Franz Schubert: Sinfonie C-Dur, D 944 "Die Große"

  • Und vielen Dank an Teleton für die Empfehlung der Karajan-Aufnahme, leider hat er hier noch nicht gepostet: Ich habe selten eine so klare, straffe, eindringliche unbd wunderschöne Interpretation gehört; gerade auch im Bläserbereich. Wahnsinn!

    Dazu habe ich anderen Orts mal ein paar Eindrücke gepostet, ich kopiere sie etwas verändert hier herein:

    Franz Schubert: Große C-dur-Symphonie
    Berliner Philharmoniker
    Herbert von Karajan
    ( Aufnahme September 1968)


    Es handelt sich um die Auskoppelung aus einer ominösen Karajan Master Recordings-Edition. Die CD steckt einer Papphülle, ein Booklet gibt es nicht, dafür einen kurzen Text auf der Innenseite des Deckels, der erwartungsgemäß nicht von Schubert, sondern von Karajans Schubert handelt. Trotzdem nicht uninteressant: man traut sich sogar die weiter oben schon zitierte negative Charakterisierung der Aufnahme durch den Penguin Guide zu bringen ("this is a tour of chromium heaven"). Es wird auch darauf hingewiesen, dass Karajans für die damalige Zeit (1968 ) ungewöhnlich schnellen Tempi in Andante-Einleitung und zweitem Satz durchaus dem heutigen Stand der Forschung entsprächen. Ganz stimmt das nicht, aber dazu gleich mehr.

    Zunächst das Positive: vorzügliche Aufnahmetechnik, hervorragendes, trotz großer Besetzung hinreichend transparentes Orchesterspiel (was bei Böhms wenige Jahre früher mit dem gleichen Orchester aufgenommener Interpretation weniger der Fall ist). Nur selten deckt der große Streicherapparat die Holzbläser zu. Ich finde das Klangbild auch nicht ungewöhnlich blechlastig.

    Ein wenig antiquiert wirkt auf mich der unstillbare Drang Karajans, Töne und Phrasen zu binden, zu binden und nochmals zu binden. Dasss man auch differenzierter artikulieren kann, ist ja nicht erst eine Erkenntnis von HIP, auch wenn Karajan mit dieser Praxis damals nicht allein war. Ich brauche gar keinen HIP- oder in anderer Weise "radikalen" Dirigenten heranzuziehen, um das zu zeigen: Man höre sich nur in der Andante-Einleitung das erste Erscheinen des Anfangsthemas im Fortissimo mit Posaunen an - Karajan bindet, Günter Wand setzt in seiner Einspielung mit den Berlinern die Töne voneinander ab und betont das Rhythmische viel stärker. Und diese Unterschiede lassen sich bei beiden immer wieder finden, etwa in der Durchführung des ersten Satzes, im zweiten Satz, zweites Thema, oder im Trio (obwohl Wand z.B. bei Tempofragen konventioneller agiert als Karajan).

    Mit Ausnahme des A-Teils von Scherzo und Trio spielt Karajan keine der vorgeschriebenen Wiederholungen. Das ist bedauerlich, im Kontext der damaligen Aufführungspraxis aber normal.

    Ingesamt ist das (für die 60er Jahre) eine werkdienliche Interpretation auf hohem Niveau. Karajan betont fast durchweg mehr das schnell Fließende, spielt dynamische Höhepunkte voll aus, nimmt das Scherzo recht ruppig (Beginn im ff, nicht im Forte), lässt die Melodie des Trios breit strömen (vernachlässigt allerdings etwas die rhythmisierten Begleitstimmen) und gestaltet das Finale legitimerweise als Tour de force. Den Hauptsatz des Allegro ma non troppo nimmt Karajan relativ, aber nicht ungewöhnlich schnell und ist bei gewissen Temporückungen ganz der Tradition verhaftet (Abstoppen beim zweiten Thema, beim Ende des zweiten Themenkomplexes sehr deutliches Accelerando zum Grundtempo). Bei der Schlussapotheose des Hornthemas bleibt Karajan zwar nicht ganz im Tempo (was nach der recht schnell genommenen Stretta auch schwer möglich wäre), verbreitert aber im Gegensatz zu Furtwängler, Böhm et. al. das Tempo nur sehr wenig. Bemerkenswert.

    Neben dieser Passage waren es wohl vor allem zwei Tempi, die die Zeitgenossen damals etwas verstört haben: Zunächst die Einleitung zum ersten Satz, die hier tatsächlich als ruhig strömendes Andante und nicht als Adagio erklingt. Für heutige Verhältnisse sind 3:15 Minuten bis zum Eintritt des Allegro nicht übermäßig schnell, für die damalige Zeit waren sie es schon. Worauf Karajan nicht verzichtet, ist das partiturwidrige Accelerando am Schluss der Einleitung - es fällt zwar aufgrund des geringeren Tempounterschieds zwischen Einleitung und Hauptsatz nicht so extensiv aus wie bei Böhm oder gar Furtwängler, ist aber natürlich trotzdem sehr gut hörbar (hier wie der CD-Begleittext von "seamless transition" zu sprechen, trifft nicht den Kern der Sache).

    Dann der zweite Satz: Hier ist Karajan mit 12:20 selbst aus Sicht heutiger Interpretationspraktiken sehr schnell (ähnlich etwa Norrington), was aufgrund der Tempovorschrift Andante con moto unzweifelhaft legitim ist (auch wenn es nicht ganz meinem Geschmack entspricht). Das wird gut gemacht, man hat nie den Eindruck von Hektik, sondern nur den eines relativ schnellen Schreitens. Das zweite Thema darf durchaus singen. Was allerdings auffällig fehlt - und das ist nicht (nur) eine Frage des Tempos - ist eine Reaktion der Musik auf die fff-Katastrophe des Höhepunktes. Dass danach die Musik erst wieder zu sich finden muss und doch nie wieder zu sich findet, hört man bei sehr verschiedenartigen Dirigenten gestaltet: bei Karajan nicht - hier fließt gleich mit dem ersten Ansetzen der Celli die Musik unbeeindruckt weiter. Ich bringe ungern den abgewetzten Dualismus Oberfläche vs. Tiefe ein, aber hier fällt mir nichts Besseres ein: Karajan bleibt hier zu sehr an der Oberfläche.

    Alles in allem: meine Lieblingseinspielungen bleiben andere. Karajan bietet eine gute, im Kontext der damaligen Interpretationspraxis stellenweise ungewöhnliche Einspielung. Die "poetischen", "narrativen" Qualitäten des Werks sind Karajans Sache nicht, aber die relative "Kälte" der Interpretation trifft auch einen interessanten Zug der Sinfonie - wobei Leibowitz (dessen Aufnahme ich stellenweise fast abstoßend maschinell finde) da noch viel radikaler ist. Immerhin interessant, dass Karajan hier Leibowitz interpretatorisch näher ist als die meisten anderen Dirigenten dieser Zeit.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Wenn ich nach dem Erst-Hören einer Aufnahme der großen C-Dur-Symphonie von Schubert nachlesen möchte, was bei Capriccio dazu steht, muss etwas Besonders passiert sein. Denn, seien wir mal ehrlich: Mit Schubert ist das Regal ziemlich voll und was soll da eigentlich noch Neues kommen? Entsprechend ist meine Sichtweise der vom Doch recht ähnlich.

    Jetzt aber höre ich das erste Mal Hengelbrocks Aufnahme mit dem NDR-Sinfonieorchester aus dem Jahre 2012 und horche auf: Was macht der denn da?

    Dass Hengelbrock das die Sinfonie eröffnende Thema von auf einer Empore, getrennt vom Orchester positionierten Hörnern spielen lässt, „weil das Thema klingen müsse, als ob es von ferne käme - wie ein Ruf aus der Natur“, ist ein nettes Gimmick, das ich mit beifälligem Nicken höre. Dann aber wird es gleich interessanter, weil der in meinem Ohr befindliche Tempobogen alsbald gebrochen wird. Viel zu kurz phrasiert, denke ich. Dann aber ergeben sich Gegenüberstellungen von Themen, von Einzelheiten, die normalerweise Teil des breiten Stroms sind, hier aber plötzlich Bedeutung gewinnen, Einzelheiten, die äußerst transparent und mit großer Detailakribie dargestellt werden. Mehr und mehr stellt sich der Eindruck ein, dass das hier mal nicht ein weiterer, kurz eingespielter Schubert ist, sondern ein wohldurchdachter, bis ins Letzte ausgeprobter, und ein gut und mit schönem Sound gespielter dazu.

    Ich gucke ins Booklet und erfahre: „„Diese Schubert-Aufnahme ist auch ein Plädoyer für Flexibilität im Tempo“, beschreibt Thomas Hengelbrock seinen Interpretationsansatz. „In späteren Zeugnissen wird immer wieder darauf verwiesen, dass es zur Schubert-Zeit üblich gewesen sei, Haupt- und Seitenthemen eines Sonatensatzes in abweichenden Tempi zu spielen … Die Entscheidung für einen demgemäß authentischen, variablen Umgang mit den Tempi der einzelnen Abschnitte eines Sinfoniesatzes führe natürlich dazu, so Hengelbrock, dass man „dazwischen jeweils mit Ritardandi und Accelerandi vermitteln muss.“"

    Und wie Hengelbrock vermittelt! Immer wieder werde ich aus dem Gewohnten gerissen und dazu aufgefordert, neugierig zuzuhören.
    Was davon bleibt, wenn ich die Aufnahme zum zweiten, dritten, vierten Mal gehört haben werde? Ich weiß es nicht, die Befürchtung liegt nahe, dass sich insbesondere der Reis des speziellen Kurz-Rubato schnell erschöpfen kann. Dass ich die Aufnahme aber noch zum zweiten, dritten und vierten Mal hören werde, das ist gewiss.

    Eine dicke Empfehlung!

  • SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart / Roger Norrington (2002)

    (P) 2002 SWR Music / Hänssler Classic CD 93.044 [50:47]
    rec. 18.-20. Juli 2001 (Beethovensaal, Liederhalle Stuttgart) live

    Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
    D: Roger Norrington

    Das ist schon sehr famos: nicht wuchtig, aber mit Fülle; nicht schnell, aber flott. Ein klar gegliederter Duktus bestimmt die Symphonie, pointiert die einzelnen Abschnitte sehr deutlich, ohne jedoch den Fluß zu stören. Dazu eine sehr gute Klangqualität.
    :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Vor ein paar Wochen fiel mir bei Saturn eine Box mit Einspielungen durch Michael Gielen in die Hände, die ich auch wegen des geringen Preises sofort mitnahm. Auf einer der 5 CDs befindet sich auch die 9. Sinfonie von Schubert. Es handelt sich um einen Live Mitschnitt vom April 1996 aus der Royal Festival Hall in London mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

    Zur Tempowahl des ersten Satzes schreibt Gielen im Begleitbuch, dass er seinerzeit sehr durch das von Furtwängler gewählte Zeitmass beeinflußt wurde, und auch beim ersten Mal wo er die Sinfonie dirigierte dieses anwendete. Das Konzert wurde im Radio übertragen, und sein Lehrer Josef Polnauer hatte es gehört. Später rügte der Gielen für sein Tempo im einleitenden Andante, und wies ihn darauf hin, dass es ein "Wanderthema" sei. Das fand nun Gielen durchaus plausibel, und er dirigiert es auf der vorliegenden Aufnahme auch so. Mir persönlich gefällt es ebenso, und ich finde es passt viel besser zum Satz, weil es sich organischer einfügt. Es besteht hier übrigens eine deutliche Verwandtschaft zur Unisono Einleitung der h-Moll Sinfonie, die ich auch lieber etwas zügiger hören möchte. Schubert hatte offenbar eine Vorliebe für derlei Einleitungen, denn in den beiden ersten Klaviersonaten der Trias von 1825 (C-Dur D 840; a-Moll D 845 und D-Dur D 850) verwendet er ebenfalls verwandte Themen.

    Trotz der zügigen Einleitung und des Verzichtes auf eine Verzögerung in der Coda beim Eintritt des Eröffnungsmotives (davon steht auch gar nichts in der Partitur) wirkt die Darstellung nicht übermäßig flott. Ich finde dass Gielen ein dem Satz sehr angemessenes Tempo wählt. Er spielt im ersten Satz keine Wiederholungen, daher lässt sich die Spielzeit nur schwer mit anderen Aufnahmen vergleichen, die zum Teil die Wiederholungen mitspielen.

    Insgesamt ist das für mich eine sehr überzeugende Aufnahme, auch was die anderen Sätze anbelangt.

    oder

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Meiner Meinung nach kann man nicht von Schuberts großer C-Dur sprechen, ohne auch die Aufnahme von Krips mit dem LSO zu erwähnen. Diese schon reichlich betagte Aufnahme ist von einer Dynamik und Spielfreude, die ich von keiner anderen kenne. Krips dirigiert sie einfach so sehr richtig für meine Ohren, dass ich eigentlich keine andere Aufnahme benötige - dabei habe ich zahlreiche, die aber alle nicht an seine Einspielung heran reichen. Besonders hervorzuheben ist der vierte Satz, der wirklich in keiner anderen Aufnahme, die ich kenne, so "tänzelnd", so leicht und gleichzeitig voll klingt.

  • Da finde ich aber hinsichtlich Dynamik die o.g. Aufnahme mit Gielen viel überzeugender. Insbesondere das Anfangsthema wird von fast allen die ich kennengelernt habe viel zu langsam genommen. Und warum mitten im Jubel der Coda dann abgebremst wird hat sich mir noch nie erschlossen. Das ist das schlechte Beispiel von Herrn Furtwängler, an dem sich wohl die meisten Dirigenten orientiert haben. Auch die Version mit George Szell ist in Sachen Dynamik und Präzision kaum zu toppen.
    Aber jeder hat so seine Präferenzen, das lässt sich kaum verallgemeinern.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Die Partitur wurde erst 1838 entdeckt, und zwar von Rober Schumann in Wien.

    Die Partitur wurde nicht "erst 1838" von Schumann irgendwo "entdeckt", sondern Franz Schubert hatte die fertiggestellte Partitur im Oktober 1826 der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien mit einer Widmung zukommen lassen. Diese Gesellschaft zahlte ihm ein kleines Honorar hierfür und sorgte für das Aufführungsmaterial. In der zweiten Jahreshälfte 1827 kam es in der Gesellschaft zu einer ersten Aufführung mit einem Amateurorchester. In der Folgezeit hatte jedoch niemand mehr Interesse, diese als zu lang und als zu schwierig zu spielen empfundene Sinfonie aufzuführen. Die Originalpartitur und das Aufführungsmaterial blieben im Notenbestand der Gesellschaft der Musikfreunde, mussten dort also nicht (wie auf einem Dachboden) "entdeckt" werden. Als Robert Schumann 1838 Wien besuchte, zeigte ihm Ferdinand Schubert in der Gesellschaft der Musikfreunde die Originalpartitur. Dieser zeigte Interesse. Ferdinand Schubert händigte ihm eine Kopie aus, die Schumann mit nach Leipzig nahm, wo es dann im Gewandhaus am 21. März 1839 zur öffentlichen Uraufführung kam.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Zitat

    Dominik
    Meiner Meinung nach kann man nicht von Schuberts großer C-Dur sprechen...


    ...wenn nämlich bis zu 10min. fehlen, ?( sowohl bei Gielen wie auch bei Krips, und vielen anderen!
    Ich will diese Sinfonie vollständig hören und nicht nur in > Teilen < ! :boese1:

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Ob es tatsächlich 1827 zu einer Aufführung kam, weiß man nicht. Das Aufführungsmaterial hat sich nicht erhalten, wohl aber die Kopisten-Rechnungen. Das Manuskript ist nach wie vor bei der Gesellschaft der Musikfreunde, Ferdinands Kopie in Leipzig.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • ...wenn nämlich bis zu 10min. fehlen, sowohl bei Gielen wie auch bei Krips, und vielen anderen!
    Ich will diese Sinfonie vollständig hören und nicht nur in > Teilen < !

    zu dem Thema gibts verschiedene Geschmäcker, irgendwo lungert auch noch ein thread über die Wichtigkeit von Wiederholungen rum...

    Ich empfinde gerade bei dieser Symphonie, wo die einzelnen Themen ja schon in der Exposition eher ausführlich als lakonisch behandelt werden, die Wiederholungen als Konvention, die dem organischen Fluss nicht wirklich zuträglich ist.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • ...wenn nämlich bis zu 10min. fehlen, sowohl bei Gielen wie auch bei Krips, und vielen anderen!

    Falls Du damit die Wiederholungen meinst, so sind sie m.E. in dieser Aufnahme alle berücksichtigt:

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • so sind sie m.E. in dieser Aufnahme alle berücksichtigt

    Außerdem auch bei Abbado, Blomstedt, Colin Davis, Goodman, Groves, Harnoncourt, Immerseel, Keitel, Lombard, Loughran, Luisi, Mackerras, Masur, Muti, Norrington, Nott, Solti, Suitner, Tate, Wildner plus in weiteren Aufnahmen der letzten Jahre. :D

    (Hab ich nur aus dem erwähnten "Wiederholungen"-Thread rüberkopiert.) ;)

    Im übrigen bin ich bei Wiederholungen nicht mehr so rigide wie vor ein paar Jahren, da müsste ich ja z.B. alle Carlos-Kleiber-Livemitschnitte von symphonischer Musik missbilligen. Kann aber auf jeden Fall eine Große C-dur mit allen Wiederholungen gut goutieren.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • ...wenn nämlich bis zu 10min. fehlen, sowohl bei Gielen wie auch bei Krips, und vielen anderen!

    Krips gehörte zu den gewissenhaftesten Dirigenten, so weit ich das einschätzen kann. Wenn er sich also gegen alle Wiederholungen entschieden hat, wird er das mehr als nur wohldurchdacht haben


    Ich will diese Sinfonie vollständig hören und nicht nur in > Teilen < !

    Wiederholungen machen die Musik nicht schlüssiger und die Musik auch nur selten "besser". Man verzeihe mir das Wort "besser", mir fällt gerade kein "Besseres" ein.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Wiederholungen machen die Musik nicht schlüssiger und die Musik auch nur selten "besser".

    Was meinst Du damit in Bezug auf Schuberts C-Dur-Symphonie, um die es hier schließlich geht? Was bedeuten die Wiederholungen dort für Dich, machen sie die Musik für Dich schlüssiger oder nicht?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Was meinst Du damit in Bezug auf Schuberts C-Dur-Symphonie, um die es hier schließlich geht? Was bedeuten die Wiederholungen dort für Dich, machen sie die Musik für Dich schlüssiger oder nicht?

    Sie machen mir die Sinfonie nicht schlüssiger. Wiederholungen sind für mich auch im Jazz eher überflüssig als sinnvoll. Es gibt natürlich die Ausnahmen, wenn man etwas "aufbauen" möchte, oder bei der Wiederholung durch das Hinzuziehen von weiteren Instrumenten/Stimmen eine andere Wirkung erzielen, und damit wiederum doch irgendwie eigenständig sind.

    Es muss was passieren, um eine Wiederholung für mich attraktiv zu machen. Einfach "nur" einen Part wiederholen macht kein Stück besser, nur länger.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Wiederholungen

    ja ja, provoziert mich nur...

    Das Problem der Wiederholungen ist dass sie einkomponiert sind. Bei Schubert nicht so deutlich wie bei Beethoven, aber am Beispiel des 1. Satzes kann ich mal wieder meine standardmäßigen Argumente loswerden:

    Was passiert an den Überleitungen zwischen den Formteilen?
    1. Exposition -> Wiederholung
    Ende der Exposition regulär in G-Dur. Viele Schlussfloskeln lassen die Musik spürbar auslaufen, zu erkennen ist dabei noch rudimentär der Rhythmus des 2. Themas. Dann, ganz am Ende gibt es eine letzte Bekräftigung mit den Thönen und im Rhythmus des Hauptthemas im Unisono: g-d-g-a-g-d-g-a-g. Diese letzte Schlussfloskel leitet schwungvoll und motivisch logisch in die Wiederholung zurück. Sie wäre vollkommen obsolet, wenn keine Wiederholung eingeplant wäre.

    2. Expositionswiederholung -> Durchführung
    Was macht Schubert hier mit der Schlussfloskel? Er lässt sie original so stehen und bringt statt der Wiederholung (die dem Zuhörer im Ohr klingen muss, weil es sich daran erinnert) das Hauptthema nur kurz angedeutet - einen Halbton höher und im piano - und greift dann sofort das zweite Thema wieder auf. Das Hauptthema taucht ab zum unterschwellig pulsierenden Begleitrhythmus.

    3. Durchführung ->Reprise
    spielt für die Frage der Wiederholung meist keine Rolle

    4. Reprise -> Coda
    Dies ist der kritischste Punkt. Beethoven greift hier in aller Regel auf die Überleitung zur Wiederholung zurück, wodurch diese allein schon aus Gründen motivischer, thematischer oder harmonischer Zusammenhänge zwingend ausgeführt werden muss, wenn keine offenen Baustellen entstehen sollen.
    Schubert geht, wie zu erwarten, weniger formalistisch vor, jedoch: Am Ende der Reprise überspringt Schubert die letzte Schlussfloskel und geht stattdessen unmittelbar in die rasante Coda über, in der das 1. Thema noch in Bruchstücken, das 2. Thema gar nicht mehr auftaucht.
    Wenn diese Überleitung an eine der beiden ersten anknüpft bzw. erinnern soll, dann an die erstere.


    Welcher (falsche) Höreindruck entsteht nun, wenn die Wiederholung fehlt?
    Die Schlussfloskel der Exposition ist völlig obsolet. Die zweite Hälfte der Exposition wird minutenlang dominiert vom 2. Thema, mit dem auch die Durchführungsarbeit beginnt. Warum sollte da mal kurz das 1. Thema prägnat dazwischengeworfen werden? Nur um von G-Dur nach As-Dur zu rücken? Das hätte er auch mit dem 2. Thema machen können.
    Die Schlussfloskel der Exposition ist auch widersinnig, weil sie am Ende der Reprise nicht mehr auftaucht. Strenggenommen gehört sie gar nicht zur Exposition, sondern fungiert als Anhängsel, das nur als Überleitung zur Wiederholung überhaupt Sinn macht.
    Und wenn es unbedingt so sein sollte - dass der Expositionsschluss wieder zum 2. Thema zurückführt (Exposition -> Durchführung als Maßstab, weil man ja Exposition -> Wiederholung nicht zu hören bekommt), - dann müsste er das auch nach der Reprise tun. Tut er aber nicht, nicht mal andeutungsweise.


    Ich weiß, diese Argumente sind formalistisch und dem meisten Hörern völlig egal
    Sie taugen auch nicht als Muster für alle Wiederholungen, wohl aber sehr viele. Für andere Fälle gibt es weitere Argumente, wie in dem erwähnten Thread nachzulesen.
    Eines meiner Lieblingsargumente gibt es zu den Sinfonien von Brahms:
    1.-3. Sinfonie: reguläre Expositionswiederholungen;
    4. Sinfonie: eine angetäuschte Wiederholung, die ganz allmählich in die Durchführung abgebogen wird. Wenn alle Wiederholungen weggelassen werden, dann klingt es beim oberflächlichen Hören so, als hätte die 4. Sinfonie als einzige eine Wiederholung (Dvorak hat in der 8. Sinfonie exakt Brahms' Modell der Scheinwiederholung angewandt, in der 9. aber wieder eine reguläre Wiederholung vorgeschrieben. Warum, wenn sie historisch überholt gewesen wäre?)

    Gruß,
    Khampan

  • Das Problem der Wiederholungen ist dass sie einkomponiert sind.

    klasse Beitrag, äußerst anregend! Danke!

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Danke für die Übersicht, Khampan

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

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