DONIZETTI: "Don Pasquale" - Kommentierte Diskographie

  • Ob die Gegend wirklich so wunderbar ist, wie auf Bildern und in Reisebeschreibungen, das würde ich mir gerne einmal angucken, wäre sie von hier aus nicht eine halbe Weltreise entfernt. Wahrscheinlich müsste man mit dem Zug nach Wien und dann in die Semmeringbahn umsteigen - und wenn man schon nach einer Tagesreise in Wien angekommen ist, wer fährt dann noch weiter nach Mürzzuschlag?

    Kurzes off topic: Die Gegend ist wunderschön! (wie auch viele andere Gegenden in der Steiermark, z.B. auch das Salzkammergut und die Süd(ost)steiermark – auch die Hauptstadt Graz ist super schön und immer einen Besuch wert)
    Von Wien nimmt man einen beliebigen Zug der Südbahn, die nach Graz, Kärnten, Italien oder Slovenien führt, und fährt, solange der Semmeringtunnel noch nicht fertiggestellt ist (also nach derzeitigem Stand bis zum Jahre 2027), automatisch über die historische Semmeringbahn von Carl Ritter von Ghega. Mürzzuschlag ist eine Haltestelle von mehr als 50% der durchfahrenden Schnellzüge (aber ich würde, wenn ich dort bin, eher wandern gehen – der Bahnwanderweg ist ein Klassiker – als mir Mürzzuschlag anzuschauen).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • URANIA 2015

    Die aus dem Jahr 1952 stammende Turiner RAI-Aufnahme gilt zwar als Klassiker, ist aber doch recht wenig bekannt. Natürlich muß man sich mit der damaligen Monoqualität anfreunden (und die ist wirklich nicht schlecht). Ich habe mir die Scheiben aber vor allem wegen des Dirigenten zugelegt. Mario Rossi ist für mich eine der allerbesten Pultmeister für die italienische Oper gewesen. Was er hier bietet, rechtfertigt meine Bewunderung voll und ganz. Auch die Besetzung ist hervorragend. Wie Cesare Valletti sein "Com`è gentil" singt, das ist einfach zum Niederknien. So helle und zugleich warme Tenorstimmen sind wir in unseren baritonal gefärbten Zeiten ja kaum mehr gewohnt, aber das ist ein Belcanto-Organ par excellence. Es paßt wunderbar zu dem ebenfalls sehr hellen Sopran der Norina Ada Nonis, die wie eine Soubrette klingt, aber ein toller Koloratursopran war. Großartig auch der Kavalierbariton Mario Borriello (Malatesta), an den sich wohl nur wenige erinnern werden. Die Titelrolle ist bei dem vielseitigen Sesto Bruscantini in besten Händen.

    Angehängt sind diverse Arien Cesare Vallettis, in denen die überragende Rossini/Bellini/Donizetti-Begabung bestens dokumentiert wird (der Don Ottavio lag ihm stilistisch weniger, aber natürlich gestaltet er "Il mio tesoro" eindrucksvoll").

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Lieber Waldi , auch ich schätze die Aufnahme mit Mario Rossi und seinem Ensemble sehr . Allerdings steht sie für mich gleichwertig neben einer anderen , ebenfalls aus 1952 *, nämlich der von Armando La Rosa Parodi dirigierten , mit Fernando Corena in der Titelrolle . Die Ensembles und die Dirigate schenken sich nichts , und daher müssen hier immer Münzen geworfen werden , um zu entscheiden , welche Einspielung gehört wird . Hinzu kommt, daß die vor Jahren von Knulp erwähnte Gesamtaufnahme unter Sabajno mit dem wirklich kaum zu übertreffenden Tito Schipa auch mal gehört wird . Und dann ist da noch die Lieblingsaufnahme der Dame des Hauses , nämlich die unter Molinari-Pradelli mit einer homogenen Besetzung , die keinen Vergleich zu scheuen braucht . Und noch keine spätere Aufnahme hat es geschafft , eine der vier genannten zu verdrängen . Aber die Qual der Wahl ! Ich kann dir sagen....

       

    * = Nachträglich festgestellt , daß die Aufnahme aus 1951 stammt . LP-Produktion für das alte Urania Label , welchers absolut nichts mit dem neueren Piaten-Label zu tun hat .

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

    Einmal editiert, zuletzt von b-major (3. Dezember 2021 um 09:56)

  • Nun, für mich muß man "Don Pasquale" nicht unbedingt immer zum Problemstück machen.

    Bitte, lieber Waldi, nicht nur 'nicht unbedingt', sondern gar nicht! Der Pasquale ist einfach ein charmantes 'Betthupferl', etwas, was man wirklich einfach nur genießen dürfen sollte. Die Oper macht so viel Spaß, hat solch köstliche musikalische Einfälle und man geht einfach nur beschwingt heraus. (Ich weiß, das ist im deutschen Gegenwartstheater eigentlich nicht mehr erlaubt. :versteck1: )

    Ich liebe den 'Pasquale'. Es gab vor Jahrzehnten mal eine sehr witzige und charmante Inszenierung in Hamburg in der Ägide Rolf Liebermann. Das war die Saison, in der er u.a. einen monumentalen Giovanni (Marelli), einen hochmodernen Tristan (Berghaus) und Cosmopolitan Greetings (Wilson), eine Kombination von Klassik, Ballett, Jazz herausbrachte. Damit will ich sagen, dass Liebermann die Mischung im Auge hatte, dass er noch jemand war, der versuchte, jeden etwas zu bringen. Das habe ich seitdem in Hamburg eigentlich nicht mehr erlebt, weshalb der Pasquale auch immer hinten runterfällt, als etwas Nebensächliches, Schlichtes, etwas, was sich nicht lohnt zu problematisieren. Und wenn man, hier in HH mal komische Opern brachte, artete das meistens in reinen Klamauk aus. Das ist der Pasquale auch, aber auch hier kommt es auf die richtige Mischung an, denn er ist nicht albern, sondern komisch, witzig, humorvoll, empfindsam und sehr charmant.

    Sorry, jetzt bin ich viel zu sehr bei Inszenierungen, also versuche ich mal den Bogen zu den Aufnahmen zu kriegen. Charme ist für mich das entscheidende Wort, ist das, was eine Aufnahme durchweg haben muss. Schwer zu fassen, letztlich liegt das wohl v.a. im eigenen Empfinden. Trotzdem müssen alle Beteiligten, inklusive des Dirigenten diese Atmosphäre von Verzauberung erzeugen können, müssen diesen Zauber v.a. in der Stimme haben. Nicht zu schwer dürfen sie es angehen, leicht muss es sein und gleichzeitig empfindsam. Und das leichte ist ja bekanntermaßen das Schwerste.

    Und dann muss man es natürlich auch noch singen können. Und ein Ensemble sollte es auch noch sein. Schipa ist natürlich überwältigend und allein von daher muss die Aufnahme sein. Leider ist die Norina für mich fast eher eine Berta, die sich aus dem Barbier hierher verlaufen hat. Das ist nicht schön. Und trotzdem muss die Aufnahme sein.

    Die anderen, gerade erst geposteten Aufnahmen, kenne ich nicht oder habe sie lange nicht gehört, bin aber alleine von der Besetzung her sicher, dass sie ein Muss sind. Für mich selber habe ich in der letzten Zeit eine entdeckt, die wohl gerade erst herausgekommen ist:

    Natürlich deutsch gesungen, natürlich mit deutschen Interpreten, die nicht unbedingt dieses feine Parlando, die Tongebung, die Leichtigkeit einer italienischen Produktion besaßen. Aber was sie hatten, v.a. Wunderlich, war Charme. Gerade er überwältigt einmal mehr damit und das ist vielleicht schon die halbe Miete. Aber es bleibt kein Ersatz, kein 'ich hab jetzt die und die anderen brauche ich nicht', sondern nur eine Ergänzung.

    Übrigens geht es mit mit dem Pasquale wie mit der deutschen Spieloper oder auch der Operette. Ich glaube, man braucht auch eine gewisse Naivität oder Einfachheit im Zugang zu diesem Werk, darf nicht zu sehr mit dem Kopf an die Musik herangehen, sie nicht hinterfragen, sondern muss sie einfach singen aus der Lust am Singen überhaupt heraus. Dann blüht sie auf, aber gerade das vermisse ich oftmals bei neueren Aufnahmen. Mir scheint, in den 50iger und 60iger, auch noch in den 70igern ging man unbefangener an solche Werke und letztlich hört man das dann auch.

    Meine Güte, so viel geschrieben bei so einem kleinen Werk. ;) Aber dieses Werk ist es wirklich wert!!!

    :wink:Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Lieber Wolfram,

    Cesare Valletti war immerhin ein Schüler von Tito Schipa, vielleicht kann Dich das zu der von mir zuletzt kommentierten Edition verführen. Sie ist momentan sehr billig zu haben.

    Was Du über "eine gewisse Naivität oder Einfachheit" sagst, kann ich nur vollkommen bekräftigen. Damals hat man die verborgenen "Problembotschaften" einem nicht mit Gewalt ins Gesicht geschmiert, sondern sie unterschwellig wirken lassen und die reine Freude an der Kunst nicht belastet. Heute gilt das vielen als oberflächlich. Das war es aber nicht. Aber man hatte wohl mehr Geduld mit dem Publikum.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Aber man hatte wohl mehr Geduld mit dem Publikum.

    Lieber Waldi, vielleicht nahm man es einfach auch nur ernster. ;)

    Und zu Cesare Valletti kannst du mich immer verführen. :clap:

    :wink:Wolfram

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  • Guter Ordnung halber sei angemerkt , daß ich meinen obigen Beitrag zu den Aufnahmen nachträglich ediert habe , nachdem ich feststellen mußte , daß die Aufnahme mit Rosa Parodi bereits 1951 gemacht wurde . Bemerkenswert bleibt , daß binnen Jahresfrist aus Mailand und Turin mit zwei verschiedenen Besetzungen so großartige Aufnahmen kamen . ( 150 Km auseinander , 2 Stunden Fahrzeit , wenn die A 26 nicht wieder dicht ist - oder besser , mal frei ist ) .

    Bei dieser Gelegenheit für Interessierte die '51 Rosa Parodi Aufnahme :

    1.CD https://www.mediafire.com/file/otsy17l0p…D_FLAC.rar/file

    2.CD https://www.mediafire.com/file/nwfqy8ukl…D_FLAC.rar/file

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    3 Mal editiert, zuletzt von b-major (3. Dezember 2021 um 13:48)

  • Ich kann mich ja täuschen, aber seit Jahrzehnten habe ich das Gefühl, daß - zumindest - damals zwischen Mailand (Scala) und Turin (RAI) bezüglich der Breitenwirkung ein bisserl Wettbewerb herrschte, bei dem natürlich die Scala meist die Nase etwas vorne hatte. Allerdings nicht immer. Viele Turiner Aufnahmen sind seither aus dem Gedächtnis entschwunden, lohnen aber durchaus die Erinnerung.

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  • Mailand (Scala) und Turin (RAI)

    Da hast du meiner Meinung nach den entscheidenden Punkt : die Scala hatte ihr (festes) Ensemble , aus dem sie besetzte . Die RAI konnte sich holen , wer frei war . Aber eine Konkurrenz auf dem Niveau ist für den Hörer ein Traum !

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  • Ich habe jetzt die Aufnahme von Molinari-Pradelli gehört. Das macht wirklich Laune, tolle Aufnahme. Die Norina finde ich um Längen besser als in der Schipa-Einspielung, auch wenn sie vielleicht ein wenig aufdringlich wirkt, nicht nur beim Triller in ihrer Aufnahme. Auch das Timbre von Munteanu findet ich nicht sehr attraktiv, aber die anderen Herren, das Tempo, die Spielfreude, das gemeinsame Agieren, dieser ganze Schwung ist wirklich mitreißend.

    :wink:Wolfram

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