"Der Satz endet tragisch" – Außermusikalische Kriterien beim Hören von Musik
Für die Formulierung des Betreffs muss ich mir ein großes Lob aussprechen: Immerhin ist die politische Brisanz am Betreff nicht zu erkennen. Leider ist sie trotzdem vorhanden, daher lassen wir es besser mit dem Lob.
Tatsächlich gibt es zwei Anlässe für diesen Thread:
(1) Irgendeine Mahler-Sinfonie. Im Booklet heißt es: "Der Satz endet tragisch."
Wie??? Hat sich die Katze meines Nachbars die linke Vorderpfote verstaucht? Der Kater kann schon mal nerven, aber eigentlich ist es ein netter Kerl. Er besucht mich öfter. Wenn ihm was zustoßen würde, ginge mir das durchaus nah. Aber der Autor des Mahler-CD-Booklets dachte wohl an etwas anderes. Nur: Wahrscheinlich gab's auch bei der Uraufführung der Sinfonie keine größeren Unglücke. Worin besteht also die Tragik? Hat Mahler "tragische" Akkorde verwendet? Durchlebte er eine "tragische" Zeit? Da kommen wir der Sache näher. Oder auch nicht. Ist es sinnvoll, die Biografie eines Komponisten mit seinen Werken zu verknüpfen? Hatte Mozart "Todesahnung" beim Komponieren des Requiems? Für mich ist das alles so spekulativ, dass ich es tendenziell eher ablehne.
(2) Schostakowitsch. Oder Julius Weismann.
Ist die Kenntnis der Lebensumstände des Komponisten hilfreich beim Verstehen ihrer Musik? Möglicherweise ja. Ich meine aber: Noch öfter wird man durch die Beachtung der außermusikalischen Aspekte eher in die Irre geführt.
Hier soll jedenfalls nicht diskutiert werden, ob man sich aus moralischen/politischen/sozialen Gründen mit der Biografie eines Komponisten befassen sollte. Das kann man so oder so sehen. Man kann dazu auch einen eigenen Thread aufmachen. Hier soll es darum gehen:
Hilft die Kenntnis der Biografie des Komponisten zum Verständnis seiner Werke?
Jetzt kommt eine meiner berüchtigten Prozent-Angaben:
In 20% aller Fälle: Das Biografie-Wissen hilft.
In 50% aller Fälle: Das Biografie-Wissen hilft nicht, schadet aber auch nicht.
In 30% aller Fälle: Das Biografie-Wissen schadet eher.
Die zweite Fragestellung wäre:
Kann man nur anhand der Musik (also ohne weitere Infos) eine Komposition mit außermusikalischen Vokabeln beschreiben?
Ich meine: Nein.
Abgesehen natürlich von Vogelgezwitscher und dergleichen. Ansonsten ist man immer auf zusätzliche Daten angewiesen: Libretto einer Oper, Satzbezeichnungen, schriftliche Äußerungen des Komponisten.
Die Stoßrichtung dieses Beitrages ist also klar: Weg mit den außermusikalischen Kriterien!
Man kann es aber auch anders sehen...
Thomas