Arnold Schönberg: A Survivor from Warsaw op. 46
Ein musikalisches Mahnmal (Orchestereinleitung, Erzählung, Chor) - das Trauma dieser Extremsituation, von einem nach wie vor fassungslos Entsetzten, einem Überlebenden aus Warschau, enorm aufgewühlt wiedergegeben und von beißend atonal-klangscharfer Musik zusätzlich punktgenau psychologisiert, die Erinnerung daran, wie chancenlose jüdische Opfer zur Gaskammer gequält werden, wie der Feldwebel brüllt, wie sie zu zählen beginnen müssen, wie sich aus dieser völligen Ausweg- und Hoffnungslosigkeit dann aber doch ein die Situation überzeitlich überstrahlender „Trotzdem“ Chor „Schma Jisrael“ (eine Vertonung des zentralen jüdischen Gebets) ballt, diese Momentaufnahme einer Standard-Extremsituation der Kriegsjahre bis 1945 verdichtet Arnold Schönberg im August 1947, angeregt durch einen Bericht aus dem Warschauer Ghetto, in einem Melodram von sieben Minuten Spieldauer mit Sprecher (englisch, Feldwebelrufe deutsch), Orchester und Männerchor zu einer plastischen Szene, die polarisieren muss, weil sie die Hörerschaft so extrem wie fast noch kein Musikwerk davor fordert, inhaltlich wie vom musikalischen Ausdruck her.
Ausführende müssen immer damit rechnen, dass Teile des Publikums weder den Inhalt noch das Werk hören wollen, sei es weil man der Meinung ist, dieses Thema solle nicht länger hochgekocht werden oder weil man mit dieser atonalen, noch dazu extrem emotionalisierten Zwölftonmusik nichts zu tun haben möchte. Da es aber Interpreten immer wieder ein Anliegen ist dieses Werk aufzuführen, wird es hin und wieder als Eröffnungsstück von Konzerten aufgeführt, bei denen danach – „klugerweise“ ohne Pause - Zugpferde wie Beethovens 9. Symphonie folgen. Längst ist das Werk auch Musik-Unterrichtsstoff, in Kombination mit dem Geschichtsunterricht einsetzbar.
Bei wikipedia findet sich eine sehr genaue Detailanalyse des Werks.
Der Schreiber dieser Zeilen hat das Werk vor vielen Jahren in einer Schallplattenaufnahme mit Robert Craft und dem Philharmonia Orchestra (Erzähler David Wilson-Johnson) und (im Oberstufen-Unterricht) in einer Radioaufnahme mit Eberhard Wächter als Sprecher kennengelernt. Claudio Abbado hat das Werk im Mai 1974 auch mit Eberhard Wächter als Sprecher und den Wiener Philharmonikern im Großen Musikvereinssaal zweimal aufgeführt. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre hat er dann mit den Wiener Philharmonikern wesentliche Orchestermusik der Zweiten Wiener Schule geblockt und zielgerichtet aufgeführt und aufgenommen (und insofern orchesterhistorisch wirklich Bedeutsames geleistet). „A Survivor from Warsaw“ brachte diesmal Gottfried Hornik als Erzähler und den Männerchor der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor zu den Wiener Philharmonikern im Mai 1989 zu einer Wiederaufführung in den Großen Musikvereinssaal (CD DGG 431 774-2). Der Sprecherpart ist ja ganz genau auf die Musik zugeschnitten, trotzdem muss der Sprecher die aufwühlende Emotion transportieren, als lebte er, mit dem Orchester als psychologischer Grundlage, die Situation immer wieder (mit jeder Aufführung) neu. Hornik fängt diese Betroffenheit plastisch ein. Es versteht sich, dass selbst die sonst ihre Klangschönheit nur allzu gerne kultivierenden Philharmoniker die Schärfen der Musik ausloten und sich das meist selbst in seelentief abgründiger Musik durchhörbare Tröstliche und Hoffnungsvolle wirklich erst mit dem kompakt aufstrahlenden Männerchor entladen darf.
Welche anderen Aufnahmen sind den Capricciosi bekannt? Gelingt es ihnen, die gewünschte Emotionalisierung zu transportieren, so dass das Werk im erschütternden Sinn unter die Haut geht?