MONTEVERDI: Orpheus Odysseus Poppea - Berlin (Komische Oper), 16.09.2010
Von mittags 12:30 Uhr bis abends 22:45 Uhr zog sich der Saisonstart der Komischen Oper mit dieser Mammutproduktion hin: alle drei erhaltenen Opern Monteverdis in deutscher Textübersetzung und einer umfangreichen Aufführungspartitur, die von Elena Kats-Chernin erarbeitet wurde. Musikalischer Leiter ist André de Ridder, Regisseur ist der neue Intendant Barrie Kosky.
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Orpheus ist sehr bunt und volkstümlich, mit leichten poetischen Anleihen umgesetzt. Dominik Köninger, ein Baryton, hat mir sehr gut gefallen in seiner Freude über die Hochzeit und die anschließende Trauer um den Verlust Euridikes. Julia Novikova ist echt süß anzusehen und paßt wundervoll in die Rolle; Theresa Kronthaler als Sylvia bzw. Proserpina fand ich richtig toll.
Odysseus war richtig karg: alles spielte auf einer Rasenfläche, aber die personelle Gestaltung der Oper läßt das schnell vergessen. Günter Papendell in der Titelrolle hatte eine überzeugende Leistung vollbracht; aber es ist Ezgi Kutlu als Penelope gewesen, die mich echt umgehauen hat. Annellie Sophie Müller als Minerva fand ich ebenso stark.
In Poppea wurde es dann richtig wüst: der Sex-Faktor wurde knallhart angezogen (u.a. war Baß Jens Larsen als Seneca komplett nackt, als er die Sterbeszene sang), und die Kostüme hatten etwas Dekadentes an sich. Tenor Roger Smeets hat als Nero einen wirkungsvollen Auftritt; Brigitte Geller brachte durchaus Feuer in ihrer Darstellung der Titelfigur. Der Mut von Thomas Michael Allen als Arnalta und Tom Erik Lie als Amme war groß, denn sie waren grotesk und brillant zugleich in ihren Partien (speziell das Wiegenlied Lies war einfach grandios).
Doch muß unbedingt Peter Renz erwähnt werden, der in allen drei Opern Amor verkörpert hat (in Odysseus war er zusätzlich als Iros besetzt): in Poppea sah er aus wie die alte, aufgedonnerte Marlene Dietrich, der als Amor die Geschicke der bekloppten Römer beobachtet und an einer Stelle - den Mordversuch an Poppea - konkret eingreift. Als Iros hatte Renz eine herrlich schmierige Darstellung aufs Parkett gelegt; die Sterbeszene war superb in seiner tragischen Lächerlichkeit. Und seine Stimme thronte klar und herrlich über die ganze Konzeption dieser dreifachen Liebesgeschichte.
Der Text war wohl neu übersetzt worden und war grundsätzlich sehr gut zu verstehen. Kosky nahm sich einige Freiheiten heraus, ließ manche Gesangslinie von anderen Charakteren singen als ursprünglich geschrieben, und Kürzungen fanden auch statt. Insgesamt ist der Geist der Vorlage zwar vorhanden, aber in Details anders interpretiert bzw. umgesetzt worden, wie es beim Regietheater halt Brauch ist.
Die Musikbearbeitung war mit modernen Elementen aufgefüllt worden (z.B. Tangorhythmik), was ganz gut zum Geschehen auf der Bühne paßte; allerdings wird es Puristen eher stören, wenn in Poppea tatsächlich im b.c. Keyboard und Elektrogitarre zu hören sind. Kats-Chernin hat nicht übertrieben in ihrer Instrumentation und die Begleitung eher dezent eingesetzt. André de Ridder hatte das ganze Orchester gut im Griff und eine schöne Aufführung dirigiert.
Ich muß dazu sagen, daß ich das Ganze in 3Sat verfolgt habe. Die Fernsehregie war in der Regel sehr gut ausgerichtet worden; es gab aber einige wenige Stellen, die nicht so gelungen waren. Die Kostüme kamen gut zur Geltung, die wichtigsten Augenblicke sind gut kadriert worden. Die Lichtwechsel waren sehr wirkungsvoll.
Ich bin mit der Thematik des Regietheaters nicht so sehr vertraut; deshalb möge man mir verzeihen, wenn ich vielleicht nicht so ausführlich darüber referieren kann. Mir haben die drei Stücke grundsätzlich ganz gut gefallen. Interessant fand ich manche Details (das Schicksal von Otho, Drusilla und Octavia, nachdem Nero sie verbannt hatte), die die Geschichte über ihren textlichen Horizont hinweghob. In Orpheus war der Kern der Umsetzung recht nahe am Urtext, bei Odysseus war er schon alleine aufgrund des Spielorts eigenwillig; in Poppea fand ich die heftige Sexualisierung (Nacktheit, Vergewaltigung) zu grell umgesetzt; dadurch ging ein bißchen die Sympathie mancher Nebenfigur den Bach runter.
Zwischen den Stücken gab es noch diverse Interviews und eine zweiteilige Dokumentation über Monteverdis Musen. Katrin Bauerfeind befragte die Darsteller der drei Liebespaare in eher brisantartiger Weise; was mich aber wirklich wunderte, war jedoch, wie wenig Profundes die Darsteller zu den Charakteren zu sagen hatten, so als wären sie der Umgang mit der Interview-Kamera nicht gewöhnt. (Gut, vielleicht erwarte ich doch zuviel...) Es wirkte so seltsam unbeholfen. Da war Barrie Kosky schon deutlich professioneller. Die Dokumentation über die Probezeit der drei Opern war sehr interessant und informativ; doch Monteverdis Musen war eine jener feuilletonistischer Erbauungs-Ergüsse, die ich ja so liebe... :stern: Wenn ich auch klar sagen muß, daß ich meine Konzentration bewußt auf die Opern selbst beschränkte, so weiß ich, daß ich diese Musen als alleinige Sendung nie komplett angeschaut hätte, weil mich diese unsägliche, indifferente Erzählweise so furchtbar genervt hätte. Nach zehn Minuten hätte ich es abgeschaltet; hier dagegen schaltete ich nur den Ton aus, um den Anschluß nicht zu verpassen. - Bauerfeinds Live-Moderation in der Oper war auch eher oberflächlich; man merkte, daß sie gar keinen Bezug zum Thema Monteverdi hatte. Beim Interview mit Peter Renz in der Maske merkte man, wie unpassend der Moment war; Renz war aber genug Profi, um das zu übersehen. Dieser erläuternde Rahmen fand ich mißlungen; wie ein Freund von mir in solchen Fällen zu sagen pflegt: "Tiefste Provinz!"
jd