritätskonzerten verdingt, würde meine Einschätzung nicht wesentlich anders ausfallen.

    Aber noch einmal: auch ich schätze gewisse musikalische Leistungen von Thielemann durchaus hoch ein (wenn ich ihn auch nicht für den großen Heilsbringer halte) und bin ganz gewiß nicht daran interessiert, einem Liebhaber von Thielemann-Aufführungen oder -Aufnahmen umgehend irgendeine politisch-weltanschauliche Haltung unterstellen zu wollen. Ich kann sogar verstehen, wenn man es erfrischend findet, daß ein Dirigent mittleren Alters mal nicht der große HIP-Fan ist, sondern Traditionen des Musizierens schätzt, die manche vielleicht als altmodisch empfinden. Aber Thielemann nimmt diese Rolle auf eine Art und Weise ein, die mir aus den oben genannten Gründen nicht sehr sympathisch ist.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • . Das ist eine Leistung, vielleicht gar eine Kompetenz, aber für meine Begriffe wenig mehr als die Kompetenz eines guten bis sehr guten Kapellmeisters.

    Genau dieses - vielen Dank, liebes/r Symbol, wollte ich auch zur Sprache bringen, denn es trifft es auf den Punkt.
    Ich habe mir nun - angestachelt durch die Diskussion hier - soviel Beethoven unter Thielemann bei youtube genehmigt, wie ich finden konnte. Dabei habe ich natürlich bewusst SIchtkontakt mit Thielemann vermieden.

    Ich begann mit dem von Christian so hervorgehobenen Kopfsatz der Pastorale. Das Fazit vorneweg: gut, klanglich austariert, aber auch erschreckend bieder für mein Empfinden. Der als Beispiel angeführte Übergang zur Reprise (zur Verständigung: gemeint ist die Stelle bei 6:40) sollte mich nun durch agogisches Geschick überraschen. Was ich zu hören bekam, war harmlos, beinahe banal und naiv in einem negativen Sinne. Kann es nicht sein, lieber Christian, dass du frürhlingsbedingt in einer verdammte guten Stimmung bist und dich jeder warme Streicherklang in Entzücken versetzt? ;+) Also das rubato hat mich keineswegs aus meine Stuhl gerissen. Insgesamt wirkt der Kopfsatz durch die relativ(!) breiten Tempi und die Dynamik etwas holzschnittartig - Thielemann versucht dem durch feine Abstufungen in der Dynamik entgegenzuwirken, was wiederum den Charakter des Biederen unterfüttert, das Holzschnittartige aber nicht unterminiert. Gerade die Pastorale hörte ich als vollends unspektakuläres Unterfangen.
    Unter Eleganz verstehe ich dann doch etwas anderes - mir fehlt hier Witz, Esprit und Charme. Stattdessen - böse formuliert - gepflegte Langeweile. Sehr gepflegt, ja. Aber eben langweilig.

    Anders gestalten sich da schon die Darbietungen der 4. und des FInalsatzes der 7. Symphonie. Thielemann lässt flotte Tempi aufspielen - für Wiener Verhältnisse anscheinend, wenn das schon zu Erstaunen führen sollte. Das einleitende Adagio wirdfür mein Empfinden über die Maßen strapaziert - ich will Beethoven und sitze nicht in der Götterdämmerung.
    Die Binnensätze sind ordentlich, das Finale zackig - insgesamt eine gute Darbietung - dennoch bringe ich zwei Begriffe nicht zusammen: nämlich Thielemann und inspiriert. Doch das sollte bei einem Dirigenten, der dermaßen bejubelt wird und der sich so in Szene setzt vorausgesetzt werden dürfen. Ansonsten - und das hat Symbol wunderbar auf den Punkt gebracht - ist es ein besserer Kapellmeister.
    Im Finale der 7. blüht dann Thielemann ordentlich auf und lässt es krachen. Ja. Aber ich bitte euch: ketzerisch gesagt ist dieses Finale mit einem solchen Orchester quasi ein Selbstläufer. So und genau so habe ich das Finale tausende male gehört.

    :juhu: :kiss:

    Entschuldigung, besser kann ich das nicht in Worte fassen. Danke.

    :wink:

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • was heißt es, daß ein Dirigent mit einem Spitzenorchester gute Ergebnisse erzielt und dort nicht stört? Eben dieses: er kann gut mit diesen Musikern umgehen, etwas besser vielleicht als Hinnerk Hinnerksen, weshalb das Orchester auch besser klingt als bei Hinnerk Hinnerksen. Das ist eine Leistung, vielleicht gar eine Kompetenz, aber für meine Begriffe wenig mehr als die Kompetenz eines guten bis sehr guten Kapellmeisters. Von einem Weltklasse-Dirigenten hingegen erwarte ich mehr, z. B. daß er es schafft, ein Orchester so klingen zu lassen, wie man es nicht erwarten würde - so daß man sich fragt: "wie macht der das nur"?

    Ja, und ich frage mich z.B.: Wie macht der das nur, dass die altehrwürdigen - und z.B. durch das Rolex-Sponsoring notorisch überlasteten, und daher oft nur routinierten - Wiener Philharmoniker mit solchem Temperament und Feuer spielen, wie ich es ewig nicht gehört habe. Du kannst nicht ernsthaft behaupten, dass die Fähigkeit, ein Orchester zu Höchstleistungen zu bringen, für einen Dirigenten keine wesentliche Qualität sei und jedem guten Kapellmeister genauso gelingen würde. Dass er darüber hinaus auch andere Qualitäten hat (ich schrieb ja "eine seiner Qualitäten") ist m.E. jenseits aller Geschmacksfragen unbestreitbar. Ekkehard und ich haben beide z.B. die Fähigkeit genannt, großformale Werke so zu gestalten, dass sie tatsächlich einen Höhepunkt haben. Das erfordert eine überlegene Übersicht über das Ganze, während viele andere (gerade im HIP-Bereich) lediglich auf möglichst effektvolle Kontraste setzen.

    Thielemann mag die Wiener und die Berliner gut zum Klingen bringen, aber würde man ihm eine Leistung wie Järvi in Bremen oder früher Rattle in Birmingham zutrauen - einem Orchester der Mittelklasse zu Höchstleistungen zu verhelfen?

    Die Deutsche Kammerphilharmonie ist als Kammerorchester keineswegs "Mittelklasse". Ansonsten ist eine solche Frage nur spekulativ zu beantworten. Woher soll ich wissen, ob er das könnte? Es interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht.

    Es liegt mir eigentlich nicht, Leute nach Äußerlichkeiten einzuschätzen

    Mir auch nicht. Sogar ohne "eigentlich". Deshalb schreibe ich dazu auch nichts.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Natürlich sind Seitenscheitel und politische Gesinnung von der musikalischen Leistung zu trennen. Mit der Vermischung hat aber seine Vermarktung und auch er selbst angefangen. Sein Image hat schon einen Hauch von Rammstein.


    Da Du die Band Rammstein erwähnst und offenbar andeuten möchtest, sie hätten irgendetwas mit der rechten Szene zu tun, kann ich das nicht so stehen lassen. Diesen Quatsch hat mal irgendjemand vor vielen Jahren aufgebracht (ich meine zu erinnern, es war DER SPIEGEL) - und die Band hat souverän reagiert. Sie ließ diese Verleumdung unkommentiert, brachte aber auf ihrem nächsten Album "Mutter" den Song "Links 2 3 4" heraus, der mit einem militärischen Stechschritt-Geräusch beginnt. Der Refrain des Songs lautet:

    "Sie wollen mein Herz am rechten Fleck
    Doch seh' ich dann nach unten weg
    Dann schlägt es links!
    Links!!!
    Links!!!
    Links Zwo Drei Vier
    Links Zwo Drei Vier
    Links Zwo Links Zwo Links Zwo Drei Vier
    Links!!!

    (...)

    Sie wollen mein Herz am rechten Fleck
    Doch seh' ich dann nach unten weg
    Dann schlägt es in der linken Brust
    Der Neider hat es schlecht gewusst

    Links!
    Links!
    Links Zwo Drei Vier
    Links!!!"

    Genialer kann man kaum reagieren.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Da Du die Band Rammstein erwähnst und offenbar andeuten möchtest, sie hätten irgendetwas mit der rechten Szene zu tun, kann ich das nicht so stehen lassen. Diesen Quatsch hat mal irgendjemand vor vielen Jahren aufgebracht (ich meine zu erinnern, es war DER SPIEGEL) - und die Band hat souverän reagiert.

    Nein, zur rechten Szene würde ich sie nicht zählen. Sie betreiben halt ein kokettierendes Spiel mit Symbolen und Signalen. Machte nicht eins ihrer ersten Videos Anleihen bei Leni Riefenstahl?
    Ich kann diese Band nicht ernst nehmen, weil mich Till Lindemanns Stimme immer an Wum mit seinem Lied Ich wünsch' mir 'ne kleine Mietzekatze erinnert. Aber die Band meint ihre Lieder wohl auch gar nicht so ernst.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Ich möchte jetzt keinesfalls eine OT-Diskussion über Rammstein beginnen, deshalb nur soviel: Die Band hat ein hässliches, ein extremes und hartes, gleichzeitig aber auch sehr spielerisches Herangehen an Text und Musik. Man kann sie bewundern (wie ich) oder ablehnen (wie Du). Aber wenn man über Politik redet (was nicht Rammstein angefangen haben, sondern das waren die Medien), ist Rammstein eine links gesinnte Band. So, und nun genug von diesem (OT)Thema (wäre nett, wenn das so seitens der Moderation stehengelassen werden könnte).

    By the way (und um wieder auf Thielemann zu kommen): was hat eigentlich ein Seitenscheitel mit deutschnationaler Gesinnung zu tun? Irgendwie komme ich da nicht so ganz mit ?(

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Kann es nicht sein, lieber Christian, dass du frürhlingsbedingt in einer verdammte guten Stimmung bist und dich jeder warme Streicherklang in Entzücken versetzt? Also das rubato hat mich keineswegs aus meine Stuhl gerissen. Insgesamt wirkt der Kopfsatz durch die relativ(!) breiten Tempi und die Dynamik etwas holzschnittartig - Thielemann versucht dem durch feine Abstufungen in der Dynamik entgegenzuwirken, was wiederum den Charakter des Biederen unterfüttert

    Gegen einen warmen Streicherklang habe ich tatsächlich nichts einzuwenden. Warum auch? Offenbar nicht unsere einzige Differenz: Ich würde auch nie auf die Idee kommen, "feine(n) Abstufungen in der Dynamik" den "Charakter des Biederen" zuzuschreiben.


    Viele Grüße,

    Christian

  • [...] wäre nett, wenn das so seitens der Moderation stehengelassen werden könnte [...]

    Einverstanden, so ein kleiner Exkurs schadet ja nicht. ;+) Wer weiter über Rammstein diskutieren möchte, kann ja einen eigenen Faden anspinnen und ggf. die entsprechenden Beiträge hier zitieren.

    Zurück also zu Herrn Thielemann.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Mir auch nicht. Sogar ohne "eigentlich". Deshalb schreibe ich dazu auch nichts.

    Der Habitus eines Menschen kann sich selbstverständlich auch an seinem Körper manifestieren - der Terminus "Äußerlichkeiten" ist da eher unglücklich, weil er sich aus einer antiquierten Körper-Geist-Dichotomie herleitet und suggeriert, das "Eigentliche" läge anderswo. Man muss aber in der Tat nicht beim Seitenscheitel stehenbleiben: Thielemann bietet für eine Habitus-Studie genügend Stoff, hat sich oft genug politisch, sozial, kulturell positioniert und ist auch entsprechend rezipiert worden. Der Volkszorn bzw. genauer: der Zorn bestimmter Schichten des Münchner Bürgertums aufgrund seines Zerwürfnisses mit den Philharmonikern, die "Heilserwartungen", die vom womöglich noch konservativeren Dresdener Bürgertum sowie von diversen Protagonisten der öffentlichen Meinung (Sinkovicz!) mit ihm verbunden werden, sprechen eine deutliche Sprache.

    Wichtig finde ich aber, wie oben schon gesagt, dass nicht die musikalischen Interpretationen ständig mit dem Habitus des Interpreten verwechselt bzw. gleichgesetzt werden - weshalb dann Karajan-Dirigate "stromlinienförmig", Böhm-Dirigate "bieder" und eben Thielemann-Dirigate irgendwie "konservativ", "dick", "holzschnittartig" u.v.a.m. sind. Was gelegentlich mal zutreffen mag (auch musikalische Interpretationsgrundsätze, -haltungen sind ja Teil eines Habitus), überraschend oft aber eben nicht. Erfreulicherweise, sonst wär's ja langweilig mit der Kunst.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Wie bekannt, reaktionäre Deutschtümelei ist mir zutiefst zuwider und somit die "Marketingsstrategie" oder was auch immer das sein mag des Herrn Thielemann, also das "Drumrum" somit auch. Unsympath. Den rechten Kram braucht wirklich keiner aufgewärmt durch "Spätberufene". Soll dirigieren und gut is´.

    Trotzdem ein Liveeindruck (der einzige bis jetzt) vor zwei Jahren bei der konzertanten Elektra in München. Auffällig ist m. E. der Dirigierstil, alle Viertel auszudirigieren, teilweise auf Hüfthöhe (!). Fliessende "Halbetakte" gibt es nicht. Wer das als Spieler direkt vor der Nase hat, dürfte bald genervt sein und dass auf diese Art die meiste Musik ihre Bögen verlieren könnte, liegt irgendwie auf der Hand. Gewaltigen Klangwelten wie Strauss ´großen schweren Opern dürfte das allerdings durchaus Struktur geben und ich fand damals auch, dass die Feinheiten sehr transparent herausmusiziert wurden. Ob es dazu allerdings diesen unerbittlichen Stil braucht, würde ich nicht unbedingt unterschreiben. Jedenfalls ist hier trotzdem kein Verlust der Phrasen eingetreten. Wohl "sein" Repertoire. Dieses würde ich mir von ihm gerne wieder anhören. Aber "Heilsbringer"? Neeee, ist eh fragwürdig.

    Ich kann allerdings verstehen, dass Knappertsbusch und auch B. Walter Vorbilder sind. Der musikalische Stil dieser Zeit wurde weltweit praktiziert, wo immer klassische Musik aufgeführt wurde und ist m. E. kaum festzumachen an politischen Ideologien. Hier sollte man die Kirche im Dorf lassen.

    :wink: :wink:

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

  • Wie bekannt, reaktionäre Deutschtümelei ist mir zutiefst zuwider und somit die "Marketingsstrategie" oder was auch immer das sein mag des Herrn Thielemann, also das "Drumrum" somit auch. Unsympath. Den rechten Kram braucht wirklich keiner aufgewärmt durch "Spätberufene". Soll dirigieren und gut is´.

    Hat mal jemand jenseits des Alten Fritz an der Wand und des politisch offenbar inkorrekten Seitenscheitels ein paar Belege für Thielemanns "reaktionäre Deutschtümelei"? Welcher "rechte Kram" wird durch ihn "aufgewärmt"?Nachdem das jetzt schon mehrfach angedeutet bis behauptet wurde, hätte ich allmählich ganz gern mal Fakten.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Gegen einen warmen Streicherklang habe ich tatsächlich nichts einzuwenden. Warum auch? Offenbar nicht unsere einzige Differenz: Ich würde auch nie auf die Idee kommen, "feine(n) Abstufungen in der Dynamik" den "Charakter des Biederen" zuzuschreiben.


    Viele Grüße,

    Christian

    Da hast du mich wohl etwas missverstanden. Denn erstens habe ich auch nichts gegen einen warmen Streicherklang einzuwenden (ich gerate aber auch deshalb nicht automatisch in Entzückung) und zweitens habe ich feine Abstufungen in der Dynamik nicht per se als bieder charakterisiert, sondern im Thielemannschen Zusammenspiel mit den holzschnittartigen, blockhaften Streicherklängen.

    Übrigens: wo steht das Axiom geschrieben, dass ein Werk nur einen Höhepunkt haben darf? Zumal ich bisher nicht den Eindruck hatte, Thielemann wüde auf diesen einen Höhepunkt zusteuern.
    Das Abqualifizieren von Ensembles, die sich der HIP verschrieben haben, die sich vermeintlich lediglich auf deutliches Kontrastieren beschränken, finde ich ebenfalls wenig zeilführend.
    Denn eins steht wohl fest: Modeerscheinungen in der Darbietung gab es damals wie heute - gute und schlechte Darbietungen im "HIP" und im Non-HIP-Bereich.

    :wink:

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Hat mal jemand jenseits des Alten Fritz an der Wand und des politisch offenbar inkorrekten Seitenscheitels ein paar Belege für Thielemanns "reaktionäre Deutschtümelei"? Welcher "rechte Kram" wird durch ihn "aufgewärmt"?Nachdem das jetzt schon mehrfach angedeutet bis behauptet wurde, hätte ich allmählich ganz gern mal Fakten.

    Viele Grüße,

    Christian


    Ich möchte hierzu gerne auf meinen Beitrag Nr. 21 verweisen, wenn gestattet.

    Und ein Seitenscheitel ist natürlich per se nicht deutschtümelnd. Der semantisch vermeintlich aufgeladene Seitenscheitel war eine polemische Zuspitzung, allerdings so intendiert, daß sich hinter der Polemik vielleicht ein bedenkenswerter Punkt (eben Thielemanns Anbiederung an eine bestimmte Klientel) verbirgt.

    Politisch eindeutige Äußerungen wird man von Thielemann wohl eher nicht finden können. Es hat ihm aber m. E. auch niemand hier unterstellt, er würde verbal rechtes Gedankengut verbreiten. Es geht um das Anbiedern an eine gewisse Klientel bzw. die vollkommene Untätigkeit, Umarmungen dieser Klientel von sich zu weisen.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Da hast du mich wohl etwas missverstanden. Denn erstens habe ich auch nichts gegen einen warmen Streicherklang einzuwenden (ich gerate aber auch deshalb nicht automatisch in Entzückung) und zweitens habe ich feine Abstufungen in der Dynamik nicht per se als bieder charakterisiert, sondern im Thielemannschen Zusammenspiel mit den holzschnittartigen, blockhaften Streicherklängen.

    Unter "holzschnittartigen, blockhaften Streicherklängen" kann ich mir nichts vorstellen, schon gar nicht, wenn Du denselben Klängen gleichzeitig "fein abgestufte Dynamik" zuschreibst. Da solltest Du Dich vielleicht erst einmal entscheiden...

    wo steht das Axiom geschrieben, dass ein Werk nur einen Höhepunkt haben darf?

    Das ergibt sich z.B. bei Bruckner-Symphonien (das war mein Beispiel) aus der Partitur und kann nebenbei auch als logische Konsequenz des Wortes "Höhepunkt" verstanden werden: Ein Höhepunkt, der neben acht anderen steht, ist im eigentlichen Sinne keiner mehr (so hat das z.B. Celibidache gesehen). Aber es geht nicht darum, ob es nun ein oder zwei Höhepunkte sind, sondern um die dramaturgische Gestaltung der Großform überhaupt. Thielemann hat die Fähigkeit, sich dem musikalischen Moment hinzugeben und ihn gleichzeitig sinnvoll und ökonomisch in das Ganze einzugliedern. Da wird dann z.B. ein relativer Höhepunkt in Bezug zu möglicherweise viel später folgenden "höheren Höhepunkten" statt als bloß effektvolles Augenblickserlebnis gestaltet.

    Das Abqualifizieren von Ensembles, die sich der HIP verschrieben haben, die sich vermeintlich lediglich auf deutliches Kontrastieren beschränken, finde ich ebenfalls wenig zeilführend.

    Ich habe für die besagten Kontrastfetischisten sogar ein gewisses Verständnis: Bei den ganzen barocken oder frühklassischen Klein- und Kleinstmeistern, die die ausgraben, würde andernfalls die Dürftigkeit der kompositorischen Substanz so manchen vermeintlich "zu Unrecht vergessenen" Werkes gnadenlos offenbart ;+) .

    Und ein Seitenscheitel ist natürlich per se nicht deutschtümelnd. Der semantisch vermeintlich aufgeladene Seitenscheitel war eine polemische Zuspitzung, allerdings so intendiert, daß sich hinter der Polemik vielleicht ein bedenkenswerter Punkt (eben Thielemanns Anbiederung an eine bestimmte Klientel) verbirgt.

    Betonung auf "vielleicht". Worin besteht denn die "Anbiederung", außer in der - in meinen Augen selbstverständlichen - Tatsache, dass er seine Repertoire- und Klangvorlieben pflegt? Ich habe immer noch keine Fakten gelesen, die dieses dunkle Raunen über vermeintlich politisch bedenkliche Hintergründe erhellen würden. Er bekennt sich dazu, ein "liberaler Konservativer" zu sein. Ja und? Zu seinen musikalischen Vorlieben gehört Musik von Hans Pfitzner. Ingo Metzmacher hat "Von deutscher Seele" aufgenommen. Ist der auch der Anbiederung verdächtig? Einen Seitenscheitel hat der auch, aber - seine Fans und alle politischen Sittenwächter können erleichtert aufatmen - der ist durch die Künstlermähne kaum zu erkennen.

    Politisch eindeutige Äußerungen wird man von Thielemann wohl eher nicht finden können. Es hat ihm aber m. E. auch niemand hier unterstellt, er würde verbal rechtes Gedankengut verbreiten. Es geht um das Anbiedern an eine gewisse Klientel bzw. die vollkommene Untätigkeit, Umarmungen dieser Klientel von sich zu weisen.

    Natürlich hat man ihm das unterstellt: "Den rechten Kram braucht wirklich keiner aufgewärmt durch 'Spätberufene'. Soll dirigieren und gut is." Meine Frage, welchen "rechten Kram" er "aufwärmt", wurde nicht beantwortet.
    Und welche "Umarmungen" hätte er von sich weisen sollen? Hat ihn die NPD zum Ehrenmitglied erklärt? Oder hat er einfach nur Beifall vom Publikum der Salzburger Festspiele bekommen? Das macht ihn natürlich höchst verdächtig...

    Viele Grüße,

    Christian

  • Ich wusste bis gestern überhaupt nciht, wer dieser Christian Thielemann ist. :hide:
    Gestern abend habe ich ihn in einem Mitschnitt einer Arte-Produktion zum "Friedrich-Remix", Musik des Königs Friedrich von Preussen mit dem Geiger Daniel Hope, der die Flötenkonzerte für Violine umgearbeitet hat. Anschliessend remixed von Berliner DJs, getanzt von Hip-Hop-Tänzern. Dort hat er C.T. mehrfach zu Friedrich und seiner Musik gesprochen und der Seitenscheitel war deutlich erkennbar ;+)
    Wer Friedrich-Liebhaber gleich in die rechte Ecke abschieben will, sollte bitte nciht vergessen, dass es just Friedrich war, der Glaubensfreiheit gewährt hat. Sein Satz "In meinem Reich soll jeder nach seiner Façon selig werden" lässt sich von keiner rechten oder anderen Ideologie übernehmen und er hat Voltaire bewundert und an seinen Hof eingeladen. Darüber sollen nicht die Agressions/Expansions-Kriege( eine notwendige Verteidigung war das ja wahrlich nicht....) und Tausende von Toten vergessen werden, die auf seinem Gewissen lagen .
    Die sogenannten preussischen Tugenden kann man aber keinesfalls mit der Nazi-Ideologie gleichsetzen, auch wenn Letztere diese in perverser Weise missbraucht hat. Ich fand Herrn Thielemann zwar auch nciht sympathisch, aber dafür kann er ja nichts. :rolleyes: Nach rechter Ecke klang er aber überhaupt nciht, und ich bin dafür ziemlich sensibel. Was die Musik angeht, kann ich mir eh kein Urteil erlauben. :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Also gut, nochmal zum politischen Thielemann. Ich habe geschrieben:

    Zitat

    Thielemann bietet für eine Habitus-Studie genügend Stoff, hat sich oft genug politisch, sozial, kulturell positioniert und ist auch entsprechend rezipiert worden. Der Volkszorn bzw. genauer: der Zorn bestimmter Schichten des Münchner Bürgertums aufgrund seines Zerwürfnisses mit den Philharmonikern, die "Heilserwartungen", die vom womöglich noch konservativeren Dresdener Bürgertum sowie von diversen Protagonisten der öffentlichen Meinung (Sinkovicz!) mit ihm verbunden werden, sprechen eine deutliche Sprache.

    Solche Positionierungen waren u.a.: zahlreiche Aussagen über seinen Konservatismus und seine besondere Verbundenheit zum Deutschen. Die selbst zum Klischee geronnene Stilisierung als Provokateur gegen das angeblich politisch Inkorrekte und Wahrer deutscher Tugenden. Sein musikalisches Repertoire im Ganzen, das sich eben von dem Metzmachers erheblich unterscheidet. Bestimmte Programmierungen wie die legendären preußischen Märsche im Nürnberger Sylvesterkonzert (verbunden mit der Frage, warum denn der Badenweiler-Marsch auf dem Index stehe) oder von Werken Max von Schillings in Berlin. Die Verklärung des Bayreuths Wolfgang Wagners als "eine echt preußische Atmosphäre, die auf Begeisterung und Ehrfurcht beruht" und in der man sich unterzuordnen habe.

    Bevor die üblichen Reflexe kommen: Das ist alles legal und legitim. Aber es sind klare Positionierungen und deutliche Signale an Thielemanns Anhängerschaft. Diese äußert sich dann auch oft wesentlich unverblümter als ihr Idol, das hat man in den Leserbrief- und Kommentarspalten von Münchner Zeitungen anlässlich des Philharmoniker-Eklats erfahren können. Im Rahmen der Stilisierung Dresdens zum Hort des konservativen Bildungsbürgertums spielt Thielemann auch eine große Rolle (dazu gab es beispielsweise einen unsäglichen Artikel des schauderhaften Florian Illies in der Zeit, in Wien tut sich der schon erwähnte Thielemann-Anbeter Wilhelm Sinkovicz in der Presse besonders hervor).

    Übrigens ist Thielemann keineswegs frei von Widersprüchen: Seine Betonung alter deutscher Kapellmeister-Tugenden steht in krassem Gegensatz zu seiner lächerlich geringen Präsenz als GMD an der Dresdener Semperoper in der nächsten Saison.

    Deutschnationale und antisemitische Äußerungen wurden Thielemann mehrfach unterstellt, konnten aber nie nachgewiesen werden.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • antisemitische Äußerungen wurden Thielemann mehrfach unterstellt

    Aus einem öffentlichen Salongespräch zwischen CT und Lea Rosh, zitiert von der Webseite von Lea Rosh:

    Rosh: Aber es hat auch eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Zimmermann und Ihnen gegeben, Sie sollen, so Zimmermann, über den möglichen Weggang von Barenboim aus Berlin gesagt haben: Gott sei Dank, dann hat die Juderei ein Ende.

    Thielemann verweist auf zwei gerichtliche Urteile, die das widerlegen. Verweist obendrein auf seine jahrelange Zusammenarbeit mit Barenboim. Der habe ihn am nächsten Tag angerufen und ihm versichert, dass er den Vorwürfen keinen Glauben schenken würde.Aber, so Thielemann, es bleibe bei solchen Auseinandersetzungen und Vorwürfen dennoch immer etwas hängen.

    Rosh: Dazu könnte passen: Ihr Repertoire, neben Wagner, Strauß, Schönberg, Nono und Henze, beinhaltet auch Werke von Pfitzner. Der allerdings ist als Antisemit sehr belastet. Er hat an Frank, den Gouverneur Polens, nach dessen Verurteilung zum Tode, ein herzliches Grußtelegramm geschickt: "Lieber Freund Frank. Nehmen Sie diesen herzlichen Gruß als Zeichen der Verbundenheit auch in schwerer Zeit. Stets Ihr Doktor Pfitzner". Den Mord an den Juden Europas hat Pfitzner außerdem in der Sache begrüßt: nicht das "warum" des Judenmords sei ihm vorzuwerfen, sondern nur das "wie".

    Thielemann: Er habe die Musik Pfitzners, besonders Palästrina, als Korrepititor kennen und sehr schätzen gelernt. Als er in Nürnberg diese Oper dirigiert hatte, erntete er Begeisterungsstürme vom Publikum, von der Presse hingegen nicht.

    Rosh: Passt vielleicht zu Nürnberg, Verkündung der Rassegesetze 1935....Aber auch Ingo Metzmacher dirigiert ja gerade Pfitzner. Noch einmal zurück zur Deutschen Oper Berlin und Ihrem Weggang...

    Thielemann: Das hatte auch mit Geld zu tun. Während die Staatsoper 10 Millionen zusätzliche Mittel für die Musiker bekommen hatte, ging die Deutsche Oper Berlin leer aus. Ihm seinen einfach die Musiker davongelaufen. 25 der besten Musiker. Die haben woanders eben mehr bekommen. Auf seine Vorhaltungen beim Senat und in den Gesprächen über mehr Geld seien ihm Zusagen gemacht worden, die nicht eingehalten worden sind. Das seien, so Thielemann, "Bemühenszusagen" gewesen, habe man ihm hinterher erklärt. Zu seiner Zeit sei die Deutsche Oper Berlin auf Platz 3 der Künstlerbesoldungen gewesen. Nach weiteren Kürzungen sei die Oper dann auf Platz 5 gelandet. "Ich habe Berlin nicht sitzen gelassen, ich habe um ein hohes Niveau gekämpft".

    Rosh: Sie gelten als "Orchestererzieher". Was ist das?

    Thielemann: Wüßte ich auch gern. Also im Ernst. Ich versuche, ein guter Kapellmeister zu sein, gute Musik mit guten Sängern und Orchestermusikern zu machen".

    Rosh: Trifft das nicht auf alle Dirigenten zu?

    Thielemann: Mein Naturell ist es, zu überlegen, ob man den Abend der Aufführung den Proben entsprechend gestalten kann.

    Rosh: Was ist es, wie kommt es, dass eine Aufführung als besonders gelungen aufgenommen wird? Was kommt da zusammen?

    Thielemann: Meist ist das die zweite oder dritte Aufführung. Aber das Geheimnis ist: der Funke muss überspringen. Harmonie und Glück zwischen den Spielern. Das kann man nicht immer herstellen. Das kommt halt, oder auch nicht.

    Rosh: Sie haben immer wieder eine "Skepsis gegenüber dem Regie-Theater" formuliert. Was ist das?

    Thielemann: Ja, es gibt "Dramaturgie-Exzesse". Und es ist "sauschwer", die musikalisch zu gestalten.

    Rosh fragt nach dem sogenannten "deutschen Interpretations-Stil".

    Thielemann: "Wat issen det"? Ich klaue mir von jedem Interpreten, der mir was gibt.

    Rosh: Furtwängler wird in diesem Zusammenhang genannt. Klemperer auch.

    Thielemann: Große Kapellmeister, große Vorbilder. Karajan auch, Knappertsbusch auch.
    Manchmal höre ich mir zum Beispiel den 1. Satz einer Sinfonie von 12 verschiedenen Interpreten an. Das ist doch richtig , das ist doch gut so. Man wäre ja dumm, wenn man das nicht machte. Würde ja niemand verstehen! Sie lernen doch auch von anderen, oder?

    No comment.

    Ich persönlich finde Thielemanns Schumann gruselig, seinen Beethoven unaufregend, Pfitzner höre ich so gut wie nie und bei Bruckner lass ich eh nichts auf Wand kommen. Allerdings hab ich von CT mitunter schon bemerkenswerte Wagner-Dirigate gehört, seine Alpensinfonie und die Rosenkavalier-Suite finde ich wirklich sehr gut, desgleichen die CD "CT dirigiert Deutsche Ouvertüren" - wenngleich sich mir bei diesem Marketingtitel die Fussnägel kräuseln. Ich kenne aber auch sonst keinen Dirigenten, dessen Interpretationen mir in seinem gesamten Repertoire gleich gut gefallen. Und merkwürdige Frisuren haben eh die meisten der Jungs, von den Dirigentinnen mal ganz zu schweigen.

    Eine britische Arbeitskollegin gehört zu CTs Hardcore-Fans und scheut keinen Aufwand, um regelmäßig zu seinen Konzerten in deutschen Landen zu reisen.

    Aber ein Unsympath ist er doch :P

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • . Natürlich hat man ihm das unterstellt: "Den rechten Kram braucht wirklich keiner aufgewärmt durch 'Spätberufene'. Soll dirigieren und gut is." Meine Frage, welchen "rechten Kram" er "aufwärmt", wurde nicht beantwortet.

    Mit Verlaub, lieber Christian, ich antworte, wann ich Zeit und Muse habe. Was anderes lässt mein Tagesablauf nicht zu und ich schätze es gar nicht, in dieser Art gedrängt zu werden. Dass die Frage beantwortet sein will, verstehe ich und das tue ich auch, aber eben erst jetzt.

    Ich leite meine zugegeben etwas ranzig formulierte Bemerkung von einem Interview, das C.T. vor ca. 2 Jahren in München gegeben hat. Er sprach im Zusammenhang mit den von ihm hochgehaltenen preußischen Tugenden (eine Aussage, die ich hier überhaupt nicht werte auch von "deutsch - national". Diese Aussage kommt bei mir durchaus sehr richtungspolitisch an (man kann die Partei der Weimarer Republik meine, was hier wohl weniger dirket der Fall sein dürfte, aber eben auch eien rechte Richtung). Ich sprach weder von Nazi noch bin ich auf den Seitenscheitel eingestiegen. Auch "deutsch - national" als Richtung im historischen deutschen Politikkontext (ich spreche auch nicht von "konservativ") hat uns nicht wirklich gutgetan. Stellvertretend als Name aus der Zeit der Partei wäre : Hugenberg zu nennen , der damals mächtigste Medienmogul des Deutschen Reiches. Eine Art Vorläufer von Springer, wobei letzterer dem demokratischen Spektrum zuzuordnen ist und auch nicht antisemitisch orientiert ist. All dies waren die Deutsch - Nationalen sehr wohl als eine Richtung, die die demokratische Ordnung bekämpft hat.

    Auch wenn er sich des historischen Hintergrunds und der Gesamttragweite nicht bewust war, so muss er damit rechnen, dass ihm als Person der Öffentlichkeit eine als politisch zu verstehenden Aussage in umfassender Art zugerechnet wird.

    :wink:

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

  • An dieser Stelle ein kurzer Exkurs:

    er hat Voltaire bewundert und an seinen Hof eingeladen.

    Die Bewunderung Voltaires war durchaus echt, allerdings hat Friedrich Voltaires Rang unter den Intellektuellen seiner Zeit gezielt genutzt um dadurch seinen eigenen Ruhm zu mehrern. Zwei Egozentriker von Graden - das konnte auch nicht lange gutgehen. Man schied im Streit voneinander, allerdings versöhnten sich die beiden auch wieder. Das Friedrich Voltaire wohl wirklich sehr schätzte, kann man an seinem Verhalten nach dem Tode des Franzosen. In Frankreich verweigerte man Voltaire wegen seiner Kirchenkritik die für Mitglieder der Academie Francaise übliche Messe verweigert. Friedrich lies die Messe in der Hedwigskathedrale lesen und verfasste selbst die Leichenrede. Der oft und gerne zitierte Briefwechsel der beiden ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Hier ist von beiden Schreibern ein hohes Maß an Berechnung mit im Spiel gewesen, da eine Veröffentlichung der Briefe ja durchaus intendiert war.

    Darüber sollen nicht die Agressions/Expansions-Kriege( eine notwendige Verteidigung war das ja wahrlich nicht....) und Tausende von Toten vergessen werden, die auf seinem Gewissen lagen .

    Zu den Kriegen Friederichs muss man anmerken, dass der Krieg als Mittel der Politik im Europa des Ancien Regime völlig üblich war. Auch die Haupttriebfeder Friedrichs, das Streben nach Gloire, findet man bei anderen Zeitgenossen ebenso. Friedrich unterscheidet sich von seinen Zeitgenossen allerdings durch die Zielstrebigkeit und die Beharrlichkeit mit der er das Ziel, seinen Namen in den Geschichtsbüchern verewigt zu sehen, verfolgte. Der beste Weg zu diesem Ziel war für ihn militärischer Ruhm. Was er mit Sicherheit unterschätzt hat, war die Beharrliohkeit Maria Theresias oder auch Elisabeths von Russland.

    Eine hervorragende Charakterstudie Friedrichs ist letztes Jahr erschienen:

    Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen.


    Wer sich für die Rezeption Friedrichs interessiert:

    in Berlin hat gestern ene Ausstellung eröffnet mit dem Titel: "Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt ." Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Kuratoren: Dr. Leonore Koschnick, Dr. Thomas Weißbrich

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Welcher "rechte Kram" wird durch ihn "aufgewärmt"?Nachdem das jetzt schon mehrfach angedeutet bis behauptet wurde, hätte ich allmählich ganz gern mal Fakten.

    Deutschnationale und antisemitische Äußerungen wurden Thielemann mehrfach unterstellt, konnten aber nie nachgewiesen werden.

    Dachte ich mir's doch.

    Mit Verlaub, lieber Christian, ich antworte, wann ich Zeit und Muse habe. Was anderes lässt mein Tagesablauf nicht zu und ich schätze es gar nicht, in dieser Art gedrängt zu werden. Dass die Frage beantwortet sein will, verstehe ich und das tue ich auch, aber eben erst jetzt.

    Und ich schätze es nicht, wenn der Tagesablauf ein (in Deutschland aus guten Gründen vernichtendes) Nazi-Urteil zulässt, für die Begründung dann aber angeblich keine Zeit mehr ist.

    Ich leite meine zugegeben etwas ranzig formulierte Bemerkung von einem Interview, das C.T. vor ca. 2 Jahren in München gegeben hat. Er sprach im Zusammenhang mit den von ihm hochgehaltenen preußischen Tugenden (eine Aussage, die ich hier überhaupt nicht werte auch von "deutsch - national".

    So kann ich da leider überhaupt keine Aussage erkennen, schon gar keine, aufgrund derer ich ihn verurteilen könnte. "Er sprach im Zusammenhang von" kann vieles bedeuten. Da müsste ich schon genau wissen, was er gesagt hat.

    Viele Grüße,

    Christian

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