Ars subtilior - Dämmerung des Mittelalters oder Morgenröte einer fernen kompositorischen Zukunft?

  • Ich weiß noch nicht. Dufay interessiert mich im Moment wieder starker. Zeit, Energie und Motivation habe ich aber nur wenig. Seit Monaten konnte ich mir keine neue CD gönnen können, und auch so stecke ich kurz vor Pleite, und habe keine Aussicht auf Besserung. Bin einfach erschöpft.


    Das tut mir sehr leid, Tschab. Ich habe Dich schon seit einiger Zeit vermmisst, hoffentlich brechen bald bessere Zeiten für Dich an und hoffentlich geht es Dir bald besser. Viel Glück!


    Lg vom eifelplatz, Chris.

  • Das tut mir sehr leid, Tschab. Ich habe Dich schon seit einiger Zeit vermmisst, hoffentlich brechen bald bessere Zeiten für Dich an und hoffentlich geht es Dir bald besser. Viel Glück!

    Das wünsche ich Dir auch, lieber Támas!

    Herzliche Grüße

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Und Ciconia? Wenn ich mich nicht täusche sind von ihm Motetten und auch Messensätze überliefert....

    Wie ist dann "ars subtilior" zu sehen: als ein Szil der 2ars nova" abgelöst hat, oder einer, der neben diesen sich entwickelt hat, sozusagen paralell dazu?

    LG
    Tamás
    :wink:


    Zur zweiten Frage zuerst. Der Begriff "Ars subtilior" ist noch sehr schillernd. Als Bezeichnung eines eigenen Stils hat er sich wohl noch nicht überall durchgesetzt. Auf der MGG-CD-Rom, die auf der alten Auflage der MGG basiert - erschienen 1949–1968, suppl. 1973–1986, erarbeitet lange vorher, was besonders bei den ersten Bänden A wie Ars ... und C wie Ciconia ... ins Gewicht fällt - gibt es keinen eigenen Artikel zur Ars subtilior. Sie wird recht beiläufig im Artikel zur Ars nova behandelt, bei der Volltextsuche findet man noch einige Stellen.
    Aber auch die Sonderausgabe in 7 Bdn der "Geschichte der Musik" Hrsg. Carl Dahlhaus, zuerst erschienen bei Laaber 1980 - 1981, ist nicht sehr auskunftsfreudig. Bei Bernhard Morbachs "Musikwelt des Mittelalters" von 2004 findet man schon einiges mehr, die Ars subtilior wird in einem eigenen Kapitel behandelt ebenso die italienische Trecento-Musik. Die besten Einführungen findet man in den Beiheften zu den CDs, die oft mit wissenschaftlicher Begeleitung und nach Quellenstudium entstanden sind. Morbach spricht hier (S. 163) von "angewandter Musikwissenschaft".
    Selbst der englischen Wikipedia kommt ihr eigener Beitrag als bearbeitungswürdig vor. Man muss schon in den New Grove gucken, in dem auch Ursula Günther zum Thema geschrieben hat (oder Spezialliteratur lesen).

    Ein weiteres Stilmerkmal der Ars subtilior ist die Landessprache. Dies gilt besonders in Italien und hier für die weltlochen Motetten, die von ganz anderer Art sind, als die Motetten der Ars antiqua und Ars nova. Sind die lateinischen Texte der beiden letzteren religiös und der Bibel oder der Liturgie entnommen und mit schon bestehender Melodie/Komposition in einem neuen, mehrstimmigen Werk verarbeitet, so wird in der italienischen Motette ein eigens gedichteter Text in italienischer Sprache vertont. Den Dichter-Komponisten lag an der Pflege des Italienischen als Sprache auch für Kunst, Wissenschaft usw. Traditionelle Motetten haben auch immer Text: sie sollen ja etwas bekannt machen, verkünden. Die neuen italienischen Motetten sind nicht immer ganz mit Text unterlegt (viele beginnen mit Melismen auf irgendwelche Silben).

    Auch wenn ein Komponist Werke der Ars subtilior geschrieben hat, kann er Stücke komponiert haben, die nicht dazu zählen.

    Ich denke, Ciconia ist einen eigenen Beitrag wert, das ist hier in der Kürze nicht zu behandeln. Mit meiner Neigung zu Gedankensprüngen erst recht nicht. Ich möchte mich als nächstes noch einmal mit Italien beschäftigen und zwar anhand dieser CD:

    Memelsdorff hat im Booklet einen sehr interessanten und ausführlichen Beitrag geschrieben (aus dem ich dann ausgiebig zitieren kann).


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Das ist wirklich eine verblüffende Assoziation

    Ja, ist es tatsächlich... 8|


    Das tut mir sehr leid, Tschab. Ich habe Dich schon seit einiger Zeit vermmisst, hoffentlich brechen bald bessere Zeiten für Dich an und hoffentlich geht es Dir bald besser. Viel Glück!


    Lg vom eifelplatz, Chris.

    Das wünsche ich dir auch.


    jd :troest:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Ja, ist es tatsächlich... 8|

    Das wünsche ich dir auch.


    jd :troest:

    Danke an Alle für Eure Glückwüsche! Werd' ich wohl gebrauchen... Mein einziges problem ist eigentlich, dass die Löhne hier in Ungarn so verdammt niedrig sind (nach Abzug der Raten für unsere Wohnung bleiben mir kaum 200 euronen für den Monat... Ihr könnt euch das wohl ausmalen...) Ich aberbeite aber schon daran, dass es mal besser wird. Wann und wie liegen aber noch im Dunkeln.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • D'Amor Raggionando
    Ballata Neostilnoviste In Italia 1380 - 1415
    Mala Punica
    Pedro Memelsdorff

    Inhalt:

    1. Francesco Landini: Che Chosa è quest 'Amor
    2. Francesco Landini: Giovine vagha
    Amor c'al tuo sugetto
    3. Francesco Landini - Anonymo: Fortuna ria
    4. Matteo de Prrugia: Sera quel zorno may
    5. Antonio Zacara da Teramo: Ad ogne vento
    6. Johannes Ciconia: Mercè o morte
    7. Antonio Zacara da Teramo: Movit'a pietade
    8. Antonello de Caserta: Più chiar che'l sol
    9. Francesco Landini: Amor in huom gentil

    Besetzung Mala Punica:

    Pedro Memelsdorff, dir. e flauto
    Kees Boeke, viella, flauto
    Svetlana Fomina, viella
    Christophe Deslignes, organetto
    Karl-Ernst Schröder, liuto
    Alberto Macchini. campane
    Jill Feldman, canto
    Guiseppe Maletto, canto

    Bei den Instrumenten handelt es sich um Nachbauten aus den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts.


    Die sprachliche Voraussetzung der Trecento-Musik, schreibt der hier schon häufiger zitierte Bernhard Morbach in seiner Musikwelt des Mittelalters, war die Entwicklung einer eigenständigen italienischen Kultursprache. Den dolce stil nuovo, der um die Wende zum 14. Jahrhundert entstanden sei, könne man auch auf die spätere musikalische Kunst des Trecento übertragen. Die italienische Liedkunst überrasche gegenüber der französischen durch reduzierte Komplexität und beabsichtige eine unmittelbare sinnliche Wirkung: dreistimmige, Dreiklang gesättigte Sätze, kaum Synkopen, auffallende Klarheit.

    Auch Pedro Memelsdorff geht in seinem sehr ausführlichen Beitrag im Booklet auf die Dichter des Stilnovo ein, die eine Wiederbelebung ihrer Sprache beabsichtigten und die "hochzulobende Süße" des volkssprachlichen Italienisch, seine ausgefeilte Schärfe und Eleganz geltend machten. Die Dichtung des Stilnovo und die alten Reime Dantes oder Cavalcantis stellten eine Synthese der geforderten ytalischen Tugenden dar.

    Er nennt als Anliegen dieser CD-Anthologie mit Balladen des stile nuovo, die unterschiedlichen poetischen uns kompositionstechnischen Doktrinen in Einklang miteinander zu bringen und dazu, über die Liebe nachzusinnen ... in diesem Dialog sei jede Dichtung vollständig und unabhängig, doch gebe sie weitere Ebenen des Lesens aus dem Kontext preis, in dem sie sich befinde, und kommuniziere mit den Allegorien, die sie umgäben.

    Wenn ich solche schönen poetischen Charakterisierungen lese, frage ich mich doch schon mal: Und wo geht es jetzt zur Ars subtilior? Wer und was gehörte dazu? So nimmt es mich nicht wunder, dass es machmal heißt, man könne diese Kunst nicht durch "hören" erkennen, sondern nur durch "sehen" des Notenbildes.
    In seinen weiteren Ausführungen über die der CD zugrunde liegenden Quellen geht Memelsdorff jedoch auf diese Probleme ein, v.a. am Beispiel von Landini.

    Als "Fonti", als Quellen der hier vorgestellten der Balladen also, werden genannt:

    Firenze, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Panciatichi: Panc
    Firenze, Biblioteca Laurenziana, Ms. Squarcialupi: Sq
    Modena, Biblioteca Estense, Ms. a. 5. 24: Md
    Lucca, Archivio di Stato, Ms. Mancini 184: Lc
    Parma, Archivio di Stato, Ms.PA 75: Pr
    Sevilla, Biblioteca Colombina, Ms. 5, 2-25: Sev
    Paris, Bibliotèque Nationale, nouv. acq. fr. 4917: Ps

    Unter den aufgeführten Manuscripten befindet sich in der Biblioteca Columbina in Sevilla eine norditalienische Handschrift aus der Gegend von Pavia oder Piacenza, von unterschiedlichen Kopisten in der Zeit vom Beginn des 14. bis in die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts angefertigt. Sie enthält theoretische Abhandlungen mit Beispielen über die Musiktraktate von Guido von Arezzo, Boethius und Marchetto di Padova sowie die neuen Schulen des norditalienischen Kontrapunktes vom Ende des 14. Jahrhunderts verbunden mit der gelehrten und avantgardistischen Strömung der subtilitas, die um 1380 von Frankreich nach Italien kam. Unter dien Beispielen gibt es auch eine Version der berühmten zweistimmigen Landini-Ballade Fortuna ria (Track 3 der CD). In dieser Handschrift jedoch wurde sie mit einem bis dahin unveröffentlichten alius tenor und einem originellen contratenor im neuen Stil der französischen oder Mailänder Komponisten versehen.

    Memelsdorff fragt sich, ob Landini noch lebte, als seine jungen Kollegen auf subtile Weise seine Balladen verfeinerten oder ob derartige Verfeinerungen eine gängige Praxis des wechselseitigen Zitierens, kontrapunktischen Erläuterns und poetischen Kommentierens, also Vergleich und Diskussion unterworfene, alternative Formen für ein gebildetes Publikum waren, das die Zitate und Verfeinerungen verstand. Er schreibt, dass die Vertonung der italienischen Ballade im Stilnovo ein Wettstreit zwischen den verschiedenen italienischen Kompositionsschulen am Ende des 14. Jahrhunderts gewesen sei:

    Zitat

    Trotz der unter ihnen herrschenden Übereinstimmung, die toskanischen Texte polyphon zu vertonen und zu einer originären, als stärker unverfälscht ytalisch angesehenen Kompositionstechnik zurückzufinden bleiben bedeutsame Unterschiede zwischen dem toskanischen Landini beispielsweise und seinen "lombardischen" Kollegen Antonello und Perusio, die durch ihren höchst unterschiedlichen musikalischen und ideologischen Weg bedingt sind. Während die letzteren, bestimmt durch die frankophile Umgebung in Pavia und Mailand über Jahre hinweg der nach Frankreich orientierten Strömung der Ars subtlilior angehörten und auch an der Herausbildung seiner radikalen italienischen Version, der Subtilitas Ytalica mitarbeiteten, hielt Landini vorsichtige Distanz zu jener Strömung. Er bediente sich nur mäßig der subtilitas, und zwar einzig, um seine Nichtbeteiligung zu manifestieren, zuweilen auch, um deren Anhänger zu verspotten. Wenn diese lombardischen Musiker die also gleichermaßen in der subtileren pseudofranzösischen wie jener restaurativen italienischen Produktion tätig waren, italienische Balladen komponierten, so ließ sich der subtile scholastische Einfluss nicht vermeiden. So sehr sie auch die poetischen Regeln und Traditionen des Stilnovo beachteten, so sehr sie auch voll Treue dem kontrapunktischen Modell der ytalischen Musiker zugewandt waren, so färbten Antonelle und Perusio doch ihre italienische Vokalmusik nolens volens mit polemischer und lehrhafter subtiler Gelehrtheit. In den rhythmischen Überfeinerungen, den ungebräuchlichen Alterationen, den höchst elaborierten Contratenores liegt jenes Verfeinern des Geistes (assottigliar la mento) jene Komplexität, die den alten Landini irritierte, den erbitterten Verteidiger der Transparenz im Kontrapunkt wie auch der Ockham'schen pragmatischen Logik in Fragen der Doktrin."

    Kurz gesagt: Landini gehörte also nicht zu diesen "jungen Wilden". Als relevantesten, Landini gegenüberzustellenden Komponisten aus der lombardischen Schule nennt Memelsdorff Matteo da Perrugia (Perusio), dessen Ballade Serà quel zorno may die Merkmale seiner Ausbildung zeigten, die melismatische Kultur der subtilitas, hier den Versen eines Gedichtes im Stilnovo angeglichen. Auch die übrigen auf der CD enthaltenen Balladen von Kollegen Matteo da Perrugias, analysiert Memelsdorff auf ähnliche Weise. Seiner am Beginn zitierten Intention mit Balladen des stile nuovo, die unterschiedlichen poetischen uns kompositionstechnischen Doktrinen in Einklang miteinander zu bringen ist er also auf spannende Art nachgekommen.

    Die CD erfreut mich jedesmal von Neuem: interessantes Programm, fantastische Ausführung, sicher eine der besten für Musik aus dem Trecento.

    Mein Quellen waren der Beitrag von Pedro Memelsdorff aus dem Booklet der CD sowie Bernhard Morbach, Die Musikwelt des Mittelalters, Kassel 2004.


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Solages Rauch-Stück gehört auch zu meinen Lieblingsstücken der Ars subtilior. Da ich es in zwei Einspielungen kenne (Huelgas Ensemble und Ensemble Organum) kann ich mich der hier vorherrschenden Bevorzugung des Huelgas Ensemble anschließen: Die merkwürdigen Fortschreitungen kommen in der sehr langsamen Version viel besser zur Geltung.

    Le Ray au Soleyl von Ciconia mit Fragezeichen ist auch ein sehr erstaunliches Stück: Die beiden Oberstimmen singen im rhythmischen Verhältnis 4:3 eine durchaus recht zügige Melodie. Wie man das als Sänger schafft ohne Klick im Ohr, ist mir rätselhaft. Dieses allmähliche Auseinanderfallen der Melodiestimmen ist durchaus irritierend. Es beginnt natürlich mit einem Dreiklang, damit es nicht zu kakophonisch wird, aber grundsätzlich ist die Dissonanzbehandlung wohl schon sehr frei. Ein kurzes experimentelles Kabinettstück. Oben steht dazu, dass die Unterstimme dieselbe Melodie singt (4:3:1) - komisch, im Notenbeispiel des Handbuchs der Musikwissenschaft nicht, jedenfalls nicht genau.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

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