SONDHEIM: A Little Night Music - Wenn die Mitternachtssonne dreimal lächelt. Ein Werkführer
Dieser Text ist eine aufpolierte Übernahme einer früheren Darstellung in einem Ort, wo sie vielleicht nicht dauerhaft sichtbar bleibt. Aber warum etwas neu schreiben, wenn man es ohnehin nicht besser kann?
Trotz seines etwas irreführenden Titels hat A LITTLE NIGHT MUSIC erst in zweiter oder dritter Linie etwas mit Mozart und dem apokryphen Titel seiner "Kleinen Nachtmusik" zu tun. Die unmittelbare Vorlage, der Hugh Wheelers Libretto erstaunlich getreu folgt, obwohl er ein paar Nebenhandlungen und Schauplatzwechsel kürzte und, wohl auf Sondheims Wunsch, einen fünfköpfigen Chor einführte, über dessen Funktion noch zu reden sein wird, ist der Film SOMMARNATTENS LEENDE von Ingmar Bergman, auf den hier zunächst einzugehen ist.
Diese wunderbar konstruierte und mit einem sehr fein ziselierten, dennoch höchst wirkungsvollen Humor inszenierte Komödie brachte ihrem Autor und Regisseur bei ihrem Debüt bei den Filmfestspielen in Cannes 1955 erstmals große internationale Aufmerksamkeit sowie eine Ehrenpalme für "den besten poetischen Humor" eines Films ein.
Für diesen Film engagierte Bergman fast sein gesamtes reguläres Ensemble, darunter Harriet Andersson, Ulla Jacobsson, Gunnar Björnstrand, Jarl Kulle und in einer kleinen Rolle als Schauspielerin auch Bibi Andersson sowie, in ihrer besten Rolle überhaupt, Eva Dahlbeck. Hätte diese nur diese eine Rolle der Désirée Armfeldt gespielt, ein Ehrenplatz unter den bezauberndsten Frauen der Filmgeschichte wäre ihr schon deswegen sicher. Ich kenne wenige Ensemblefilme, die bis ins letzte Detail so hinreißend einfühlsam und zugleich wirkungssicher gespielt wurden.
Das Erstaunlichste aber bleibt das Drehbuch, das so wirkungssicher gebaut und getimet ist, dass es überrascht zu erfahren, dass es wirklich nicht auf einem bewährten Klassiker beruht. Übrigens findet sich darin eine überraschende Parallele zu Hofmannsthals Libretto zu DER ROSENKAVALIER, die noch öfter auffallen wird, ohne dass man daraus einen Einfluss auf Sondheim konstruieren sollte. Bergman selbst hat Pierre de Marivaux (1688-1763) als eine seiner Quellen genannt, und tatsächlich erinnern die Konstellationen der Handlung sehr stark an Stücke dieses heute viel zu unbekannten, großen französischen Komödienautors zwischen Molière und Beaumarchais. Da die Theaterstücke von Marivaux außerhalb großer Bibliotheken, die ich nach Möglichkeit meide, gar nicht so leicht aufzutreiben sind, konnte ich bis heute keine konkrete Vorlage ausmachen, und das gilt auch für andere, die, Bergman ungeprüft nachplappernd, diesem sogar die Verfilmung einer Vorlage von Marivaux unterstellen.
Wie auch immer, diese drei Größen des französischen Komödie kann man - neben Shakespeares SOMMERNACHTSTRAUM, mit dem Woody Allens A MIDSUMMER NIGHT'S COMEDY dessen Bergman-Hommage verknüpfte - als Inspirationen, im weiteren Sinne sogar als Paten dieses meisterhaften Films benennen. Von Shakespeare stammt eindeutig die traumhafte Stimmung, Molière beeinflusste die ironisch präsentierte Menschenkenntnis, die aus dem Buch spricht, während Marivaux und Beaumarchais, dieser vor allem durch das Vergrößerungsglas des Librettisten Da Ponte gesehen, für die wirkungssichere Konstellation der neun (!) Hauptpersonen stehen, deren amouröse Wechselspiele das Geschehen ausmachen.
Natürlich hat Bergman auch schon damals seinen Mozart gekannt. Dafür steht nicht nur seine weit spätere, kongeniale Verfilmung der ZAUBERFLÖTE. Aber in diesem Film scheint mir der Bezug etwas weit hergeholt, zumal Erik Nordgrens Filmmusik zwar alte Kompositionen zu zitieren scheint, die ich allerdings bislang noch nicht identifizieren konnte. Meines Wissens ist aber nichts von Mozart dabei. Diesen Bezug, der eher einer zu Da Ponte ist, hat wohl erst Sondheim erkannt und verstärkt.
Das Wunder dieses Films ist es, dass Bergman all diesen Vorbildern gerecht wird und ein Werk auf der gleichen Höhe der Inspiration schuf. Da ist es schon eine außerordentliche Leistung, dass Sondheims Musical-Operette ihm keineswegs nachsteht und in dem außerordentlichen Witz seiner Texte sogar noch mehrere Nasenlängen voraus ist, wobei er natürlich auf Bergmans Vorleistung aufbauen konnte. So ist allein die Lektüre des Textbuches schon ein reines Vergnügen, selbst wenn man die Musik nicht kennt. Deswegen sei ausnahmsweise mal der englischsprachige Druck eines Librettos hier angepriesen:
Die Entstehung des Musicals
Sie lässt sich in aller Kürze schildern. Als Sondheim und sein Produzent Harold Prince nach den Revue-Musicals COMPANY und FOLLIES Sondheims altes Projekt eines Walzermusicals (s.a. Kunst ist nicht einfach - Der Komponist Stephen Sondheim) aufgreifen und dafür ein richtiges Buchmusical mit durchgehender Handlung kreieren wollten, schwebte ihnen zunächst eine Bearbeitung von Jean Anouilhs Stück "L'invitation au chateau" vor, dessen Rechte sie aber nicht bekommen konnten. Daraufhin fiel Sondheim Bergmans Film ein, der sich in seinem zweiten Teil ebenfalls um eine Einladung auf ein Schloss dreht. Sondheim, Prince und Wheeler sahen sich den Film an und wussten sofort, dass sie den richtigen Stoff gefunden hatten. Zum Glück war Bergman mit der Adaption einverstanden, und keine zwei Jahre später konnte das Musical uraufgeführt werden.
Wann und warum es den überraschenden und seither oft verwirrenden Titel "Eine kleine Nachtmusik" erhielt, und ob der Vorschlag wirklich auf Sondheim zurück geht, konnte ich noch nicht eruieren. Wie noch zu sehen sein wird, hat Sondheim, ähnlich wie seinerzeit Strauss und Hofmannsthal, die Verbindung ihres DER ROSENKAVALIER zur HOCHZEIT DES FIGARO, die Verwandtschaft seines Stoffes mit Beaumarchais' klassischer Komödie sehr wohl gesehen und sich gleich Richard Strauss, wenn auch noch konsequenter, dafür entschieden, diese überwiegend in Walzerfolgen auszudrücken. Aber was für ein Unterschied besteht doch zwischen den Ergebnissen dieser Inspiration. In mehr als einem Sinne unterscheiden sich diese beiden in ihrem Geist so verwandten Werke voneinander wie Tag und Nacht, nur nicht in ihrer Qualität. Aber es gibt noch eine weitere Parallele: Sondheim fand nämlich in einer nach den herben Charakterstudien von COMPANY und FOLLIES ebenso überraschenden Wendung wie seinerzeit Strauss nach SALOME und ELEKTRA, zu einem nostalgischen, aber keineswegs unkritischen und durchaus zeitgemäßen Ton, den er allerdings, ander als Strauss, danach wieder verlassen wird.
Fortsetzung folgt.
Rideamus