Massenet: Manon - Sinn und Sinnlichkeit

  • Massenet: Manon - Sinn und Sinnlichkeit

    Als ich anlässlich meines jüngsten Rätsels nach Referenzen in diesem Forum suchte, konnte ich kaum glauben, dass tatsächlich noch kein Thread über Massenets Meisterwerk MANON existiert, das ihm selbst so lieb war, dass er lange Zeit später sogar eine Fortsetzung unter dem Titel PORTRAIT DE MANON schrieb. Aber nicht nur das. Auch die anderen Vertonungen der „Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut“, des zu seiner Zeit als skandalös geltenden, zumal ihn Teilen auch als autobiographisch geltenden Kurzromans des Abbé Prévost (1697-1736) finden hier allenfalls nur flüchtige Erwähnung, seien es Halévys Ballet oder die Opern von Auber, Balfe, Henze, Massenet und Puccini. Dem sollte abgeholfen werden, und dazu möchte ich in diesem Thread anregen, der keine Diskographie der jeweiligen Opern ersetzen, sondern sich einmal dem Werk und dem Thema selbst widmen soll, denn Prévosts Auseinandersetzung mit dem Zwiespalt zwischen dem (vermeintlichen) Sinn des Lebens und dem unberechenbaren Einbruch und Einfluss der Sinnlichkeit ist ja weder aus der Musik noch aus unserem heutigen Leben wegzudenken.

    Ich würde deshalb liebend gerne eine Diskussion aufgreifen, die vor Jahren einmal in einem anderen Forum geführt wurde und m. E. zu den ergiebigsten gehört, die dort je zu einer Oper geführt wurden. Da ich aber nicht weiß, ob das hier überhaupt auf Resonanz stoßen wird, möchte ich erst einmal nachfragen, ob es Interessenten gibt, die sich an einer Diskussion über die Quellen und Versionen des Werkes beteiligen möchten. Potenzielle Interessenten verweise ich fürs Erste auf diese Rätsellösung, die einiges von dem enthält, was mich besonders an Massenets Bearbeitung fasziniert: Verruchte Locken und andere lockende Versuchungen - Ein Rätsel.

    Insbesondere möchte ich an alle, die seinerzeit zu dieser Diskussion beitrugen, insbesondere Fairy Queen, Emotione, Waldi und Severina, so sie hier noch mitlesen, appellieren, nach Möglichkeit und Bereitschaft ihre damaligen Beiträge hier selbst aufzufrischen oder ggf. von mir zitieren zu lassen (PN oder Email zur Autorisierung von Zitaten genügt).

    :wink: Rideamus

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  • Gar kein Interesse an der armen Manon bei den Capricciosi? Also ich bin schon interessiert, zumal Prévosts schmalbrüstiges Bändchen bei mir seit Jahren ungelesen herumliegt.

    Massenets Musik ist wunderbar, wiewohl der erste Akt m.E. etwas schwer in Schwung kommt (darin nicht unähnlich dem "Werther" - "Thais" etwa ist musikalisch stringenter und mehr aus einem Guss). Dennoch gehört "Manon" nicht unbedingt zu meinen Lieblingen, was ich auf die Handlung und die unsympathischen Charaktere schiebe. Manon ist für mich eine Schwester von Mimì und Lulu, deren Geschichten aber mit wärmerer Empathie erzählt werden.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Lieber Areios! Lieber Rideamus!

    Du hast Recht, Massenes Manon lieg zwar bei mir vor Puccinis, es ist aber hier etwas zuckersüß aufgetragen. Gestern wurde ja die TV Fasssung mit Villazon und Netrebko gezeigt und ich werde sie mir, heute, ansehen da es mir schon etwas besser geht. Auf alle Fälle liebe ich die Tischchenarie bei Massenet mehr. Ich kann mich erinnern, es ist zwar schon lange her, dass ich Abbé Prévosts "Manon Lescaut" gelesen habe, nur es ist auch hier ein, etwas, in die Länge ziehendes G'schchterl.

    Es ist eigentümlich, zu Beginn des 20. Jhdts. war Massenet bedeutend beliebter und Puccini hatte es schwerer - heute sind beide Komponisten etwas ins Abseits geraten.

    Bericht folgt nach.

    Liebe Grüße sendet Euch Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Meine Lieben!

    Nun habe ich die gestrige Aufführung aus ORF 3 auf DVD gebrannt.

    Hier spielt de Handlung nicht um etwa 1723 sondern etwa 1950 - was aber passt. Anna Netrebko hat hier wieder ein Partie, die sie durchleuchtet, die Gavotte "Je marches sur tous les chemins" singt sie mt Charme und Esprit - und sie hat einen Tenor zum Partner, der wunderbar singt Rolando Villazon, der seine zwei bekannten Tenorarien ausdrucksvoll mit glänzender Höhe singt.

    Beide tragen eigentlich die ganze Oper, obwohl auch Alfredo Dara als Lescaut gut besetzt ist, er singt die Baritonpartie gut und auch der Chevalier de Grieux von Christof Fischesser ist sehr eindrucksvoll.

    Es spielt das Orchester der Staatsoper unter den Linden, Berlin, unter Daniel Barenboim der das Orchester und die Solisten und den Chor gut führt [denn für was und wofür er jetzt gerügt wird ist hier unwichtig].

    Liebe Grüße sendet Euch Peter aus Wien. :wink:

  • Die Manon von Massenet kenne ich leider gar nicht (das Buch habe ich auch nie ganz gelesen), "nur" die Version von Puccini, die musikalisch einige wirklich schöne Momente hat. Mein Problem ist aber vielleicht, dass mich die ganze Manon-Geschichte überhaupt kein bisschen anspricht, mir sind die Personen höchst unsympathisch und alles hat etwas von Melodram, dass ich schlecht ertragen kann.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Die Manon von Massenet kenne ich leider gar nicht (das Buch habe ich auch nie ganz gelesen), "nur" die Version von Puccini, die musikalisch einige wirklich schöne Momente hat. Mein Problem ist aber vielleicht, dass mich die ganze Manon-Geschichte überhaupt kein bisschen anspricht, mir sind die Personen höchst unsympathisch und alles hat etwas von Melodram, dass ich schlecht ertragen kann.

    Die Personen in Lady Macbeth von Mtsensk und auch in Katja Kabanova sind nicht unbedingt Sympathieträger. Wenn man die Opern nicht kennt, Leskov bzw. Ostrovski nicht gelesen hat, kann durchaus sein, daß die Geschichte von beiden Opern kein bißchen anspricht.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Dazu muss ich sagen, dass Unsympathie bei mir persönlich nicht unbedingt damit einhergeht, ob jemand ein guter oder schlechter Mensch ist bzw. schlechte Dinge tut. Das Wort Sympathieträger drückt für mich aus, dass diese Figuren als Sympathen fast so etwas wie gesetzt, gedacht wurden (viele Charaktere, die du ansprichts sind das natürlich nicht), wenn das so sein soll und ich sie trotzdem nicht sympathisch finde, dann passiert eben das, was ich oben meinte. (Manon und Des Grieux gelten zumindest hauptsächlich als Sympathieträger, er mehr als sie). Nur als Beispiel : der alte Boris aus der Lady von Mzesnk (wahlweise auch die Kabanicha) ist definitiv kein Sympatheiträger und auch nicht als solcher gedacht, aber als Figur in der zugewiesenen Geschichte finde ich ihn dennoch sehr gut, er funktioniert brilliant, er ist die Reibefläche, die gebraucht wird (und er ist Interessant).
    Von Manon und Co. kann ich persönlich das nicht sagen.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Die Personen in Lady Macbeth von Mtsensk und auch in Katja Kabanova sind nicht unbedingt Sympathieträger. Wenn man die Opern nicht kennt, Leskov bzw. Ostrovski nicht gelesen hat, kann durchaus sein, daß die Geschichte von beiden Opern kein bißchen anspricht.

    Ich glaub, das Problem entsteht eher dann, wenn die Personen zwar als Sympathieträger gedacht sind, das aber nicht funktioniert und nicht aufgeht, denn dann ist die Identifikation des Zuschauers mit einem Plot, der auf Identifikation berechnet ist, im Eimer. Während bei Unsympathleropern wie Lulu oder Lady Macbeth die Sympathie und Identifikation für den Effekt der Oper von vornherein nicht einkalkuliert wurde (Mit der Katja Kabanova werde ich verglichen mit den anderen Janácek-Opern tatsächlich nicht besonders warm, aber vielleicht liegts eh daran, dass ich die Titelfigur und auch alle anderen dämlich finde! Der dritte Akt ist dennoch schön.). Wobei Prévost die Personen sicherlich nicht als Sympathieträger konzipiert hat, die Komponisten, die ihn vertont haben, aber doch wohl schon.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Manon - Die Quelle

    Es freut mich, dass nach einigem Zögern doch eine Diskussion in Gang gekommen ist, die zumindest ein gewisses Interesse an einem Thread über die Geschichte des Chevalier Des Grieux und seiner Geliebten Manon signalisiert. Bevor ich mich in die Diskussion um die Sympathieverteilung einmenge, deren Akzente von den Komponisten Auber, Massenet, Puccini und Henze sehr unterschiedlich gesetzt werden, möchte ich aber, mit der dankenswerten Erlaubnis der Autor(inn)en aus dem alten Thread einige Informationen über die Quellen und Versionen des Themas herüber retten. Ich beginne mit Emotiones (leicht von mir editierter) Zusammenfassung der Vorlage des Abbé Prévost:

    Ich denke, diese sorgfältige Wiedergabe der Romanvorlage war es wert, so ausführlich zitiert zu werden, denn allein die Parallelen und Abweichungen der verschiedenen Versionen sagen schon sehr viel darüber aus, wo die jeweiligen Versionen ihre Schwergewichte setzen und wie sie ihre Sympathien verteilen.

    :wink: Rideamus

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  • Die Versionen

    Vermutlich wird die Diskussion dieses Stoffes, so sie denn zustande kommen sollte, sich auf die beiden populärsten Opern, nämlich die von Massenet (ggf. inklusive ihrer Fortsetzung PORTRAIT DE MANON) und Puccini konzentrieren, wobei ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass mindestens Henzes BOULEVARD SOLITUDE nicht ganz unberücksichtigt bleibt. Um aber wenigstens einmal den Rahmen abzustecken, in dem sich die Diskussion abspielen könnte, möchte ich eine Aufstellung der mir bekannten Betonungen voranstellen und, soweit möglich, kurz beschreiben, wo diese ihren Schwerpunkt setzen:

    Die älteste Vertonung, die mir bislang begegnet ist, ist ein Ballett von Jacques Fromental Halévy aus dem Jahr 1830, also fast genau 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Novelle des Abbé Prévost. Schon das ist ein Indikator für das Ausmaß des Skandals um dieses Buch, an dessen Vertonung sich trotz einer auffälligen Beliebtheit des Stoffes lange Zeit niemand heran wagte. Diese Fassung kann hier wohl vernachlässigt werden, zumal es anscheinend nie eine Einspielung von ihr gab und ich nicht einmal eine Zusammenfassung von ihrem Libretto fand.

    Eine erste Opernfassung erschien schon sechs Jahre später mit THE MAID OF ARTOIS von William Balfe, eine Art Lortzing Englands und der Komponist von THE BOHEMIAN GIRL, einer der populärsten Opern des 19. Jahrhunderts überhaupt, die manche vielleicht von der Filmfassung mit Laurel & Hardy kennen. Balfe ließ sich auf der Basis einer Dramatisierung von Prévosts Novelle von dem Manager des Drury Lane Theater, Alfred Bunn, ein Libretto schreiben, das eventuellen Problemen mit der Zensur auswich, indem man die Titelrolle in eine verfolgte Unschuld namens Isoline verwandelte, der ein lüsterner Marquis nachstellt. Ihr Liebhaber Jules wird durch einen Trick dazu verleitet, sich als Soldat registrieren zu lassen und nach Afrika abgeschoben. Der Marquis zeigt Isoline die offiziellen Dokumente um ihr klar zu machen, dass Jules in seiner Gewalt ist, und sie muss sich ihm fügen um Jules zu schonen. Im zweiten Akt treffen sich die beiden Liebenden wieder, weil der Marquis zum Gouverneur der afrikanischen Provinz ernannt wurde. Es gelingt ihnen, in die Wüste zu fliehen, wo sie schon am Verdursten sind, als ein Trupp des Marquis die beiden entdeckt und zu ihm bringt. Offensichtlich angesteckt von dem in Nordafrika grassierenden Bassa Selim - Virus, verzeiht der Marquis den beiden und gestattet ihre Hochzeit unter den Jubeltönen Isolines und des Chors ("The rapture swelling through my breast").

    Fast interessanter als die Oper selbst ist ihre Entstehungsgeschichte, denn Balfe, der selbst als Bariton in Rossinis OTELLO und IL BARBIERE DI SIVIGLIA neben der berühmten Primadonna Maria Malibran aufgetreten war, die ihn später zum Rossini Englands erklärte, schrieb die Oper eigens für sie. Ihre Präsenz machte die Oper zu einem großen Erfolg, aber drei Monate später erlitt sie einen schweren Reitunfall. Sie weigerte sich, den Anweisungen der Ärzte zu folgen und trat einige Wochen in Krücken auf, bis ihr das unmöglich wurde und sie kurz darauf an den Spätfolgen des Unfalls verstarb. Wer in die gefällig belcantistische Klangwelt der Oper hineinhören möchte, kann dies hier tun, wo Cecilia Bartoli den Versuch unternimmt, Isolines Arie "The Moon over the mountains" nachzuvollziehen: "

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    . Die Cavatine des Marquis, "Then silly is the heart", die Gilbert & Sullivan keinesfalls unbekannt gewesen sein dürfte, kann man hier hören: "
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    . Ansonsten aber kann man die Oper für den Zweck dieses Threads wohl auch vergessen.

    Die nächste und erste bedeutende Vertonung entstand 20 Jahre später, also 1856, und stammt von dem Komponisten des FRA DIAVOLO und LA MUETTE DE PORTICI, Daniel-Francois Esprit Auber. Von ihr soll im nächsten Posting etwas ausführlicher die Rede sein. Der Vollständigkeit halber sei noch diese Vertonung erwähnt, die Zwielicht schon in dem anderen Forum ausgegraben hat: "Außerdem wurde 1887 in Magdeburg die Oper MANON LESCAUT oder SCHLOSS DELORME auf die Bühne gebracht - Komponist war der mir und dem Forum bisher gänzlich unbekannte Riccardo Kleinmichel (skandalös, dass dieser zweifellos hochbedeutende Mann von den Platzhirschen Massenet und Puccini so verdrängt wird :D )." Allem Anschein nach folgte Kleinmichel eher den Spuren Balfes als Prévosts, so dass man ihn wohl getrost auch weiterhin verdrängen darf.

    Danach vermelden die Annalen Puccinis MANON LESCAUT von 1893, Massenets "Fortsetzung" seiner Oper, LE PORTRAIT DE MANON (1894) sowie Werner Henzes BOULEVARD SOLITUDE (1953), von denen hoffentlich ebenfalls noch ausführlicher die Rede sein wird. Wiederum der Vollständigkeit halber sei noch ein Ballett namens MANON LESCAUT erwähnt, dass der chinesische Choreograph Xin Peng Wan auf der Basis von Puccinis Oper 2007 in Dortmund auf die Bühne brachte, wo er Ballettdirektor war. Wer sich dafür interessiert, kann hier weiterlesen: "http://www.ballett-dortmund.de/ballettprodukt…dy_manoni_1.HTM. Ansonsten aber kann man wohl auch diese Fassung vernachlässigen.

    Oder habe ich etwas übersehen außer der Verwandtschaft mit der Kameliendame und LA TRAVIATA?

    :wink: Rideamus

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  • Lieber Rideamus!

    Obwohl ich ansonsten ein großer Puccini Freund bin kann ich seiner "Manon Lescaut" weniger abgewinnen, dafür aber Aubers recht viel.

    Sie ist vielleicht noch zuckersüßer aber hat herrliche Musik zu bieten. Der Preis soll da nicht ganz abschrecken.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • MANON LESCAUT v. Auber und Scribe

    Vielen Dank für den Hinweis auf diese Einspielung, lieber Peter, die tatsächlich sehr hörenswert ist.

    Da die Oper hier vermutlich außer Konkurrenz läuft, weil kaum jemand sie kennt, sei hier zur Information ausgeführt, wie Auber und Scribe sich diesen Stoff aufbereiteten. Man darf dabei nicht vergessen, dass der einst skandalöse Roman bei der Premiere des Werkes im Jahr 1856 zwar schon gut über 100 Jahre alt war, sein damaliges Verbot aber noch immer nachwirkte und das gesellschaftliche Entrüstungspotenzial sogar noch gewachsen war.

    Zudem ist unübersehbar, dass Scribe, der allein für Auber 38 (!) Libretti schrieb, ein hochprofessioneller Routinier war, der sich in seiner Art, Plots zu schnüren, kaum mehr von irgendwelchen Originalen, gleich welchen Rangs, beeinflussen ließ. So war es wichtig, der Manon möglichst positive Züge zu verleihen und ihre moralische "Verworfenheit" herunter zu spielen. Zu diesem Zweck gab man ihr eine tugendhafte Freundin namens Marguerite, von der bei Prevost ebenso wenig die Rede ist wie übrigens von Micaela, die für das Charakterbild des Jose in Bizets CARMEN eine ähnliche Rolle spielt, bei Prosper Merimee. Aber eine Untersuchung, mit welchen Tricks "unsittliche" Sujets im 19. Jahrhundert gesellschaftsfähig gemacht wurden, würde hier den Rahmen der Diskussion sprengen.

    1. AKT

    Scribe setzt mit der Handlung gleich in Paris ein. Mit Hilfe Lescauts sucht der Marquis d'Herigny nach einem Mädchen, das von seiner Kutsche umgefahren wurde. Lescaut erfährt von deren Nachbarin Marguerite, dass es sich bei dem Mädchen um seine Kusine Manon handelt, die zusammen mit einem gewissen Des Grieux im Dachgeschoss lebt. Marguerite versucht Manon Arbeit zu verschaffen, aber diese träumt nur von Luxus. Als Des Grieux eine größere Geldsumme besorgt hat, geht man gemeinsam mit Lescaut feiern. Als es ans Zahlen geht, hat Lescaut aber bereits das ganze Geld verspielt. Der Wirt will die Polizei holen. Manon singt mit großem Erfolg die berühmt gewordene "Bourbonniere" (ein Vorbild für viele Bravourarien künftiger französischer Sopranhauptrollen) für die Gäste, aber ihre Kollekte bringt auch nicht genügend Geld zusammen. Lescaut überredet deshalb Des Grieux, sich dem Militär zu verpflichten und die Rechnung mit dem Handgeld zu bezahlen. D'Herigny, der Kommandeur von Des Grieux' künftiger Truppe, der Manon für sich selbst begehrt, weigert sich, Des Grieux von ihr auslösen zu lassen, und dieser muss einrücken (eine interessante Parallele zu Balfes Bearbeitung).

    2. AKT

    D'Herigny umwirbt Manon weiter und hat (vermutlich) Erfolg genug um ihr den Wunsch nach einem Passierschein zu erfüllen, mit dem sie ihren Geliebten besucht. Es ist jedoch zu spät. Des Grieux hat einen Vorgesetzten geschlagen und soll bestraft werden. D'Herigny bietet an, zu Des Grieux' Gunsten zu intervenieren, stellt aber die Bedingung, dass Manon sich endgültig von ihrem Liebhaber trennt und seine Geliebte wird. Um Des Grieux zu helfen, willigt Manon ein. Dieser aber erfährt, warum er frei gelassen wurde, und eilt zu Manon um sie für sich zu reklamieren. Mit Erfolg. Bevor die beiden Liebenden aber gemeinsam fliehen können, werden sie von D'Herigny überrascht, und es kommt zu einem Zweikampf, bei dem der Marquis verletzt wird. Des Grieux wird verhaftet.

    3. AKT

    Hier sind endgültig nur noch spärliche Rudimente des ursprünglichen Romans zu erkennen:

    Marguerite und ihr Mann Gervais wollen in der französischen Kolonie Louisiana ihr Glück machen. Ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag erfahren sie, dass Manon in einem Transport weiblicher Sträflinge ebenfalls nach Louisana verbracht worden ist. Auch der begnadigte Des Grieux ist ihr mit dem gleichen Schiff gefolgt. Mit Hilfe Marguerites, die Manon ihr Brautkleid gibt, gelingt es ihm, Manon zu befreien. Sie fliehen in die Wüste, wo die buchstäblich zu Tode erschöpfte Manon in Des Grieux' Armen ihr Leben aushaucht, kaum dass ihre Freunde sie gefunden haben.

    Deutlicher noch als in anderen Versionen lässt sich hier das Modell für LA TRAVIATA erkennen, denn Manon, die den Luxus und das Vergnügen nicht minder liebt als Violetta, gibt letztlich ihrem Geliebten zuliebe alles auf. Scribe machte aus ihr ein unglücklich (und am Anfang ganz wörtlich) "gefallenes" Mädchen, das alles für die Liebe opfert. Dennoch war manchen Kritikern selbst diese edel motivierte Glorifizierung einer Kurtisane zu viel, was ja auch Verdi bei seiner TRAVIATA noch zu spüren kam. Der einzige Charakter, der seinem Vorbild ziemlich treu bleiben durfte, war der Luderjan Lescaut.

    Erstaunlich und vielleicht durch die damalige Macht der Gesangsstars zu erklären, ist der Umstand, dass die männliche Hauptrolle eher dem zwiespältigen D'Herigny als Des Grieux zuzusprechen ist. Sie wurde nämlich von Jean-Baptiste Faure gesungen, der später die Titelrolle in Ambroise Thomas' HAMLET und den Marquis Posa in der Pariser Fassung von Verdis DON CARLOS kreieren sollte. Die Manon sang die Belgierin Marie Cabel, deren größter Erfolg die Philine in Thomas' MIGNON werden sollte.

    Zur weitaus beachtlicheren Musik dieses routiniert-soliden, aber ziemlich uninspirierten Librettos wäre sicher auch einiges zu sagen, aber da sie kaum jemand kennt, sei zumindest vorerst einmal darauf verzichtet, denn das Interesse an französischen Spielopern, un d um eine solche handelt es sich hier, hält sich hier bekanntlich in Grenzen.

    :wink: Rideamus

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  • Massenet Manon ja! aber welche Aufnahme??

    Hallo,

    Ich würde mir gerne Manon als CD zulegen habe aber keine Vorstellung welche Aufnahme und würde mich sehr über Vorschläge mit Begründung, warum
    Euch gerade diese oder jene Aufnahme zusagt sehr freuen!

    Dank im Voraus!

    P.S.: Für mich ist ein Libretto in Heftform in der CD immer eine Freude, es wäre sehr nett, wenn Ihr kurz angeben könntet, ob vorhanden.

  • Uneingeschränkt empfehlen, würde ich immer diese Aufnahme:

    De los Angeles war nicht nur, aber gerade auch im französischen Fach eine der herausragenden Interpretinnen. Die Aufnahme lebt aber nicht nur von ihrer grandiosen Leistung, sondern vom einer stilistischen und interpretatorischen Einheitlichkeit, einem wunderbaren Zusammenklang.

    Das Textbuch ist in der originalen EMI-Ausgabe natürlich mit dabei. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)


  • Man sollte sich nicht vom Aufnahmejahr abschrecken lassen. Germaine Féraldy war das Ideal des französischen soprano lyrique léger, Joseph Rogatchewsky ist ihr ebenbürtig, Élie Cohen kannte seinen Massenet aus dem FF (sein Werther mit Georges Thill und Ninon Vallin ist auch eine Referenz).

    Ein paar Jahre früher war mit Fanny Heldy, Jean Marny und Henri Busser auch eine famose Truppe vor dem Aufnahmetrichter

    aber da muss man doch bei der Tonqualität einige Abstriche machen (selber mache ich sie gerne). Da ist auch ein Libretto dabei :)

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Wenn es was optisches sein soll: die Wiener DVD mit Gruberova und Araiza. Eine sehr schöne Aufnahme trotz deutscher Sprache ist die mit Jurinac und Dermota

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Neben den wesentlich älteren :P biete ich was Zeitgemäß zu nennen wäre.....

    .....die mit Cotrubas und Kraus ist meine liebste, ich finde Ileana Cotrubas als ganz wunderbare Manon und die Noblesse die Alfredo Kraus bietet ist einfach hervorragend zu nennen!
    Damals noch eine Ehepaar, bieten Gheorghiu und Alagna ein tolles Ergebnis und bei der dritten bin ich voreingenommen wegen meiner Verehrung für Renée Fleming, jedoch bieten die beiden (Álvarez) ein hervorragendes Paar!

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

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