Schostakowitsch, Dmitri: Sinfonie Nr. 7 - "Leningrader"

  • Was haltet Ihr eingentlich von Bernsteins Aufnahme mit dem CSO (DGG). Ich erinnere mich, dass sie zum Erscheinen von der Kritik ziemlich verissen wurde. Kürzlich habe ich nun im Bernstein-Buch von Jonathan Cott gelesen, dass Bernstein ein Jahr vor seinem Tod, diese Aufnahme selbst zu seinen Favoriten zählt. Ich kenne sie nicht und bin deshalb neugierig auf Antworten.

    Ich lese auch gerade dieses Buch. Aufgrund dieser Aussage habe ich mir jetzt die CD

    besorgt. Ich hatte schonmal Mitte der 1990er Jahre überlegt, sie mir zu kaufen. Aber aus irgendeinem Grund kam es nicht dazu. Evtl. haben mich einige negative Kritiken damals davon abgehalten. Nun ist es doch noch dazu gekommen. Was ich nicht mehr in Erinnerung hatte, war, dass sie erst im Sommer 1988 entstanden ist. So spät. Das Interview in Cotts Buch ist von 1989 (Bernstein hat ja auch nicht mehr lange gelebt), also war sein Eindruck von dieser Produktion noch relativ frisch, insofern relativiert sich *vielleicht* ein wenig seine Nennung dieser Aufnahme als eine seiner liebsten.

    Ich habe sie eben gehört, und mir gefällt sie sehr gut. Wieder einmal wird mir bestätigt, warum das CSO mein liebstes US-amerikanisches Orchester ist. Besonders die Bläser finde ich hervorragend. Und besonders gefällt mir das Finale. Wie hier manchmal die Blechbläser "voll durchziehen", das ist toll! Überhaupt gibt es hier so manche neue bisher ungehörte (oder vergessene) Klangeffekte.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Zum Film eine (insgesamt positive) Rezension von Harald Eggebrecht in der Süddeutschen:

    Einige (negative) Kritik gibt es ja schon darin. Eindeutiger und vernichtender ist aber die Kritik im DLF:

    http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/…D=618819&state=

    M. E. zurecht, der Film war wirklich schwach. Der Komponist wurde ja nur so beiläufig geschildert. Die Komposition der ersten drei Sätze im belagerten Leningrad hätten doch wesentlich thematisiert werden sollen, sowie die Weigerung Schostakowitschs, evakuiert zu werden, etc.

    In der ARD wird der Film in ca. einem Monat nochmal gezeigt unter dem Titel "Das Wunder von Leningrad". Naja... Schade.


    maticus

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  • Was soll's - mich hat der Film angefixt, die 7. laufen zu lassen.

    Ich sah aber nur einen Teil vom Film (letzte halbe Stunde).

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • M. E. zurecht, der Film war wirklich schwach. Der Komponist wurde ja nur so beiläufig geschildert.

    Sehe ich auch so. In der SZ wurde beklagt, dass die Musik von DS kaum vorkam. Dabei hätte man in seinem Werk locker so viel Filmmusik finden können, dass diese schwurbelige Musik, die den Film grundierte, hätte unterbleiben können.
    Es war für mich ein "angeschmontzer" Film über die Belagerung Leningrads mit einer Sinfonie als roter Faden. Der Film der Larry Weinsteins: "Shostakowitsh against Stailn, The war Symphonies"
    ist da ergiebiger, ebenso der leicht lesbare Roman von Frau Quigley. "Der Dirigent"

    Ich bin jedenfalls froh, dass ich anschließend auf ARD "Vorstadtweiber" zum Abschluss des Tages schauen konnte.
    Und ich werde mal wieder "Europe Central" zur Hand nehmen.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • der Film war wirklich schwach

    Es war für mich ein "angeschmontzer" Film über die Belagerung Leningrads mit einer Sinfonie als roter Faden.

    "Roter Faden" ist fast noch übertrieben. Eigentlich wurde die Sinfonie allenfalls als eine Metapher behandelt, große Teile des Entstehungs- und Aufführungskontextes blieben ausgeblendet, von der Musik bekam man fast nichts zu hören. Wenn ein spielendes Orchester gezeigt wurde, waren Musik und Bewegungen der Musiker oft asynchron. Warum Eliasberg und das Orchester relativ am Anfang bei einer Aufführung der Symphonischen Tänze von Rachmaninoff gezeigt wurden, bleibt unerfindlich. Ansonsten ein Beleg dafür, dass auch die Belagerung Leningrads mühelos in den bewährt schlicht-kitschigen Erzählmustern eines "Dokudramas" ausgebreitet werden kann.

    :wink:

    .

  • Direkt nach dem (schlechten) Film gestern habe ich mich auch an das Buch von Sarah Quigley erinnert und es sogleich als E-Book runtergeladen. Ich habe das Buch zwar irgendwo als Hardware, aber beim Rumreisen sind Ebooks von Vorteil. Ich habe vor Jahren das Buch so ca. zu einem Drittel oder zur Hälfte gelesen, dann hatte ich entschlossen, es "zu banal" zu finden. Allerdings, nach dem gestrigen Film verspüre ich den Wunsch, es weiter/wieder zu lesen.

    maticus

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  • (P) 2015 Pentatone PTC 5186 511 (1 Hybrid-SACD) [72:59]
    rec. Februar 2014 (Große Halle des Moskauer Konservatoriums, Rußland)

    Russian National Orchestra
    D: Paavo Järvi

    Interpretatorisch sehr gut: Järvi versteht es, eine feine Dramaturgie und einen raffinierten Spannungsbogen über alle Sätze zu spannen, wobei er weder zu vehement wird noch zu lasch - da ist stets ein leichter Zug drin, eine Präzision in Tempo, Artikulation und Klangfarben, die nie fade wird. Details sind klar herausgestellt, ohne den Gesamtklang zu unterminieren. Das Orchester setzt alles mit großer Virtuosität um, spielt präzise und mit Sinn für die Klangfarben und -mischungen.

    Klanglich eine Granate: ich habe soeben nur die CD-Spur mit Kopfhörern abgehört, aber was für eine Monsterdynamik! Im I. Satz, wenn der Marsch beginnt (ab der 6. Minute) sind die Schlagzeuger kaum zu hören; elf Minuten danach spielt das Orchester im Tutti mit einer Transparenz, die trotz des Gesamtklangs die einzelnen Orchestergruppen erhören läßt. Das Schlagwerk ist gut eingebunden, die Bässe tief, die Mitten klar, die Höhen fein. Definitiv eine Aufnahme, die klanglich Freude macht.

    Yo - schon goil, das Teil... :love:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Unter a) dem Eindruck der Currentzis- Interpretation und b) der Diskussion im eben-gehört-Faden (DSCH ohne politischen Hintergrund) folgende formale Fragen in die Runde: Der Kopfsatz ist doch ein Sonatensatz, nicht wahr? Knulp deutet das mit dem Begriff "Exposition" in der Werkbeschreibung an. Ich denke, das lässt sich angesichts der beiden im Charakter sehr unterschiedlichen Themen des ersten Abschnitts auch gut vertreten. Diese beiden Themen erscheinen nach der sog. Invasionsepisode auch in variierter Gestalt, quasi gebrochen, wieder. Diesen Abschnitt würde ich dann als Reprise auffassen.

    Die Invasionsepisode wäre demnach die Durchführung. Vielleicht ist das Maxim-Thema ja eine karikierte Version des ersten Themas, ich habe mir zumindest eingebildet, das so zu hören, aber rhythmisch, vom Charakter wie auch von der Stereotypie ist der Abschnitt mit den Variationen des Piefke-Themas ja doch etwas Neues.

    Gibt es ähnliche gelagerte Beispiele vor der Leningrader? Ein Sonatensatz mit einer Durchführung, in der in Variationsform ein neues Thema verarbeitet wird? Ich kenne keines. Ihr?


  • Gestern ergab sich nun doch die Gelegenheit für etwas Vergleichshören mit dieser 2011er Aufnahme aus Birmingham:

    Die Unterschiede sind deutlich, finde ich. Die Einspielung aus Birmingham wirkte auf mich dynamischer, direkter, kontrastschärfer. Beides sind Live-Aufnahmen, bei der aus Boston fällt mir das letztlich nicht auf, die aus Birmingham klingt danach, meine ich. Nicht nur, weil der Applaus nicht geschnitten ist (das Finale dauert von der Musik nur gut 16 Minuten). Beeindruckend ist die Bostoner Aufnahme allemal, wunderschön gespielt sowieso; mitreißender, energischer und mit dem vermittelten Eindruck eines Spiels an der Stuhlkante hörte ich die Aufnahme des CBSO. Wird in meinen engsten Favoritenkreis bei der Leningrader aufgenommen.

  • Vielen Dank, lieber Braccio. So eine ähnlich Einschätzung wurde ja auch irgendwo hier (war es der Doc?) oder woanders geäußert. Bin auch noch auf AlexanderKs Einschätzung gespannt.

    Aber in jedem Fall: mir bleibt die Aufnahme wohl nicht erspart...


    maticus

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  • Jaja, alles gut.

    maticus

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  • Im Lauf der Jahre habe ich diese Live-Aufnahme aus 1972 immer mehr schätzen gelernt . Einfach eine überlegt-überzeugende Interpretation , auch handwerklich gelungen .
    Gibt es günstiger unter ASIN: B011ASHKR6 . Und neuerdings auch in der Tube : https://www.youtube.com/watch?v=v-S4Nd0ItcE


    Erlaube mir das hier reinzukopieren, wahrscheinlich ein echter Kontrast zu dieser Aufnahme hier...

    Bin dann nämlich gestern doch noch dazugekommen, auch dieses Werk - mit Spannung erwartet - wieder einmal zu hören:

    Persönlicher Höreindruck:

    „Under Stalin´s Shadow“ sollen sich die Symphonien 5 bis 10 bei Andris Nelsons und dem Boston Symphony Orchestra abspielen, also unter dem lebensbedrohlichen Druck des Diktators. Die „Leningrader“, aufgenommen live im Februar 2017 in der Symphony Hall in Boston (DGG), negiert aber akustisch jeglichen Kriegs-Subtext. Das Kämpferische der Musik fehlt, wie später bei Nelsons´ Wiener Beethoven Zyklus. Stattdessen auch hier: Voller Raumklang, kräftige Farben, vollblütiges Orchesterspiel, blühende Natur und allerlei Spektakel. Was anderswo latent bedrohlich erscheint, schildert hier die Wunder der Natur. Die Invasion im 1. Satz wird zur gewaltigen Zirkusnummer. Das Gericht im 3. Satz mag Sehnsucht und Hoffnung vermitteln, Gefahr für das Individuum strahlt es keine aus. Friedlich und entspannt, klangsatt und mit etwas Spektakel zwischendurch geht es bis zum prächtigen, feierlichen Einzug vielleicht durchs große Tor von Kiew. Eine „Leningrader“ für die HiFi-Anlage, kein Schrecken des Krieges in Musik.

    Die Birmingham Aufnahme (Dank auch von mir für die Anmerkungen dazu) merke ich jedenfalls vor.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Die Birmingham Aufnahme (Dank auch von mir für die Anmerkungen dazu) merke ich jedenfalls vor.

    Ach, ich dachte, Du kennst die Birmingham Aufnahme. Da habe ich wohl etwas verwechselt.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
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  • Wen es interessiert.
    Ich habe folgende Aufnahme als eine Datei!
    PROMS BBC nr 51. Glinka, Howard & Shostakovich
    London, BBC Proms, 2012 (Audio)
    Director: Andris Nelsons
    Glinka:Ruslan and Lyudmila – overture
    Emily Howard:Calculus of the Nervous System.UK Premiere
    Shostakovich:Symphony No. 7.
    City of Birmingham Symphony Orchestra

    und wo ich schon dabei bin:
    PROMS BBC nr 54. Davies, Delius and Shostakovich
    London, BBC Proms, 2012 (Audio)
    Director: Vasily Petrenko
    Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
    Peter Maxwell Davies:Symphony No.9. London Premiere
    Delius: Violin Concerto (Tasmin Little,violin)
    Shostakovich:Symphony No. 10 in E minor
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

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