Gustav Mahler: Symphonie Nr. 2 c-Moll "Auferstehung"
Sein Leben lang rang der sich durch und durch als Komponist fühlende Gustav Mahler (1860-1911) um die Durchsetzung seiner Werke, während er als Kapellmeister zielstrebig Karriere machte, von der Provinz bis nach Prag, Leipzig, Budapest (Operndirektor 1889-1891), Hamburg (Kapellmeister 1891-1897) und schließlich Wien (Hofoperndirektor 1897-1907).
Sein ernsthaftes kompositorisches Bestreben begann mit einer herben Niederlage. 1881 vergab die Jury (Johannes Brahms, Karl Goldmark und Hans Richter) den Wiener Beethovenpreis für ein Klavierkonzert an Robert Fuchs, nicht für die Kantate „Das klagende Lied“ an Gustav Mahler.
Statt des Aufbruchs als Komponist erfolgte daraufhin jener als Dirigent, und das Komponieren blieb für Mahler Freizeitbeschäftigung. Es entstanden Lieder (etwa die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ sowie die ersten „Wunderhorn“ Lieder), und Mahler vervollständigte Carl Maria von Webers Oper „Die drei Pintos“ für Leipzig. Im März 1888 war die 1. Symphonie fertig komponiert.
Schon von Juni bis August 1888 komponierte er in Iglau, wo er Kindheit und Jugend verbracht hatte, an einer Symphonischen Dichtung mit dem Titel „Todtenfeier“, dem Helden seiner 1. Symphonie nachgereicht. Das ist ein breit angelegter großsymphonischer Einzelsatz, fast eine halbe Stunde lang. Die Anekdote sagt, dass Mahler diese Symphonische Dichtung 1891 in Lübeck aufgeführt hat und sich sein älterer Dirigentenkollege Hans von Bülow (1830-1894) dabei die Ohren zugehalten haben soll.
Mahler wurde, befreit vom Alltagsdienst als Opern- und Konzertdirigent bzw. Operndirektor (Budapest und Wien), zum „Ferienkomponisten“, zunächst in Steinbach am Attersee, später in Maiernigg am Wörthersee und noch später in Toblach in Südtirol.
In Steinbach vertonte er im Sommer 1893 unter anderem zwei weitere Texte aus „Des Knaben Wunderhorn“ (eine von Clemens Brentano und Achim von Arnim herausgegebenen Volksliedtextsammlung), „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ (Antonius predigt und die Fische hören zu oder nicht) und „Urlicht“ (Flehen des leidenden Menschen um Erlösung). Parallel dazu komponierte er einen Andantesatz für seine neu entstehende Zweite Symphonie. Für diese überarbeitete er auch sofort das eben komponierte „Antonius“ Lied, er machte ein großes Scherzo daraus. Das „Urlicht“ wird ebenfalls noch eine wichtige Rolle spielen. Aber der „Kick“ für die Symphonie fehlte ihm noch.
Im März 1894 war es soweit. Mahler war bei der Totenfeier für Bülow in Hamburg anwesend, wo ein Choral auf Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724-1803) Gedicht „Die Auferstehung“ vorgetragen wurde. Das gab ihm nun diesen „Kick“.
Im April 1894 überarbeitete Mahler die „Todtenfeier“, er straffte sie etwas und machte sie zum ersten Satz des Werks. Im Juni und Juli 1894 skizzierte er den groß angelegten Finalsatz und begann, diesen zu orchestrieren. Das Werk nahm Gestalt an. Im Dezember 1894 schloss Mahler die Orchestrierung und somit die Komposition seiner Zweiten Symphonie ab.
Am 4.3.1895 wurden die Sätze 1 bis 3 in Berlin uraufgeführt, am 13.12.1895 erklang das ganze Werk erstmals, ebenfalls in Berlin, beide Konzerte unter der Leitung des Komponisten.
Mahler hat übrigens in der Folge die Symphonische Dichtung „Todtenfeier“ auch als eigenständiges Werk weiter als vollgültig anerkannt und im Konzert dirigiert.
Die Zweite Symphonie in c-Moll dauert meist 75 bis 80 Minuten und ist groß besetzt. Zum sehr großen Orchester kommt auch eine Orgel. Und es ist eine der ersten Symphonien nach Beethovens Symphonie Nr. 9, in der Stimmen eingesetzt werden, hier ein Sopran, ein Alt und ein gemischter Chor. Mahler hat seine dann doch auch skizzierten Einführungen zu den einzelnen Sätzen später wieder verworfen, sie sind aber erhalten.
Hier nun Mahlers Einführungen sowie kurze persönliche Bemerkungen zu den einzelnen Sätzen. Weiterführende Bemerkungen sowie Notenbeispiele finden sich auf der wikipedia Seite zur Symphonie und in diverser Fachliteratur. Empfohlen sei unter anderem etwa Gilbert Kaplans Werkeinführung zur Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern (DGG 2002), weil dort die Sätze aufgeschlüsselt werden und mit genau anwählbaren Positionen alle markanten Stellen rasch akustisch nachvollziehbar sind.
1. Allegro maestoso (Dauer meist 23 bis 25 Minuten - Spielzeiten bitte nur als sehr ungefähre Richtwerte betrachten)
Mahler: „Wir stehen am Sarge eines geliebten Menschen und sehen uns der großen Frage gegenüber: Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten? Ist das alles nur ein großer, furchtbarer Scherz?“
Ein gewaltiger musikalischer Nachruf auf einen Helden, deutliche Züge der Sonatenform sind erkennbar, die bis zur Explosion gesteigerte Apotheose vor dem Eintritt der Reprise ist des Schreibers dieser Zeilen Lieblings-Gänsehautstelle in der symphonischen Musik überhaupt.
Die laut Partitur nach diesem Satz einzuhaltende Pause von fünf Minuten wird nicht bei allen Aufführungen befolgt.
2. Andante moderato (Dauer knapp über 10 Minuten)
Mahler: „Ein seliger Augenblick aus dem Leben dieses theuren Todten, und eine wehmütige Erinnerung an seine Jugend und verlorene Unschuld.“
Wolfram Steinbeck (Mahler Handbuch, Metzler/Bärenreiter 2010) nennt den Aufbau A1 – B1 – A2 – B2 – A3 – Coda. Man beachte die Verfremdungen, die der vermeintlichen Idylle eine ganz spezielle Psychologie beimengen.
3. In ruhig fließender Bewegung (Dauer knapp über 10 Minuten)
Mahler: „Wenn Sie dann aus diesem wehmütigen Traum aufwachen, und in das wirre Leben zurück müssen, so erscheint die Welt wie im Hohlspiegel, verkehrt und wahnsinnig. – Mit dem furchtbaren Aufschrei der so gemarterten Seele endet das Scherzo.“
Wieder laut Steinbeck: 5 Abschnitte, nämlich Scherzo (A-B-A´), Trio (mehrteilig), Scherzo (ohne A´), Trio (variiert), Scherzo (nur mehr A).
Reizvoll mag es sein, diesen Satz mit dem „Wunderhorn“ Lied zu vergleichen, die symphonischen Erweiterungen werden dadurch besonders deutlich. Wenn man zuvor die 1. Symphonie gehört hat, schließt dieser Satz in seiner parodistischen, skurrilen Art irgendwo an den dritten Satz der 1. Symphonie an, man mag meinen, die Figuren die dort aufmarschieren finden sich hier wieder ein. Der von Mahler genannte „furchtbare Aufschrei“ ist unüberhörbar. (Voraus weisend sei auf eine ähnliche „Sintflut“ am Ende des 3. Satzes der 3. Symphonie verwiesen.) Und musikhistorisch verwiesen sei auf Hans Rotts Symphonie E-Dur, bei der sich Mahler für diesen Satz deutlich erkennbar „bedient“ hat.
4. „Urlicht“ – Sehr feierlich, aber schlicht (Dauer je nach Dirigent zwischen 5 und 10 Minuten)
Mahler (laut den Tagebucherinnerungen der ihm nahen Natalie Bauer-Lechner): „Das ´Urlicht´ ist das Fragen und Ringen der Seele um Gott und ihre eigene ewige Existenz.“ Gesungen wird es von einer Frauenstimme (meist Alt).
5. Finale (Dauer ca. 35 Minuten)
Mahler: „Das Ende alles Lebendigen ist gekommen, das jüngste Gericht kündigt sich an. Leise erklingt der Chor der Heiligen und Himmlischen: ´Auferstehen, ja aufersteh´n wirst du!´ Da erscheint die Herrlichkeit Gottes! Ein wundervolles, mildes Licht durchdringt uns bis an das Herz – alles ist still und selig! – Und siehe da: es ist kein Gericht – Es ist kein Sünder, kein Gerechter, kein Großer und kein Kleiner – Es ist nicht Strafe und nicht Lohn! Ein allmächtiges Liebesgefühl durchleuchtet uns mit seligem Wissen und Sein!“
Dieser mehr als 35 Minuten lange Satz beginnt (vergleichbar dem Finalbeginn der 1. Symphonie) mit einem apokalyptischen Aufschrei, führt uns durch große Tore und in mystische Beseeltheit und geleitet uns zur Gewissheit der Auferstehung, gegen Ende hin mit Sopran, Alt und Chor sowie sogar mit der Orgel.
Mittlerweile gibt es über 150 Aufnahmen dieser Symphonie. Wenn es um Festivals oder andere große Anlässe geht wird sie gerne (ähnlich Beethovens 9. Symphonie) besonders herausragend aufgeführt.
Meine Lieblingsaufnahmen sind die beiden Leonard Bernstein Aufnahmen von 1973 (CD Sony, DVD DGG, London Symphony Orchestra) und 1987 (DGG, New York Philharmonic), in ihrer elementaren Wucht und universellen Unbedingtheit, dazu kommt seit 2003 die orchestral und von der Intensität überhaupt glutvoll lebendige Konzertaufnahme Claudio Abbados beim Lucerne Festival (DGG).
Für die ausführliche Neubeschäftigung mit diesem Werk habe ich mir die Aufnahme angehört, die Lorin Maazel im Rahmen seiner Gesamtaufnahme der Mahler Symphonien mit den Wiener Philharmonikern im Jänner 1983 im Großen Musikvereinssaal in Wien eingespielt hat, mit Eva Marton, Jessye Norman und dem Wiener Staatsopernchor (CD Box Sony SX14X87874). Leider ist dies eine eher enttäuschende subjektive Hörerfahrung geworden. Wie auch bei der vom Schreiber zuvor gehörten 1. Symphonie stellt Maazel das Werk mehr vor als es zu durchleben. Er neigt zum Buchstabieren, sagt das Werk quasi auf, durchaus mit Sinn für (äußerliche) Effekte und herauszustellende Steigerungen. Das große Plus dieser Aufnahmen mit Maazel aus den 80ern sind der weiträumige Klang und das vollblütig aufstrahlende Orchester, die die Durchhänger im Duktus einigermaßen wettmachen. Und wie auch in der 1. Symphonie besticht ausgerechnet der zweite Satz mit seinen verklärenden, seligen Wiener Geigen besonders. Grandios auch Jessye Normans „Urlicht“, mit berückender Eindringlichkeit gesungen. Das Finale hat schon die gebotene echte Größe – und doch, hört man danach das Finale etwa mit Abbado noch einmal, merkt man, welche Intensität da eigentlich noch möglich wäre. Was die Wiener Philharmoniker betrifft, so zieht der Schreiber nun doch weiter Claudio Abbados an sich auch knalligere Wiener Aufnahme von 1992 vor, jedenfalls bis er (demnächst) jene mit Gilbert Kaplan (2002) und (später) jene mit Pierre Boulez (2005) kennengelernt hat.
Ergänzungen, Korrekturen, Aufnahmetipps, Werkdiskussionen, hier ist "der große Appell" (im Werk eine ganz markante Stelle vor dem ersten Vokaleinsatz im Finale),...