Schubert: Klaviersonate B-Dur, D. 960

  • Eine außergewöhnliche, unbedingt hörenswerte Neueinspielung (gehört habe ich bislang nur die letzte Sonate, nur auf die beziehe ich mich). Äußerst langsam und übervoll mit z. T. sehr ungewohnten Klangfarben und einer resonanzreichen, oft zart-anheimelnden Wärme, aber dennoch nicht ohne Kraft, wo es soll. Eine großartige Leistung, finde ich.

    Eine vergleichsweise informative Rezension findet sich hier: https://www.musikansich.de/ausgaben/0920/…ubertfkoch.html

  • Hab ich jetzt auch mal gehört und von iMusic geliehen.

    Anfänglich war ich genervt von der Langsamkeit (der 1. Satz dauert rekordverdächtige 31,37"!), wobei mir das Tempo dann im Andante sostenuto schon gleich gefallen hat. Aber dieses Zögerliche, ständige Abstoppen zu Beginn des Allegros ging gegen meinen Puls. Aber irgendwas war da. Nachdem ich mich mit mir geeinigt hatte, meine Hörgewohnheiten einen Augenblick in den Hintergrund zu stellen, funkte es doch ziemlich.

    Der Klang des Hammerflügels ist wirklich extrem nuanciert und variantenreich - als Alternative zu meinen "konventionellen" Einspielungen hochwillkommen.

    Dank an Knulp für den Hinweis.

  • Anfänglich war ich genervt von der Langsamkeit (der 1. Satz dauert rekordverdächtige 31,37"!)

    kaum zu glauben, dass man Afanassiev (28:13) noch toppen kann !! :versteck1:

    -----------------------------------------------------------------------------------------------
    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Anfänglich war ich genervt von der Langsamkeit

    Ich auch, und nicht nur anfänglich... Beim Kopfsatz gibt es seit Svjatoslav Richter einen merkwürdigen Überbietungswettbewerb in Langsamkeit, nur warum eigentlich? Bei Richter fand ich das noch auf anregende Weise verstörend und vor allem neu, aber bei allen, die ihm nacheifern oder gar ihn noch übertreffen wollten, funktioniert das für mich nicht mehr. Selbst die Aufnahme von Afanassiev, der sicherlich ein großer Künstler ist, finde ich stellenweise eher unfreiwillig komisch. In dieser Aufnahme mit Tobias Koch nervt mich allerdings noch mehr als das völlig verschleppte Tempo dieses permanente Auseinanderklappern der beiden Hände. Das zieht sich durch alle Sätze und ist am schlimmsten beim Thema im Andante: Da überlagern sich eigentlich sehr subtil drei verschiedene punktierte Rhythmen, deren herrliches Gleichgewicht hier völlig zerstört wird, weil ständig der Basston zu früh kommt. Was soll der Blödsinn? Hinzu kommen die instrumentenbedingt massenhaft absaufenden Melodietöne, das so gut wie völlige Fehlen von "delicatezza" im dritten Satz usw.. Um nicht missverstanden zu werden: Das ist in seiner Art alles schon gut gespielt, aber ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was mit diesem Schneckentempo, allgemein mit diesen ganzen Manierismen, und abgesehen von einer Ausnahme (siehe unten) auch mit der Instrumentenwahl eigentlich angestrebt bzw. gewonnen wird.

    Der Klang des Hammerflügels ist wirklich extrem nuanciert und variantenreich

    Welche Nuancen meinst Du genau? Ich habe nur eine Nuance gehört, die ich auch gern auf einem modernen Flügel hätte. Die deutliche Klangänderung beim una corda. Das ist an einigen Stellen, z.B. beim berühmten Basstriller oder bei der Rückung nach cis-Moll am Beginn der Durchführung, sehr schön und hier auch gut eingesetzt. Da muss man auf einem modernen Flügel schon ziemlich arbeiten, um das Fremdartige dieser Wendungen so deutlich in Erscheinung treten zu lassen. Aber für mich wäre demgegenüber schon die faktische Unmöglichkeit, hörbare Kantilenen im unteren Dynamikbereich zu spielen, ein K.o.-Kriterium, vor allem bei Schubert.

  • Beim Kopfsatz gibt es seit Svjatoslav Richter einen merkwürdigen Überbietungswettbewerb in Langsamkeit, nur warum eigentlich? Bei Richter fand ich das noch auf anregende Weise verstörend und vor allem neu, aber bei allen, die ihm nacheifern oder gar ihn noch übertreffen wollten, funktioniert das für mich nicht mehr.

    Das hast Du schön auf den Punkt gebracht.

    Für mich gilt: Wenn ich eine extrem langsame Deutung des Kopfsatzes hören möchte, dann höre ich mir das Original dieser Idee an und nicht irgendwelche Epigonen. Wenn ich eine andere Sichtweise hören möchte, dann greife ich zu Horowitz, Erdmann, Fleisher, Haskil usw. usw. Nur was soll dieser Richter-Überbietungswettbewerb, wie Du es treffend ausdrückst?

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Für mich gilt: Wenn ich eine extrem langsame Deutung des Kopfsatzes hören möchte, dann höre ich mir das Original dieser Idee an und nicht irgendwelche Epigonen. Wenn ich eine andere Sichtweise hören möchte, dann greife ich zu Horowitz, Erdmann, Fleisher, Haskil usw. usw. Nur was soll dieser Richter-Überbietungswettbewerb, wie Du es treffend ausdrückst?

    Richter hat ja in seiner zum Teil extremen Langsamkeit seinerzeit wohl auch gegen ein bestimmtes Schubert-Bild angespielt, indem er sich diesem demonstrativ verweigerte. Inzwischen haben sich aber sozusagen die Rahmenbedingungen verändert, wozu gerade Richter (wie zuvor z.B. Schnabel) nicht wenig beigetragen hat: Niemand wird mehr ernsthaft Schubert für einen Salonkomponisten im Umfeld des Dreimäderlhauses und bloßen Erfinder hübscher Melodien halten, niemand glaubt ihn durch Bearbeitungen oder Kürzungen "verbessern" zu müssen, niemand hat mehr Zweifel an der herausragenden Bedeutung seiner großen Instrumentalwerke. Inzwischen besteht vielleicht sogar die umgekehrte Gefahr, dass man ihn allzu einseitig als der Welt abgewandten und verzweifelt auf den Tod wartenden ewigen Trauerkloß spielt, der permanent und ausschließlich von den letzten Dingen spricht, und dabei den geselligen, den virtuos glänzenden Schubert vergisst, der auch Wirkung erzielen und ganz einfach Erfolg haben wollte. Insofern gehörte heutzutage vielleicht sogar mehr künstlerischer Mut dazu, wieder einmal mehr diese Aspekte zu betonen und ihn zurück ins Leben zu holen (wie es in mancher Hinsicht Krystian Zimerman bei seiner Einspielung der späten Sonaten gemacht hat) als einfach nur Richters Langsamkeit und grandiose Einseitigkeit immer noch weiter zu treiben. Es ist nie eine gute Idee, radikal neue Sichtweisen nachzuahmen, weil sie dann nicht mehr neu, aber auch nicht mehr radikal sind.

  • Lieber Christian,

    die Afanassiev-Aufnahme habe ich auch und höre sie weniger gerne - u.a. mir zu langsam. Komisch nicht, obwohl sie immer noch schneller ist, als diejenige von Tobias Koch.

    Den Unterschied macht das Instrument. Ich finde faszinierend, daß ich das Gefühl habe, von den Bässen bis in den Diskant nahezu drei verschiedene Instrumente zu hören, sehr schön gleich zu Anfang des Kopfsatzes zu hören, wenn nach dem zweiten Baßtriller die Modulation des Themas in neuer Tonart einsetzt. Der jetzt einsetzende silbrige Klang des Instrumentes (Dämpfereinsatz?) läßt den Gedanken aufkommen, der Hammerflügel könnte zwei Manuale haben. Die Langsamkeit des Vortrages läßt es zu, mehr in das Verklingen des Instruments hineinzuhören.

    Mit der fehlenden Sanglichkeit des Flügels hast Du ebenso recht wie mit dem willkürlich erscheinenden Vorhopser des Baßtones - nur stört mich das weniger als Dich.
    Ersteres ist bei extrem langsamer Tempowahl dem instrumentenbedingt weitgehenden Fehlen von Sustain ab dem c" zu verdanken - ein Manko, daß mich eigentlich bei allen Fortepianos immer schon etwas gestört hat, aber nicht zu ändern ist. Die eigenwillige Baßbegleitung im 2. Satz führt zu einem ziemlich schrägen, hinkenden Rhythmus - definitiv ein flowkiller, aber (für mich) interessant. Meiner musikalischen Phantasie werden dadurch andere, bislang unbekannte Räume innerhalb dieses von mir sehr geschätzten Stückes geöffnet.

    Natürlich wird diese Interpretation meine Lieblinge Lupu und Perahia nicht verdrängen, aber als Ergänzung ist sie sehr willkommen.

    Ich kann gut verstehen, daß Du und ML nichts mit der Sache anfangen können. Mehr als Stirnrunzeln bereitet mir aber Eure Unterstellung, der Interpret Koch wolle den Langsamkeitsrekord von Richter brechen oder betätige sich als "Epigone". Also Herrschaften, was soll das denn? Er spielt langsam, na und? Ich kenne die Richter-Aufnahme nicht, aber die - wie gesagt - sehr langsame Afanassiev-Einspielung. Sie hat nichts mit der Koch-Interpretation zu tun und umgekehrt - trotz gemeinsam innewohnender Langsamkeit.

    Ich für meinen Teil billige dem Mann zu, sein Spiel nach einer autonomen interpretatorischen Entscheidung auszurichten und nicht nach irgendwelchen Rekorden.

    Man kann das Ergebnis für mißlungen halten, und Du, Christian hast Deine Sichtweise auch nachvollziehbar begründet. Aber wozu diese ungute persönliche Herabsetzung des Künstlers?

  • wozu diese ungute persönliche Herabsetzung des Künstlers?

    Sollte damit (auch) ich angesprochen sein: Ich habe nicht den Künstler Tobias Koch, der nach Deinen eigenen Angaben 31:37 min. für den Kopfsatz braucht, "persönlich herabgesetzt", sondern nur geäußert, dass ich in meinem CD-Kaufverhalten keinen Bedarf sehe für Einspielungen, die noch langsamer sind als Richters bahnbrechende Aufnahmen, und dass ich bei der Lust nach anderen Interpretationsansätzen lieber zu - im Tempo schnelleren - Interpretationen wie z.B. Horowitz 1953, Horowitz 1986, Eduard Erdmann, Leon Fleisher, Clara Haskil und übrigens auch der ganz hervorragenden Einspielung von

    Perahia

    greife. Das ist keine "persönliche Herabsetzung" eines Künstlers. Wenn jeder Künstler, dessen CDs ich nicht kaufe, sich dadurch "herabgesetzt" fühlt, dann hätte ich den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Beschwerdemails zu beantworten.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Ich kann gut verstehen, daß Du und ML nichts mit der Sache anfangen können. Mehr als Stirnrunzeln bereitet mir aber Eure Unterstellung, der Interpret Koch wolle den Langsamkeitsrekord von Richter brechen oder betätige sich als "Epigone". Also Herrschaften, was soll das denn? Er spielt langsam, na und? Ich kenne die Richter-Aufnahme nicht, aber die - wie gesagt - sehr langsame Afanassiev-Einspielung. Sie hat nichts mit der Koch-Interpretation zu tun und umgekehrt - trotz gemeinsam innewohnender Langsamkeit.

    Ich für meinen Teil billige dem Mann zu, sein Spiel nach einer autonomen interpretatorischen Entscheidung auszurichten und nicht nach irgendwelchen Rekorden.

    Man kann das Ergebnis für mißlungen halten, und Du, Christian hast Deine Sichtweise auch nachvollziehbar begründet. Aber wozu diese ungute persönliche Herabsetzung des Künstlers?

    Da ich den Künstler gar nicht kenne, kann ich auch nichts über seine Person schreiben. Was ich meinte, ist dieses: Es gibt bei dieser Sonate eine - noch nicht sehr alte - Aufführungstradition, zu der sich jeder Interpret irgendwo positioniert. Wer das "molto moderato" so extrem langsam deutet, bezieht sich automatisch auf Richter und dessen bahnbrechende Schubert-Entdeckungen. Das ist so ähnlich, als wenn man Bach non legato spielt, und damit gar nicht anders kann, als mit Glenn Gould in Verbindung gebracht zu werden.

  • Übrigens noch einmal hierzu:

    Aber wozu diese ungute persönliche Herabsetzung des Künstlers?Ich für meinen Teil billige dem Mann zu, sein Spiel nach einer autonomen interpretatorischen Entscheidung auszurichten und nicht nach irgendwelchen Rekorden.

    Man kann das Ergebnis für mißlungen halten, und Du, Christian hast Deine Sichtweise auch nachvollziehbar begründet. Aber wozu diese ungute persönliche Herabsetzung des Künstlers?


    Ich hatte ausdrücklich geschrieben:

    Um nicht missverstanden zu werden: Das ist in seiner Art alles schon gut gespielt

    Und inwieweit bei einem (inzwischen) so berühmten Stück wie der B-Dur-Sonate künstlerische Entscheidungen überhaupt "autonom" sein können, wäre eine interessante Frage. Ich vermute, dass das schwer wird, wenn man nicht sein bisheriges musikalisches Leben auf dem Mars verbracht hat. Jemandem das zu unterstellen wäre allerdings "persönliche Herabsetzung", und das wollen wird doch beide nicht :) ,

    Ich kenne die Richter-Aufnahme nicht, aber die - wie gesagt - sehr langsame Afanassiev-Einspielung. Sie hat nichts mit der Koch-Interpretation zu tun und umgekehrt - trotz gemeinsam innewohnender Langsamkeit.


    Das ist eine ziemlich vorschnelle Behauptung. Um nur mal eine von vielen Gemeinsamkeiten zu nennen: Die genannten vorausklappernden Basstöne beim Andante gibt es genauso bei Afanassiev. Es gibt natürlich auch Unterschiede, und ich weiß selbstverständlich auch nicht, ob Tobias Koch die Afanassiev-Aufnahme kennt, aber im Ergebnis gehen sie beide in eine ähnliche Richtung und finden auch in vielen Details ähnliche Lösungen.

    sehr schön gleich zu Anfang des Kopfsatzes zu hören, wenn nach dem zweiten Baßtriller die Modulation des Themas in neuer Tonart einsetzt. Der jetzt einsetzende silbrige Klang des Instrumentes (Dämpfereinsatz?) läßt den Gedanken aufkommen, der Hammerflügel könnte zwei Manuale haben.


    Ja, das ist der besagte Una-corda-Effekt. Man kann übrigens auch bei modernen Flügeln die Stärke der Klangveränderung durch das Maß an Verschiebung einstellen. Die meisten Pianisten bevorzugen eine Einstellung, bei der der Klangunterschied nicht sehr groß ist, aber je nach Werk bzw. gestalterischer Idee kann man das (mit einer einzigen Schraube) auch anders regulieren.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!