Schubert: Klaviersonate B-Dur, D. 960

  • Und noch eine, die in ihrer Gesamtheit zu den längsten zählt, dies aber weil das Finale nicht überhetzt, sondern tatsächlich ma non troppo gespielt ist und so der Bogen zwischen dem ersten und dem letzten Satz gespannt wird:

    Das gute alte yt bietet Dir auch Vladimir Sofronitsky an, wieder ein Russe zum Vergleich ;-), aber die Suche lohnt sich ... Sein Tempo im ersten Satz ist nicht auf der Richter/Afanassiev Seite, mehr sage ich nicht ...
    Um mit Russen fortfahren, auch auf yt, aber diesmal für fortgeschrittene, Maria Yudina, die eine höchst eigenwillige Dekonstruktion der Sonate betreibt. Nicht gut, um sie kennenzulernen. Yudina engagiert sich wie immer, spielt wie in Trance und dabei vergißt man, daß es sich um Schuberts D960 handelt. Man kann's hassen oder sich anstecken lassen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Demnach kann ich also davon ausgehen, dass der von mir manchmal verschieden wahrgenommene "Grundklang" einer Interpretation wirklich vom Pianisten ausgeht?

    Solange es sich um Instrumente aus vergleichbarer Zeit handelt, ja. Der Einfluss der Raumakustik, der Mikrophonierung, Abmischung, Hallbeigabe usw., alles das wirkt sich bei Aufnahmen mindestens so stark auf das klangliche Ergebnis aus wie der Grundklang des Instrumentes. Entscheidend ist aber immer der Pianist. Man kann z.B. das wunderbare Kantabile von Emil Gilels auch auf alten Aufnahmen und quer über fast alle verwendeten Instrumente hinweg hören. Den Instrumentenklang kann man eher im Konzert erleben, aber auch da hat die Spielweise des Pianisten einen weit größeren Einfluss als das verwendete Instrument. Ich habe vor vielen Jahren mal ein Konzert gehört, in dem Sir Geog Solti das d-moll-Konzert von Mozart spielte und Murray Perahia dirigierte. Anschließend tauschten die beiden die Rollen für das B-Dur-Konzert KV 595 (um am Ende gemeinsam das Doppelkonzert Es-Dur zu spielen), und der klangliche Unterschied war frappierend: Wo es bei Solit temperamentvoll, aber recht hölzern, grob und wenig differenziert zur Sache ging, holte Perahia aus demselben Instrument in derselben Akustik eine Fülle von weichen, sanglichen und innigen Tönen hervor. Den Einfluss der Akustik habe ich mal sehr eindrucksvoll beim ARD-Wettbewerb erlebt, wo nach den ersten Runden im Amerika-Haus das Finale dann im Herkules-Saal stattfand. Ich war der festen Überzeugung, endlich einen guten Flügel unter den Fingern zu haben, bis ich anhand der Seriennummer erkannte, dass es derselbe war wie zuvor. Allein der Saal hat ihn so veredelt, dass ich ihn selbst beim Spielen nicht wiedererkannt habe.

    Christian

  • Klaviersonate D. 960!!! Überall, überall diese Klaviersonate! :D

    Du könntest Dir auch eine Aufnahme auf Hammerklavier anhören. Diejenige, die mir am meisten zuspricht, ist diese:


    Habe mal in die Hörproben reingehört...vorher noch nie ein Hammerklavier zu Ohren gehabt, klingt doch für mich äußerst gewöhnungsbedürftig, das hat im ersten Moment sowas unernstes für mich...

    Das gute alte yt bietet Dir auch Vladimir Sofronitsky an, wieder ein Russe zum Vergleich ;-), aber die Suche lohnt sich ... Sein Tempo im ersten Satz ist nicht auf der Richter/Afanassiev Seite, mehr sage ich nicht ...
    Um mit Russen fortfahren, auch auf yt, aber diesmal für fortgeschrittene, Maria Yudina, die eine höchst eigenwillige Dekonstruktion der Sonate betreibt. Nicht gut, um sie kennenzulernen. Yudina engagiert sich wie immer, spielt wie in Trance und dabei vergißt man, daß es sich um Schuberts D960 handelt. Man kann's hassen oder sich anstecken lassen.

    Zu Vladimir Sofronitsky sage ich nach einmal hören, dass er, wie du richtig erwähnt hast, im Gegensatz zu Richter und Afanassiev, temporeich ist, aber immer noch gefühlt langsamer und gemäßigter als Pollini.
    Aber herzliche Dank, Philbert, dass du mich auf Maria Yudina aufmerksam gemacht hast! :)
    Die ist ja wunderbar! :faint: Eigenwillig ganz gewiss und im ersten Moment irritierend, aber letzthin hat sie mich absolut gefesselt, gerade auch in den den dramatischen Passagen entwicklelt sie eine fast körperlich spürbare Wucht, die fast schon fatalistisch daherkommt! :juhu:

    Übrigens ganz nebenbei gibt es bei yt diesen "Interpretationsvergleich" zu hören (Staiers Hammerklavier wirkt auf mich weniger plump als Dähler...aber bei beiden sind es freilich nur Ausschnitte) :
    "

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    "

    Nun zu den drei verbliebenenen Kandidaten meiner Liste :

    Der Einfluss der Raumakustik, der Mikrophonierung, Abmischung, Hallbeigabe usw., alles das wirkt sich bei Aufnahmen mindestens so stark auf das klangliche Ergebnis aus wie der Grundklang des Instrumentes. Entscheidend ist aber immer der Pianist.


    Erstmal danke für deine Ausführungen, gerade beim Hören der anderen drei Versionen hatte ich wieder so ein Erlebnis, dass da der Grundton in der Aufnhame ganz anders klingt als bei den anderen.

    Lang Lang (Prag 2012)
    der Klang ist hier in jedem Fall voller und dicker als in allen anderen Aufnahmen, die ich gehört habe, überhaupt wirkt die ganze Interpretation auf mich sehr massig, wuchtig und teilweise schwer (also klanglich), der Bass äußerst tief angeschlagen, was manchmal ein bisschen rustikal-polternd klingt, aber definitiv eine sehr angenehme Version.

    Christoph Eschenbach
    erinnert mich an Lili Kraus, weder besonders eilig, noch sehr getragen und trotzdem manches Mal behäbig (obwohl ja Richter und Afanassiev viel langsamer sind), sie wirkt auf mich ein wenig charakterlos, ist aber keinesfalls schlecht

    Maria João Pires
    eine Mischung eher zügigerem Tempo, gepaart mit Leichtfüßigkeit ,schöne Tiefen, die starke Kontraste zum Rest bilden, wirkt sehr vital und kraftvoll, beinah energisch-trotzig

    Ich werde natürlich weiterhin an dem Werk dranbleiben (dazu habe ich es viel zu sehr ins Herz geschlossen, als das ich es jetzt einfach ad-acta legen könnte) und auch die verschiedenen Interpretationen bieten ja immer wieder Raum zur Beschäftigung. Auch wenn ich meine Favoriten habe, haben mir doch alle Versionen gut gefallen (liegt wahrscheinlich auch im Werk selbst begründet) und kann gar nicht entscheiden, ob ich zügiges Tempo oder Getragenheit bevorzuge, beides hat für mich seinen Reiz.
    Erstaunlich nur, dass dadurch manchmal das Werk geradzu ambivalent auf mich wirkt, janusköpfig, denn zügig gespielt kann es fast fröhlich tänzelnd wirken, während bei Zelebrierern wie zb Richter die Melancholie an jeder Ecke seufzt. Bemerkenswert.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Zurück zum Urspung

    D960 gehört zu meinen erklärten Lieblingswerken aus der Klavierliteratur, seit ich das Werk in Neumünster von Steven de Groote interpretiert hören durfte.
    Das dürfte 25 Jahre her sein.
    OK, ich habe Richter (3-mal), ich habe die ECM Aufnahme mit Afanasiev, das ist mir alles viel zu gestelzt. Afanasiev geht mir inzwischen regelrecht auf den Keks. "Bedeutung pumpen", als sei der Hörer völlig doof.

    Dann kam zu seinem 75. Geburtstag ne Aufnahme Serkins (CBS LP) heraus. Das war schon besser, weil der 1. Satz nicht so pathetisch daherkam, sondern besser eingebunden war ins Gesamtwerk.

    Haskil und Brendel waren nett, aber weil sie die Wiederholungen im 1. Satz schnöde auslassen, sind sie nicht im engeren Kreis. Horowitzchens Aufnahme ist eher komisch.

    Nun höre ich Leon Fleisher. Der gefällt mir, der alte Schnabel Schüler. Man muss kein Supertechnikpianist sein für Schubert. Das kann Fleisher nicht mehr so ganz.
    Doch der 2. Satz ist zum Niederknien! Und DA LÄSST ER SICH ZEIT! (11:05)
    Nicht im 1. Satz (20:54)
    So stimmt der Rest ganz einfach. Leon ist einfach sehr musikalisch, will sagen, er begreift das Werk als Ganzes, nicht als Sammelsurium von Stücken, die zu einer Sonate gebunden wurden.

    Hier eine Rezension dazu:

    Zitat

    the Schubert B-flat sonata, the pianist makes it sound so simple, so inevitable, yet the layers of insight by means of accentuation, balances between the hands, and harmonic clarification continue to unravel with each rehearing. I’m struck by the sense of proportion governing the long first movement’s subtle tempo modifications, the slow movement’s yearning cantabiles against a resolutely bedrock accompaniment, the care with which the pianist differentiates the staccatos from the accented forte/subito pianos in the Scherzo, and by the angular, exuberant Finale that has all of Schnabel’s drama yet none of his sloppiness (the difficult dotted-rhythm octaves pose no problems here).

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Nun höre ich Leon Fleisher. Der gefällt mir, der alte Schnabel Schüler. Man muss kein Supertechnikpianist sein für Schubert. Das kann Fleisher nicht mehr so ganz.
    Doch der 2. Satz ist zum Niederknien! Und DA LÄSST ER SICH ZEIT! (11:05)
    Nicht im 1. Satz (20:54)
    So stimmt der Rest ganz einfach. Leon ist einfach sehr musikalisch, will sagen, er begreift das Werk als Ganzes, nicht als Sammelsurium von Stücken, die zu einer Sonate gebunden wurden.


    Ist das diese Aufnahme? (würde ich evtl. auch mal reinhören wollen) :

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Dank dem Doc, habe ich die Fleisher-Version jetzt auch hören können und finde sie wirklich sehr schön.
    Allein der Klang gefällt mir schon, weil er etwas sehr Weiches und Volles hat.
    Im Übrigen finde ich gar nicht, dass Fleisher so viel schneller oder langsamer spielt als die anderen, er findet eine angenehme Mitte zwischen sehr getragen, wie Richter und äußerst zügig wie Pollini. Fleisher spielt mir auch etwas verhaltener, eher zurückhaltend, was aber keinesfalls negativ gemeint sein soll.
    Insgesamt eine Aufnahme, die ich unter meine Obersten stellen würde, wenn auch Valery Afanassiev trotzdem noch meine bisherige Nr. 1 bleibt.
    Weswegen ich auch folgendes nicht ganz nachvollziehen kann :

    ich habe die ECM Aufnahme mit Afanasiev, das ist mir alles viel zu gestelzt. Afanasiev geht mir inzwischen regelrecht auf den Keks. "Bedeutung pumpen", als sei der Hörer völlig doof.


    Gut, dass nicht jeder mit seinem Tempo leben kann, verstehe ich ja noch, aber auf "Bedeutung pumpen" müsstest du mir doch noch mal näher erläutern. Vielleicht mag ich es auch nur besonders bedeutungsschwanger.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Dank dem Doc, habe ich die Fleisher-Version jetzt auch hören können und finde sie wirklich sehr schön.
    Allein der Klang gefällt mir schon, weil er etwas sehr Weiches und Volles hat.
    Im Übrigen finde ich gar nicht, dass Fleisher so viel schneller oder langsamer spielt als die anderen, er findet eine angenehme Mitte zwischen sehr getragen, wie Richter und äußerst zügig wie Pollini. Fleisher spielt mir auch etwas verhaltener, eher zurückhaltend, was aber keinesfalls negativ gemeint sein soll.


    Hallo,

    kennt ihr die frühe Aufnahme von Fleisher von 1956? Ich liebe seine Aufnahme von 2004 sehr, aber die von 1956 steht der späten m.E. in nichts nach; auch in seiner frühen Aufnahme besticht Fleisher durch sein weiches und verhaltenes, aber doch volles Spiel; dazu kommt nur noch eine irgendwie jugendliche Frische und Unverbrauchtheit, vielleicht kann man auch Klarheit sagen, die absolut bezaubernd ist. Dabei - und das muss unterstrichen werden - wird der Tiefe und Melancholie der ersten beiden Sätze überhaupt nichts genommen, im Gegenteil. Vielleicht ist es gerade dieses Vereinen von Leichtigkeit und Schwere, die das Faszinierende dieser Aufnahme für mich ausmacht. In meinen Augen ein "jugendlicher" Geniestreich. Fleisher war gerade mal 28 Jahre alt, und es scheint seine erste Schallplatte gewesen zu sein.

    Die Tempi sind naturgemäß etwas schneller gewählt, was jedoch überhaupt nicht abträglich ist. Die schon erwähnte unglaubliche Musikalität Fleishers kommt hier voll zum tragen. Der Klang der Aufnahme ist trotz des Alters sehr sehr gut. Schade nur, dass Fleisher hier im ersten Satz die Wiederholung weglässt. Trotzdem: einfach wunderbar.

    Leider scheint die CD derzeit schwer erhältlich zu sein. Wer sie irgendwo ergatterm kann: zugreifen.

    Grüße Bauernfeld

  • Afanasiev: Was mich heute stört, früher habe ich die Aufnahme sehr gemocht:
    Pausen, wo keine hingehören, Verlangsamen, wo es nicht angebracht ist im1. Satz und dann im 4. Satz teilweise manuelle Überforderung. Das betrifft seine 1. Einspielung, die bei ECM erschien. Die andere kenne ich nicht.
    Fleisher: Mir gefällt diese Aufnahme von 2004 außerordentlich, weil sie eben den Fluss der Musik nie unterbricht und doch für mich genau das zum Ausdruck bringt, was in den ersten Beiträgen hier beschworen wird.
    Schubert hat immer wieder Lieder komponiert. Dieses Liedhafte, Singbare sollte auch seine Klavierwerke bestimmen, wenn sie interpretiert werden. So sehe ich das.. Das mögen andere ganz anders sehen!
    Richter: Eine eigene Welt. Mir gefiel es früher sehr, heute weniger, ich fürchte, Richter nahm diese Sonate immer sehr persönlich.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • ich fürchte, Richter nahm diese Sonate immer sehr persönlich.

    Absolut. Kaum war Richter mal so subjektiv wie hier. Deswegen ist seine Interpretation ja auch selbst für seine Verhältnisse so herausragend. Er krempelte mit seiner unvorstellbaren Langsamkeit im 1. Satz die Rezeptionsgeschichte dieses Spitzenwerks der Klavierliteratur geradezu um. Wenn man sich auf seine Sicht der Dinge einmal eingelassen hat, wird seine Interpretation geradezu unausweichlich.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Rubinsteins Aufnahmen von D960

    Arthur Rubinstein hat D960 zweimal aufgenommen. Das erste Mal 1965, erhältlich auf dieser CD:

    Das zweite Mal 1969, hier veröffentlicht:

    An beiden Aufnahmen gefällt mir persönlich (ganz abgesehen vom wie immer wunderbar singenden Klavierton Rubinsteins), dass er den 2. Satz (Andante sostenuto) nicht wie viele seiner Kollegen mit zu viel Pathos und Pedal überfrachtet, sondern die Musik in ihrer schlichten berückenden Schönheit wirken lässt, ohne sie dabei irgendwie zu verharmlosen. Ganz ähnlich wie der oben erwähnte Fleisher und natürlich Sviatoslav Richter.

    Von beiden bevorzuge ich die spätere Einspielung von 1969, die mir tiefer und inniger erscheint, während die frühere im Vergleich für mich etwas zu leichtfüßig wirkt. Auch die Tempi sind in der Aufnahme von 1969 breiter. Es mag sein, dass die Aufnahme 1969, wie im Booklet zu lesen ist, manchmal etwas unzusammenhängender, vielleicht sogar ein wenig stockend ist, während Rubinstein 1965 glatter und flüssiger spielte. Dies jedoch auf ein der Aufnahme vorangehendes "extrem spannungsgeladenes, entnervendes Telefongespräch Rubinsteins mit seinem älteren Sohn" (Zitat Booklet Aufn. 1969) zurückzuführen, erscheint mir doch sehr platt und einer Künstlerpersönlichkeit vom Range Rubinsteins unangemessen. Meines Erachtens ist die Interpretation 1969 genau so gewollt. Nicht umsonst hat Rubinstein nach 1965 auf einer weiteren Aufnahme der Sonate bestanden und nur diese von 1969 zur Veröffentlichung freigegeben (s. Booklet). Ich finde sie sehr sehr schön.

    Grüße Bauernfeld

  • Habe in letzter Zeit immer mal wieder die Pollini-Version gehört mit der alles anfing :

    In meinem großen Vergleich habe ich ja schon einiges dazu gesagt und mittlerweile empfinde ich die Härte aber gar nicht mehr als so störend, sondern richtiggehend elektrisierend, die Dramatik macht immer mehr Eindruck auf mich und mein Inneres (das ist fast körperlich spürbar). Auch in den getrageneren Passagen kommt mir das immer mehr entgegen, alles wirkt so komprimiert-spannungsvoll, ohne jeden Durchhänger.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Man hat ja seine Vorlieben, das ist klar, beim gestrigen Hören habe ich aber zum wiederholten Mal gerade bei dieser Sonate festgestellt, dass mir die Sätze 1 und 2 viel mehr geben als die Sätze 3 und 4. So habe ich mich gestern erneut gefragt, woran das liegt: nachlassende Höraufmerksamkeit, unzureichende geistige Durchdringung des musikalischen Geschehens? Ist alles möglich, trotzdem interessiert mich speziell bei dieser Sonate: Geht es jemandem von euch wie mir? Pointiert gesprochen also: Sätze 1 und 2: allerwundervollste Musik, Sätze 3 und 4: Der Vorsprung wird ins Ziel gebracht?

    Komisch, geht mir nicht so. Aber das kann auch daran liegen, dass diese Sonate einer der ersten klassischen Werke ist, die ich gehört habe, und ich sie seit je liebe. Auch finde ich die letzten beiden Sätze nicht so auffallend abfallend. Sie sind immer noch ambivalent; das Scherzo keine einfache Auflockerung zum Durchatmen nach der Anstrengung der ersten beiden, und das Finale nicht einfach nur ein Rausschmeißer, nach dem alles wieder gut ist. Aber mir geht es auch oft auch so, dass der erste Satz gewissermaßen die Hauptsache ist.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Das habe ich nun davon! Oben hat Bauernfeld zwei Rubinstein-Aufnahmen gelobt. Weil ich diesen Herrn ganz allgemein gern Klavier spielen höre, habe ich mehr oder weniger zufällig die erstabgebildete CD gekauft:

    Von der bin ich nach mehrfachem Hören so begeistert, dass ich jetzt auch die andere Einspielung brauche!

  • Von der bin ich nach mehrfachem Hören so begeistert, dass ich jetzt auch die andere Einspielung brauche!

    Das habe ich nun davon! Oben hat Bauernfeld zwei Rubinstein-Aufnahmen gelobt. Weil ich diesen Herrn ganz allgemein gern Klavier spielen höre, habe ich mehr oder weniger zufällig die erstabgebildete CD gekauft:


    Hallo Knulp,

    freue mich, dass Dir die erste Rubinstein-Aufnahme so gut gefallen hat, dass Dich jetzt auch die zweite interessiert (wenn darunter auch der Geldbeutel wieder einmal leidet). Bin gespannt auf Deine Erfahrungen beim Vergleichs-Hören!

    Grüße Bauernfeld

  • Ein persönlicher Höreindruck:

    Darauf war man gespannt: Krystian Zimerman, der sich was Tonträger betrifft wirklich rar gibt, hat im September 2017 die letzten beiden Schubert Klaviersonaten bei DGG veröffentlicht (CD DGG 00289 4797588), aufgenommen im Jänner 2016 im Kashiwazaki City Performing Arts Center in Japan. Im im Booklet der für DGG CDs ungewöhnlichen Digipackveröffentlichung abgedruckten Gespräch verweist Zimerman auf die eigene Klaviatur des gewählten Instruments und die Möglichkeiten, mittels geändertem Hammeranschlag mehr Gesangliches herauszuholen.

    Für den ausgiebigen 1. Satz findet Zimerman (dies höre ich als geborener Wiener so) einen heimeligen, fließenden Duktus, der Geborgenheit suggeriert, Musikalisches unaufdringlich aber doch intensiv aus großer Übersicht und Selbstkontrolle schälend. Die Pause im Takt 4, dann bei den Übergängen zur Expositionswiederholung und zur Reprise und im analogen Takt während der Reprise „spielt“ Zimerman als völligen Stillstand, als Sein im Nichts, aus dem man einen Neuansatz erhofft. Die aufsteigenden raschen Zerlegungen im Takt 112 und analog in der Reprise kommen wie Lichtstrahlen. Zimerman bekennt sich zur Wiederholung der Exposition, der einzig hier laut gespielten Bassfigur wegen. Das Geheimnis, das Zimerman über die Durchführung legt, ist Musik pur, ich möchte keine Worte dafür finden (müssen). Die letzten Takte des 1. Satzes wirken auf mich dann wie ein wehmütiger Abschied. Jetzt hat man sich nach fast 25 Minuten in dieser Welt einigermaßen zurechtgefunden, ja nahezu eingelebt, aber es gibt kein Verweilen darin, die Loslösung ist gefordert.

    Der 2. Satz, Andante sostenuto, für mich eines der größten Wunder der gesamten Klaviermusikliteratur, heilige Musik geradezu, atmet in den Rahmenteilen bei Zimerman eine Verlassenheit, eine Verlorenheit sondergleichen. So stelle ich mir die Situation im letzten „Winterreise“ Lied vor, der Sänger und der Leiermann. Und doch: Zimermans Spiel verheißt auch Hoffnung, Trost - aber eben in der Isolation kalter Einsamkeit. Wie Zimerman den großen Bogen des choralartig beginnenden Mittelteils spannt höre ich wieder aber sowas von „als ganz Musik“, suggestiv, aber nicht aufdringlich, tief erfühlt hochmusikalisch, dabei nobel zurückhaltend, nie vordergründig auftrumpfen wollend. Und dann, zurück in der Verlorenheit, Takt 103, plötzlich C-Dur – ja, auch da verbirgt sich ein Geheimnis. Und selbst in dieser Welt: Musst du sie verlassen, begibst du dich in eine weitere unsichere Verlorenheit, wieder spielt Zimerman eine Wehmut mit in den letzten Takten.

    Über dem 3. Satz steht „Allegro vivace con delicatezza“, und genau so höre ich Zimermans Spiel dieses Satzes. Erneut: Für den geborenen Wiener (für mich halt) ein Zuhausesein.

    Beim Finale dieser Sonate habe ich immer ein Wiener Ringelspiel im Kopf. Das kann auch abrupt abgestoppt werden. Zimerman spielt diese Abstoppungen (der Satz beginnt ja mit solch einer Bremsung) wirklich als fp (Forte-Piano), er tönt, er bremst den Klang sofort ab. Das ist ein echtes Stehenbleiben, die Bremsen sind strikt, ins Tonlose, angehalten. Umso „musikalischer“ variiert das Ringelspiel „im Betrieb“ sein Fahrtempo, es rollt an, rollt aus, lässt die Menschen zwischendurch so richtig im Kreis wirbeln, alles dreht sich – Zimerman „schildert“ so wie ich es höre eine höchst lebendige, abwechslungsreiche Ringelspielrunde.

    Mein Gesamteindruck: eine für mich wirklich bereichernde diskografische Ergänzung in der Aufnahmegeschichte dieser Sonate. Ein großer Pianist unserer Zeit hat hier einmal mehr was Essentielles zu sagen, wohlüberlegt und nobel genauso wie demütig aus tiefstem Herzen hochmusikalisch.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Ich bin kein Wiener - Zimerman bekanntlich auch nicht, übrigens - und ich finde, daß die Wiener Brille die Sicht über Schuberts Musik gefährlich einschränken kann, wenn sie zu exklusiv angewendet wird (Paul Badura-Skoda ist gelegentlich ein Beispiel davon; Eva übrigens auch).
    Trotzdem finde ich Alexanders Beschreibung einleuchtend und übernehme seine Schlußsätze ganz.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich muss hier etwas richtig stellen. Es war keineswegs meine Absicht, Alexanders Sichtweise oder gar deren Darstellung als "gefährlich " zu kennzeichnen. Ich bin von Alexanders Analyse sehr angetan, finde gut, dass er sie mit seiner Wiener Sensibilität verbinden kann und bin glücklich darüber, dass so eine Brücke zwischen dem Wiener Schubert und dem "Weltschubert" entsteht. Ein ähnlicher Fall geschah mit einer Interpretation vom Trio D898 durch totale Nicht-Österreicher, die auch eine ähnliche Brückenfunktion bekam.
    Die "gefährliche Einschränkung " sehe ich, wenn ich lese :"Ich bin Wiener / Österreicher und deshalb weiß ich, wie man Schubert interpretieren muss ". Das hat keineswegs Alexander gemeint und ich wollte gerade seine Aussage von deren eines Paul Badura-Skoda unterscheiden, der obige Worte fast buchstäblich in der Einleitung seiner RCA Aufnahmen schreibt.
    Zimerman kann es nicht schreiben, und trotzdem bringt er uns einen Schubert, mit dem sich ein Wiener zu Hause fühlt. Vielleicht hat es etwas mit dieser Sehnsucht nach einem Zuhause, die auch Schuberts Musik innewohnt.
    Mit Badura-Skoda habe ich gelegentlich das Gefühl, mich nicht zu Hause zu fühlen. Und da steht aber sinngemäß :"dies ist mein und Schuberts Zuhause, ergo ist es das richtige ". Dies ist es, was ich gefährlich einschränkend finde und es ist ziemlich genau das Gegenteil von Alexanders humanistischer Herangehensweise.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Beim Finale dieser Sonate habe ich immer ein Wiener Ringelspiel im Kopf. Das kann auch abrupt abgestoppt werden. Zimerman spielt diese Abstoppungen (der Satz beginnt ja mit solch einer Bremsung) wirklich als fp (Forte-Piano), er tönt, er bremst den Klang sofort ab. Das ist ein echtes Stehenbleiben, die Bremsen sind strikt, ins Tonlose, angehalten. Umso „musikalischer“ variiert das Ringelspiel „im Betrieb“ sein Fahrtempo, es rollt an, rollt aus, lässt die Menschen zwischendurch so richtig im Kreis wirbeln, alles dreht sich – Zimerman „schildert“ so wie ich es höre eine höchst lebendige, abwechslungsreiche Ringelspielrunde.

    Ich kenne dieses Wiener Ringelspiel nicht, auch nicht die Wiedergabe von Zimmermann. Die Beschreibung Abbremsen (mit dem Forte-Piano) kommt mir sehr gut rüber, wie auch Verweis auf Ringelspiel.

    Dieser Anfang (Einleitung) ist ja so was wie Oktave und hat irgendwie Charakter eines wiederkehrenden „Motivs“ im Verlauf des gesamten 4. Satzes. Wenns Akkord statt Oktave wäre, wäre, käme mir der Anfang nicht so kahl rüber. Das Ringelspiel wird bereits zu Beginn durch bleichen Oktavklang quasi skeletiert...

    Mir kommt dieser Satz auch so rüber, als ob das Ringelspiel immer wieder unterbrochen wird.. z.B. das 2. Thema versandet ... und ich finde, dazu würde m.E. auch passen, deine Beschreibung „ins Tonlose“ ... plötzlich, wie unvermittelt ein 3. Thema, dass mich an Tarantella von Schuberts C-Moll-Sonate (4. Satz) und entfernter etwas an Schuberts d-moll-Quartett (auch 4. Satz) erinnert.. bildet Tarantella so was wie ein Topos in Schuberts Mucke ?

    Vor 1 paar Wochen zog ich mir wieder mal die Einspielung mit Maria João Pires rein. Sie spielt den Anfang des 4. Satzes in gleichsam überschlagender-verzweifelter Hektik. Ein freundlicher Tastenquäler, der sich intensivst mit der B-Dur-Sonate beschäftigt und sie auch fleißig quält (mit 2 x Expo :D ), versicherte mir auf Nachfrage, dass diese Lesart durchaus notengerecht wäre...
    Derlei Eindrücke machen mir die "lebendige, abwechslungsreiche Ringelspielrunde" anderseits letztlich doch sehr brüchig.. und das schafft m.E. das Presto am Ende (nach der Fermate) nicht zu kaschieren .... aber vielleicht trägt eben dieser Kontrast auch zum Fetzigkkeits-Level des 4. Satzes bei....

    Ach ja, hab bisher Schwierigkeiten mir den 4. Satz quasi als Rondo einzuschmeissen, weil der Mittelteil mir wie Durchführung rüberkommt.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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