ZitatIst Dir schon mal der Gedanke gekommen, dass es auch andere, ganz "normale" Berufe gibt, in denen von dem jeweils Berufstätigen Höchstleistungen erwartet werden, und man versucht in diesen Arbeitswelten auch, dieser Erwartung Tag für Tag gerecht zu werden?
Dieser Gedanke ist mir natürlich völlig neu...
Ich glaube aber schon, dass es etwas anderes ist, ein Klavierkonzert auf dem Niveau von Nelson Freire zu spielen als auf einem Büroposten oder vor einer Schulklasse sein Möglichstes zu geben - wobei Letzteres fraglos auch sehr anstrengend sein kann.
Zufälligerweise kenne ich ja nun aus eigener Anschauung beides - die Welt der ganz "normalen" Berufe und die des Musikmachens auf (einem wenn auch nur bescheidenen) professionellen Niveau. Und ich bin mir sicher, dass viele den immensen Kraft- und Nervenverschleiß, den das solistische Auftreten als Musiker mit sich bringt, massiv unterschätzen. Jemand, der das noch nicht am eigenen Leibe erfahren hat, weiß in der Regel auch nicht, was es bedeutet. Und jetzt kannst du mir gerne entgegnen, dass jemand, der noch nie als Anwalt in einer Gerichstverhandlung aufgetreten ist, auch nicht weiß, was das bedeutet - ich bleibe in diesem Punkt trotzdem unbelehrbar bei meiner Auffassung: Das Publikum hat nomalerrweise keine Ahnung von dem, was ein Solist wirklich leistet! Ich hatte diese Ahnung früher auch nicht...
Und deshalb ist es, wenn ein Musiker spürt, dass er an diesem Abend eine bestimmte Leistung nicht abrufen kann, vielleicht nicht so falsch, wenn er stattdessen auf ein leistbares Programm ausweicht, anstatt sich fröhlich zu blamieren. Künstler sind nun mal keine Maschinen, bei denen immer alles geht.
Für mich als Orchestermusiker erübrigt sich die Diskussion eh: Wenn alle anderen Brahms spielen, kann ich schlecht Bach spielen :D, sondern muss auch Brahms spielen, genau an diesem jenem Abend, egal, ob ich mich gerade dazu in der Lage fühle oder nicht. Aber wenn ich nicht müsste...... ;+)
Und noch einmal zurück zum Grieg-Konzert mit Nelson Freire: Auch rein vom Klavierklang her gesehen halte ich diese Interpretation für ganz große Kunst!
Viele Grüße
Bernd