Und vielen Dank an Teleton für die Empfehlung der Karajan-Aufnahme, leider hat er hier noch nicht gepostet: Ich habe selten eine so klare, straffe, eindringliche unbd wunderschöne Interpretation gehört; gerade auch im Bläserbereich. Wahnsinn!
Dazu habe ich anderen Orts mal ein paar Eindrücke gepostet, ich kopiere sie etwas verändert hier herein:
Franz Schubert: Große C-dur-Symphonie
Berliner Philharmoniker
Herbert von Karajan
( Aufnahme September 1968)
Es handelt sich um die Auskoppelung aus einer ominösen Karajan Master Recordings-Edition. Die CD steckt einer Papphülle, ein Booklet gibt es nicht, dafür einen kurzen Text auf der Innenseite des Deckels, der erwartungsgemäß nicht von Schubert, sondern von Karajans Schubert handelt. Trotzdem nicht uninteressant: man traut sich sogar die weiter oben schon zitierte negative Charakterisierung der Aufnahme durch den Penguin Guide zu bringen ("this is a tour of chromium heaven"). Es wird auch darauf hingewiesen, dass Karajans für die damalige Zeit (1968 ) ungewöhnlich schnellen Tempi in Andante-Einleitung und zweitem Satz durchaus dem heutigen Stand der Forschung entsprächen. Ganz stimmt das nicht, aber dazu gleich mehr.
Zunächst das Positive: vorzügliche Aufnahmetechnik, hervorragendes, trotz großer Besetzung hinreichend transparentes Orchesterspiel (was bei Böhms wenige Jahre früher mit dem gleichen Orchester aufgenommener Interpretation weniger der Fall ist). Nur selten deckt der große Streicherapparat die Holzbläser zu. Ich finde das Klangbild auch nicht ungewöhnlich blechlastig.
Ein wenig antiquiert wirkt auf mich der unstillbare Drang Karajans, Töne und Phrasen zu binden, zu binden und nochmals zu binden. Dasss man auch differenzierter artikulieren kann, ist ja nicht erst eine Erkenntnis von HIP, auch wenn Karajan mit dieser Praxis damals nicht allein war. Ich brauche gar keinen HIP- oder in anderer Weise "radikalen" Dirigenten heranzuziehen, um das zu zeigen: Man höre sich nur in der Andante-Einleitung das erste Erscheinen des Anfangsthemas im Fortissimo mit Posaunen an - Karajan bindet, Günter Wand setzt in seiner Einspielung mit den Berlinern die Töne voneinander ab und betont das Rhythmische viel stärker. Und diese Unterschiede lassen sich bei beiden immer wieder finden, etwa in der Durchführung des ersten Satzes, im zweiten Satz, zweites Thema, oder im Trio (obwohl Wand z.B. bei Tempofragen konventioneller agiert als Karajan).
Mit Ausnahme des A-Teils von Scherzo und Trio spielt Karajan keine der vorgeschriebenen Wiederholungen. Das ist bedauerlich, im Kontext der damaligen Aufführungspraxis aber normal.
Ingesamt ist das (für die 60er Jahre) eine werkdienliche Interpretation auf hohem Niveau. Karajan betont fast durchweg mehr das schnell Fließende, spielt dynamische Höhepunkte voll aus, nimmt das Scherzo recht ruppig (Beginn im ff, nicht im Forte), lässt die Melodie des Trios breit strömen (vernachlässigt allerdings etwas die rhythmisierten Begleitstimmen) und gestaltet das Finale legitimerweise als Tour de force. Den Hauptsatz des Allegro ma non troppo nimmt Karajan relativ, aber nicht ungewöhnlich schnell und ist bei gewissen Temporückungen ganz der Tradition verhaftet (Abstoppen beim zweiten Thema, beim Ende des zweiten Themenkomplexes sehr deutliches Accelerando zum Grundtempo). Bei der Schlussapotheose des Hornthemas bleibt Karajan zwar nicht ganz im Tempo (was nach der recht schnell genommenen Stretta auch schwer möglich wäre), verbreitert aber im Gegensatz zu Furtwängler, Böhm et. al. das Tempo nur sehr wenig. Bemerkenswert.
Neben dieser Passage waren es wohl vor allem zwei Tempi, die die Zeitgenossen damals etwas verstört haben: Zunächst die Einleitung zum ersten Satz, die hier tatsächlich als ruhig strömendes Andante und nicht als Adagio erklingt. Für heutige Verhältnisse sind 3:15 Minuten bis zum Eintritt des Allegro nicht übermäßig schnell, für die damalige Zeit waren sie es schon. Worauf Karajan nicht verzichtet, ist das partiturwidrige Accelerando am Schluss der Einleitung - es fällt zwar aufgrund des geringeren Tempounterschieds zwischen Einleitung und Hauptsatz nicht so extensiv aus wie bei Böhm oder gar Furtwängler, ist aber natürlich trotzdem sehr gut hörbar (hier wie der CD-Begleittext von "seamless transition" zu sprechen, trifft nicht den Kern der Sache).
Dann der zweite Satz: Hier ist Karajan mit 12:20 selbst aus Sicht heutiger Interpretationspraktiken sehr schnell (ähnlich etwa Norrington), was aufgrund der Tempovorschrift Andante con moto unzweifelhaft legitim ist (auch wenn es nicht ganz meinem Geschmack entspricht). Das wird gut gemacht, man hat nie den Eindruck von Hektik, sondern nur den eines relativ schnellen Schreitens. Das zweite Thema darf durchaus singen. Was allerdings auffällig fehlt - und das ist nicht (nur) eine Frage des Tempos - ist eine Reaktion der Musik auf die fff-Katastrophe des Höhepunktes. Dass danach die Musik erst wieder zu sich finden muss und doch nie wieder zu sich findet, hört man bei sehr verschiedenartigen Dirigenten gestaltet: bei Karajan nicht - hier fließt gleich mit dem ersten Ansetzen der Celli die Musik unbeeindruckt weiter. Ich bringe ungern den abgewetzten Dualismus Oberfläche vs. Tiefe ein, aber hier fällt mir nichts Besseres ein: Karajan bleibt hier zu sehr an der Oberfläche.
Alles in allem: meine Lieblingseinspielungen bleiben andere. Karajan bietet eine gute, im Kontext der damaligen Interpretationspraxis stellenweise ungewöhnliche Einspielung. Die "poetischen", "narrativen" Qualitäten des Werks sind Karajans Sache nicht, aber die relative "Kälte" der Interpretation trifft auch einen interessanten Zug der Sinfonie - wobei Leibowitz (dessen Aufnahme ich stellenweise fast abstoßend maschinell finde) da noch viel radikaler ist. Immerhin interessant, dass Karajan hier Leibowitz interpretatorisch näher ist als die meisten anderen Dirigenten dieser Zeit.
Viele Grüße
Bernd