BACH, JOHANN SEBASTIAN: Ouvertüren Nr. 1-4 (BWV 1066-1069)

  • Diese Doppel-CD mit dem 1988 gegründeten Ensemble Nova Stravaganza unter der Leitung von Siegbert Rampe erschien 2002; die Aufnahmen entstanden ein Jahr zuvor. Zwei weitere Ouvertüren-Sätze (BWV 97 und BWV 119) sind ebenfalls enthalten.

    Die Besonderheit besteht in der Instrumentierung der Urfassungen von vor beziehungsweise um 1720, denn diverse Bläser wurden erst (deutlich) später hinzugefügt. So hört man hier etwa die berühmte Badinerie - die gesamte h-moll-Suite natürlich - ganz ohne Flöte und um einen Ganzton tiefer gesetzt. Für die Rekonstruktion zeichnet Orchesterleiter Rampe verantwortlich.

    Das Booklet ist von wissenschaftlicher Gründlichkeit, aber auch sehr anschaulich geschrieben.

    Eigentlich höre ich die überlieferten späteren Fassungen dann doch lieber, aber die Begegnung ist allemal interessant. Es wird von der Grundhaltung her äußerst straff und herb musiziert.

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Mir ging es ursprünglich wie Yukon: die Orchestersuiten von Bach ließen mich vollkommen kalt. Die Einführungssätze lähmend langsam, statisch, ja sogar tranig - danach einige Highlights, aber insgesamt nicht weltbewegend. Da ich allerdings vor geraumer Zeit die Solokonzerte (d.h. alle Konzerte außer den Brandenburgischen) von Bach in der Aufnahme von Trevor Pinnock erworben hatte und schwer begeistert war, kaufte ich unlängst auch die Pinnock-Aufnahmen der Brandenburgischen und der Orchestersuiten. Und ich bin wieder begeistert. Dass die Werke so frisch und spannend klingen könnten, wäre mir nie eingefallen. Pinnock lässt die Eröffnungssätze sehr schnell spielen, aber nicht in gehetzter oder gar brutaler Weise, sondernd federnd und transparent. Bei diesem Tempo kommt die Rhythmik dieser Sätze viel besser zur Geltung und auch die polyphonen Strukturen werden leichter heraushörbar. Wirkliche Ohrenöffner sind die Eröffnungssätze der beiden D-Dur Suiten! Ansonsten sind die Tanzsätze keineswegs schneller als in anderen Aufnahmen, die ich besitze, aber mit größerer Liebe und vor allem Schönheit gespielt. Pinnock trifft auf hervorragende Weise einen schlanken aber nicht zu sachlichen Ton. Viel eher klingen viele Stellen unglaublich zart, etwa in der h-Moll Suite. Diese Aufnahmen haben also dieselben Vorzüge wie Pinnocks Aufnahme der Violinkonzerte.
    Ganz große Empfehlung für alle, die an diesen Werken zweifeln! Hier kann man reinhören:

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • die Orchestersuiten von Bach ließen mich vollkommen kalt. Die Einführungssätze lähmend langsam, statisch, ja sogar tranig


    Das müßte ja dann an den Aufnahmen gelegen haben - mit welchen hattest du die Suiten kennengelernt?


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Kennengelernt mit der Savall-Aufnahme. Später habe ich Marriner gekauft und der hat mir deutlich besser gefallen, aber nicht so begeistert wie eben Pinnock. Das ganze ist bei Pinnock einfach besser und deutlicher herausgearbeitet, vor allem rhythmisch.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Hier ist eine Aufnahme des berühmten Airs, gespielt von Emanuel Feuermann (Cello) und wahrscheinlich Michael Taube (Klavier):

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    Oder hier, gespielt vom Ensemble "Quattrocelli".

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    Gern hätte ich mal die Noten von deren Arrangement, um sie mal mit meinem eigenen (ebenfalls für vier Cellostimmen - das Ensemble, für das ich das Arrangement gemacht habe, besteht allerdings aus 16 Cellisten, sodass pro Stimme je vier spielen) zu vergleichen...

    Die Savall-Aufnahme habe ich in meiner Sammlung, und mir gefällt sie.

  • Leider ist es schwierig, eine gute Aufnahme der 2. Suite, insbes, des letzten Satzes, der "Badinerie", zu finden. Das Thema dieses Satzes hat in der Zeit, als Handys (die noch nicht Smartphone hießen) nur einstimmige Klingeltöne produzieren konnten, eine erstaunliche Karriere als ebensolcher hingelegt und den einschlägigen Anbietern solcher Tonfolgen reiche Umsätze beschert. Wenn dieser Klingelton nicht schon ohnehin an Bord war.

    (Ich habe mir seinerzeit den Anfang von BWV 565 noch selbst einprogrammiert ...)

    Warum ist eine gute Aufnahme so selten? Weil viele Interpreten den Satz im Geschwindigkeitsrausch spielen. - Mein "Petit Robert" verweist bei "Badinerie" auf das Verb "badiner" ("Ce qu'on fait, ce qu'on dit en badinant") und schreibt zu "badiner": "Plaisanter avec enjouement et légèreté", also etwa: "scherzen/spaßen mit Heiterkeit/Verspieltheit und Leichtigkeit".

    Verspieltheit und Leichtigkeit gehen bei den Temporekordversuchen ambitionierter FlötistInnen leider total unter, es bleibt eine Hetzjagd zur Schlussnote. Sollte es nicht eher verspielt, tändelnd, nicht ganz ernst, locker und leicht sein?

    (dict.leo.org übersetzt "Badinerie" mit "Scherz", was m. E. zu kurz greift und nur einen Aspekt beleuchtet.)

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hier die Badinerie mit einer Voiceflute (einer Tenorblockflöte mit D als tiefsten Ton):

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  • Suites for Dancing

    Es mag sein, dass es inzwischen einige ähnliche Interpretationen gibt, aber um 1990 war die folgende selbst unter den HIP-Einspielungen außergewöhnlich: solistische Besetzung (in der C-Dur-Suite nur Fagott und Cembalo als Bass, kein tiefes Streichinstrument), ungewöhnlich schnelle Tempi der "langsamen" Teile der Ouverturen (und auch von Air und Sarabande), der Titel der CD ist Programm, der Tanzcharakter sollte besonders deutlich werden. Malloch begründet das ausführlich im Beiheft, teils aus eigener Forschung. (Dafür wird kein einziger der Bostoner Solisten namentlich angeführt...)

    In beiden ohnehin eher kammermusikalischen Suiten 1+2 funktioniert das m.E. sehr gut. (MAK in der h-moll mit solistischer Besetzung ist kontrastreicher, etwas mehr Affekt und deutlich langsamere Tempi im "langsamen" Teil der Ouvertüre und der Sarabande), gefällt mir vielleicht noch etwas besser, aber die "orchestralen" Versionen der h-moll klingen für mich inzwischen selbst bei schlanken HIP-Besetzungen zu "dick").

    In den D-Dur-Suiten ist es definitiv gewöhnungsbedürftig, denn die ändern ihren Charakter schon deutlich gegenüber typischen Besetzungen (MAK oder Akademie f. Alte Musik zB mit je 4 1. u. 2. Geigen usw.). Gerade die 4. (die ich ehrlich gesagt, bisher kaum je gehört habe) gefiel mir aber auch ziemlich gut.
    Auch weil die CD (ich habe vor Jahren mal relativ lange danach gesucht) momentan anscheinend günstig gebraucht zu haben ist, meine Empfehlung. (Wobei ich zugegebenermaßen keine andere "solistische" mit Ausnahme von MAK in der h-moll kenne, dieses Alleinstellungsmerkmal hat Malloch/Boston vermutlich längst mehrfach eingebüßt.)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ergänzung: Ich habe festgestellt, dass lt. Beiheft die Akademie f. Alte Musik die h-moll-Suite auch in solistischer Besetzung spielt. War mir interessanterweise nicht aufgefallen, im Gegenteil fand ich die Flöte hier etwas unterbelichtet. Es dürfte auch an der Aufnahmeperspektive liegen, die direkter eingefangene MAK gefällt mir hier jedenfalls besser. Bei den anderen Suiten wählen beide Ensembles eine relativ große Besetzung, da geben sich die Aufnahmen sehr wenig (wobei ich #3 mit MAK nicht habe).

    Beim Wiederhören (oder vermutlich zum ersten Mal fokussiert hören) vor einigen Wochen war ich auch positiv von meiner Prä-HIP-Einspielung mit Leppard überrascht. Zu dick in der Flötensuite, aber die anderen drei gefielen mir sehr gut. (Seine Brandenburgischen Konzerte sind sogar eher noch besser.)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

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