Schostakowitsch: 5. Sinfonie in d-moll op. 47

  • aber das Bild mit der "Orgel" (Stalinorgel, haha), als die das Orchester hier über weite Strecken fungiert, läßt mich nicht los - aber es ist schon eine sehr moderne Orgel...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Apropos "Orgel", ich bin letztens glücklicherweise an die Transkription der Sinfonie für Klavier zu vier Händen gekommen. Bis jetzt konnte ich leider noch keine Aufnahme dazu finden - Kennt jemand eine?
    Ich würde demnächst mal versuchen, das mit einem Freund zu spielen, falls es jemand interessiert könnte ich es bestenfalls auch aufnehmen

    Liebe Grüße!

  • Stalinorgel, haha

    Schostakowitsch komponierte seine 5. Sinfonie 1936, der Mehrfachraketenwerfer Katjuscha, von den deutschen Aggressoren Stalinorgel genannt, wurde aber erst 1941 in der Roten Armee eingeführt.
    Ob solche Anachronismen der Schostakowitsch-Rezeption gut tun, bezweifle ich jetzt einmal.

    Spartacus
    :evil:

    Für Monika

  • Tschuldigung, daß ich meine Assoziationen hier so unzensiert hab laufen lassen, hast ja Recht:
    mir gings beim Finale so, wo nach der sehr ruhigen und zarten Passage das "kämpferische" wieder losgeht, daß ich plötzlich dachte: das klingt wie ne Orgel - diese Klangmischungen aus immer mehreren Holzbläsern und Streichern, ein bißchen ein "neutraler" Klang, der mich auch an Adornos Bemerkungen über Wagners "Kapellmeistermusik" erinnert, die den einzelnen Spieler tendenziell zum Verschwinden bringt in einem Orchester, das gerade in den Holzbläsern bestrebt ist, von jeder Klangfarbe komplette Register zur Verfügung zu haben - das ist, in seiner teilweise spitzigen Herbheit, irgendwie ein typischer "Schosti-Sound". Und dann mußte ich daran denken, daß 1. diese Symphonie auch der quasi "Rehabilitation" diente und 2. Stalin mal Priester gelernt hatte (klar, in der Ostkirche gabs gar keine Orgeln, oder nicht so archetypisch wie bei uns). das ist alles total unausgegoren, aber ich dachte tatsächlich, ich könnte diese nicht ganz seriöse Assoziation "großes sowjetisches Orchester"=Stalinorgel (ohne ernsthaft an Waffen zu denken) hier mal hinschreiben. Auf die Gefahr hin, mißverstanden und für sehr oberflächlich gehalten zu werden. Nimms mir nicht übel, aber diese Musik ist doch ernst genug, die nimmt doch von meinen Kalauern, die ja auch dem Abbau von Betroffenheit und Erschütterung dienen, keinen Schaden.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Diese Probenarbeit mag vor dem Hintergrund , daß Sanderling zur Entstehungszeit "vor Ort" und mit Shostakovich gut bekannt war , gerade durch die Erläuterungen und Verdeutlichungen einige zeitgeschichtliche Aspekte der Sinfonie ins Bewußtsein rücken . Und vielleicht dem näher kommen , was Shostakovich komponierte . Vielleicht . ( Die deutschen Untertitel sind tatsächlich so schlecht , wie ein Kommentator anmerkte . Schlimmer wäre es aber , wenn ich auf die chinesischen angewiesen wäre ) . Ich finde es faszinierend .

    https://www.youtube.com/watch?v=hM1JF8BRZOE

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • In Konzerten von 30.4. bis 2.5.2014 spielte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons in der Philharmonie am Gasteig in München das Werk. Der Mitschnitt wurde erst nach Jansons´ Tod veröffentlicht (9/2020, CD BR-Klassik 900191).

    Mein Höreindruck:

    Das ist wieder so eine Aufnahme, die nicht offenlegt „Wie macht er das?“, sondern die einen mitten hineinzieht in den Sog, in die Gewalt der Musik. Sofort macht der 1. Satz eine Kälte deutlich, er führt in eine (seelische?) Winterlandschaft. Mit der Durchführung marschiert eine Armee ein und walzt alles nieder. Der Friede danach wirkt umso berückender. Ist es nur ein Scheinfriede? Geheimnisvoll zauberisch klingt der Satz aus. Mahlers skurrile Gestalten sind mit dem 2. Satz wieder da, zum diabolischen Tanz finden sie sich zusammen. Der unwiderstehlich intensiv gespielte Schicksalsstrom des 3. Satzes spielt wieder in der kalten Winterlandschaft (des Herzens?). Und das Finale ruft verstörend auf zum befohlenen Triumph.

    Jansons´ klangsatte erste Aufnahme dieses Werks mit den Wiener Philharmonikern wirkt auf mich noch mehr „mit Honig beschmiert“. Das für mich phantastische Orchesterspiel mit stets durchgehaltener Innenspannung voll latenter Unruhe und der großartige offene Raumklang der Aufnahme machen diese posthum veröffentlichte zweite Jansons Aufnahme dieses Werks für mich grandios.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Das für mich phantastische Orchesterspiel mit stets durchgehaltener Innenspannung voll latenter Unruhe und der großartige offene Raumklang der Aufnahme machen diese posthum veröffentlichte zweite Jansons Aufnahme dieses Werks für mich grandios.

    ---> bestellt.


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Ein sehr schöner Blick auf die Symphonie mit der Ahnenreihe: Beethoven - Mahler - Bekker - Sollertinski:

    Insbesondere das am Schluss des Artikels eingesetzte Video des Dänischen Fernsehens mit Kurt Sanderling ist unglaublich intensiv (man hört sogar den Komponisten selber sprechen):

    https://www.nzz.ch/feuilleton/wie…kste-ld.1599939

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Ein sehr schöner Blick auf die Symphonie mit der Ahnenreihe: Beethoven - Mahler - Bekker - Sollertinski:

    Was da über die Fünfte steht, ist das übliche Wunschdenken: Der Jubel des Publikums wird zur "Demonstration" der "Erniedrigten und Beleidigten" umgedeutet, die - natürlich im Gegensatz zu den stockdoofen Parteifunktionären - so klug waren, die "in Wahrheit" gemeinte "Botschaft" zu verstehen. 1938 war ja bekanntlich auch das Jahr, in dem solche Demonstrationen gegen Stalin gerade angesagt waren, und Schostakowitsch legte es nach "Chaos statt Musik" und Verbot der Vierten unbedingt darauf an, erschossen zu werden. Er war ja laut NZZ auch nicht der einzige aktive Oppositionelle, sondern "In diesem Sinn ergreift der Künstler in Russland durchaus Partei, aber eben nicht für eine herrschende politische Macht. Diese Haltung zieht sich durch die gesamte russische Kunst."

  • Lieber Christian,

    ich weiß, dass Du Wolkow gegenüber sehr kritisch eingestellt bist. Ich finde das Video am Ende des Beitrags she lohnend, es ist natürlich auch direkt auf youtube zu sehen:
    https://www.youtube.com/watch?v=hM1JF8BRZOE

    Abgesehen von der wahrlich schlechten deutschen Untertitelung des Beitrags, der offensichtlich anläßlich eines Konzertes von Kurt Sanderling 1996 in Kopenhagen entstanden ist, halte ich die Aussagen von Sanderling schon für ziemlich plausibel. Ich war 1937/1938 sicher nicht in Moskau oder Leningrad, aber Sanderling scheint mir als Quelle dch ganz glaubwürdig. Weiter oben zitierst Du ja auch seine Aussagen zum 2. Satz. Ich hoffe, Du hast Lust, Dir diese 50 Minuten für das Video zu nehmen.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Ich hoffe, Du hast Lust, Dir diese 50 Minuten für das Video zu nehmen.

    Mache ich, versprochen. Ich habe das Video allerdings vor längerer Zeit schon einmal gesehen, und außerdem kenne ich dieses Buch, in dem ebenfalls viel von Schostakowitsch die Rede ist:

    Sanderling hält die Wolkow-Memoiren für authentisch, gibt aber dafür eigentlich als Begründung nur an, dass deren letzter Satz eine ähnliche Formulierung verwende, wie er sie selbst auch von Schostakowitsch gehört habe. Nun bezweifelt ja niemand, dass Wolkow Schostakowitsch getroffen hat, was also eine Erklärung für diese Übereinstimmung sein könnte. Daraus folgt aber nichts über die Authentizität der "Memoiren" insgesamt. Meine Einwände dagegen sind philologischer und inhaltlicher Art: Wolkow hat wie gesagt keinerlei Belege für die Authentizität vorgelegt, obwohl diese angeblich in Form von Bögen, die Schostakowitsch unterschrieben habe, existieren. Wenn das tatsächlich so wäre (was ich für sehr unwahrscheinlich halte, weil Schostakowitsch damit ein extremes und überflüssiges Risiko eingegangen wäre), dann müsste es doch zuallererst in Wolkows Interesse sein, solche Beweise für die Echtheit auch vorzulegen. Und inhaltlich passt ein sehr großer Teil dessen, was Schostakowitsch da in den Mund gelegt wird, für meinen Geschmack einfach zu perfekt in ein Muster, welches die Voraussetzung für die (dann ja auch äußerst erfolgreiche) Vermarktung des Komponisten im Westen war. Ein Chrennikow wird nicht deshalb totgeschwiegen, weil seine Musik zu schlecht wäre (ich bin der einzige mir bekannte Musiker, der mal ein Stück von ihm gespielt hat :D ), sondern weil er als linientreuer Stalinist Persona non grata ist. Um nicht missverstanden zu werden: Ich behaupte nicht, dass Schostakowitsch ebenso ein absolut linientreuer Kommunist oder gar Stalinist war. Aber er war auch nicht das Gegenteil. Aber das hatten wir ja alles schon oft genug, und ich bin auch etwas müde, das immer und immer wieder aufs Neue zu diskutieren. Was ich darüber denke, kann ja, wer sich dafür interessiert, nachlesen. In dem NZZ-Artikel gibt es jedenfalls zum Finale der Fünften nur das altbekannte Argument "Das kling so bombastisch, das kann ja nur absichtlich hohl gemeint sein". Das überzeugt mich aus genannten Gründen überhaupt nicht. Sanderling sieht die ganze Angelegenheit natürlich als Künstler sehr subjektiv, hält sich aber im o.g. Buch bei aller Bewunderung für Schostakowitsch doch mit politischen Aussagen eher zurück.


  • bin sicher kein fan, chrennikov gehört in seiner generation zu den von mir am wenigsten geschätzten komponisen meiner sammlung, aber er hatte sehr prominente interpreten (kissin, vengerov, repin). habe vor kurzem auch ein plakat gesehen (wiener musikverein?) auf dem kissin u.a. mit chrennikov angekündigt ist.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Nun bezweifelt ja niemand, dass Wolkow Schostakowitsch getroffen hat, was also eine Erklärung für diese Übereinstimmung sein könnte. Daraus folgt aber nichts über die Authentizität der "Memoiren" insgesamt.. ...Ich behaupte nicht, dass Schostakowitsch ebenso ein absolut linientreuer Kommunist oder gar Stalinist war. Aber er war auch nicht das Gegenteil.....

    Maxim Schostakowitsch ließ einerseits rüberwachsen, dass Wolkow-Memoiren nicht die seine Vaters sind. Allerdings bekräftigte er, dass die politischen Ansichten seines Vaters authentisch rüberkommen. Was darauf schließen lässt, dass darin Schostakowisch die barbarischen Verhältnisse der sowjetischen Diktatur ungeschminkt + grell beleuchtet.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Maxim Schostakowitsch ließ einerseits rüberwachsen, dass Wolkow-Memoiren nicht die seine Vaters sind. Allerdings bekräftigte er, dass die politischen Ansichten seines Vaters authentisch rüberkommen. Was darauf schließen lässt, dass darin Schostakowisch die barbarischen Verhältnisse der sowjetischen Diktatur ungeschminkt + grell beleuchtet.

    Das bekräftigte Maxim erst nach seiner Emigration in die USA, und es hat seiner eigenen Karriere dort nicht geschadet... Außerdem vermischst Du zwei Fragen, die getrennt behandelt werden müssen: die der Echtheit der "Memoiren" und die nach ihrem Inhalt. Auch wenn Maxim die politischen Ansichten seines Vaters in den "Memoiren" wiederzuerkennen behauptete, folgt daraus keineswegs, dass dieser sie selbst dort "ungeschminkt + grell beleuchtet" hat. Ansonsten will ich wie gesagt die Diskussion nicht schon wieder führen, weil sie sowieso immer wieder auf die sich selbst belegende (und auch in dem NZZ-Artikel wiederholte) Behauptung hinausläuft, dass z.B. das Finale der Fünften gerade deshalb so bombastisch klingt, weil es ganz anders, nämlich ungebrochen regimekritisch gemeint sei. Das stille Finale der Vierten beweist natürlich dieselbe These. Anders gesagt: Egal wie die Musik klingt, steht ihr Inhalt von vornherein fest. Dagegen kann man offensichtlich mit Argumenten nichts ausrichten. Es ist wohl schwer auszuhalten, dass beide so widersprüchlichen Werke von ein und demselben Menschen stammen. Von manchen seiner angeblichen politischen Ansichten, die in den "Memoiren" ausgedrückt sind, kann ich übrigens nur hoffen, dass Wolkow sie erfunden hat, denn andernfalls wäre Schostakowitsch ein übler und egomanischer Zyniker gewesen. Das haben anscheinend viele Bewunderer dieses Buches gar nicht bemerkt.

  • Das bekräftigte Maxim erst nach seiner Emigration in die USA,

    … in der UDSSR wär er im Gulag gelandet.

    und es hat seiner eigenen Karriere dort nicht geschadet...

    na ja.. es schadete seinen Vater Dimitri auch nicht, dass er z.B. offizielle Beschimpfungen von Schönbergs und Strawinskis Mucke als dekadent + formalistisch, Schdanows fiese Kulturpolitik bekräftigte; und zum Finale seiner 5. wie folgt rüberwachsen ließ: „.. ich versuche, die tragischen Motive der ersten Sätze im Finale der Symphonie zu einem optimistischen Entwurf voller Leben aufzulösen“; wobei damit nicht regimekritische Auslegung unterstellt werden soll.

    Außerdem vermischst Du zwei Fragen, die getrennt behandelt werden müssen: die der Echtheit der "Memoiren" und die nach ihrem Inhalt.

    Das wäre noch zu klären, ob Trennung da überhaupt möglich ist und funzt.......
    Maxim Schostakowitsch ließ jedenfalls selbst viele Jahre nach Ende vom Ostbereich weiterhin rüberkommen, dass sein Vater von den barbarischen Verhältnissen in der Sowjet-Diktatur die meiste Zeit seines Lebens angewidert war und blieb.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • in der UDSSR wär er im Gulag gelandet.

    Den Gulag im eigentlichen Sinne gab es 1980 nicht mehr, aber es stimmt, dass er unter Druck stand. Deshalb sind beide Aussagen, sowohl die Wolkow-kritische vor der Emigration als auch die zustimmende danach mit Vorsicht und im Kontext der jeweiligen persönlichen Interessen zu betrachten.

    Maxim Schostakowitsch ließ jedenfalls selbst viele Jahre nach Ende vom Ostbereich weiterhin rüberkommen, dass sein Vater von den barbarischen Verhältnissen in der Sowjet-Diktatur die meiste Zeit seines Lebens angewidert war und blieb.

    Das ist doch alles nicht so einfach und geradeaus: Sicherlich war Schostakowitsch von der allgegenwärtigen Gewalt angewidert und vor allem verängstigt. Gleichzeitig hat er eine innige Freundschaft mit Tuchatschewski gepflegt, der den Kronstädter Matrosenaufstand und den Aufstand der Bauern in Tambow hatte niederschießen lassen, der sich Stalin nach anfänglicher Unterstützung Trotzkis schon früh anbot und anschloss, und der noch Anfang der 30er Jahre im Zentrum der militärischen Macht stand.

  • Was da über die Fünfte steht, ist das übliche Wunschdenken: Der Jubel des Publikums wird zur "Demonstration" der "Erniedrigten und Beleidigten" umgedeutet, die - natürlich im Gegensatz zu den stockdoofen Parteifunktionären - so klug waren, die "in Wahrheit" gemeinte "Botschaft" zu verstehen.

    Möglicherweise ist das Besondere an Schostakowitsch, hier: seiner 5. Symphonie, daß sich der Schluß tatsächlich so deuten läßt, als "Demonstration der Erniedrigten", als ironischer Jubel einerseits, aber auch im Gegenteil als Feier des stalinistischen Staats. Mit "deuten" meine ich, daß die Symphonie so oder so aufgeführt werden kann, je nach dem, was die Interpreten da herauslesen und anstreben.

    Ich vermute ohnehin, daß Schostakowitsch hier und anderswo eine kompositorische Doppelstrategie verfolgte, mit gegensätzlichen und eigentlich sich ausschließenden Zielen, vielleicht war er auch innerlich zu zerrissen, um sich eindeutig positionieren zu können?

    Ein solches Verfahren ist für Künstler in Diktaturen keineswegs so ungewöhnlich, und man kann sich lange ohne Einigung darüber streiten, ob ein Jubel affirmativ oder ironisch ist. Womöglich beides? Und wenn die Symphonie heute aufgeführt wird, dürften sich ohnehin neue Verständnismöglichkeiten ergeben - weil der Stalinismus nun einmal heute historisch ist.

    Dies nur Mutmaßungen meinerseits. Die Fünfte höre ich mir vielleicht mal wieder daraufhin an; ein paar Aufnahmen finden sich bei mir.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich vermute ohnehin, daß Schostakowitsch hier und anderswo eine kompositorische Doppelstrategie verfolgte, mit gegensätzlichen und eigentlich sich ausschließenden Zielen, vielleicht war er auch innerlich zu zerrissen, um sich eindeutig positionieren zu können?

    Ein solches Verfahren ist für Künstler in Diktaturen keineswegs so ungewöhnlich, und man kann sich lange ohne Einigung darüber streiten, ob ein Jubel affirmativ oder ironisch ist. Womöglich beides?

    Genau. bzw würde ich nicht ausschließen wollen, dass es bei Schostakowitsch ein grundsätzliches Einverständnis mit dem sowjetischen Staat und seinen Zielen gab und gleichzeitig Kritik am konkreten Stalinismus bis hin zur Todesangst. Und mit dieser Ambivalenz und inneren Uneindeutigkeit wäre er vermutlich auch in ziemlich zahlreicher Gesellschaft.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

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