Kunst ist nicht einfach - Der Komponist Stephen Sondheim
Da die Mittsommernacht in Kürze wieder lächeln wird, möchte ich den ersten Thread über einen Musicalkomponisten einem der größten widmen, der die Mittsommernacht mit so unvergleichlicher Raffinesse zelebrierte, dass er sich vor seinem meisterhaften Vorbild und Stofflieferanten Ingmar Bergman überhaupt nicht zu verstecken braucht. Aber davon später anhand eines Imports, der nicht verloren gehen sollte.
Vorab: ich halte Stephen Sondheim für einen der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit und als Liedtexter nicht nur seiner eigenen STücke für einen der besten aller Zeiten. Sein Musical A LITTLE NIGHT MUSIC zähle ich in seiner genialen Synthese von Mozart, da Ponte, Bernstein, Ingmar Bergman und dessen Einflüssen aus den Spitzenwerken der Theatergeschichte von Marivaux und Beaumarchias bis hin zu Strindberg und Ibsen zu den zehn größten Werken des Musiktheaters mindestens der letzten fünfzig Jahre. Um so bemerkenswerter ist es, dass Sondheim auch an dessen ernsthaftesten Konkurrenten im gleichen Zeitraum und Genre beteiligt war: Leonard Bernsteins WEST SIDE STORY und CANDIDE sowie natürlich seine eigenen Werke, das Musical COMPANY, die Semi-Oper SWEENEY TODD und das brillante Märchendestillat INTO THE WOODS und die musikalische Studie eines Gewmäldes, nämlich Georges SeuratS "Ein Sonntag Nachmittag auf der Insel La Grande Jatte"; SUNDAY IN THE PARK WITH GEORGE mit seinem bezeichenenden Lied: "Art Isn't Easy". Allein die große thematische Spanne seiner großartigen Werke ist bewundernswert.
Zunächst das Biographische zu Sondheim selbst:
Geboren wurde er als Sohn eines erfolgreichen Textilfabrikanten am 22. März 1930 in New York, wo er auch, meist im Privatunterricht, seine musikalischen Studien absolvierte, die er als Privatschüler des Komponisten Milton Babbitt (*1916) abschloss, der sich vor allem als Pionier der serieller und elektronischer Musik einen Namen gemacht hatte. Während seiner Jugend verkehrte er oft im Hause Oscar Hammersteins II, der uns heute vor allem als Librettist von Jerome Kerns SHOW BOAT und der legendären Erfolgsmusicals Richard Rodgers’ von OKLAHOMA! bis THE SOUND OF MUSIC bekannt ist, und dessen häufige Ratschläge und didaktischen Aufgabenstellungen zur Konstruktion des Musicals ihn zu einem frühen Mentor Sondheims machten, der dies stets zu würdigen wusste. Während seiner Studienzeit schrieb er seine ersten, übrigens erstaunlich raffinierten, Songs und ein erstes satirische Musical nach Aristophanes’ DIE FRÖSCHE, das an der Yale Universität uraufgeführt wurde.
Diese Aktivitäten machten den Buchautor der WEST SIDE STORY, Arthur Laurents, auf Sondheim aufmerksam, und er stellte ihn Leonard Bernstein als möglichen Songtexter vor. Bernstein erkannte Sondheims Talent und war von dessen Arbeit dermaßen begeistert, dass er ihn später bat, ihm bei der Überarbeitung seiner zunächst erfolglos gebliebenen Operette CANDIDE zu helfen, was Sondheim gerne und mit Erfolg tat. Allerdings war er überhaupt nicht glücklich damit, dass er nach dem überragenden Erfolg der WEST SIDE STORY nur noch als Textdichter gefragt war, sah er sich doch als (noch verhinderten) eigenständiger Musicalkomponist. Dennoch arbeitete er noch an einem weiteren überragenden Musicalerfolg mit, nämlich Jule Stynes GYPSY (1959). Eine ähnliche Gefälligkeit gegenüber Richard Rodgers, dem Komponisten seines verstorbenen Mentors Oscar Hammerstein, brachte ihn aber endgültig von solchen Kooperationen ab, denn die Zusammenarbeit mit dem sehr hoffärtigen Rodgers war alles andere als ein Vergnügen, und das Resultat, DO I HEAR A WALTZ? ein Misserfolg. Immerhin könnte ihn dieses Projekt darin bestärkt haben, später ein eigenes Walzermusical, eben A LITTLE NIGHT MUSIC, zu schaffen.
Nach seinem zweiten überragenden Erfolg mit GYPSY hatte Sondheim endlich das nötige Gewicht am Broadway, so dass man ihm sein erstes Broadwaymusical anvertraute. A FUNNY THING HAPPENED ON THE WAY TO THE FORUM (TOLL TRIEBEN ES DIE ALTEN RÖMER; 1962) erwies sich als enorm wirkungssichere theatralische Farce, von der uns die seinerzeit recht populäre Verfilmung durch den Beatles-Regisseur Richard Lester leider nur einen blassen Eindruck vermittelte. Zwar verhalf sie einigen der Songs (etwa „Comedy Tonight“ und „Everybody Ought to Have a Maid“) zu weltweiter Popularität, trieb aber in bewährter Hollywood-Tradition mit Sondheims Musik ziemlich Schindluder und bestätigte ihn in seiner Skepsis gegenüber Filmmusicals. Dieser Erfahrung folgte sein erster großer Misserfolg, der unterschätzte ANYONE CAN WHISTLE (1964), dem allerdings in späteren Wiederaufnahmen eine Ehrenrettung vorbehalten blieb, und dann sein erstes Musical von überragender Bedeutung, COMPANY (1964), das mit seiner Konfrontation von fünf oberflächlichen Yuppie-Paaren und einem unglücklichen Junggesellen zum zeitlos gültigen Ausdruck einer beziehungslosen Generation wurde und bis heute zu den Marksteinen des Musiktheaters zu zählen ist. Hier eine Aufnahme des Londoner Revivals von 1996
Damit nicht genug, ließ er dem gleich ein Jahr später mit dem Revue-Musical FOLLIES ein weiteres Werk von überragender Bedeutung folgen, in dem sich mehrere Generationen von (einstigen) Showgrößen anlässlich des Abrisses eines Revuetheaters mit ihrem eigenen Schicksal auseinandersetzen müssen. Zwar war es beim Publikum ein Misserfolg, aber die Nachwirkung des Werkes und sein Erfolg bei jedem - meist semikonzertant aufgeführten - Revival sind enorm. Beide Werke, die übrigens auch mit einem Tony-Award (der OSCAR des Broadway) für das beste Musical bzw. die beste Musik ausgezeichnet wurden, sind einen eigenen Thread wert, der bei genügender Nachfrage vielleicht einmal kommt. Hier ist erst einmal nur wichtig, dass sie sich weitaus deutlicher als noch FORUM um das Thema drehen, das Sondheim immer wieder beschäftigen sollte: die Egozentrik des Einzelnen, der sich mit Sex oder vermeintlicher Liebe über seine ureigene Isolation hinweg zu täuschen versucht, dabei aber mehr oder minder tragisch scheitert, weil er nie über den eigenen Schatten springen kann.
Ich breche erst einmal an dieser Stelle ab, weil mich interessieren würde, ob es hier schon weitere Sondheim-Enthusiasten gibt, und welche Werke und Aufnahmen die bevorzugen. Vielleicht sogar SWEENEY TODD - THE DEMON BARBER OF FLEET STREET? Den sollte man allerdings besser nicht nach dem Film beurteilen, der einem jetzt sehr oft auf den Tischen mit den preiswerten DVDs begegnet. Nicht, weil er nicht sehenswert wäre, das ist er durchaus, sondern weil er nicht sehr hörenswert ist.
Demnächst geht es aber bestimmt weiter. Versprochen.
Rideamus