Schubert: Der Erlkönig - "Ein sichtbares Bild"

  • Schubert: Der Erlkönig - "Ein sichtbares Bild"

    Bei der Recherche einer Rätsellösung stieß ich darauf, dass es hier zwar zwei sehr schöne Threads zu Goethe-Vertonungen (Goethe-Lieder: Der Dichterfürst und die Musik) und Schubert-Liedern im Allgemeinen gibt (https://www.capriccio-kulturforum.de/kunstlied/2758…interpret-innen), kaum aber einen über einzelne Lieder. Ich möchte daher den Anlass nutzen um mal einen zu eröffnen, sinnvollerweise zu Schuberts op. 1, DER ERLKÖNIG. Vielleicht lassen sich daran noch weiter Erörterungen anknüpfen, die sonst zu leicht in diversen Sammelthreads verloren gehen könnten, wie zum Beispiel dieser hübsche Limerick zum Thema:

    Rittmus

    Im Erlkönig hagelt‘s Triolen,
    von Schubertschen Noten befohlen.
    Doch klingts oft so wie
    als wollte der Pi-
    anist glatt das Pferd überholen.
    Antracis in Musikalische Limericks

    Der Ursprung von Goethes Ballade ist wohl die dänische Sage vom „Ellerkong“, also dem Elfenkönig, die auch dem Roman „Le roi des aulnes“ von Michel Tournier zugrunde lag, der manchen vielleicht aus der Verfilmung von Volker Schlöndiorff bekannt ist. Goethe hatte sein Gedicht als Liedeinlage für ein Singspiel namens „Die Fischerin“ gedacht, also von Anfang an als Lied konzipiert. So verwundert es nicht, dass es noch mehrfach vertont wurde, etwa von Carl Loewe oder Ludwig Spohr. Auch von Beethoven gibt es Skizzen für eine Vertonung, die er aber nie fertig stellte – vielleicht, weil er Schuberts Vertonung kennen gelernt und für so unübertrefflich gehalten hatte, wie sie meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ist. Das belegt auch Franz Liszts vorzügliche Klaviertranskription, die sogar der Transkriptionsablehner Swjatoslav Richter gelten ließ, wie man hier hören kann: "

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    ".

    Es ist eine glückliche Fügung, dass dieses Lied als erste gedruckte Komposition Franz Schuberts die Opuszahl 1 trägt, obwohl es wahrlich nicht seine erste Komposition war, wie schon die Nummer des Deutschverzeichnisses belegt. Es war noch nicht einmal sein erstes reifes Lied, wie man dem früheren „Gretchen am Spinnrad“ (D 118) mit der Opuszahl 2 anhören kann (s. a. den Thread zu Goethe-Liedern oben). Es wurde aber eines seiner populärsten, woran leider Goethe selbst keinen Anteil hatte, der sich auf seinen minder begabten Liedberater Carl Friedrich Zelter verließ, der sich den, damals 19-jährigen, jungen Konkurrenten mit einer geringschätzigen Bewertung vom Hals hielt, hatte er doch selbst eine mehr als harmlose Vertonung geschaffen, wie man hier hören kann: "

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    ". Schubert, der glaubte, die Ablehnung ginge auf Goethe selbst zurück, trug lebenslang an dieser Kränkung, da er nie mehr erfahren konnte, dass Goethe, als ihm das Lied viel später von Wilhelmine Schröder-Devrient vorgetragen wurde, immerhin mit der Bemerkung lobte: „So vorgetragen, fügt sich das Ganze zu einem sichtbaren Bilde“. Tatsächlich hängt bei Schuberts Lied sehr viel von seinem Vortrag ab.

    Die Entstehung des Liedes wurde von Schuberts Gönner Joseph von Spaun, der es auch zusammen mit rund vierzig weiteren Vertonungen von Gedichten Goethes diesem zugesandt hatte, sehr eindrücklich geschildert. Ich zitiere nach Annette Kolbs lesenswerter Schubert-Biographie: „An einem Nachmittage ging ich mit Mayrhofer zu Schubert, der damals bei seinem Vater auf dem Himmelpfortgrunde wohnte. Wir fanden Schubert ganz glühend, den „Erlkönig“ aus dem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit stand die herrliche Ballade auf dem Papier. Wir liefen damit, da Schubert kein Klavier besaß, in das Konvikt, und dort wurde der „Erlkönig“ noch am selben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Hoforganist Ruziczka spielte ihn dann selbst ohne Gesang in allen Teilen aufmerksam und mit Teilnahme durch und war tief bewegt über die Komposition. Als einige eine mehrmals wiederkehrende Dissonanz („mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an – es-f-ges) ausstellen wollten, erklärte Ruziczka, sie auf dem Klavier anklingend, wie sie hier notwendig dem Text entspreche, wie sie vielmehr schön sei und wie glücklich sie sich löse.“

    Die musikalische Analyse des Liedes, die mich überfordern würde, überlasse ich gerne Berufeneren

    1860 orchestrierte Hector Berlioz Schuberts Lied nach einer sehr freien, aber rhythmisch korrekten französischen Übersetzung eines gewissen Edouard Bouscatel und brachte seine Version noch im selben Jahr in Baden Baden zur Aufführung. Eine bessere kann hier in einer sehr beeindruckenden Interpretation von Georges Thill mit einem Orchester unter der Leitung von Georges Etcheverry hören. Eine originelle Lösung ist der Einsatz einer Jungenstimme für das Kind. "

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    Ich weiß nicht, was Berlioz motivierte, dieses Lied zu orchestrieren, abgesehen von seiner offensichtlichen Qualität, die danach zu schreien scheint (womit nichts gegen Schuberts fantastischen Klavierpartv gesagt sein soll). Dass er aber seinen Schubert kannte und ihn sehr schätzte, ergibt sich unter anderem aus folgender Anekdote, die Berlioz genüsslich erzählte: „Eines Abends wurde in einem Salon ein Lied unter dem Namen Schuberts aufgeführt. Zum Publikum zählte ein Musikliebhaber, der einen frommen Abscheu gegenüber meiner Musik empfand. ‚Wundervoll, rief era us. Das ist mal wirklich eine Melodie voller Gefühl, Klarheit und Verstand! Berlioz hätte so etwas nie komponieren können!” Tatsächlich handelte es sich bei dem Stück um Cellinis Arie aus dem zweiten Akt der Oper, die seinen Namen trägt.” Dass sie auch Berlioz‘ Namen trug, brauchte er nicht hinzuzufügen.

    Wie schon gesagt, ist dies eines jener Lieder, die besonders stark von einem großartigen Vortrag profitieren. Als Liebhaber von Orchesterliedern lernte Berlioz‘ Bearbeitung durch diese hervorragende cd kennen, die auch eine (schwächere) Orchestration desselben Liedes von Max Reger enthält:

    Anne Sofie von Otters Vortrag des Liedes gefiel mir schon sehr, aber als ich diese Version von Thomas Allen unter der Leitung von Charles Mackerras hörte, war ich nur noch hingerissen: "

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    ". Leider ist das Lied nicht in Thomas Allens Sammlung von Schubert-Liedern enthalten, die aber nichtsdestoweniger empfohlen sei:

    Erwähnt sei noch eine weitere, extrem freie Bearbeitung des „Erlkönig“, die Hans Werner Henze unter dem Titel „Le fils de l’air“ komponierte. Sie findet sich auf dieser Platte, die ich aber nur von dem Hörschnipsel kenne. Ich danke Mauerblümchen für den Hinweis darauf.

    Nun zu Euch: welche Originalfassung des Liedes gefällt Euch am besten?

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Zitat

    Es ist eine glückliche Fügung, dass dieses Lied als erste gedruckte Komposition Franz Schuberts die Opuszahl 1 trägt, obwohl es wahrlich nicht seine erste Komposition war, wie schon die Nummer des Deutschverzeichnisses belegt.

    Von glücklicher Fügung kann hier nicht die Rede sein. Schubert hat lange mit sich gerungen, welches seiner Werke er als würdig erachtet, sein "Opus 1" zu sein, und sich dann für den Erlkönig entschieden, den er offenbar als programmatisch für sein Werk hielt. Dies allein zeigt schon die besondere Wertschätzung, die Schubert selbst diesem Lied gegenüber empfand.

  • Eine sehr schöne Einleitung zu diesem großartigen Lied.
    Ich habe auch gleich etwas Neues dazu gelernt, kannte nämlich die Orchestrierung von Berlioz bisher noch gar nicht. Habe mir gleich einmal die youtube-Links angeschaut, die du beigegeben hast. Bravo! Obwohl natürlich Schuberts Klavierbegleitung als solches schon sehr passend dramatisch ist, Berlioz setzt mit seiner Orchestrierung nochmal eine Stufe an Drama drauf, hochromantische Behandlung. Und in der französischen Version mit Thill und der Knabenstimme für das Kind entwickelt sich das ganze ja geradezu zum Monodrama! (wie würde das erst klingen, wenn man auch Vater und Erlkönig einzeln besetzen würde?)
    Nach dem Anhören der Interpretation von Anne Sophie Otter ist mir klar geworden, dass ich dieses Lied wohl lieber von männlichen Interpreten höre, obwohl sie durchaus wunderbar singt und gestaltet.
    Eine sehr gute Version finde ich auch eine von Ian Bostridge : "

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    Zur Henze-Orchestrierung kann ich nichts sagen, kenne sie nicht und es scheint auch auf youtube keine Hörbeispiele zu geben.
    Was die Fraktur des Liedes allgemein betrifft, bin ich auch zu viel Laie um das wirklich Fundiertes von mit zu geben, aber hier wird es doch sicher Lied-Experten geben?

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Auch von mir herzlichen Dank für die lesenswerte Einführung, zumal die Orchestertranskription mir bislang gänzlich unbekannt war. Im Ergebnis vermag ich aber mit einer solchen großorchestralen Umsetzung wenig anzufangen, da gerade der Erlkönig für mich mit Begriffen wie Intimität, Innigkeit und dergleichen verbunden ist. Da greife ich dann doch immer wieder sehr gerne auf Dieskau/Moore zurück.

    Eine interessante, quasi Privatvorführung, kann man auch hier finden mit einem etwas dicklichen Fischer-Dieskau (am Klavier Gerald Moore) - "Gute Nacht".

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  • Zitat von Rideamus

    Bei der Recherche einer Rätsellösung stieß ich darauf, dass es hier zwar zwei sehr schöne Threads zu Goethe-Vertonungen (Goethe-Lieder: Der Dichterfürst und die Musik) und Schubert-Liedern im Allgemeinen gibt (https://www.capriccio-kulturforum.de/kuns%E2%80%A6interpret-innen), kaum aber einen über einzelne Lieder.

    Ich habe mal den Strang "Schubert-Lieder ohne Zykluszugehörigkeit" ins Leben gerufen. Leider befindet sich dort bisher nur meine Besprechung des Liedes "Nacht und Träume". Soll das hier ein Strang exklusiv zum Erlkönig sein? Oder haben auch andere Lieder eine Chance? Im letzteren Falle kann man ja meine Besprechung mit der Diskussion hier (wie auch immer - mir ganz egal) vereinen?

    Tharon

  • Es wurde aber eines seiner populärsten, woran leider Goethe selbst keinen Anteil hatte, der sich auf seinen minder begabten Liedberater Carl Friedrich Zelter verließ, der sich den, damals 19-jährigen, jungen Konkurrenten mit einer geringschätzigen Bewertung vom Hals hielt, hatte er doch selbst eine mehr als harmlose Vertonung geschaffen, wie man hier hören kann: "

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    Es gibt keinen Indiz dafür, geschweige denn einen Beweis, daß Zelter selber für Goethes Stillschweigen verantwortlich ist. Schubert hatte 1816 dem Dichter ein Heft mit Liedern auf dessen Texte geschickt. Goethe schickte das Paket unkommentiert - wohl auch ungeöffnet - einfach zurück. Mehr weiß man nicht. Schuberts Vertonung konnte für Zelter gar keine Konkurrenz sein, denn sie war sozusagen aus einer anderen, Zelter kaum denkbaren Welt. Wenn man den Ästhetikunterschied berücksichtigt, kann man Zelter kaum als "minderbegabten" abqualifizieren. Seine Lieder sind einfach etwas anderes, keine "potenzierten Reflexionen" im Sinne A.W. v Schlegels sondern "musikalisches Gehäuse", wie es Th. Georgiades formuliert. In diesem Sinne haben auch Reichardt und Tomášek je einen Erlkönig komponiert und beide lassen sich durchaus hören. Wie fremdartig Schuberts Erlkönig damals geklungen haben mag, zeigt die bekannte - und belegte - Anekdote, wonach Schubert 1817 sein Lied dem Verlagshaus Breitkopf und Härtel geschickt hatte. Der Verlag hatte kein Interesse und schickte das Manuskript zurück an den Komponisten Franz Schubert - in Dresden! Der Dresdner Franz Schubert antwortete potstwendend und erzürnt über denjenigen, der seinen werten Namen für so ein Machwerk mißbraucht hatte. Hätte Zelter 1816 ein Blick aus des Wieners Manuskript geworfen, so hätte er eher wie der "andere" Franz Schubert reagiert.

    Ich zitiere nach Annette Kolbs lesenswerter Schubert-Biographie: „An einem Nachmittage ging ich mit Mayrhofer zu Schubert, der damals bei seinem Vater auf dem Himmelpfortgrunde wohnte. Wir fanden Schubert ganz glühend, den „Erlkönig“ aus dem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit stand die herrliche Ballade auf dem Papier. Wir liefen damit, da Schubert kein Klavier besaß, in das Konvikt, und dort wurde der „Erlkönig“ noch am selben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Hoforganist Ruziczka spielte ihn dann selbst ohne Gesang in allen Teilen aufmerksam und mit Teilnahme durch und war tief bewegt über die Komposition. Als einige eine mehrmals wiederkehrende Dissonanz („mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an – es-f-ges) ausstellen wollten, erklärte Ruziczka, sie auf dem Klavier anklingend, wie sie hiernotwendig dem Text entspreche, wie sie vielmehr schön sei und wie glücklich sie sich löse.“

    Wieder ein Beispiel von der Legendenbildung. Diese ausgeschmückte Erzählung kommt aus den Erinnerungen, die der alte Josef von Spaun zu Papier gebracht hat. Abgesehen von der Tatsache, daß Spaun gar nicht spezifiziert, um welche Dissonanz es sich handeln sollte (dies wurde später von den Kommentatoren der Anekdote hinzugetan), gehört Spaun zu den Freunden Schuberts, deren Gedächtnis immer mehr pikante Details geliefert hat, je älter sie wurden (wenigstens kann man ihm nicht vorwerfen, unaufrichtig gewesen zu sein).
    1815 hatte Schubert ein Klavier. Es wurde ihm von seinen Vater nach der Uraufführung der F-Dur Messe 1814 geschenkt und Schubert hat es 1818 seinem Brunder Ferdinand überlassen. Auch kann er nicht das Lied "in der kürzesten Zeit", sozusagen on the fly komponiert haben. Es existiert nämlich in mehreren Versionen, die sich in Details unterscheiden.
    Von Spauns Anekdote, wenn man ein Cross-Checking mit anderen Erinnerungen altgewordener Schubertfreunde macht, kann man behalten, daß es wohl im Konvikt eine informelle Uraufführung gab, der einige Studenten und wohl ein paar Professoren beiwohnten, und daß diese Uraufführung den Anwesenden einen dauerhaften Eindruck hinterlassen hat.

    Der Erfolg des Liedes hat sich langsam aus diesem Bekanntenkreis heraus verbreitet. Die erste öffentliche Aufführung fand 1820 statt und seither hat sich Schuberts Erlkönig allgemein als Meisterwerk etabliert. Dem Erfolg dieser Uraufführung, Schuberts Selbstkritik und dem Marketingssinn einiger seiner Freunde (Sonnleithner) verdankt man, daß es als erstes Werk Schuberts veröffentlicht wurde (op. 2 war Gretchen am Spinnrade).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Lieber Philbert,

    vielen Dank für die Zerstreuung dieser Legenden. Leider mussten sie wohl erst einmal wiederholt werden, damit sich jemand findet, der sie widerlegt. Zur Ehrenrettung von Annette Kolb sei gesagt, dass auch sie in ihr Zitat die Frage eingestreut hat, was denn wohl aus dem fünfoktavigen Klavier geworden sein, das Schubert ein Jahr zuvor von seinem Vater geschenkt bekommen hatte.

    Lieber Tharon,

    eigentlich wollte ich noch auf die Frage eingehen, warum ich diesen Strang nicht an Deinen angehängt habe, den ich natürlich bei der Recherche fand (so viele Liederthreads gibt es ja leider noch nicht). Es tut mir Leid, dass das irgendwie durch den Rost fiel.

    Zur eigentlichen Frage: es gibt eine Tendenz, kurze Werke geringschätziger zu behandeln und in Sammelthreads zu packen, obwohl, wie sich gerfade hier zeigt, auch über kurze Werke gar manches zu sagen ist. Mögen Mozarts Sinfonien oder gar Opern auch vielfältiger sein und mehr Stoff zur Diskussion bieten, wertvoller oder gar weniger diskussionswürdig als seine Vertonung von Goethes DAS VEILCHEN sind sie nicht zwangsläufig

    Mein Fazit: ich habe mich bewusst dafür entschieden, diesem einen Lied einen einzelnen Thread zu widmen und würde Dir raten, die Moderation darum zu bitten, Deine schöne Beschreibung des Schubertliedes "Nacht und Träume" - vielleicht ergänzt durch einen Untertitel, den Du vorschlagen solltest - zu einem eigenen Thread umzutaufen, den Du ja dann durch einen Kommentar nach oben bringen kannst. Ich finde, es kann gar nicht genug einzelne Liederthreads mit Interpretationen und Diskographien geben, und Deiner hat wahrhaftig Besseres verdient als unkommentiert vor sich hin zu dämmern.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Und in der französischen Version mit Thill und der Knabenstimme für das Kind entwickelt sich das ganze ja geradezu zum Monodrama! (wie würde das erst klingen, wenn man auch Vater und Erlkönig einzeln besetzen würde?)

    In Thills Version singt bereits Henri Etcheverry den Vater. Eine Einspielung mit verschiedenen Stimmen gibt es auch hier:

    (glücklicherweise auf Deutsch).

    Nach dem Anhören der Interpretation von Anne Sophie Otter ist mir klar geworden, dass ich dieses Lied wohl lieber von männlichen Interpreten höre

    Klar, ein Beispiel genügt, um alle Sopranistinnen, Mezzosopranistinnen und Altistinnen zu verwerfen.
    In dieser Box:

    kann man Erlkönig mit den Stimmen von Lilli Lehmann, Marta Fuchs, Christa Ludwig und Elisabeth Schwarzkopf hören.
    In dieser:

    hat man Germaine Lubin, Sigrid Onegin und Frida Leider dazu.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Klar, ein Beispiel genügt, um alle Sopranistinnen, Mezzosopranistinnen und Altistinnen zu verwerfen.


    Ich weiß gar nicht, was die Ironie soll...wie ich sagte, hat es bei mir nichts mit der Gesangskunst von Frau Otter oder einer anderen Dame zu tun, sondern, dass ich dieses Lied eben ungern von einer Frauenstimme höre (egal wie gut sie ist), weil es für mich persönlich nicht zu meiner Vorstellung passt (bei der "Winterreise" geht es mit zB ähnlich und ich will auch "Vier letzte Lieder" nicht unbedingt von einem Herren hören).
    Das all die Damen, die du aufzählst gut singen und interpretieren, will ich dabei ja gar nicht anzweifeln.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Man kann die Ballade aber wohl kaum mit der Winterreise oder Müllerin vergleichen, was die Wahl der Stimmlage betrifft. Bei den Zyklen gibt es durchweg ein männliches lyrisches Ich, beim Erlkönig muss der Sänger ohnehin vier Rollen gestalten: Erzähler, Erlkönig, Vater, Kind, von denen nur der Vater eindeutig mit einer Männerstimme assoziiert ist. Selbst Udo Jürgens, Schmidt und Feuerstein waren nur zu dritt (ich weiß nur noch, dass Feuerstein natürlich das Kind sein musste... :D).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich persönlich assoziere den Erlkönig auch mit einer Männerstimme, das Kind meinetwegen mit einer Kinderstimme (wie in der oben genannten Thill-Version), bliebe demnach nur noch die Erzählebene für eine Frauenstimme.
    Wie gesagt, ist das nur mein Empfinden, wer die Ballade gern von den Damen gesungen hat, den möchte ich nicht umstimmen., ich habe nichts dagegen.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Die Uraufführerin des Erlkönigs in seiner Ur-form (wir sprechen schon gar nicht von Schubert) war eine Frau: Die Ballade war eine Einlage in Goethes Singspiel Die Fischerin. Bei deren Uraufführung 1782 sang die Darstellerin der Fischerin, Corona Schröter, die Ballade als strophisches Lied mit einer selbstkomponierten Melodie.

    Das Lied assoziiere ich vor allem mit Dichtung und nicht mit Drama. Deshalb finde ich, daß eine Darstellung von Liedern und Balladen, wo mehrere Personen auftauchen, mit einem Sänger am besten geeignet ist. Sogar ein Dialog wie Antigone und Oedip D542 hat Schubert für eine Stimme komponiert (und J.M. Vogl gewidmet). Jetzt hört man es, wenn überhaupt, mit Sänger und Sängerin, aber Christoph Prégardien hat gezeigt,

    daß die Komposition schon die Szene versinnblidlicht.

    Was Erlkönig betrifft, so ist die Ambivalenz Teil der Faszination des Liedes. Die Stimme des Erlkönigs könnte eine innere Stimme des Knaben sein z.B. Man könnte es sich sogar als eine Deliriumsszene vorstellen, wo alles nur im Kopfe des vor Kälte sterbenden Kindes spielt. Oder in der verschreckten Phantasie des Vaters. Oder ... Den Vortragenden (Sänger / Sängerin und Klavierspieler) obliegt es, die Szene in ihrer ganzen Vieldeutigkeit zu vermitteln.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Auch die "Dialog"-Lieder aus Mahlers "Des Knaben Wunderhorn" sollten eigentlich nur von einem Sänger vorgetragen werden. Meines Wissens ist Mahlers Vorschrift hier eindeutig, obwohl manche davon mitunter von zwei Stimmen vorgetragen werden (zB Der Schildwache Nachtlied).
    Beim Erlkönig habe ich es (außer bei Schmidteinander) noch nie mit verteilten Rollen gehört. Ein Teil der Faszination besteht ja gerade darin, dass ein/e Sänger/in die unterschiedlichen Rollen gestalten muss und dass es auch entsprechend komponiert ist.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Beim Erlkönig habe ich es (außer bei Schmidteinander) noch nie mit verteilten Rollen gehört.

    Ich persönlich kenne nur die Thill/Etcheverry/Pascal und die Schäfer/Ainsley/George Aufnahmen.
    Graham Johnson beruft sich auf eine Erinnerung Albert Stadlers auf einen Besuch Schuberts aus Steyr im Sommer 1819, wo er erzählt, wie Josefine von Koller den Knaben, Schubert den Vater und Vogl den Erlkönig gesungen haben. Aber Stadler spezifiziert auch, daß es ein privates Experiment unter uns gewesen war.
    Wie gesagt, es ist eher eine Verflachung des Liedes (wie es z.B. mit Der Tod und das Mädchen wäre)

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Es stimmt, durch meinen kleinen Einwurf sind wir vom eigentlichen Grund weggekommen (das war so von mir nicht beabsichtigt). Ich höre diese Ballade defintiv gerne mit nur einem Sänger und gebe Kater Murr Recht, dass ja gerade die Gestaltung der vier Figuren durch einen Interpreten die Faszination ausmacht und ich denke, gerade hier liegt auch der Kern dessen, was eine gute Version ausmacht, also gesanglich (der andere Teil ist der des Pianisten).
    Ich habe oben schon die Version von Ian Bostridge erwähnt, die ich sehr schön gestaltet finde.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Mit Dank an die Hinweisgeberin: hier ist ein weiteres Beispiel für einen Vortrag des ERLKÖNIG mit verteilten Rollen aus dem Münchener Cuvillés-Theater. Der Erzähler und Erlkönig ist diesmal der Tenor Francisco Araiza. Die Instrumentation stammt diesmal von Franz Lisz. Ich finde interessant, wo und wie er von Berlioz abweicht, obwohl er ihm im Großen und Ganzen recht nahe kommt.

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    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Meine Lieblingsversion ist die von Otto Waalkes´ erster Live-Platte. Leider gibts davon keinen Clip.


    Wer reitet so spät durch Wind und Nacht?
    [...] [Copyright! Gurnemanz]

  • Ein paar durchaus subjektive Anmerkungen:

    Im Zuge des Verführer-Rätsels habe ich eben mal einen Streifzug durch die unüberschaubare Erlkönig-Diskographie gemacht (Spotify macht's möglich), rund 20 Aufnahmen zwischen 1907 und heute. Was mir auffällt: ein großer Teil der Sängerinnen und Sänger dramatisiert das Lied übermäßig, sowohl im Ganzen als auch an bestimmten, "einschlägigen" Stellen. Besonders beliebt neben dem Schluß ("war tot") ist die Stelle "so brauch ich Gewalt", wo die letzte Silbe mit z.T. größter Emphase betont wird, manchmal gar unter Aufgabe des Gesangstones. Sie entgehen damit nicht der Gefahr der Verdopplung der Musik durch die gesangliche Darstellung - und das streift nicht selten die Grenze zum Lachhaften. Jedenfalls für mich gehen der düstere Grundton und die unheimliche Stimmung des Liedes dabei den Bach herunter.

    Berlioz' Orchestrierung hat auf mich stellenweise einen ähnlichen Effekt. Charles Panzéra (

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    ) hält sich zwar zunächst mit weiterer Dramatisierung zurück, macht aber am Ende mit dem pathetisch gesprochenen "est mort" gleich alles zunichte. Elisabeth Schwarzkopf macht aus der Unterscheidung der vier Stimmen ein Kasperltheater, Lilli Lehmann ist kaum besser, Sigrid Onegin wechselt bei jeder Stimmänderung drastisch das Tempo, der wunderbare Bach-Sänger Klaus Mertens hat irgendwie Grete Wehmeyers Buch über Tempohalbierungen bei Beethoven in den falschen Hals gekriegt (sein Erlkönig dauert fast 6 Minuten), die Fassung von Victoria de los Angeles grenzt an akustischen (Selbst-)Rufmord und Jessye Norman, Germaine Lubin und Bryn Terfel verwechseln den Erlkönig mit Isoldes Liebestod oder Wotans Abschied.

    Der Kuriosa gibt es wirklich genug - nur wenige Sänger vertrauen scheint's auf die Komposition. Nicht umsonst läßt Schubert ja das Stück vor den Worten "war tot" fast zum Stillstand kommen oder bringt den Sänger nach der Androhung von Gewalt mit der extrem hoch gesetzten Passage des Kindes an die Grenze. Die äußerlich zurückhaltenderen Interpretationen finde ich daher weit passender, besonders gefallen haben mir Ernestine Schumann-Heink (trotz der orchestrierten Fassung), Wilhelm Strienz, Heinrich Schlusnus und Thomas Quasthoff, bei dem das Stück einen geradezu fatalistischen Schluß annimmt. Und - obwohl ich gewiß nicht sein besonderer Fan bin - über allem steht Fidis Interpretation aus den 60ern (mit Gerald Moore)! Keine andere hat mich annähernd so überzeugt.

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Dieser Thread hat mich sehr angeregt, auch wieder mehr zu vergleichen. Die unaufgeregte Vortragsweise von Fidi hat mich ebenfalls sehr angesprochen. Quasthoff viel weniger. Ich persönlich mag halt Falko Hönisch als Liedsänger unglaublich gerne, da er mich und viele mit mir, immer sofort in die Dramatik der Geschichten hineingezogen hat. Beim ARD-Wettbewerb sang er den Erlkönig mit Klavier- und beim Finale auch mit Orchesterbegleitung. Bei Youtube findet man eine Erlkönig-Interpretation mit ihm (in der Darstellung leider etwas verzerrt). Er gehört sicher mehr zu den Dramatikern und deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn Ihr ihn Euch mal anhört. Seine Dichterliebe hat mich z.B. bei einem Konzert in München so unglaublich mitgenommen, dass ich dieses Erlebnis immer noch abrufen kann.

    Herzliche Grüße
    Ingrid

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