Was wäre die französische Musik ohne Debussy?

  • Was wäre die französische Musik ohne Debussy?

    In dem Thread über die möglichen Irrwege der Evolution wurde diese Spezialfrage angeschnitten, die ich für ein interessantes Gedankenexperiment halte, die dort weiter zu diskutieren jedoch zu weit vom dortigen Thema weg führen würde. Ich habe mir deshalb die Freiheit genommen, dazu einen eigenen Thread zu eröffnen und die bisherigen Äußerungen zu dem Thema herüber zu holen. Natürlich mit der Aufforderung, dieses spannende Thema weiter zu vertiefen.


    Lieber Wulf,
    diskutieren wir beide doch mal über die Entwicklung der
    französischen Musik unter der Annahme, es habe keinen Debussy gegeben. Wäre
    doch lustig... :D

    :wink:


    Ich bin zwar nicht Wulf, aber mein erster Beitrag zu einer solchen Spekulation wäre die Annahme, dass dann der Nachruhm Chabriers verdientermaßen viel größer ausgefallen wäre. :wink: Rideamus

    Das wage ich bei aller Liebe zu Chabriers Werken zu bezweifeln - zumindest was den deutschen Raum anbelangt. Chabrier steht ja in so manchem Werk, wie ich meine auszumachen, in einer Bizet-"Tradition" - zumindest unter melodisch-harmonischen Gesichtspunkten.

    Was wäre ohne Claude passiert? Wagner. Franck, die große Figur der Vor- bzw. Vorvor-Generation Debussys wirkt ja noch in Dukas nach (Symphonie), ob dem so wäre, wenn sein Freund Debussy nicht die Musikwelt zu erneuern gedachte? Vielleicht. Dukas blickt ja quasi gleichzeitig nach vorn und rückwärts. Welche französischen Komponisten gibt es denn zwischen Franck und Debussy, die in Erinnerung geblieben sind?

    Da wären: Bizet, Chabrier, mit großen Abstrichen Widor und Chausson. Desweiteren fallen mir keine französischen Komponisten der Romantik bzw. Spätromantik ein, deren Name noch heute geläufig ist. Woran also anknüpfen?

    :wink:

    In der Franck-Generation Saint-Saens und später dann Fauré, der immerhin ein paar Jahre älter war als Debussy. Schaut mal nicht nur auf Opern, sondern auf Klavier- und Kammermusik. Es hätte einen "direkten" Übergang nach der Spätromantik zu einem spezifisch französischen Neoklassizismus/Neobarock geben können (so zB schon in dem Septett mit Trompete von Saint-Saens). Für eine "harmonische Befreiung" jenseits des Wagnerismus hätte man sich die Inspiration auch von Mussorgsky und Rimsky holen können.

    Das ist doch schon mal eine ganze Reihe von Anregungen. Weitere Überlegungen:

    Wären die Idiosynkrasien von Debussys Generationsgenossen Eric Satie nicht auch ohne ihn denkbar? Was wäre, wenn die Groupe des Six nur ihn (und davor Chabrier und Berlioz) sowie natürlich Wagner als wesentlichen Einfluss gehabt hätten?

    Aber auch die Oper war so unbedeutend nicht. Mag man auch (mit Chabrier) Thomas und womöglich sogar die Opern von Saint-Saens für nachrangig halten, die von Offenbach und Massenet waren es sicher nicht, auch wenn sie die Musik natürlich nicht so drastisch weiter entwickelt haben wie Debussy, der aber seinerseits seine Beeinflussung durch Chabrier gerne eingestand. Auch die wenigen Opern von Gustave Charpentier, Lalo und Fauré sind alles andere als unbedeutend oder auch nur bloße Weiterentwicklungen, auch wenn die natürlich schon viel Debussy gehört haben

    Ansonsten glaube ich aber gerade wegen des Abstands dieser immer noch bedeutenden Komponisten zu Debussy und Berlioz, dass in Ermangelung eines Debussy Chabrier als bedeutender Einfluss stärker anerkannt worden wäre.

    Vielleicht sollte man aber zunächst einmal umreißen, was genau die entscheidenden Enflüsse waren, ohne die die französische Musik nach ihm nicht (so wie sie wurde) denkbar wäre.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Oh Gott, ich habe bei der Aufzählung Saint-Saens und Faure vergessen! :S Und der Kater hat natürlich recht, schließlich knüpft Debussy ja ebenfalls bei Mussorgskij an.
    Satie hat ja wohl nach dessem Bekunden John Cage wesentlich beeinflusst.

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Eine kleine Evolutionsgeschichte der französischen Musik

    Am 5. Dezember 1884 ging eine der großen Hoffnungen der französischen Musik zu Ende: Der blutjunge Claude Debussy, der als das kommende Genie galt, setzte eine Pistole an seine Schläfe und drückte ab. Sein Abschiedsbrief war kurz: In die Partitur von Wagners "Tristan" war der Zettel eingelegt: "Das erreiche ich nie." Debussy hatte mit einigen seltsamen Ideen auf sich aufmerksam gemacht, doch durch den tragischen frühen Tod des Komponisten fanden sie keine Realisierung.

    So kam es, daß Ernest Chausson und Emmanuel Chabrier zu den Leitsternen der französischen Musik aufstiegen. Chausson und Chabrier gingen an das Problem einer genuin französischen Musik nach Wagner von zwei denkbar weit entfernten Positionen heran, die sich allerdings beide auf Bühnenwerke bezogen:
    - Chausson war überzeugt, er könne Wagner durch Wagner überwinden, also die von Wagner begonnene Entwicklung hinführen zu einer (leit-)motivischen Durcharbeitung, die letzten Endes bis hin zu einem rein symphonischen Satz, bei dem Singstimmen nahezu nur noch kommentierende Funktion haben, das eigentliche Drama sich aber im Orchester ereignet.
    - Chabrier hingegen redete, nach post-wagnerischen Versuchen, einer lockeren, leicht gefügten Musik das Wort, deren raffinierte Harmonik zwar ebenfalls auf Wagner basierte, dies aber den Zuhörer nicht merken ließ, da die darübergelegte melodische Eleganz über die Komplexität hinwegtäuschte.

    In die wagnerische Richtung tendierte Erik Satie mit komplexen Akkordsäulen und mystischen Themen; einige wenige Klavierstücke zeigen, daß Satie einen anderen Weg eingeschlagen hätte, hätte er nur einen Ratgeber gehabt, der ihn auf die Besonderheit dieser kleinen Stücke aufmerksam gemacht hätte.

    Maurice Ravel schloß sich hingegen Chabrier an und komponierte einige Operetten, die im spanischen Milieu spielen und auch fallweise Rückgriffe auf "Carmen" nicht verschmähen. Ravels bekanntestes Werk ist allerdings ein Orchesterstück, "Boléro", ein Meisterwerk der modulatorischen und kontrapunktischen Hexenkünste: Ravel jagt die beiden Themen durch sämtliche Dur- und Moll-Tonarten und reichert sie mit immer raffinierteren Kontrapunkten an, bis das Werk in einer brillanten Doppelfuge gipfelt, die am Schluß in die Ausgangstonart, C-Dur, zurückmoduliert.

    Großen Eindruck machte auf die französischen Komponisten auch die Gamelan-Musik, die sie auf der Pariser Weltausstellung 1889 kennenlernten. Resultate sind etwa die "Javanische Suite in b-Moll" von Ravel und die "Etudes de Gamelan" in allen Dur-Tonarten von Busser - in beiden Werken werden javanische Motive auf raffinierteste Weise mit der nachwagnerischen Harmonik kombiniert. Vincent d'Indy zeigte sich davon jedoch wenig begeistert - d'Indy war mittlerweile zum Großmeister der französischen Oper aufgestiegen, und selbst die von Gustave Charpentier klug betriebene Massenet-Nachfolge konnte den großen Musikdramen, in denen d'Indy nach den wagner-chausson'schen Rezepten kochte, nichts entgegensetzen.

    Erst die Groupe des Six wagte, eine mahnende Gegenstimme zu erheben. Diese sechs Komponisten schrieben wieder Chabrier auf ihre Fahnen und gewannen der französischen Musik eine gewisse Leichtigkeit, mitunter sogar Frivolität zurück, letzteres etwa bei Francis Poulenc in der Oper "Les dialogues des carmélites", einer entzückenden Musikkomödie mit drolligen Verwechslungen, die - in einem Karmeliterinnen-Kloster spielt. Die Kirche war wenig erfreut, doch das Publikum bog sich vor Lachen. Bis heute hält sich das Werk als eine der erfolgreichsten komischen Opern auf den internationalen Spielplänen.
    Darius Milhaud wiederum hatte viel Erfolg mit folkloristischen Suiten, in denen er französische Volksliedmelodien mit einer Harmonik mischt, die an Brahms' "Ungarische Tänze" erinnert. Arthur Honegger hingegen, der als "ernstester" Komponist der Gruppe gilt, baut auf Bachs Passionsmusiken auf, die er mit einer entfernt an Gustav Mahler erinnernden Harmonik mischt.

    Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg macht dann die Musik von Olivier Messiaen Furore: Seine raffinierte Mischung aus Massenet, d'Indy, den Gesängen der katholischen Kirche und Vogelrufen, die er mit äußerstem Geschick in das konsequent beibehaltene Dur-Moll-System integriert, mag man als eklektisch bezeichnen, die Vitalität dieser Musik sorgt freilich für den unmittelbaren Erfolg beim Publikum - und ruft Nachahmer auf den Plan. So etwa den auch als Interpreten der Symphonien von Brahms und Tschaikowski hervorgetretenen Pierre Boulez, der Messiaens Errungenschaften nützt, um eine fast schlagerhaft eingängige Musik zu komponieren, deren bisweilen grelle Volkstümlichkeit freilich innerhalb Frankreichs auf mehr Gegenliebe stieß als im Ausland.

    Neuere Entwicklungen der französischen Musik konzentrieren sich wieder mehr auf den trockenen Kontrapunkt, etwa Gérard Grisey und Hugues Dufourt.

    Die französische Musik hat freilich auch immer die Musik anderer Nationen beeinflußt. In Rußland etwa schreibt der später nach Frankreich ausgewanderte Igor Strawinski eine auf russischer Folklore und Chaussons Harmonik aufbauende Musik, die allerdings rhythmisch etwas anämisch bleibt. In Ungarn zieht Béla Bartók die Lehre aus Chabriers Musik, die er in ein ungarisches Idiom übersetzt. Seine Operette "Blaubarts letzte Frau" und seine zahlreichen ungarischen Tänze muten heute wie eine seltsame Kombination aus Liszt und Chabrier an, sind aber immer noch als reizende Stücke echt zigeunerischer Musik sehr beliebt.

    Im deutschen Sprachraum bleiben die französischen Einflüsse hingegen peripher, es sei denn, man denkt an die Massenet-Nachfolge, in der Arnold Schönberg seinen "Moses und Aron" schreibt oder an die Bizet-Nachfolge, in der Alban Bergs "Wozzeck" tief verwurzelt ist und sich somit vom sonst italienisch geprägten Verismo wohltuend abhebt. Franz Schreker wiederum überträgt den bei Ravel abgeschauten "Boléro"-Kontrapunkt auf seine sonst von Brahms abhängige Sprache und hat mit seinen Opern einigen Erfolg.

    Insgesamt freilich muß man das Resumée ziehen, daß die französische Musik, trotz aller vorsichtigen Neuerungen, seit den Tagen von Chausson und Chabrier zunehmend an Bedeutung verloren hat und sich, auch heute noch, weitgehend auf einen harmonisch und klanglich wenig ergiebigen Folklorismus beschränkt.

    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Nehmen wir an, lieber Edwin, Henri Duparc, wäre nicht von unheilbarer Melancholie und Auto-Destruktion heimgesucht worden und hätte ausser den 13 Liedern noch Symphonien oder gar Opern hinterlassen?
    Duparc hätte die Synthese aus frz. Eleganz und deutscher Spâtromantik werden können. Tief von Wagners Instrumentierkunst und Musik beeindruckt, aber ohne dessen Megalomania. Duftig und gleichzeitg tief und weder der leichten noch der rein intellektuellen Muse verfallen- was für ein Verlust fûr die Musikgeschichte! :fee:


    Konntest du unseren geliebten Claude nicht eines Franzosen würdiger sterben lassen???????? :boese: Der verflucht dich dafür nachträglich noch aus dem X-ten Kreis der Hölle oder meinst du, mit dieser Musik hâtte er es bis ins Purgatorio geschafft? ?(
    Hoffen wir mal dass er eine gnädige Beatrice gefunden hat!

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Konntest du unseren geliebten Claude nicht eines Franzosen würdiger sterben lassen?

    Mon Dieu, wir wissen doch, daß es Liebeskummer und zuviel Cognac war, aber ich halte mich, solange ich keine anderen Belege habe, an die offizielle Version der Biografie von Kurt Heinrich Petsche und Franz Mixerl "Claude Debussy - der frühunvollendete Wagnerianer" (Berlin/Wien, 1934).
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Ist der Threattitel nicht ein wenig arg vollmundig - "was wäre DIE französische Musik ohne Debussy"? Oder auch "Eine kleine Evolutionsgeschichte DER französischen Musik"?

    Gemeint ist doch wohl nur die französische Musik am Ausgang bzw. in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. Das als DIE französische Musik zu apostrohieren, als ob es davor nichts bedeutendes gegeben hätte, angefangen bei der Schule von Notre Dame, halte ich schon für etwas gewagt... :wink:

    Im übrigen fallen mir noch ein paar Namen ein, die in dieser Zeit gewirkt haben und hier noch nicht erwähnt wurden, kleine Auswahl der bekannteren, ohne den mindesten Anspruch auf Vollständigkeit: Léon Boëllmann, Léo Delibes, Charles Gounod, Alexandre Guilmant, Louis Vierne...
    Charles Valentin Alkan, der in der Tradition des Virtuosentums des 19.Jhs steht, vielleicht noch als Sonderkategorie

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Zumal die "alternative history" dann ja von allen möglichen nicht-französischen Komponisten handelt. Ich wage das nicht abschließend zu beurteilen, aber ungeachtet gewisser Einflüsse in einigen Werken hätten Stravinsky und Bartok wohl gar nicht allzu anders komponiert. Der "Barbaro"-Stil und der Volksmusikeinfluss ist, soweit ich sehe, unabhängig von Debussy. Vielleicht wäre Bartok ein wenig enger an der deutsch-österreichischen Tradition geblieben, bei Stravinsky glaube ich das kaum. Der hatte genügend andere Inspiration in Mussorgsky, Rimsky usw.

    Und wie gesagt, die Emanzipation von der extremen Dominanz der Oper hatte Saint-Saens schon bewusst vorangetrieben, ebenso finden sich hier schon neobarocke Züge.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ist der Threattitel nicht ein wenig arg vollmundig - "was wäre DIE französische Musik ohne Debussy"? Oder auch "Eine kleine Evolutionsgeschichte DER französischen Musik"?

    ...
    Im übrigen fallen mir noch ein paar Namen ein, die in dieser Zeit gewirkt haben und hier noch nicht erwähnt wurden, kleine Auswahl der bekannteren, ohne den mindesten Anspruch auf Vollständigkeit: Léon Boëllmann, Léo Delibes, Charles Gounod, Alexandre Guilmant, Louis Vierne...
    Charles Valentin Alkan, der in der Tradition des Virtuosentums des 19.Jhs steht, vielleicht noch als Sonderkategorie

    Natürlich ist der Threadtitel zu pauschal. Er greift nur den Vorschlag von Edwin auf, ohne dass ich ihm jetzt dafür eine Schuld zuschieben will. Gemeint ist logischerweise die französische Musik nach Debussy - dann aber vielleicht nicht nur die französische.

    Delibes und Gounod hatte ich auch schon am Abzug, aber hatten die überhaupt einen Einfluss auf die komponierende Nachwelt? Progressiv waren sie ja nicht gerade, wiewohl sehr gefällig und mit Recht populär. Die anderen kenne ich zu wenig.

    Trotzdem hat noch niemand so recht die Frage angesprochen, was der Musik mit Debussy fehlt, oder wohin der sie um- und weiter geletitet hat. Allein das Stichwort Impressionismus wäre mir da zu pauschal.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Natürlich ist der Threadtitel zu pauschal.

    Das mag sein. Immerhin deutet er an, daß die Musikwelt des 20. Jahrhunderts (nicht nur die französische) erbärmlich arm dran wäre, wenn der 22jährige Claude sich 1884 die Kugel gegeben hätte (das haben dann später zwei Damen versucht, als Debussy nichts mehr von ihnen wissen wollte, aber sie überlebten ihre suizidalen Versuche).

    Im Ernst: Vielleicht hätten andere Kollegen Debussys Rolle in der Musikgeschichte (Entwicklung des Impressionismus) zumindest teilweise übernommen. Verdächtigen würde ich da beispielsweise Maurice Ravel; weiß nicht, ob dessen meisterliches Streichquartett (1902/03) so viel Debussy verdankt. Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob Edwins Was-wäre-wenn so zwingend ist:

    Zitat

    Maurice Ravel schloß sich hingegen Chabrier an und komponierte einige Operetten, die im spanischen Milieu spielen und auch fallweise Rückgriffe auf "Carmen" nicht verschmähen.

    Und ich vermute, es hätte sich auch der eine oder andere Komponist um 1900-14, den heute niemand mehr kennt, in "debyssistischer" Weise profilieren können.

    Dessenungeachtet: Eine Welt ohne Debussy - das ist eigentlich unvorstellbar! :D

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann


  • Dessenungeachtet: Eine Welt ohne Debussy - das ist eigentlich unvorstellbar! :D:wink:

    Oder angelehnt an Loriot könnte man das auch so ausdrücken: Eine Welt ohne Debussy ist zwar möglich aber sinnlos... ;+)

    Spass beiseite:
    Vielleicht würde Charles Koechlin ohne Debussy nicht so ein Schattendasein führen, wie das tatsächlich leider der Fall ist oder ? In dem deutschen Wikipedia-Beitrag über Koechlin gibt es ein Zitat von ihm, wonach er sich sehr beeindruckt zeigte von Debussy`s Lied "Mandoline" und die modulierenden Akkorde zu Beginn des Lieds habe für Koechlin "das Tor zu den verzauberten Gärten geöffnet". Ich habe keine Ahnung, welchen musikalischen Weg Koechlin ohne Debussy gegangen wäre oder ob er vielleicht seiner Leidenschaft für den Spielfilm nachgegangen wäre und Schauspieler oder Regisseur geworden wäre oder .... Alles sehr hypothetisch.

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Eine Welt ohne Debussy ist zwar möglich aber sinnlos... ;+)

    Das hast Du sehr schön gesagt, lieber Lionel! :prost:

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Trotzdem hat noch niemand so recht die Frage angesprochen, was der Musik mit Debussy fehlt, oder wohin der sie um- und weiter geletitet hat.

    Diese Fragen sind schlechterdings nicht zu beantworten, da er ja nun mal gelebt und seine Spuren hinterlassen hat. Eine Antwort auf die Frage "was wäre gewesen, wenn er nicht existiert hätte" wäre zwangsläufig aber schon sowas von hypothetisch, um nicht zu sagen: willkürlich....

    Dann hätte auch niemand anderes die Rolle übernommen, denn es wäre keine Rolle zu übernehmen gewesen, da die "Rolle Debussy" ja nicht existiert hätte. Ob Ravel anders geschrieben hätte, ohne Debussy? Oder genauso? Das läßt sich nun leider im Nachhinein nicht mehr bestimmen, denn wir haben nicht mehr die Möglichkeit, Debussy einen biederen Handwerksberuf fern jeglicher Musik ergreifen zu lassen...

    Nur so viel läßt sich mit absoluter Sicherheit sagen: Die Entwicklung wäre eine komplett andere gewesen. Oder auch nicht und sie wäre makrospisch genau so verlaufen, wie sie verlaufen ist.

    Chaostheorie...

    viele Grüße

    Bustopher


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    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Nur so viel läßt sich mit absoluter Sicherheit sagen: Die Entwicklung wäre eine komplett andere gewesen. Oder auch nicht [...]

    Stimme Dir zu. So etwas ist reine Spekulation; niemand weiß, was wirklich passiert wäre, wenn...

    Aber so unsinnig finde ich derartiges Spekulieren dann doch nicht, da es dazu führen kann, die Lebensleistung eines Komponisten ernsthaft zu würdigen, im Hinblick auf dessen Bedeutung für die Nachwelt.

    Das gleiche Spiel könnte man natürlich auch mit Bach, Beethoven, Wagner, Schönberg und vielen anderen Meistern treiben. Vielleicht ergäbe sich daraus sogar etwas wie eine Rangfolge ("Die x bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte?"). Was ich allerdings nicht unbedingt brauche...

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • aber ungeachtet gewisser Einflüsse in einigen Werken hätten Stravinsky und Bartok wohl gar nicht allzu anders komponiert.

    Ich wage das nicht abschließend zu beurteilen, aber ungeachtet gewisser Einflüsse in einigen Werken hätten Stravinsky und Bartok wohl gar nicht allzu anders komponiert. Der "Barbaro"-Stil und der Volksmusikeinfluss ist, soweit ich sehe, unabhängig von Debussy. Vielleicht wäre Bartok ein wenig enger an der deutsch-österreichischen Tradition geblieben, bei Stravinsky glaube ich das kaum. Der hatte genügend andere Inspiration in Mussorgsky, Rimsky usw.

    Weil man Strawinski und Bartók ständig auf die Rhythmik reduziert. Die freien Akkordverbindungen und Akkordparallelführungen, die sie benützen, um diese Rhythmik sozusagen zu illustrieren, finden sie allerdings weder bei Mussorgski noch bei Rimski. Von den instrumentationstechnischen Finessen ganz zu schweigen - Rimski war zwar diesbezüglich ein Genie, aber man braucht nur den "Feuervogel" etwa mit den "Trois nocturnes" ("Fêtes"!) zu vergleichen um zu verstehen, wo Strawinski die Basis seiner Ideen gefunden hat.

    Oder auch "Eine kleine Evolutionsgeschichte DER französischen Musik"?

    Die Ironie überlesen, mit der ich die in einem anderen Thread angeregte alternative Musikgeschichte lächerlich machen wollte?
    Delibes freilich wäre nur dann eine Führungsgestalt der französischen Musik, wenn alle anderen französischen Komponisten ebenfalls Suizid begangen hätten... :mlol:
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Vielleicht würde Charles Koechlin ohne Debussy nicht so ein Schattendasein führen, wie das tatsächlich leider der Fall ist oder ?

    Möglich - aber er hätte eine andere Musik geschrieben. Bitte vergiß nicht, wer die funktionslosen Akkordparallelen eingeführt hat. Natürlich kann man spekulieren, daß irgendwann ein anderer Komponist zum gleichen Ergebnis gekommen wäre - aber diese ganzen Überlegungen zeigen nur die Absurdität der These.

    Trotzdem hat noch niemand so recht die Frage angesprochen, was der Musik mit Debussy fehlt, oder wohin der sie um- und weiter geletitet hat. Allein das Stichwort Impressionismus wäre mir da zu pauschal.

    Ganz einfach die Emanzipation des Klanges an sich. Schön ist, was dem Ohr gefällt, nicht, was Stimmführungsregeln, Instrumentierungslehren, Kontrapunktschulen etc. vorschreiben. Schönberg ist bis in seine zwölftönigen Werke hinein völlig verschult, während Debussy der Musik die Schönheit der Freiheit und die Schönheit der alleinigen Verantwortung des Komponisten geschenkt hat. Deshalb ist für mich eine Musik ohne Debussy undenkbar. Das ganze 20. Jahrhundert steht auf seinen Füßen.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Delibes freilich wäre nur dann eine Führungsgestalt der französischen Musik, wenn alle anderen französischen Komponisten ebenfalls Suizid begangen hätten... :mlol:

    Lieber Edwin, ich will Delibes hier nicht in den Himmel heben, aber wenn Du Dir die Oper Lakmé mal genauer anhörst, Kommst du evtl zu einem anderen Ergebnis. Es gibt da harmonisch serh interessante Passagen udn "Arien" die schon serh impressionistisch klingen und auf den Pelleas verweisen. Ich war selbst sehr überrascht. Wenn man nur die Renner aus dieser Operr kennt, ist das auch bereits sehr schône Musik aber eine Arie wie "Les fleurs me parraissent plus belles" oder "Tu m'as donné le plus beau rêve" zeigen, dass Delibes zwischen frz. Belcanto und Vor-Impressionismus steht und nicht so einfach gestrickt ist, wie es scheinen mag. Er ist allemal raffinierter als Massenet , finde ich, hat nur leider weniger Erfolg gehabt und weniger komponiert. Ernest Chausson ist ebenfalls ein sehr beachtlicher Komponist und wahrscheinlcih ausserhalb Frankreichs zuwenig bekannt. Das Problem der Franzosen (für mich eine stârke...) ist, dass sei sich eher von den kleinen Dingen haben entzücken lassen und keine bombastischen Symphonienkataloge und Operntetralogien sondern eher symphonische Dichtungen und Kammermusik hinterlassen haben.

    Ganz einfach die Emanzipation des Klanges an sich.

    Sozusagen der âsthetische Anarchismus gegen die zwölftönende Zucht-und Ordnung? ;+) Das mit der Schönheit hast Du sehr schôn gesagt :angel: und ja, eine Musikwelt ohne Debussy ist natürlich auch für mich undenkbar :fee:
    Ein pendant zu dieser Emanzipation des Klanges wäre in der Dcihtung Mallarmé, dessen Gedichte Debussy ja nicht ohne Grund vertont hat.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Das gleiche Spiel könnte man natürlich auch mit Bach, Beethoven, Wagner, Schönberg und vielen anderen Meistern treiben. Vielleicht ergäbe sich daraus sogar etwas wie eine Rangfolge ("Die x bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte?"). Was ich allerdings nicht unbedingt brauche...

    Würde man es z.B. mit Palestrina treiben, dann käme heraus, daß er vergleichsweise unbedeutend gewesen sein muß, denn er hatte keine wirkliche stilistische Nachfolge. Der historistische Versuch des 19. Jhs, bei ihm wieder anzknüpfen, ist ja auch irgendwie gescheitert. Hat halt das Pech gehabt, am Ende einer Entwicklung zu stehen, und nicht am Anfang.

    Was ich damit sagen will: Die Bedeutung als Künstler und die Auswirkung auf nachfolgende Generationen sind zwei verschiedene Dinge, die absolut nichts miteinander zu tun haben. Beispiel Palestrina. Oder Gesualdo. Oder in die andere Richtung Sechter.


    Die Ironie überlesen, mit der ich die in einem anderen Thread angeregte alternative Musikgeschichte lächerlich machen wollte?

    in der Tat... :rolleyes:

    Ganz einfach die Emanzipation des Klanges an sich.

    Die hatten wir aber auch schon bei Wagner...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Die hatten wir aber auch schon bei Wagner...

    Aber nur vereinzelt. Im Prinzip bleibt Wagner einem vierstimmigen Satz treu - daß er ein mehrstimmiges kontrapunktisches Geflecht vortäuscht, ist ein Trick seiner Satztechnik (ich meine das nicht abwertend); außerdem beachtet Wagner die Stimmführungsregeln, wodurch seine Harmonik, aber aller Ausweitung und Tollkühnheit, den Boden der Tradition nicht verläßt. Wenn Debussy aber ohne jegliche Befestigung durch ein Regelwerk die Stimmenzahl beliebig variiert und Akkorde parallel führt, die nur durch eine subjektiv empfundene Klanglichkeit, nicht aber durch objektivierbare Prinzipien verbunden sind, dann ist dies der Schritt in völliges Neuland.

    Es gibt da harmonisch serh interessante Passagen udn "Arien" die schon serh impressionistisch klingen und auf den Pelleas verweisen.

    Ich bin mir da nicht ganz so sicher. Die von Dir genannten Elemente sind zwar vorhanden, aber es sind meiner Meinung nach aufgesetzte Exotizismen. Wenn die, wie in "Coppélia", wegfallen, bleibt eine zweifellos hübsche und sehr gut instrumentierte, aber auch ziemlich banale Musik übrig, die mit dem Genie eines Bizet oder eines Gounod nicht ansatzweise mitkommt.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

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