Nikolaus Harnoncourt - der Klangredner

  • Vielleicht wegen Klarinetten-Solo im langsamen Satz von Beethovens 1. Konzert? Ich finde ja oft, dass Holzbläser die Blumen eher verdient hätten als Konzertmeister.
    Da Harnoncourt noch 15 Jahre lang Dienst bei den Symphonikern schieben musste, weil er von der Arbeit mit dem Concentus keine Familie ernähren hätte können, sehe ich ihm einiges nach. Man kann ja auch keinem Musiker widersprechen, wenn er meint, er müsse jetzt auch Brahms und Smetana aufnehmen und wenn man die dritte Aufnahme der späten Mozartsinfonien gegen Harnoncourt ins Feld führen wollte, ginge das in analogen Fällen entsprechend. Als Weltstar über 80 kann man sich weitgehend aussuchen, was man machen will, und das ist auch o.k. so. Ob da jetzt noch kommerzielle Interessen dominieren, halte ich für zweifelhaft.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ob da jetzt noch kommerzielle Interessen dominieren, halte ich für zweifelhaft.

    Ich würde in der Tat auch annehmen, dass weder die Wiener Philharmoniker noch Harnoncourt Lang Lang schlecht finden.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Das Heruntermachen von großen Dirigenten wie Böhm u.a. (weil sie es ja nicht besser wussten) ist dermaßen unangenehm, aber bei seiner Heiligkeit und seinen Jüngern ist jede Kritik verboten. Dieser "Nur ich weiß" , "Nur so hat er sichs gedacht" Anspruch und das Schimpfen gegen nicht "hochkulturelle und nicht gebildete Menschen" geht mir schon seit Jahren auf den Wecker.

    Danke, dem kann ich mich nur anschließen.

    Christian

  • Vielleicht wegen Klarinetten-Solo im langsamen Satz von Beethovens 1. Konzert? Ich finde ja oft, dass Holzbläser die Blumen eher verdient hätten als Konzertmeister.

    Komisch fand ich ja eher, dass Lang Lang bei vier Blumensträußen schon die Damen im Orchester ausgehen - das muss einem amerikanischen Rezensenten höchst exotisch vorkommen.

    Kommerzielle Interessen finde ich nicht verwerflich. Wenn man als Dirigent überhaupt noch - abgesehen vom Werbeeffekt für Konzerte - mit Tonträgern nennenswerten Gewinn machen kann, dann vermutlich indem man entweder das Neujahrskonzert leitet oder Lang Lang, Netrebko, Kaufmann o.ä. begleitet. Und wenn Harnoncourt mit zunehmendem Alter sein Repertoire etwas verengt und häufiger dieselben Werke aufführt, steht er damit unter älteren Dirigenten wahrlich nicht allein da.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Mit Lang Lang hat er schon vor vier Jahren zusammen musiziert. Für manch einen scheint das ja ein Sündenfall zu sein, wobei er sich allerdings den Apfel mit ziemlich vielen Kollegen teilen muss: Abbado, Barenboim, Boulez, Chailly, Gergiev, Jansons, Nagano, Nelsons, Salonen, Thielemann und und und...


    Ein "Auch Du, Brutus" gegenüber Harnoncourt loszulassen, nur weil er mit Lang Lang eine CD aufgenommen hat, halte ich angesichts der obigen Namensauflistung, welche man insbesondere noch durch Simon Rattle ergänzen könnte (der ihn ständig zu den Berliner Philharmonikern einlädt und ebenfalls jüngst die Bartók/Prokofiew-CD mit ihm gemacht hat), auch für ziemlich unangebracht. Ich bin wirklich alles andere als ein Lang Lang-Fan, aber über seine für Oktober angekündigte Mozart-CD sollte man vielleicht doch erst dann herfallen, wenn man sie sich zumindest einmal in Form von Hörschnipseln angehört hat.

    Dem obigen Link von Alexander entnehme ich übrigens, dass es sich um ein Doppelalbum handelt. Auf der CD 2 spielt er folgende weitere Werke:

    Rondo alla Turca aus der Sonate Nr. 11 A-Dur KV 331

    Sonate Nr. 5 KV 283

    Sonate Nr. 4 KV 282

    Sonate Nr. 8 KV 310

    Allegro F-Dur KV1c

    Marsch KV 408 Nr. 1

    Konzertstück F-Dur KV 33b

    Einen gewissen Repertoirewert kann man diesem "The Mozart Album" also wohl kaum absprechen. Jedenfalls mir sind das Allegro KV 1c und das Konzertstück KV 33b bisher völlig unbekannt.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Mozarts letzten drei Symphonien als instrumentales Oratorium (Gattung hat laut Harnoncourt Mozart erfunden :mlol: )bei der diesjährigen Styriarte waren eine Katastrophe. Er musste bei sämtlichen Sätzen das Tempo runterschrauben (HC ist sowieso seit Jahren nicht der schnellste um sich von seinen Kollegen abzuheben) damit diese nicht mehr mit den Tempoangaben Mozarts zusammenpassen.

    Ich hab mir jetzt mal die Hörschnipsel der Es-dur- und g-moll-Sinfonie bei jpc angehört: "bei sämtlichen Sätzen das Tempo runterschrauben" stimmt ja nun definitiv nicht. Die meisten Tempi (beim Kopfsatz von KV 543 hört man natürlich nur die Einleitung) sind im Vergleich eher auf der schnellen Seite, gerade bei den Mittelsätzen (teils noch gesteigert gegenüber den Aufnahmen mit dem Concertgebouw-Orchester). Nur das Finale von KV 550 ist (wie ebenfalls vor 30 Jahren in Amsterdam, was Kater Murr schon erwähnte) ziemlich langsam.

    Was mich hier stört, sind vielmehr andere Harnoncourt-Charakteristika: die manchmal seltsam verwaschene Artikulation (z.B. Andante der g-moll), die Staccato-Furcht, die seltsamen Betonungen (manchmal übertrieben auf dem Taktschwerpunkt wie im Andante der g-moll, dann wieder wüst zustechend bei den unbetonten Taktteilen im Menuett der Es-dur) - und die Kombination einer gelegentlich aggressiven Klanglichkeit mit den genannten Elementen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich bin wahrhaftig kein Fan von Lang Lang - dafür schätze ich Nikolaus Harnoncourt umso mehr. Wenn sich die beiden zu einer gemeinsamen Aufnahme gefunden haben, gehe ich davon aus, dass sie eine gemeinsame Lesart der Klavierkonzerte gefunden haben. Und ich unterstelle dem Dirigenten auch, dass er diese Aufnahme nicht aus finanziellen oder werbetechnischen Gründen gemacht hat (beim Orchester bin ich da nicht so sicher :hide: ) .

  • Scheint mir nach den Schnipseln jedenfalls nicht grundsätzlich verschieden von den 30 Jahre alten Concertgebouwaufnahmen. Einleitung und Binnensätze der 39 sehr zügig, Finale normal vom Tempo, wobei ich schon in den ersten Sekunden Holzbläser und Horn-Passagen wahrnehme, die ich in meinem vagen Hinterkopfschema der Musik vermisse.
    Das g-moll-Andante ist mir auch etwas zu verwaschen, aber diese Artikulation eines vage pulsierenden "portato" oder wie man das nennen sollte, ist auch etwas, was er schon seit Jahr(zehnt)en macht.
    (Ich finde das in der Concertgebouwaufnahme und auch im 2. Satz von Haydns #83 sehr überzeugend)
    Die Tempi bei der g-moll sind jedenfalls auch sehr ähnlich der Concertgebouw-Aufnahme. Kaufen werde ich mir die heut und morgen nicht, vielleicht mal im Angebot. Wenn bei 41 der Kopfsatz noch langsamer und "zerhackter" ist als bei der alten werde ich mich damit auch nicht anfreunden können. (Der wird nie zu meinen 10 liebsten Mozart-Sätzen gehören, aber er funktioniert besser zügig und geradlinig. Mindestens eine weitere HIP-Aufnahme, die ich gehört habe, ist ähnlich breit und "fragmentiert" wie Harnoncourts.)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Das g-moll-Andante ist mir auch etwas zu verwaschen, aber diese Artikulation eines vage pulsierenden "portato" oder wie man das nennen sollte, ist auch etwas, was er schon seit Jahr(zehnt)en macht.

    Ja, leider. In der neuen Aufnahme ist das aber nochmal deutlich gegenüber der Amsterdamer gesteigert (und unter "portato" verstehe ich auch was anderes). Bei der g-moll ist das Kopfsatztempo gegenüber Amsterdam etwas zurückgenommen, die Forte-Bläsereinwürfe klingen noch schärfer: letzteres finde ich angemessen. Aber das Menuett der Es-dur ist im Vergleich zur älteren Aufnahme extrem "fuchtelnd" (von "stampfend" kann man bei dem Tempo ja nicht mehr sprechen), fast schon auf karikierende Weise.


    Wenn bei 41 der Kopfsatz noch langsamer und "zerhackter" ist als bei der alten werde ich mich damit auch nicht anfreunden können. (Der wird nie zu meinen 10 liebsten Mozart-Sätzen gehören, aber er funktioniert besser zügig und geradlinig.

    Finde ich nicht. Hier hat mir Harnoncourts Ansatz, zwischen dem Rollmotiv und der gesanglichen Fortspinnung auch tempomäßig zu differenzieren, immer eingeleuchtet. Grundsätzlich steht dem Satz eine gewisse Monumentalität auch aufgrund der formalen Ausführlichkeit recht gut. Hurtiges Abschnurren mag ich hier nicht.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Zitat von »Kater Murr«
    Wenn bei 41 der Kopfsatz noch langsamer und "zerhackter" ist als bei der alten werde ich mich damit auch nicht anfreunden können. (Der wird nie zu meinen 10 liebsten Mozart-Sätzen gehören, aber er funktioniert besser zügig und geradlinig.


    Finde ich nicht. Hier hat mir Harnoncourts Ansatz, zwischen dem Rollmotiv und der gesanglichen Fortspinnung auch tempomäßig zu differenzieren, immer eingeleuchtet. Grundsätzlich steht dem Satz eine gewisse Monumentalität auch aufgrund der formalen Ausführlichkeit recht gut. Hurtiges Abschnurren mag ich hier nicht.

    Ich habe gerade bei Spotify mal in diesen Anfang der Jupiter-Symphonie hineingehört. Entschuldigt bitte, aber das ist ganz einfach großer Käse: Die Gerenalpause im zweiten Takt, die eigentlich zweieinhalb Viertel lang wäre, ist - wenn man im Anfangstempo innerlich weiterzählt - bei Harnoncourt plötzlich und vollkommen unvorbereitet etwa fünfeinhalb Viertel (!) lang. Anders gesagt: Harnoncourt wechselt mit Beginn der Pause plötzlich zu einem extrem langsameren Tempo, vollkommen unvorbereitet und natürlich auch während der Pause nicht hörbar. Die Folge ist, dass kein einziger Hörer den Rhythmus der Stelle verstehen kann, es sei denn er verfügt über eine funktionierende Kristallkugel. Das ist keine "einleuchtende gestalterische Idee" sondern grober Unfug. Und natürlich ist diese "tempomäßige Differenzierung" zwischen Rollmotiv und gesanglicher Fortsetzung auch überhaupt nur am Anfang so möglich, denn im Laufe des Satzes (wie z.B. nach der Fermate in T. 23) sind beide strukturell viel zu eng miteinander verwoben, als dass sich so ein Blödsinn da wiederholen ließe (wo am Anfang die Generalpause war, ist hier die Achtel-Tonleiter von Flöte und Oboe; die Pause ist also zum Glück für Harnoncourt rhythmisiert). Auch im weiteren Verlauf des Satzes finde ich den Rhythmus an vielen Stellen ungenau, schlampig, verwaschen. Das reichte mir dann ehrlich gesagt schon zum Ausschalten. Ich habe nichts gegen unkonventionelle "gestalterische Ideen", aber sie müssen sich im Moment des Hörens offenbaren und nicht erst im Nachhinein. Ein radikaler Tempowechsel während einer Generalpause (oder auch auf liegenden Klängen) ist deshalb ein prinzipieller Gestaltungsfehler, denn er bringt den Hörer dazu, im Nachhinein das Gehörte noch einmal "umzudeuten", statt den musikalischen Verlauf in der Zeit zu erleben und zu verstehen. Wenn man z.B. Kammermusik macht, bemerkt man solche Fehler augenblicklich, weil niemand der Partner mitspielen kann, wie intensiv man seine "Idee" auch innerlich empfunden haben mag. Ein Orchester muss sich natürlich zwingen lassen, auch mal eine Mozart-Symphonie ohne Rhythmus zu spielen, wenn der Meister da vorne gerade eine "tolle Idee" hat... Die Lösung wäre in diesem Fall übrigens ganz einfach gewesen: Das zweite "Rollmotiv" hätte eine Spur später und breiter kommen müssen. Dann wäre der Tempowechsel schon vor der Pause eingeleitet und folglich überhaupt hörbar gewesen. Aber das war Harnoncourt wohl zu "normal", er bevorzugt offenbar die "Lösungen", die außer ihm niemand verstehen kann.

    Christian

  • Wer sich einlässt auf die Musik und nicht auf andere Interpretationen, der ist auch bereit, Ungewohntes zu finden, und sich von diesem Ungewohnten berühren zu lassen.
    Harnoncourt tut nichts ohne Grund - und der Grund ist nie oberflächlich.

    Klemperer: "Wo ist die vierte Oboe?" 2. Oboist: "Er ist leider krank geworden." Klemperer: "Der Arme."

  • Harnoncourt tut nichts ohne Grund - und der Grund ist nie oberflächlich.

    Also geht er z.B. auch nicht ohne tieferen Grund pinkeln? Beeindruckend der Mann.

    Wer sich einlässt auf die Musik und nicht auf andere Interpretationen, der ist auch bereit, Ungewohntes zu finden

    Ich muss zugeben, dass ich den Satz nicht verstehe: Ich kann "Ungewohntes finden", indem ich mich zwar "auf die Musik" aber "nicht auf andere Interpretationen" einlasse? Der Gedanke ist zu tief für mich.

    Christian

  • Die Gerenalpause im zweiten Takt, die eigentlich zweieinhalb Viertel lang wäre, ist - wenn man im Anfangstempo innerlich weiterzählt - bei Harnoncourt plötzlich und vollkommen unvorbereitet etwa fünfeinhalb Viertel (!) lang. Anders gesagt: Harnoncourt wechselt mit Beginn der Pause plötzlich zu einem extrem langsameren Tempo, vollkommen unvorbereitet und natürlich auch während der Pause nicht hörbar. Die Folge ist, dass kein einziger Hörer den Rhythmus der Stelle verstehen kann, es sei denn er verfügt über eine funktionierende Kristallkugel. Das ist keine "einleuchtende gestalterische Idee" sondern grober Unfug. Und natürlich ist diese "tempomäßige Differenzierung" zwischen Rollmotiv und gesanglicher Fortsetzung auch überhaupt nur am Anfang so möglich, denn im Laufe des Satzes (wie z.B. nach der Fermate in T. 23) sind beide strukturell viel zu eng miteinander verwoben, als dass sich so ein Blödsinn da wiederholen ließe (wo am Anfang die Generalpause war, ist hier die Achtel-Tonleiter von Flöte und Oboe; die Pause ist also zum Glück für Harnoncourt rhythmisiert).

    Versuchsweise möchte ich die gestalterische Idee so beschreiben: Sowohl die Tempodifferenzierung als auch die überdehnte Pause zeigen die Verschiedenartigkeit und Unverbundenheit des motivischen Materials wie mit der Lupe auf - die ersten 23 Takte bekommen dadurch Einleitungscharakter. Dabei werden Rollmotiv, Pause und thematische Fortspinnung als drei unterschiedliche Einheiten aufgefasst. Ab Takt 24 wird das Material einer symphonischen Verarbeitungstechnik unterzogen, in verschiedenster Art miteinander kombiniert, dadurch auch potentiell einander angeglichen. Dem entspricht bei Harnoncourt die Angleichung der verschiedenen Tempi (er hätte ja beispielsweise auch die Achteltonleiter der Holzbläser ritardando spielen lassen und so mindestens bis Takt 36 die verschiedenen Tempi beibehalten können). Wenn ich hier etwas kritisieren würde, dann den tautologischen Ansatz, die Überdeutlichkeit, mit der gestalterische Charakteristika herausgestrichen werden.


    Ich habe nichts gegen unkonventionelle "gestalterische Ideen", aber sie müssen sich im Moment des Hörens offenbaren und nicht erst im Nachhinein. Ein radikaler Tempowechsel während einer Generalpause (oder auch auf liegenden Klängen) ist deshalb ein prinzipieller Gestaltungsfehler, denn er bringt den Hörer dazu, im Nachhinein das Gehörte noch einmal "umzudeuten", statt den musikalischen Verlauf in der Zeit zu erleben und zu verstehen.

    Das ist aber nichts weiter als eine ästhetische Norm, die wie alle ästhetischen Normen auch negiert werden kann. Spätestens bei der Interpretation der Takte 24ff. durch Harnoncourt merkt der Hörer ja, dass in den ersten Takten rhythmisch irgendwas nicht gestimmt hat und legt sich dann - nachträglich, klar, nicht im Moment des Erklingens - das Geschehen "richtig" zurecht, einschließlich der verlängerten Pause. Es ist doch kein Einzelfall, dass man zentrale Charakteristika einer Musik (oder auch einer Interpretation von Musik) nicht im Moment des Erklingens begreift, sondern erst bei einer variierten Wiederholung o.ä. Klar lässt sich Harnoncourts Interpretation nicht ohne weiteres aus den Noten herleiten, man kann sie auch verfehlt finden - aber dass hier überhaupt ein Konzept zugrundeliegt und nicht schierer "Käse", unterstelle ich doch bis auf weiteres.


    Wenn man z.B. Kammermusik macht, bemerkt man solche Fehler augenblicklich, weil niemand der Partner mitspielen kann, wie intensiv man seine "Idee" auch innerlich empfunden haben mag. Ein Orchester muss sich natürlich zwingen lassen, auch mal eine Mozart-Symphonie ohne Rhythmus zu spielen, wenn der Meister da vorne gerade eine "tolle Idee" hat...

    Verstehe ich nicht: wenn man etwa eine Bearbeitung der Jupitersinfonie als Klaviertrio aufführen würde, könnten sich doch - zumindest hypothetisch - die drei beteiligten Musiker sich auf das Harnoncourt'sche (oder irgendein anderes ausgefallenes) Konzept einigen und dieses durchführen. Ganz konkret hat sich ja das Hagen-Quartett bei seiner Interpretation von Mozarts KV 428 auf Harnoncourt berufen und ebenfalls versucht, den verschiedenen motivischen Bestandteilen des Hauptthemenkomplexes im Kopfsatz unterschiedliche Tempi mitzugeben - hier hatte ich mal versucht, das zu beschreiben.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich bin hier (wie übrigens auch was Pärt begrifft) ganz bei eloisasti.
    Zu mehr bin ich trotz x Textansätzen derzeit nicht fähig und willens, auch aus Zeitgründen, bitte vorläufig um Verständnis.
    Ach so, und wenn ich mich damit endgültig als Käsefresser ;+) oute: Ich HABE die neue Mozart Doppel CD bereits und bin /(nach dem ersten Reinhören) restlos begeistert von Konzept und Interpretation.
    Das ist für mich: Musik ganz im Jetzt und Hier, voller Überraschungen, genialste Musik, die man wieder mal neu hören kann.
    Ich erlaube mir, dies als Bereicherung für mich zu betrachten, auch "wenn alles falsch ist und dieses stichhaltig belegbar".

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Versuchsweise möchte ich die gestalterische Idee so beschreiben: (...)

    Die Idee ist mir schon klar, aber braucht die zum Verständnis eine rhythmische Verzerrung bis zur Unkenntlichkeit? Dass das Anfangsthema aus zwei entgegengesetzten Elementen besteht, ist erstens wahrlich keine Besonderheit der Jupiter-Symphonie und ist zweitens auch ohne solche Mätzchen vollkommen eindeutig hörbar. Wozu also die Überdehnung einer Pause, die Mozart mit zweieinhalb Vierteln angegeben hat, auf mehr als das Doppelte?

    Das ist aber nichts weiter als eine ästhetische Norm, die wie alle ästhetischen Normen auch negiert werden kann. Spätestens bei der Interpretation der Takte 24ff. durch Harnoncourt merkt der Hörer ja, dass in den ersten Takten rhythmisch irgendwas nicht gestimmt hat und legt sich dann - nachträglich, klar, nicht im Moment des Erklingens - das Geschehen "richtig" zurecht, einschließlich der verlängerten Pause. Es ist doch kein Einzelfall, dass man zentrale Charakteristika einer Musik (oder auch einer Interpretation von Musik) nicht im Moment des Erklingens begreift, sondern erst bei einer variiereten Wiederholung o.ä.

    Das sollte aber nur die Charakteristika betreffen, die sich auch von der Komposition her auf Vorausgegangenes beziehen, also z.B. die von Dir genannten variierten Wiederholungen, die man natürlich nur als Variation erkennen kann, wenn man sich an das zuvor Gehörte erinnert. Aber z.B. Phrasenanfänge und -enden, Klangfarbenwechsel mit der Harmonie usw. beziehen ihren musikalischen Sinn ja aus dem Moment des Stattfindens, sollten folglich auch in dem Moment verstanden werden können. Und welches musikalische Element wäre mehr in der Gegenwart zu erleben als der Rhythmus?

    Verstehe ich nicht: wenn man etwa eine Bearbeitung der Jupitersinfonie als Klaviertrio aufführen würde, könnten sich doch - zumindest hypothetisch - die drei beteiligten Musiker sich auf das Harnoncourt'sche (oder irgendein anderes ausgefallenes) Konzept einigen und dieses durchführen.

    Natürlich könnten sie das. Das Problem ist: Außer den beteiligten Musikern wird die Sache niemand verstehen können, jedenfalls nicht ohne sie vorher schon zu kennen. Ich habe z.B. eine Aufnahme des Es-Dur-Klaviertrios (edit: von Schubert) mit dem Beaux-Arts-Trio, bei der die Musiker das Seitenthema des ersten Satzes (Viertel - vier Achtel usw.) perfekt zusammen in absolut unverständlichem Rhythmus spielen. Als Hörer fühle ich mich, als ob ich keinen Zugang zu dem erlauchten Kreise der Musiker und ihrer Geheimnisse bekommen soll. Nicht gerade meine Ideal-Vorstellung von einer Interpretation... Ich bin der Überzeugung, dass (nicht nur, aber gerade in der Kammermusik) die Lösungen am unmittelbarsten und intensivsten wirken, die ohne Erklärung von "Konzepten", ohne nachträgliche "Umdeutungen", ohne in die Noten gemalte "Brillen" alles hör- und erlebbar machen, was im Moment an musikalischen Ereignissen stattfindet. Der Rhythmus gehört dabei ganz nach oben.

    Christian

  • Dass das Anfangsthema aus zwei entgegengesetzten Elementen besteht, ist erstens wahrlich keine Besonderheit der Jupiter-Symphonie und ist zweitens auch ohne solche Mätzchen vollkommen eindeutig hörbar. Wozu also die Überdehnung einer Pause, die Mozart mit zweieinhalb Vierteln angegeben hat, auf mehr als das Doppelte?

    Statt "Mätzchen" könnte man auch "Hyperbel" (als rhetorische Figur der Überteibung) sagen: der Gegensatz der Motive und ihre zunächst unverbundene Gegenüberstellung wird - zweifellos auf Kosten anderer Elemente wie etwa des korrekten Rhythmus - besonders stark herausgestrichen, um einen Hörer des späten 20. Jahrhunderts, der an stärkere Gewürze gewöhnt ist, erstmal darauf aufmerksam zu machen. Oder als Annäherung Mozarts an einen stärker mit extremen rhetorischen Stilmitteln arbeitenden Komponisten wie CPE Bach.


    Das sollte aber nur die Charakteristika betreffen, die sich auch von der Komposition her auf Vorausgegangenes beziehen, also z.B. die von Dir genannten variierten Wiederholungen, die man natürlich nur als Variation erkennen kann, wenn man sich an das zuvor Gehörte erinnert.

    Das im von mir fett markierten Satzteil Gesagte sollte man m.E. nicht unterschätzen: Ja, die Mozart-Interpretationen Harnoncourts nahmen Anfang der 1980er Jahre sicher nicht nur auf den Notentext und eine (tatsächliche oder angebliche) historische Aufführungspraxis Bezug, sondern auch auf eine von relativ metronomisch durchgehaltenen Tempi geprägte Mozart-Aufführungstradition und entsprechende damalige Hörgewohnheiten. Ich finde es legitim, sich in einer musikalischen Interpretation auch mit extremen Mitteln von einer als einseitig eingeschätzten Rezeptionsgeschichte abzusetzen. Ob das heute auch noch funktioniert, sei dahingestellt - das "Aufbrechen" von angeblichen Hörgewohnheiten kann in einer Zeit, in der Harnoncourt von z.B. Jacobs auch noch links überholt wird, nicht mehr richtig funktionieren bzw. zur Masche werden.


    Ich habe z.B. eine Aufnahme des Es-Dur-Klaviertrios mit dem Beaux-Arts-Trio, bei der die Musiker das Seitenthema des ersten Satzes (Viertel - vier Achtel usw.) perfekt zusammen in absolut unverständlichem Rhythmus spielen.

    Du meinst jetzt Schuberts Es-dur-Trio (edit: ja, Ergänzung gesehen) und das Thema in Takt 50ff., oder? Ich hab mal kurz reingehört (Aufnahme Pressler/Guilet/Greenhouse, ich weiß nicht, ob es noch eine spätere gibt), konnte aber mit meinen Schweinsohren keine Besonderheit feststellen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Statt "Mätzchen" könnte man auch "Hyperbel" (als rhetorische Figur der Überteibung) sagen: der Gegensatz der Motive und ihre zunächst unverbundene Gegenüberstellung wird - zweifellos auf Kosten anderer Elemente wie etwa des korrekten Rhythmus - besonders stark herausgestrichen, um einen Hörer des späten 20. Jahrhunderts, der an stärkere Gewürze gewöhnt ist, erstmal darauf aufmerksam zu machen.

    Einverstanden, nur: Warum muss man den verstärkten Kontrast auf Kosten des Rhythmus' zeigen? Ich habe ja oben schon eine Möglichkeit genannt, wie man den Tempowechsel (und damit den Rhythmus) trotz aller Extreme miterlebbar gestalten könnte: indem man das zweite "Rollmotiv" etwas später und vielleicht auch eine Spur breiter nähme, ohne ihn dynmisch zurückzunehmen. Dann wäre der Kontrast mindestens genauso stark, aber man könnte das Ganze noch durchdirigieren (was Glenn Gould mal als Kriterium für agogische Gestaltung gennant hat; erscheint mir sehr plausibel). Eine andere Möglichkeit wäre, auf den extremen Tempowechsel zu verzichten, dafür aber das zweite Rollmotiv stärker als das erste zu nehmen, um so den Kontrast zur Fortsetzung besonders herauszustreichen. Und so weiter: Es gibt viele Möglichkeiten der Kontrastverstärkung, die ohne rhythmische Verstümmelung auskommen. Wo liegt deren musikalischer Gewinn?

    Du meinst jetzt Schuberts Es-dur-Trio (edit: ja, Ergänzung gesehen) und das Thema in Takt 50ff., oder? Ich hab mal kurz reingehört (Aufnahme Pressler/Guilet/Greenhouse, ich weiß nicht, ob es noch eine spätere gibt), konnte aber mit meinen Schweinsohren keine Besonderheit feststellen.

    Nein, ich habe eine spätere Aufnahme mit Peter Wiley am Cello. Die "Idee" verstehe ich auch da: Die Musiker wollen dem Thema eine Richtung geben. Was sie dazu tun: Sie verlängern das Viertel um einen irrationalen Wert, um anschließend bei den repetierten Achteln jeweils "aufzuholen". Es ist erstaunlich und irgendwie auch bewundernswert, dass sie derart "schief" überhaupt zusammenspielen können, aber was nützt das, wenn ich als Hörer den Rhythmus nur noch wie im Zerrspiegel und unter Zuhilfenahme meiner Erinnerung an den Notentext oder an "normale" Wiedergaben erkennen kann? Man darf als Musiker meines Erachtens nie vergessen, dass der Hörer eben keine Probe hat, bei der man alles mögliche vereinbaren, ausprobieren, einstudieren kann. Im Zweifelsfall ist man deshalb mit einer möglichst natürlichen Version (die keinesfalls mit einer langweiligen zu verwechseln ist) besser bedient.

    auch "wenn alles falsch ist und dieses stichhaltig belegbar"

    Die Anführungszeichen suggerieren, dass ich so etwas geschrieben hätte. Das ist nicht der Fall. Zum Thema "stichhaltig belegbar" muss ich zugeben, dass es mir mehr und mehr auf die Nerven geht, dass man in Capriccio dafür angegriffen wird, wenn man seine Meinung auch noch begründet. Das ist mir jetzt zum wiederholten Male geschehen, und ich verliere allmählich die Lust, mich unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch an kontroversen Diskussionen zu beteiligen. Die allseits beliebten Ranking-Threads interessieren mich allerdings auch nicht.

    Christian

  • Sorry lieber Christian wenn es so negativ rübergekommen bist, und es lag mir auch fern, Dich anzugreifen. Ich habe größten Respekt vor Dir als küntlerischer und menschlicher Persönlichkeit, und ohne Schreiber wie Dich hätte ich mich nie als Moderator bei Capriccio zur Verfügung gestellt. (Im positivsten Sinn - Postings wie die von Dir gehören für mich zu den bereicherndsten im Netz, und da macht es echte Freude, dabei zu sein.) Wenn Du etwas schreibst nehme ich das sehr ernst, viel ernster als vieles andere was im Forum geschrieben wird, aber es gibt Zeiten, wo man (ich) nicht die Zeit und Möglichkeit (und auch nicht die Kraft und Lust, ganz ehrlich gesagt) habe (obwohl ich fast alle Bücher und schon sehr viele CDs mit Harnoncourt zu Hause habe), argumentativ entgegenzuhalten. Wahrscheinlich hätte ich zu den Redezeichen noch etwas dazu setzen müssen. Ich bitte Dich, dies also keineswegs auf Dich zu beziehen, weiter Harnoncourts Sichtweise genauso kritisch wie bisher zu analysieren und allfällige "nonargumentative Harnoncourtverteidigungen" meinerseits bitte nicht persönlich zu nehmen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Vielleicht hat Harnoncourt einfach zu viel Hildesheimer gelesen ;+)

    Es ist eine Weile her, dass ich die beiden letzten Symphonien Mozarts unter Harnoncourt gehört habe - aber die Interpretation der großen g-moll-Symphonie erschien mir beim damaligen Hören stets zwingender, mit Vorischt fomuliert, auch mehr "Mozartsch".
    Obwohl hier auch stark kontrastiert wird und die Dynamik zuweilen grenzwertig erscheint, geht meiner Erinnerung nach kaum etwas auf Kosten des rhythmischen Flusses.

    In der Partitur [der Jupiter-Symphonie] ist ja auch bei den harmonisch anders beleuchteten, wiederkehrenden zweiten Motiv nirgends ein ritardando o.ä. verzeichnet, so dass man Harnoncourts Entscheidung zu Beginn der Symphonie als leise Vorahnung hätte deuten können.
    Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der den Beginn als wenig geglückt empfand.

    Wer weiß, was Harnoncourt da geritten hat - Jupiter, als Krönung im Mozartschen Symphonien-Kosmos und als Krönung der klassischen Symphonie als solche, wirklich JEDEM deutlich werden zu lassen? Harnoncourt ist ja ein Vertreter des vermeintlich "Wahrhaften" in der Musik - seiner Aussage nach ist Schönheit Wahrheit und vice versa - in dem Sinne, dass die Musik von Komponisten wie z.B. Berlioz für ihn nichts "Wahrhaftiges" an sich haben und somit auch nicht schön sind.
    Vielleicht ein missglückter Versuch, insbesondere bei der Jupiter-Symphonie Mozart dem Leichten, dem Fluiden zu entheben und jeglichen Anschein "oberflächlicher Schönheit" zu vermeiden.
    Müßig zu spekulieren....just mittagssonnen-induzierte Gedanken....

    :wink:

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

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