Puccini: "La fanciulla del West" - Nationaltheater Mannheim, 23.10.2012 (Premiere: 20.10.2012)
Mit „1849-1850“ wird die Zeit der Handlung von Giacomo Puccinis Oper „La fanciulla del West“ angegeben, Ort der Handlung: Kalifornien. Dieses Kalifornien war vor dem amerikanisch-mexikanischen Krieg in den Jahren 1846-1848 mexikanisch. Die Amerikaner überfielen damals Mexiko und okkupierten mehr als die Hälfte des Landes.
Diese historische Situation nutzt Regisseur Tilman Knabe (Bühne: Johann Jörg, Kostüme: Kathi Maurer) für seine gewohnt eigenwillige Inszenierung der Puccini-Oper. Schon vor Beginn des Stückes lungern Guerillakrieger auf der Vorderbühne, alle bewaffnet, Müll liegt vor Natodraht herum, ein Metallzaun schliesst die Bühne nach links ab. Die Menschen – unter ihnen auch die indianischen Ureinwohner Billy und Wowkle – sie hochschwanger - ,die in einem schlichten Plastikzelt am rechten Bühnenrand hausen – scheinen auf etwas zu warten.
Mit Beginn der Musik werden Schüsse hörbar, amerikanische Soldaten stürmen herein, es gibt ein Feuergefecht, die Amerikaner siegen. Schnell wird die amerikanische Flagge gehiesst, „Victory“-Zeichen fürs Gruppenfoto und Austausch der Schilder: gewarnt wird fortan in amerikanisch.
Mitten in diesem Getümmel erkennt man Minnie und Johnson, das spätere Liebespaar der Oper, Johnson rettet Minnie das Leben. Sie kennen sich also bereits, das ist eine interessante Idee für die spätere Entwicklung des Stückes.
Das Lager auf der Bühne ist keines von Goldgräbern, sondern eines von GIs, ein riesiger Wachturm ragt über dem schäbigen und nur provisorischen Casino herein.
Eine Idee, die Knabe nun schon mehrfach verwendet hat: Tote, die wieder lebendig werden, konnte man bei ihm im Mainzer „Tristan“ genauso sehen, wie in seiner neuen Inszenierung am dortigen Staatstheater, „Elektra“, und hier, in der „Fanciulla“ ist es der Bänkelsänger Jake Wallace, der als Toter somnambul über die Bühne schreitet und die Toten mit sich nimmt.
Minnie verkleidet sich als Cowgirl im weissen Outfit, um eine wenig laszive Show abzuziehen, die Männer sind trotzdem erregt, zur Bibelstunde, die der Text vorgibt, passt das nicht wirklich. Sheriff Rance ist ein maschinenpistolen bewehrter Finsterling, Ashby von „Wells Fargo“ schleppt einen Geldkoffer immer mit sich herum.
Keine Frage, Minnie erkennt recht schnell den Fremden, der „Whisky mit Wasser“ bestellt, was zwar alle zum Lachen bringt – aber: anderen gibt es in dem Lokal gar nicht. Kellner Nick mischt immer etwas Wasser in den Whisky – die Flasche hält dann länger.
Der zweite Akt zeigt ein heruntergekommenes Haus – hier lebt Minnie und die beiden Indianer, die nun ein Kind haben, spritzen sich, den Stoff, aus dem die Träume in dieser trostlosen Umgebung sind, in die Venen.
Bei zarter Annährung belässt es Regisseur Knabe nicht, Minnie und Johnson schlafen kurz und heftig miteinander. Allerdings entdecken sie auch ihre gemeinsamen, mexikanischen Wurzeln (Minnie stammt aus Soledad, die Stadt war vor dem Krieg mexikanisch).
Die Pokerpartie um Johnsons Leben wird geschickt ausgespielt – fragt man sich kurz, warum Minnie sich über Unterrock und Morgenmantel ihre langschaftigen Stiefel anzieht, wird schnell klar, wozu sie diese braucht: die Karten werden dort platziert, die ihr den Gewinn bringen werden.
Vor dem letzten Akt erlebt man eine perverse Bestattung des gestorbenen Kindes von Wowkle und Billy. Die Kinderleiche wird auf einer Müllhalde entsorgt, allerdings mit Blumen und kleinem Kreuz geschmückt.
Im dritten Akt ist das Gebäude des ersten Aktes völlig zerbombt worden. Minnie, die ihren Johnson vor einer Hinrichtung durch die Amerikaner retten will, tritt in soldatischer Kampfuniform auf, heftig schwingt sie die mexikanische Flagge und überzeugt nach-und-nach die Männer. Die Fäuste werden gereckt, Rance zusammengeschossen und die amerikanische Flagge verbrannt. Am Schluss weht die mexikanische Fahne am Bühnerand.
Das Ende bleibt offen: Minnie und Johnson fliehen nicht gemeinsam, die Bühne färbt sich mit grünem Licht – bei Knabe die Farbe der Toten und Jake Wallace läuft noch einmal über die Szene.
Knabe inszeniert temporeich und achtet sehr auf eine sinnhafte Personenführung, da gibt es keinen Leerlauf und kein verlegenes Herumstehen, das ist nicht wenig für einen gelungenen Opernabend. Dass das ganze eher an der Oberfläche bleibt, der grelle Effekt szenebestimmend ist und die Kritik an amerikanischer Kriegspolitik und sozialer Verelendung der Armen arg plakativ gerät – der revolutionäre Impetus der sich auflehnenden Ureinwohner, die Operette streift, all das soll angemerkt werden – ein im besten Sinne spannender Opernabend war es trotzdem.
Daran konnten auch kleine Pannen nichts ändern – einmal fällt ein Schuss und Minnie zückt erst dann ihren Revolver, der Natodraht fiel von der Bühne und behinderte zwei Streicherinnen bei ihrer Berufsausübung – erst durfte sich Billy daran versuchen, den Draht wieder auf die Bühne zu bekommen, was misslang, dann hatten zwei Statisten einen Sondereinsatz: sie durften die Befestigungsanlage inspizieren und den Draht mit Ducttape festkleben. Die Streicherinnen konnten ungestört die Musik Puccinis ausführen.
Dirigent Alois Seidlmeier liess es mächtig krachen, da war kein Platz für Differenzierungen oder lyrisch ausgekostete Passagen, laut musste es sein, oberflächlich, mehr Filmmusik, als Oper. Das Orchester folgte seinem Dirigenten willig, berührend war da wenig, ordentlich musiziert, gewiss, aber auch nicht mehr.
Als Minnie bot die Sopranistin Galina Shesterneva vor allem bemerkenswert strahlkräftige Spitzentöne, die mit einer Souveränität platziert wurden, die beeindruckend war. Ansonsten verfügt Shersterneva über einen dunkel timbrierten, harten Sopran, der etwas stärker flackert und die eine oder andere sängerische Unart trübte den Gesamteindruck dann doch leicht.
Von der Stimmfarbe her kein wirklicher Bösewicht: Karsten Mewes als Jack Rance. Der Bariton gerät auch hin-und-wieder an die Grenzen seiner Stimme, aber wie er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten diese Partie aneignet, gehört zu den musikalisch erfreullicheren Eindrücken dieser Vorstellung.
Ein Totalausfall Tenor Roy Cornelius Smith als Johnson. Die abgesungene und heisere Stimme bot von der ersten Minute an keinen Wohlklang. Smith setzt auf enorme Kraftentladungen, allerdings fordern diese schon schnell ihren Tribut. Weder das „Una parola sola“, noch das „Ch´ella mi creda“ wurde von dem Sänger bewältigt. Während ihm schon an anderen Stellen die Stimme zu früh wegbrach, schaffte er in keiner der beiden genannten Szenen die Aufschwünge in die Höhe, die strapazierte Stimme versagte schlichtweg ihren Dienst.
Wer Spass am Theater des Tilman Knabe hat und wer bei Puccini nicht unbedingt musikalische Delikatesse erwartet, ist hier richtig. Ein Abend, den man gerne erlebt hat – der aber sicher nicht zu den nachhaltigenderen der jungen Saison 2012/2013 gehört.