Strauss, Richard: Ein Heldenleben

  • Strauss, Richard: Ein Heldenleben

    Ein Heldenleben, Op. 40, ist die siebte der neun Tondichtungen von Richard Strauss und gleichzeitig das letzte größere vor der Jahrhundertwende entstandene Werk des Komponisten. Es überraschte das Publikum der Uraufführung im Jahre 1899 mit einer gänzlich neuen Formkonzeption, einem monumentalen Orchesterapparat, vertonter Hässlichkeit und einem absonderlichen Programm. Noch heute sind sich die Kritiker uneinig, wie das Programm und dessen Umsetzung zu verstehen und zu bewerten sind. Im Orchesterrepertoire hat Ein Heldenleben allerdings längst einen Fixplatz eingenommen, allzu gerne wird es von Dirigenten benutzt, um ihr Orchester virtuos ins Treffen zu führen. Die Besetzung umfasst vierfache Holzbläser, acht Hörner, fünf Trompeten, drei Posaunen, zwei Tuben, zwei Harfen, ein Fernorchester, ein komplettes Schlagwerk und über sechzig Streicher.
    Das Programm gliedert sich in sechs Hauptabschnitte, die jeweils mit einer kurzen Überschrift betitelt sind. Es stellt das Leben eines Helden und seiner Gefährtin dar, der, von Kritikern verspöttet, in den Kampf zieht, seinen Sieg feiert und anschließend aus der Welt flüchtet.
    Das Werk besticht durch eine reiche Fülle musikalischer Gedanken, deren verblüffend plastisch wirkende kontrapunktische Vernetzung, die Gegenüberstellung grotesker und lyrisch-träumerischer Passagen und selbstverständlich die ungeheuere Farbenpracht der Instrumentation. Dabei erscheint die merkwürdige Formgestaltung zunächst befremdend, fügt sich aber nach mehrmaligem Hören zu einem logischen Ganzen.


    Entstehung, Uraufführung und Rezeption

    »Da Beethovens Eroica bei unseren Dirigenten so sehr unbeliebt ist und daher nur mehr selten aufgeführt wird, componiere ich jetzt, um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, eine größere Tondichtung, Heldenleben betitelt (zwar ohne Trauermarsch, aber doch in Es-Dur, mit sehr viel Hörnern, die doch einmal auf den Heroismus geeicht sind). «
    Diese Zeilen schrieb Strauss im Juli 1898 in einem Brief an einen Freund. Zu dieser Zeit war er aber mit der kompositorischen Arbeit schon relativ weit fortgeschritten, denn begonnen hatte er die Komposition schon knapp zwei Jahre zuvor, fast zeitgleich mit dem Don Quixote. Das ist freilich kein Zufall: Ein Heldenleben sollte als »direkter Pendant« zum Don Quixote entstehen, offensichtlich mit der Absicht, zwei grundverschiedene Seiten einer Medaille (des Heldentums) zu schildern. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen beiden Tondichtungen entsteht auch dadurch, dass Strauss den »Ritter von der traurigen Gestalt« gegen Ende des Werkes einige Male zu Wort kommen lässt. Der Bezug zur dritten Sinfonie Beethovens ist bereits in den Anfangstakten hörbar. Über den Titel war sich Strauss lange Zeit unsicher und es kam sogar der Name Eroica in die engere Auswahl. Am 15. April 1897 notierte Strauss in seinem Schreibkalender: »1/2 12 h zum ersten Mal mein Knäblein und meine geliebte, mir wiedergeschenkte Frau gesehen... Sinfonische Dichtung Held und Welt beginnt Gestalt zu bekommen. [...]«
    Am 30. Juli 1898 (Todestag Bismarcks!) beendete Strauss die Arbeit am Particell, am 1. Dezember in Berlin die letzten Zeilen der Partitur.
    In Hinblick auf die riesige Besetzung und die extrem hohen Anforderungen an die Ausführenden kamen nur wenige Orchester für eine Aufführung in Betracht. Strauss widmete das Werk dem Dirigenten Willem Mengelberg und dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, leitete aber selbst die Uraufführung in Frankfurt am 3. März 1899.
    Es erscheint nicht verwunderlich, dass Ein Heldenleben von Publikum und Kritikern gespalten aufgenommen wurde. Viele waren empört über die schrille und dissonante Vertonung der Widersacher und den Lärm der Schlacht. Doch etwa ebenso viele schienen von der Aufführung sehr beeindruckt. So stammen folgende Worte aus dem Mund des französischen Schriftstellers und Musikkritikers Romain Rolland: »Und ich selbst, ich habe die seltsame Trunkenheit empfunden, den Taumel dieses aufgewühlten Ozeans; und ich dachte mir, dass die Deutschen zum ersten Mal seit dreißig Jahren den Dichter des Sieges gefunden haben.«
    Immer wieder geriet das Programm von Ein Heldenleben in Verruf. Kritiker verurteilten die Selbstdarstellung des Komponisten als Helden, doch Strauss ließ in seinen Äußerungen stets offen, wie man das Programm zu deuten habe. So soll er beispielsweise gesagt haben: »Ich bin kein Held. Mir fehlt die nötige Kraft; ich bin nicht für die Schlacht gemacht; ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen, Ruhe und Frieden zu genießen …« - andererseits zeigen die Darstellung seiner Frau Pauline im zweiten Abschnitt und die Passage, in der Themen aus seinen älteren Werken zitiert werden, klare Züge einer Selbstdarstellung (Man muss allerdings bedenken, dass Strauss eine große Vorliebe für die Ironie hatte.).
    Wer sich am Programm stört, dem empfehle ich, mit einer rein musikalischen Annäherung dem Stück eine Chance zu geben. Laut Strauss ist das Programm für den Genuss der Musik ohnehin irrelevant, oft wollte er sogar dessen Preisgabe vermeiden.

    Großform

    »Von dem Augenblick an, wo sich die Themengruppen zu selbständigen Sätzen auswachsen, verschmelzen sich Einsätzigkeit und Mehrsätzigkeit zu einer Einheit, indem aus der Satzanordnung der Symphonie die Sonatenform selbst bereichert wird« (v. Waltershausen).
    Tatsächlich finden wir hier die erste Tondichtung Strauss', die sich formal eindeutig an der (erweiterten) Sonatenhauptsatzform orientiert. Im ersten Teil des Werkes werden drei Themenblöcke exponiert: der erste ("Der Held") dient der Charakterisierung des Protagonisten, wobei verschiedene, die unterschiedlichen Charakterseiten beleuchtende Motive miteinander kontrapunktisch verwoben werden. Im zweiten Themenblock ("des Helden Widersacher") werden in denkbar schärfstem Kontrast zum Vorhergehenden die Antagonisten des Helden präsentiert. Ein weit ausgedehntes Zwischenspiel, gestaltet als Dialog zwischen Geige und Orchester (bzw. des Helden Gefährtin und Held), mündet in einen dritten Block, der als dreiteilige Liedform A-B-A' gestaltet ist. Nun erklärt sich auch die oben aufgeführte Bemerkung von v. Waltershausen: Die drei Themenblöcke, die zusammen eine große Exposition bilden, lassen sich auch als einzelne Sätze auffassen. Der erste Block trägt bereits Anzeichen eines eigenständigen Sonatenhauptsatzes mit Exposition der Themen zu Beginn, kontrapunktischer Verwebung anschließend und Reprise des Hauptthemas zum Schluss. Im Falle einer mehrsätzigen Sinfonie wäre der darauf folgende Teil Des Helden Widersacher als Scherzo aufzufassen, der dritte Block nach dem Zwischenspiel der Solovioline als langsamer Satz in der erwähnten dreiteiligen Liedform.
    Nachdem die schrillen Laute der Widersacher nocheinmal kurz hineintönen, kündigen Trompetenfanfaren die Schlacht an, die als durchführungsartiger Abschnitt zu deuten ist. Dabei kommt es vielmehr zu Schichtungen der einzelnen Motive samt ihrer jeweiligen Tonart (wodurch teils schroffe Bitonalität ensteht) als zu motivisch-thematischer Entwicklung, denn die in der groß angelegten Exposition bereits vollständig ausgearbeiteten Themen können auf Grund dieser Tatsache kein Entwicklungspotenzial mehr bieten. Reinhard Gerlach unterteilt die Durchführung in zwei Abschnitte, auf die ich später noch genauer eingehen werde. Eine weit ausgedehnte Kadenz mündet in die Reprise. Da es allerdings keine Eingliederung des zweiten Themenblocks, der misstönenden Antagonisten, über die der Held scheinbar gesiegt hat, geben kann, tritt an dessen Wiederkehr eine Passage, die mit Des Helden Friedenswerke betitelt ist. Elegant eingeleitet zitiert Strauss hier Themen aus seinen früheren Werken. Diese Passage mag verstörend wirken, ist doch gerade hier der autobiographische Zug der Komposition unverkennbar. Durch die Einbindung der Themen des Heldenlebens wirkt der Abschnitt wie ein dritter Durchführungsteil.
    Das Werk endet mit einer groß angelegten, doppelteiligen Coda, die u.a. ein neues resignierendes Thema einbringt und wie zu Beginn erwähnt Don Quixote zu Wort kommen lässt, wobei zwischendurch einige verspottende Nachrufe der Widersacher erklingen und gegen Schluss Solo-Horn und Solo-Violine das Werk ausklingen lassen. In den letzten Takten erheben sich die Basstrompeten aus der Tiefe zu einem krönenden Schlussakkord, der dem Werk einen würdevoll Abschluss beschert. Strauss wollte die Tondichtung zuerst wie seine vorherigen leise verklingen lassen, doch Friedrich Rösch soll angeblich während eines Frühstücks bemerkt haben: »Richard, das ist wieder ein Pianissimo-Schluss. Das Publikum glaubt ja gar nicht, dass du Forte schließen kannst!!« Strauss soll Feder und Papier verlangt haben und zwischen Tee und Toast einen neuen Schluss hingekritzelt haben. Egal, wie viel Wahrheit in dieser Anekdote steckt - wir können froh sein, dass Strauss den Schluss überdacht hat, denn der heute fast immer gespielte majestätische Ausklang ist zweifellos eindrucksvoller und einem Werk von so großen Ausmaßen gerechter werdend als ein bloßes Abkadenzieren im Pianissimo.

    Genauere Betrachtung der einzelnen Abschnitte

    1. Der Held

    Die Tondichtung beginnt unmittelbar mit einem 16-taktigen Heldenthema in Es-Dur. Die Melodielinie setzt einstimmig im Unisono von Horn, (Kontra-)Fagott. Brasche, Cello und Kontrabass auf einem tiefen Es ein und durchstreicht in abenteuerlichen Bahnen einen Tonraum von vier Oktaven - Grund genug, es sich genauer anzusehen [zum Abspielen der Notenbeispiele auf das Notenbild klicken]:

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    Der im mit voller Lautstärke einsetzenden Es sich aufstauende Druck entlädt sich noch im selben Takt explosionsartig in einer breiten Dreiklangsbrechung hinauf bis zum g', um dann nach einem Quintfall auf dem Ton c' für die Dauer dreier Viertel zu verharren. Nach einem weiteren Quintsprung aufwärts stürzt die Melodielinie ebenso ungezügelt, wie sie aufgestiegen ist wieder bis zum g hinab. In einer Dreiklangsbrechung geht es wieder aufwärts zum Grundton. Bis hierhin spielte sich alles Geschehen auf der Tonika ab. Nun schreitet die Linie schrittweise abwärts und die Subdominante ruft auf die nächste Eins hämmernd einen Harmoniewechsel hervor. Die entstandene Dissonanz wird in einem Septsprung aufwärts aufgelöst. Vom c'' aus schreitet die Linie wieder in Sekundschritten hinab über die phrygische Sekunde zum Grundton, der durch den hineinplatzenden Dominantakkord zur Dissonanz wird und sich wiederum durch einem Septsprung aufwärts auflöst. Die Melodielinie steigt weiter hinauf bis zum b'', stürzt aber stets wieder entschieden hinab. Der angestrebte Zielton es''' wird kunstvoll durch eine Modulation nach E-Dur hinausgezögert, um dann im 12. Takt durch den bisher größten Sprung einer Oktave+Tritonus endlich erklommen zu werden. Doch durch den darunterliegenden Quartsextakkord bleibt der Zustand labil und das Thema fließt noch vier weitere Takte sich langsam auspendelnd weiter.
    So schafft es Strauss, eine scheinbar chaotisch verlaufende Melodie in eine 16-taktige klassische Periode zu pressen. Eine breit angelegte und deutlich artikulierte Kadenz mit einer kurzen Ausweichung nach E-Dur hält das Thema zusammen. In Hinblick auf die programmatische Bedeutung des Themas bleibt festzustellen, dass hier eine Vielzahl unterschiedlicher Motive hintereinander gereiht werden, die die unterschiedlichen Eigenschaften des Helden repräsentieren. Im Meisterführer No. 6 Richard Strauss werden dafür folgende Worte gefunden: »Wurzelgefühl und Schwungkraft« (T. 1-4, 9-12); stolzer und fester Schritt (T. 5, 7); »trotziger Wille« (T. 13)
    Insgesamt kann man jedoch nicht umhinkommen, in diesem Thema eine unüberhörbar ironische Färbung zu vernehmen. Auf mich wirkt es ehrlich gesagt eher wie eine Parodie als wie eine ernst zu nehmende Selbstdarstellung (und mich würde sehr interessieren, wie es auf euch wirkt).
    Im direkten Anschluss an die besprochenen 16 Takte werden die ersten vier Takte unter in Achteln repetierenden Tonika-Akkorden der zweiten Geigen und Bratschen noch einmal wiederholt. Es folgt ein zweiter Themenkomplex in der terzverwandten Tonart H-Dur (= Ces-Dur), in dem drei weitere, den Helden charakterisierende Themen beziehungsreich miteinander verschlungen werden. Betrachtet man die Themen unter dem Aspekt "kontrastrierenden Ableitung", findet man etliche motivische Bezüge auf das Eröffnungsthema.

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    Durch kunstvolle Instrumentierung wie z. B. die Verdopplung der Geigen durch u.a. Es-Klarinette und Celli erscheint die Thematik in glänzendem Kontrast zum eher matten Hauptthema. Ihre Leuchtkraft erhält die Passage außerdem durch zahlreiche Verzierungen, Chromatik, pianissimo-Liegetöne der Bläser und Dreiklangsbrechungen der Harfen.
    Das erste Thema wird von den Flöten, Klarinetten, Fagotten, ersten Geigen und Celli vorgetragen. Eine lyrisch-fantastische Melodie, motivisch abgeleitet aus den Sechzehnteln des Hauptthemas (T. 3, aber auch T. 13), fließt über 4 Takte hinweg durchgehend in parallel geführten Sexten, wobei sich bereits im 2. Takt ein weiteres Thema, von den Oboen und 2. Violinen vorgetragen, hineinschleicht. Dieses übernimmt den Sekundgang aus dem Hauptthema (T. 7 oder 14), nun allerdings ohne die phrygische Sekunde. Mit dem dritten Thema beginnen im 4. Takt Englischhorn, 2. B-Klarinette, 1. Horn und die Bratschen. Dieses beginnt ähnlich wie das Eröffnungsthema und bringt im 7. Takt ein staccato-Motiv, dem später noch größere Bedeutung zukommen wird. Im Grunde ist es nichts anders als die schon im vorherigen Thema auftauchende, in absteigenden Sekunden ausgefüllte Quarte, lediglich anders rhythmisiert und artikuliert.
    Natürlich lassen sich auch diese drei Themen programmatisch deuten. Der Autor des oben erwähnten Konzertführers sieht drei weitere Eigenschaften des Helden musikalisch vertont, und zwar »Reichtum und Fantasie« im ersten, »Wärme und Spannkraft des Gefühls« im zweiten sowie »Leichtigkeit der Bewegung« im dritten Thema.
    Es ist unschwer zu erkennen, dass Strauss im abgebildeten Themengewebe gleich mehrfach moduliert. Auf diese Weise fließt die Musik weiter, die Themen werden in anderen Tonarten wiederholt und münden in eine Scheinreprise in C-Dur (Ziffer 5 [die Ziffern beziehen sich auf die unten verlinkten Noten]). Von dort an beginnt ein neuer, durch kühne Harmonik und Sequenzierungen der Motive bewerkstelligter Spannungsaufbau. Nach einer letzten durch Überlappung von Hauptmotiv in den Bässen und Chromatik in den Violinen erzeugten Steigerung wird der Höhepunkt der Durchführung im dreifachen forte erreicht. Celli, Kontrabässe sowie alle 8 Hörner tragen im unisono das dritte Thema aus dem zweiten Themenkomplex vor (Ziffer 10). Nach einer achttaktigen Kadenz erreichen wir den Eintritt der Reprise. Diese beschränkt sich allerdings auf die ersten Takte des Eröffnungsthemas, eine anschließende Wiederholung in der Paralleltonart c-Moll und eine mit heftiger Gewalt erklingenden offenen Schlusskadenz - vierte und fünfte Stufe werden, jedes Mal nach einer unterbrechenden Generalpause von neu ansetzend, dem Zuhörer quasi ins Ohr eingehämmert, bis die Musik auf einem Dominantseptakkord liegen bleibt (in den tiefen Blechbläsern erklingt der Beginn des Eröffnungsthemas in Augmentation) und nach 5 Takten vor Eintritt der Tonika abreißt.

    2. Des Helden Widersacher

    Der Hauptzweck dieser vollkommen überzeichneten Bestätigung der Kadenz liegt natürlich darin, dem nun folgenden Kontrast eine umso stärkere Wirkung zu bescheren: Des Helden WIdersacher melden sich zu Wort, und zwar in Form von fünf Kontrapunkten, die sich jeglicher tonalen Deutung verweigern. Strauss sah in dieser Passage den »notwendigen Gegensatz« zum Vorangegangenen. Schauen wir uns die Motivik genauer an:

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    Die Flöte setzt sehr scharf und spitzig mit dem ersten Kontrapunkt ein, der mit einer Sechszehntelkette beginnt, die innerhalb der ersten 16 Töne bereits die gesamte chromatische Skala enthält (bis auf den Ton fis, der im 4. Takt auftaucht). Durch Gegenbewegung der oberen unteren Spitzentöne erklingen hintereinander alle in den Rahmen einer Oktave fallenden Intervalle. Der Kontrapunkt endet in einer abwärts gerichteten Folge von Tritoni.
    Bereits im zweiten Takt tritt die Oboe mit dem zweiten Kontrapunkt hinzu. Hierbei werden die Töne a' und ces'' abwechselnd von ihren chromatischen Nebennoten umspielt.

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    Nach einem verminderten Septakkord aufwärts wird der Zielton b'' erreicht, der also eine Oktave höher liegt als die umspielten Leittöne des Triolenmotivs.
    Der dritte Kontrapunkt ist besteht aus einer auf einem g beginnenden chromatischen Skala aufwärts, mit der das Englischhorn im vierten Takt im Staccato einsetzt.

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    Die Skala mündet in einen akzentuierten Terzsprung zum es'', das über den Taktstrich hinweg liegen bleibt.
    Der vierte Kontrapunkt beschränkt sich auf eine Abfolge von vier Quinten und wird von Tenor- und Basstuba im 5. Takt vorgetragen.

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    Die Quinte G-d bleibt für fast drei Takte liegen. Einige haben in diesem Motiv den berüchtigten Musikkritiker Eduard Hanslick vertont sehen wollen.
    Der fünfte und letzte Kontrapunkt beginnt mit einem Sextsprung abwärts, der unmittelbar durch einen Septsprung aufwärts wieder ausgeglichen wird. Das Motiv tritt in der dritten Oboe im fünften Takt in Erscheinung.

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    Nach den beiden unsanglichen Sprüngen folgt eine metrisch unklare Repetition des Spitzentons c'''. Wegen der großen Sexte, mit der der Kontrapunkt beginnt, erinnert er deutlich an den ersten, dessen erste chromatisch abwärts führende Kette ebenfalls mit einer großen Sexte anfängt.
    Da in fast jedem Takt ein neuer Kontrapunkt einsetzt, der harmonisch und rhythmisch völlig unabhängig zu den übrigen verläuft (es tauchen fast alle denkbaren Notenwerte auf), entsteht ein hörbares Chaos, das die Kritiker des Helden karikiert. Der Abschnitt wirkt spröde und unsanglich - die komponierte Hässlichkeit. Sie wirkt auch bedrückend auf den Protagonisten, der sich nun gekränkt mit dem Eröffnungsmotiv in Moll zu Wort meldet. Die Kritiker spötteln weiter. Letztendlich schafft er der Held aber, sich aufzurappeln und wirft seine Widersacher von sich ab. Er verkündet am Ende des Abschnitts den Sieg in Form des staccato-Motivs aus dem 4. Heldenthema, das im erwähnten Richard-Strauss-Konzertführer als »unbeugsamer Eigenwille« in »elastisch kraftvoller Form« interpretiert wird.

    3. Des Helden Gefährtin

    Die Solo-Violine tritt in Erscheinung. Sie repräsentiert die Gefährtin des Helden - womit niemand anderes als Strauss' Gattin Pauline de Ahna gemeint ist. In diesem äußerst langen Intermezzo wirft die Solovioline zahlreiche Motive in den Raum, von denen einige im späteren Verlauf wieder aufgegriffen werden werden. Mit äußerst belustigenden Vortragsanweisungen hat Strauss die Einwürfe der Violine versehen (»heuchlerisch schmachtend«, »keifend«, ...). Der Held, der vom restlichen Orchester dargestellt wird, umwirbt seine Gattin: Einschmeichelnd meldet er sich in Form einer aufsteigenden Quarte (Beginn des Eröffnungsthemas) mehrfach zu Wort. Doch sie reagiert zunächst launisch und abweisend. Es bedarf Geduld und mehrfachem Verneigen des Helden, bis ihre letzten Zweifel beseitigt sind. Mäßig langsam beginnt nun ein poesiereiches Liebesduett in Ges-Dur (Ziffer 32). Dieses lässt sich wie bereits weiter oben erwähnt in drei Teile gliedern. Im ersten erklingt eine Melodie, die aus dem Verneigungsmotiv des Helden gebaut ist, über einem liegend tremolierenden Bass und einer rauschenden Begleitung, wobei die Harfen durch die Ges-Dur-Skala glissandieren. Dann beginnt ein modulierender Teil, die Solovioline spielt im Vordergrund hinter Dreiklangsbrechungen der Harfen (A-Dur) die melodische Gestalt, mit der erstmals in Erscheinung getreten war. Die in Terzen parallel geführten Violinen antworten mit demselben Motiv, wobei es zu einer weiteren Modulation kommt (nach gis-Moll). Die Bassstimme gewinnt an Eigenständigkeit und tritt mit einer Motivik in Erscheinung, die an den Anfang des 4. Heldenthemas erinnert. Der Klangrausch schwillt innerhalb von 9 Takten an und wieder ab und anschließend folgt eine Rückkehr nach Ges-Dur (Ziffer 35) als Reprise des ersten Teils, die allerdings mit einer neuen verträumten Melodie in der ersten Oboe anhebt (wobei diese ein Beispiel für die vielen Themen und Motive ist, die die Solovioline bereits im Zwischenspiel angedeutet hat).

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    Die bereits aufwärtsstrebende Melodie, die im pianissimo ansetzt, wird zusätzlich aufwärts sequenziert, um nach 6 Takten einen Höhepunkt zu erreichen, der Elemente der beiden vorangegangenen Teile vereint (liegende, tremolierende Bässe in Ges-Dur, darüber in Terzparallelen das Thema der Gefährtin). Nach weiteren zwei Takten setzt die erste Klarinette mit der zitierten Melodie erneut an. Dasselbe Geschehen wiederholt sich, wieder vergehen sechs Takte bis ein zweiter Höhepunkt erreicht wird. Dieses Mal dominiert das verneigende Motiv des Helden aus dem ersten Teil. Die Klangfülle nimmt langsam aber sicher ab, abwärts gerichtete Motive bringen die Musik zum Verklingen. Aus der Tiefe meldet sich das Heldenthema, rhythmisiert wie in der gekränkten Form nach dem Spott der Widersacher, nun aber in Dur: Der Held ist glücklich. »Wie ganz von ferne« blöken die Widersacher im Hintergrund weiter, doch er lässt sich in seiner Ruhe nicht stören.

    4. Des Helden Walstatt & 5. Des Helden Friedenswerke

    Genug der Ruhe: Trompetenfanfaren aus der Ferne rufen zur Schlacht. Der Held richtet sich auf. Ein zweites Mal ertönt Trompetengeschmetter, er fasst Mut und schreitet mit vollem Elan siegesfroh hinaus in die Schlacht. Ein nach einer Generalpause einsetzender ostinater Trommelrhythmus markiert den Beginn der Durchführung. Wir sind in der Tonart c-Moll angelangt. Der Feind tritt in Erscheinung, musikalisch dargestellt in einer rhythmisierten und augmentierten Form des ersten Widersacher-Motivs.

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    Als staccatierte H-Dur-Arpeggien in den Flöten ertönen die ersten Schüsse - die Konfrontation der Tonarten H und C bzw. c kommt einem bereits aus Also sprach Zarathustra bekannt vor. Die Bitonalität wird verschärft (zur Polytonalität), als die Holzbläser durch alle möglichen Dreiklänge rattern, die Blechbläser und Geigen jeweils andere Akkorde entgegensetzen und Schlagwerk sowie die tiefen Streicher ihren ostinaten Rhythmus auf der Quinte C-G fortsetzen. Wenige Takte später (Ziffer 51) ertönt das Kopfmotiv des Feindes erneut und überlagert sich mit dem nun in den Bässen hinzutretenden Heldenthema. Nach zwölf Takten fortissimo erklingt als Einschub das Thema der Gefährtin. Es kommt zu einer Konfrontation der drei Charaktere, die Musik wird allmählich wieder lauter. Plötzlich verstummt der ostinate Trommelrhythmus und die harmonische Schärfe nimmt ab, da die Orgelpunktquinte C-G verschwindet. Die Musik beginnt wieder zu kadenzieren, das Schreitmotiv mit der phrygischen Sekunde taucht auf und wandert durch die Stimmen. Trompetenfanfare, Heldenmotiv und Feindmotiv werden viermal sequenziert, um dann in eine Kadenz zu münden, die auf einem lauten Ges-Dur-Akkord der Blechbläser beginnt und über einen B7-Akkord mit Quinte im Bass (welche dann durch das Schreitmotiv zur phrygischen Sekunde erniedrigt den Grundton Es erreicht) nach es-Moll moduliert (Ziffer 64).
    Man kann ab hier von einem zweiten Ansatz sprechen, da sich das Geschehen des ersten Teils der Durchführung auf ähnliche Weise wiederholt. Die Militärtrommel setzt wieder ein, die schroffe Bitonalität setzt wieder ein (nun zunächst zwischen es und G), Held und Feind befinden sich wieder im Gefecht. Eine dreifache Sequenz (As - B - C) mündet in eine zweite Konfrontation der Charaktere. Über einem Orgelpunkt auf dem Ton F (Ziffer 71) wird das phrygische Motiv aufwärts sequenziert und anschließend die beschließende Kadenz vorbereitet (zunächst über den DDv (ein Takt vor Ziffer 74) und die Dominante nach c-Moll (Ziffer 75), dann als Verkündung des Sieges (Doppelstrich) über D64 - S (- Sp - D64) - D7 zur Tonika Es-Dur, mit der die Reprise einsetzt.
    Die zur Zeit der Uraufführung äußert modern und sperrig klingende Bitonalität hatte für starke Irritation beim damaligen Publikum gesorgt. Nichtsdestotrotz werden die polytonalen Schichtungen der Motive immer wieder durch kadenzierende Passagen abgelöst, die dem Hörer einen gewissen harmonischen Halt geben können. Die harmonische Analyse der Durchführung macht deutlich, dass dem scheinbaren Chaos ein dem dramaturgischen Verlauf angepasstes harmonisches Gerüst zu Grunde liegt, das der Hörer zumindest unterbewusst wahrnehmen wird.

    Die Reprise beginnt mit der Wiederkehr der Heldenthemen in abgewandelter Form (so wird zum Beispiel die phrygische Sekunde, die während der Schlacht so exzessiv verwendet wurde, nun ausgespart), wobei zusätzlich auch das Thema der Gefährtin mit eingewoben wird. Eine prachtvolle Steigerung gipfelt im Hornthema aus dem Don Juan. Mit diesem Thema beginnt ein Teil, in dem der Held über den Sieg reflektiert und Strauss seine Friedenswerke erklingen lässt. Hierzu hat er einzelne Themen aus seinen früheren Werken kontrapunktisch mit Themen des Heldenlebens verwoben. Dabei lässt sich sogar teilweise eine Handlungsdramaturgie erkennen, als beispielsweise Sancho Pansa hinter Don Juan dahertrabt und sich Till Eulenspiegel darüber lustig macht.
    Die Musik verklingt auf einem verminderten Septakkord und das Quintmotiv der Widersacher ertönt nach einer kurzen Generalpause. Der Held ist wieder bei Sinnen und der letzte Abschnitt des Werkes kann beginnen.

    6. Des Helden Weltflucht und Vollendung

    Er hat die Liebe gefunden und seine Feinde besiegt - doch ist er verstanden worden? Zwar ist er aus der Schlacht als scheinbarer Sieger hervorgegangen, aber seine Gegner hat er nicht belehren können. Der Held wird von einem letzten Wutanfall gepackt (Ziffer 94), bevor er beschließt, sich aus dem Alltag in die ewig tröstende Natur zurückzuziehen. Im Englischhorn meldet sich Don Quixote zu Wort - Tonart C-Dur. In der Verknüpfung der Motive des Helden aus Ein Heldenleben und Don Quixote zu einem Thema wird die weiter oben erwähnte Einheit der beiden Figuren kenntlich gemacht ("zwei Seiten einer Medaille"). Über einen B7-Akkord wird zurück in die Grundtonart Es-Dur moduliert und der zweite Teil der Coda beginnt in langsamem Tempo mit einem neuen, resignierenden Thema (wobei auch dieses bereits von der Solovioline im Intermezzo angedeutet worden war).

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    Ein letztes Mal erklingt der Lärm der Widersacher, ein Nachhall der Schlacht, doch der Held findet bald wieder zur Ruhe zurück. Ein verträumter Dialog zwischen erstem Horn und Solovioline folgt und das Zeitmaß verlangsamt sich noch weiter, bis sich ein letzter majestätischer Akkord des kompletten Orchesters (ausgenommen der Streicher, die zuvor im pianissimo verklungen sind) aufbaut und der monumentalen Tondichtung einen krönenden Schluss verleiht. Der Held hat im Bewusstsein, dass er zwar gesiegt hat, aber nichts bewirkt, der Welt nun endgültig den Rücken gekehrt.

    Aufnahmen

    Wolfgang (teleton) hat eine Aufnahme des Heldenlebens bereits im Thread über die Referenzeinspielungen der Berliner Philharmoniker erwähnt, und auch ich möchte sie uneingeschränkt weiterempfehlen. Es handelt sich hierbei um eine Einspielung Herbert von Karajans mit den Berlinern, die auf einer CD mit dem Siegfriedidyll von Wagner gekoppelt ist.
    Eine fantastische Aufnahme, und man spürt meiner Empfindung nach, dass hier tatsächlich aus Liebe zum Werk dirigiert wurde, und nicht bloß, um mit der Virtuosität des eigenen Orchesters zu glänzen. Das Orchester bringt die Musik zu richtig zum Leuchten, die Soli sowohl der Solovioline als auch der Bläser sind wunderbar musiziert, die Liebesszene bietet wunderbar ausgestaltete Spannungsbögen und die Schlacht klingt äußerst mitreißend. Die Kempe-Aufnahme - ich schätze Kempe als Straussdirigenten außerordentlich - wirkt wesentlich matter und trockener und hätte bei mir wahrscheinlich nicht zu einer ausgiebigeren Beschäftigung mit dem Werk geführt. In die neue Rattle-Aufnahme habe ich mal kurz reingehört, aber sie klang nicht so vielversprechend, als dass ich mir sie zulegen würde. Es gibt noch eine spätere Aufnahme von Karajan mit den Berlinern, über die Wolfgang vielleicht noch etwas berichten kann. Aber so wie ich ihn verstanden habe, scheint sie nur klanglich überlegen zu sein (wobei die 1959er Aufnahme bereits eine ganz wunderbare Klangqualität besitzt). Wer noch weitere Aufnahmen vorstellen möchte: nur zu!

    Quellen:
    Tonalität und tonale Konfiguration im Œuvre von R. Strauss - Reinhard Gerlach
    Richard Strauss - Reinhard C. Muschler
    Richard Strauss: Die Biographie - Matthew Boyden
    Meisterführer Nº6 Richard Strauss, Sämtliche Orchesterwerke - Schlesingerische Musik-Bibliothek
    Richard Strauss: Gestalt und Werk - Ernst Krause

    Noten: http:// imslp .org/wiki/Ein_Heldenleben%2C_Op.40_(Strauss%2C_Richard)

  • Ein Heldenleben - verschiedene Aufnahmen - Karajan 1959 an der Spitze

    Hallo Ralph,

    ich hatte Ende 2008 auch mehrere Vergleichsaufnahmen der Heldenleben-Dichtung gehört und war wiedermal im Richard Strauss-Fieber --- herrlich.

    Darunter auch Kempe (Brillant/EMI). Diese Aufnahme, die bei Rideamus "am längsten vorhält" (wie er seinerzeit erwähnte), sagte mir dabei am wenigsten zu, obwohl ich ansonsten die Kempe-Richard-Strauss-Box insgesamt hervorragend finde und nicht missen möchte.
    Aber bei Ein Heldenleben hatte ich den Eindruck einer schwachen Aufnahme. Das fing schon mit der mulmigen, im Vergleich zu den anderen Aufnahmen, wenig brillanten Klangtechnik an, die auch noch in den Bläsern sehr spitz und unangenehm klingt (EMI-typischer Effekt). Dann auch noch eine wenig ansprechende Interpretation, mit wenig orchestraler Virtuosität und ohne emotionale Ausdruckskraft, wie es dem Werk mit seinem Programm angemessen wäre.
    Zitat Rideamus: Wenn mich etwas stört, obwohl es dem Werk immanent ist: den Bombast kosten beide bis zur Neige aus.

    Das stört mich nun gar nicht. Das braucht es um mich zu begeistern.


    Ich hatte Ein Heldenleben in meinen weiteren Aufnahmen verglichen,
    mit Metha / Los Angeles SO (Decca) , der seine Sache auch effektvoll durchzieht, aber ohne wirklich tiefe Ausdruckskraft und mit etwas flacher Analogklangtechnik; trotz Decca.
    (46:00)

    Ashkenazy / Cleveland Orchestra (Decca, 1985, DDD), der brillant, farbenreich und dem Werk voll angemessen emotional interpretiert. Eine Aufnahme mit der man ohne weiteren Vergleich auf ewig zufrieden sein könnte. Phänomenale Decca-Klangtechnik.
    (43:33)

    Aber auch Karajan / BPO (DG, 1985, DDD) , der die vorgenannten durch seinen emotionalen Zugang mit Weitblick und Tiefe übertrifft -(46:40).

    *** Der Wunsch nach Karajans früher DG-Analog-Aufnahme von 1959, die ich noch von meiner DG-LP her kannte, blieb aber bei mir dennoch immer bestehen.
    Meine Vermutung das sich Karajan nicht so intensiv mit Probenarbeit bei der 2.Aufnahme in DDD beschäftigte, wurde durch Rideamus Aussage

    Zitat

    Zitat: Die zweite Karajan-Aufnahme läuft bei mir etwas außer Konkurrenz, denn ich hatte das Vergnügen, bei der Einspielung in der Philharmonie dabei sein zu dürfen und konnte so miterleben, wie Karajan die einzelnen Takes organisierte, die übrigens, wenn ich richtig erinnere, nur einmal eine Wiederholung brauchten.


    bestätigt. Die Aufnahme ist einfach von allen Beteiligten nicht so tief empfunden, wie die alte 59er.
    Trotzdem TOP gelungen (denn Worte sagen wieder mehr als nötig).
    Eine Glanzaufnahme, die wunschlos glücklich machen könnte, bleibt es für mich trotzdem.

    [Blockierte Grafik: http://www.tamino-klassikforum.at/images/smilies/ja.gif] Durch eine Kommunikation mit Dir Ende 2008 habe ich mich dann endlich entschlossen mir diese Karajan-Aufnahme von 1959 auch auf CD zuzulegen --- und da hörte ich sie wieder - diese fabelhafte Aufnahme.
    [Blockierte Grafik: http://www.tamino-klassikforum.at/images/smilies/knee.gif] Was Karajan hier fühlbar einbringt, läßt für meinen Geschmack alle anderen Aufnahmen verblassen.
    (45:38..)
    Hinzu kommt eine Klangtechnik, die durch das Original-Image-Bit-Processing-Remastering von DG eine Klangtechnik zu Tage fördert, die für das Aufnahmedatum 1959 als herausragend zu bezeichnen ist. Ich habe hier den Eindruck, das der DG-Klang noch natürlicher gelungen ist, als bei der DDD-Aufnahme von 1985. Weit besser als Kempes klanglich unbrillante EMI-Aufnahme ist sie ohnehin bei weitem.


    Die 1959er - Aufnahme von Ein Heldenleben findet sich auf Einzel-CD und in dieser (von mir gekauften) fabelhaften DG-Doppel-CD - und sehr preisgünstig dazu.

    1. Die 1959er-Aufnahme ist auf dieser DG-Originals-CD für 9,99Euro:


    DG, 1959/76, ADD

    2. Auch auf dieser mit weiteren Strauss-Dichtungen lohnenden DG-Doppel-CD (diese habe ich für knapp 7,-Euro beim amazon-marketplace (NEU) erstanden):


    DG, 1959-74, ADD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • [Kopiert aus dem "Schweinshaxen"-Thread. Die Frage paßt hier vermutlich besser.
    :wink:
    Gurnemanz]


    Hallo!
    Mal eine Frage zum "Heldenleben", auf die ich kam, als ich vorhin die Einspielung von Wolfgang sawallisch hörte. Dort wird nicht der "Zarathustra" zitierende Krach-Bumm-Schluß verwendet, sondern eine ruhig ausklingende Version mit Violinsolo, die mir offen gesagt wesentlich besser gefällt. Weiß jemand von euch, woher diese Fassung kommt? Eine andere Fassung oder Eigenkreation des Dirigenten? Zu finden hier:
    http://www.amazon.de/Sinfonische-Di…3905582&sr=8-15

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Bei diesem Schluss handelt es sich um die Originalfassung des "Heldenleben". Ich zitiere aus dem Booklet:

    "Für die vorliegende Neuaufnahme des Heldenlebens unter Wolfgang Sawallisch stellte das Richard-Strauss-Institut München (RSI) dem Philadelphia Orchestra eine Kopie des Partiturautographs von Richard Strauss zur Verfügung. Ein Blick in die Partitur zeigt, dass dem Werk keinerlei programmatische Erläuterungen beigegeben sind. Viele Indizien sprechen dafür, dass es gar nicht Strauss selbst war, der die bekannten Satzüberschriften formuliert hat, sondern einer seiner Adepten und Parteigänger, auf deren maßgeblichen Einfluß auch die Umarbeitung des Schlußabschnitts zurückzuführen ist: Die erste, bisher ungedruckte Fassung verdämmert im Pianissimo, während die zweite, im Druck verbreitete Fassung zuletzt noch kräftige Blechbläser-Akzente setzt. Die Autorisation zur Veröffentlichung dieser Fassung, für die es übrigens kein Manuskript gibt, schien Strauss in späteren Jahren bereut zu haben; jedenfalls quittierte er im Beisein seines Biographen Willi Schuh eine Aufführung des bekannten Heldenleben-Schlusses mit dem sarkastischen Ausspruch: "Staatsbegräbnis!". Wolfgang Sawallisch hat sich deshlab nach Prüfung der Quellenlage entschlossen, für seine Aufnahme die Schlußversion der Originalpartitur zu wählen." (Stephan Kohler, aus dem Booklet zur EMI-Aufnahme)


    (AD: Oktober 1995 & Oktober 1994, Giandomenico Studios, Collingwood)

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Vielleicht hier zu finden (leider kann ich die Seite nicht verlinken):


    RSQV ID q00433
    Partitur (Autograph): Ein Heldenleben op. 40 TrV 190

    • Überlieferung
      • Verbleib

        • vonbisBesitzerStandortEreignisSignaturAnmerkung

          Richard-Strauss-ArchivGarmisch-Partenkirchen
          D-GPrsa: [Signatur unbekannt]

    Nachweis

      • Literatur
        • Asow, Thematisches Verzeichnis, Bd. 1, 1955, 243
        • Trenner, Werkverzeichnis, 1999, 172


    Richard Strauss Quellenverzeichnis


    Hier habe ich mal was dazu gepostet.


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Ah, interessant, danke sehr. Schade, daß Sawallisch bisher der einzige war, der diese Version heangezogen hat.

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Ah, interessant, danke sehr. Schade, daß Sawallisch bisher der einzige war, der diese Version heangezogen hat.

    Sawallisch war nicht der einzige. Auch Fabio Luisi nahm die Originalversion auf:

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Die erste, bisher ungedruckte Fassung verdämmert im Pianissimo, während die zweite, im Druck verbreitete Fassung zuletzt noch kräftige Blechbläser-Akzente setzt. Die Autorisation zur Veröffentlichung dieser Fassung, für die es übrigens kein Manuskript gibt, schien Strauss in späteren Jahren bereut zu haben; jedenfalls quittierte er im Beisein seines Biographen Willi Schuh eine Aufführung des bekannten Heldenleben-Schlusses mit dem sarkastischen Ausspruch: "Staatsbegräbnis!".

    Dagegen hat Strauss selbst erklärt, daß er die Änderung vorgenommen habe, nachdem er von einem Freunde auf den "viel zu kurze[n] unbedeutende[n] Schluß" hingewisen worden sei. Quelle: Mathias Hansen: Richard Strauss. Die sinfonischen Dichtungen. Bärenreiter/Kassel 2003.

    Der Autor kommentiert das so: "Der neue Schluss wird dem Vorausgegangenen weitaus gerechter, indem er zwar noch klar einen Abschied ausmusiziert, doch in ihm nach wie vor Störkräfte wirken lässt, die als Harmonietrübungen musikalisch in Erscheinung treten. So etwa in T. 900 durch einen Einbruch von des-Moll, über den die Melodie freilich unbeirrt hinwegschreitet." (S. 187) Es folgt noch eine harmonische Analyse des Schlusses (kann ich bei Bedarf nachreichen).

    Ob ich dem so zustimmen soll, kann ich nicht entscheiden; dafür kenne ich das Werk (das ich übrigens schätze!) zu wenig.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich möchte auf die endgültige Schlussfassung nicht verzichten, dieser Schluss ist so grandios instrumentiert, der geht doch durch Mark und Bein - wie ein letztes Nachbeben eines vergangenen Dramas von unvorstellbarer Größe.

    Allein, wie die Trompeten mit dem tiefen es einsetzen - dann darauf der Obertonreihe entlang emporsteigen (es - b - es1 - g1 - b1), Es-Dur aber ab dem dritten Ton durch die Harmonisierung (c-Moll - g-Moll) wieder kurz in Frage gestellt wird - um dann in grellster Schärfe unter Hinzunahme der Holzbläser wieder hereinzubrechen. Dieser Schlussakkord ist nicht bloß ein Akkord, sondern eine Gestalt: man beachte, wie plastisch er instrumentiert ist. Die beißende Sexte in der Höhe zwischen den Trompeten und der schrillen Es-Klarinette (g2-es3)! Der Verzicht auf die Hälfte der Hörner, die den Klang aufweichen würden (und deshalb erst nach dem Diminuendo, im letzten Takt hinzutreten, wo auch die Posaunen von der Quinte/Terz zum Grundton abspringen und damit den Klang erden). Der Grundton es wird den weichen Bläsern (Fagott, Horn, usw.) zugeteilt, die Quinte b und die Terz g durch den scharfen Klang der Posaunen und Trompeten in den Vordergrund gerückt.
    Die Instrumentation dieser letzten Seite böte mit Sicherheit genügend Stoff für eine Seminararbeit. ;+)

    Dagegen finde ich die erste Fassung harmonisch sowie instrumentatorisch wenig faszinierend.

  • Vorhin habe ich den Schluß in den beiden Aufnahmen, die ich besitze, verglichen, mit Fritz Reiner und David Zinman. Beide haben die zweite Fassung: Dieses erneute Aufwallen bzw. Nachbeben mit den Zarathustra-Anklängen finde ich durchaus stimmig. Bei Reiner endet es relativ schnell, Zinman läßt es etwas organischer ausklingen, das empfinde ich als natürlicher. Ein hohes Es ist bis zum Schluß dabei: Ist das die Solovioline? Oder Flöte? Es-Klarinette? Mir erscheint es als Fortsetzung der Solovioline vorher, die als Einzelstimme bis zum Ende über allem schwebt.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hallo Gurnemanz,

    bei IMSLP gibt es eine Partitur, da kannst du gucken. Die Geige verschwindet auf dem es4, wenn der erste tiefe Blechakkord des crescendos (also nach den ersten zwei Tönen der Es-Trompeten, die nicht harmonisiert sind) erklingt. Danach spielen nur noch Bläser und Schlagwerk. Der höchste Ton des letzten Akkords ist das es4 der Piccoloflöte.

  • Danke, Ralph! Der hohe Ton, den ich meine, ist also das Es'''' (Es'''?) der Piccoloflöte (spielt eine Oktave höher als notiert, nicht?), das bei Zinman etwas früher verschwindet als der Bläserklang insgesamt. Laut Partitur (http://javanese.imslp.info/files/imglnks/…rch._score_.pdf) müßte es allerdings gleichzeitig ausklingen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich möchte auf die endgültige Schlussfassung nicht verzichten, dieser Schluss ist so grandios instrumentiert, der geht doch durch Mark und Bein - wie ein letztes Nachbeben eines vergangenen Dramas von unvorstellbarer Größe.

    Das verlangt ja auch niemand, dass auf man auf die endgültige Schlussfassung verzichten soll. Ich finde es aber interessant, von einem bekannten Werk wie dem Heldenleben mal eine andere, d. h. die originale Fassung zu hören. Immerhin entsprach dieser ursprüngliche Schluss der ersten Intention des Komponisten und von daher finde ich es gut, dass es zwei Aufnahmen (Sawallisch und Luisi) gibt, die diese Version bieten.

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Der hohe Ton, den ich meine, ist also das Es'''' (Es'''?) der Piccoloflöte (spielt eine Oktave höher als notiert, nicht?), das bei Zinman etwas früher verschwindet als der Bläserklang insgesamt. Laut Partitur (http://javanese.imslp.info/files/imglnks…rch._score_.pdf) müßte es allerdings gleichzeitig ausklingen.

    Ja, die Piccoloflöte klingt eine Oktave höher, das notierte es''' ist also ein klingendes es''''. Der Flötist hört bei Zinman wohl früher auf, weil man auf der Piccoloflöte in dieser Lage eigentlich nicht leise spielen kann (es sei denn mit Hexerei).

    Ich finde es aber interessant, von einem bekannten Werk wie dem Heldenleben mal eine andere, d. h. die originale Fassung zu hören.

    Natürlich, ich auch, weiß aber nicht, ob dieses Zitat von Strauss ein ausreichender Beleg für die kühne These ist, er habe die frühe Fassung eigentlich der endgültigen vorgezogen.

  • Den Schluß in der überarbeiteten Fassung finde ich eigentlich durchaus gelungen - weiß aber nicht, wie sich die Alternative anhören würde. Strauss hat ja - im Unterschied zu Mahler - nur selten etwas an seinen Orchesterwerken später verändert und war anscheinend meist zufrieden mit dem Ergebnis. Insofern ist die Überarbeitung des Heldenleben-Schlusses schon bemerkenswert.

    Heute habe ich meine beiden Aufnahmen des Werks gehört. Hier eine kurze Charakterisierung:

    a) Tonhalle-Orchester Zürich (Solovioline: Primož Novšak); Ltg.: David Zinman
    Arte Nova, aufg. 2001

    In dieser 7-CD-Schachtel:

    Auch als Einzel-CD:

    Vielleicht fehlt es dieser Aufnahme etwas an "heldischer Emphase" bzw. Exzentrität, das wird aber mehr als kompensiert durch den klaren, transparenten und plastischen Orchesterklang, der die Schönheit dieses Werkes erglänzen läßt. Dauer: 49:15.

    b) Chicago Symphony Orchestra (Solovioline: John Weicher); Ltg.: Fritz Reiner
    RCA, aufg. 1954

    Hitziger und "sprechender", straff, energetisch aufgeladen, spannend. Trotz des hohen Alters: Die Aufnahme (aus der legendären Reihe "Living Stereo") klingt auch technisch vorzüglich! Dauer: 43:36.

    Beide Aufnahmen sind zur Zeit recht erschwinglich.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Was jetzt kommt, sind zwei (minimal veränderte) ältere Beiträge von mir. Beim Wiederlesen fand ich sie immerhin diskutabel und meine Haltung zum Werk hat sich nicht verändert...

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    Das Heldenleben ist gleich nach der Sinfonia domestica diejenige Strauss-Tondichtung, mit der ich am wenigsten anfangen kann. Ich sehe durchaus die überlegte Konzeption der Großform, die souveräne Gestaltung der Themen und ihrer Verarbeitung, die zumindest stellenweise Modernität der Tonsprache, die brillante Instrumentation - und sehe das alles nach Ralphs ebenso brillanter Einführung noch deutlicher.

    Aber es lässt mich kalt, langweilt sogar streckenweise. Woran liegt's? Zum einen sind mir bei den Orchesterwerken von Strauss die kurzen, pointierten wie Don Juan oder der Till die liebsten. Mit der zunehmenden Tendenz in die Breite zu gehen, ist doch eine starke Tendenz zur Geschwätzigkeit verbunden - beispielhaft steht dafür die Vorstellung der "Gefährtin" mit der ausladenden klischierten Deskription aller möglichen Charakterzüge und Stimmungen durch die Solovioline. Die Anlage der Großform wirkt dieser Detailverliebtheit nur stellenweise entgegen - Versuche der Synthese von Mehr- und Einsätzigkeit sind ja übrigens nicht neu, man denke an Liszt. Die Modernität der Tonsprache bei der Vorstellung der "Widersacher" ist beachtlich, aber letztlich wiederholt hier Strauss nur ein Modell aus Wagners Meistersingern: die avancierte Klanglichkeit bleibt dem "Negativen" vorbehalten, bei Wagner der Kritiker-Camouflage Beckmesser (Pantomime im dritten Akt), bei Strauss den Kritikern allgemein (die Ähnlichkeit geht bis in Details, vgl. die "spitzigen" und kreischenden Holzbläserfiguren).

    Überhaupt reproduzieren die Charakterisierung der "launischen" Gefährtin und der böswillig-kleingeistigen Kritiker nur allzu genau soziale Stereotypen des Kaiserreichs - das ist die Kehrseite der gelegentlichen Kühnheiten des Komponisten, hier sucht er den Schulterschluss mit seinem Publikum. Als Signet der wilhelminischen Ära eignet sich das Werk in seiner Mischung aus Aggressivität und "Weltflucht", technischer Virtuosität und gedanklicher Schlichtheit, plakativer Modernität und Biedersinn ziemlich gut (jetzt wird's zugegebenermaßen polemisch).

    Damit sind wir bei der Frage der Ironie: natürlich hat Strauss das alles nicht bierernst gemeint - weder die Selbstglorifizierung, noch die Vernichtung der Kritiker und schon gar nicht die "Weltflucht" (davon war Strauss seinerzeit weit entfernt - und sein eigener späterer Rückzug sollte viel deprimierender ausfallen). Aber es ist eine ziemlich schlichte Form der Ironie, eher als einverständnisheischendes "Augenzwinkern" zu charakterisieren. Vielleicht hat hier jemand den Roman The Line of Beauty (dt. Die Schönheitslinie) des englischen Schriftstellers Alan Hollinghurst gelesen? Hat 2004 den Booker Prize bekommen, eines meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre. Hier spielt ein Tory-Abgeordneter der Thatcherzeit eine zentrale Rolle, ein etwas bräsiger, aber gerissener Mann, fast stets jovial, zu Selbstironie fähig und scheinbar recht liberal - der aber im Moment der Gefährdung seiner eigenen Existenz keine Rücksichten mehr nimmt. Sein Lieblingswerk ist Straussens Heldenleben - vorzugsweise in der Karajan-Einspielung. Das passt.

    Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man die Virtuosität der Komposition genießen kann, ohne gleich immer alles mitdenken zu müssen. So wird's ja auch von Ralph empfohlen und das passt auch zu einer Aussage von Michael Gielen: "Ich kann mir die Sinfonia domestica gut anhören, aber wenn ich anfange an das Programm zu denken, muss ich sofort ausschalten" (sinngemäß zitiert). Diese Form "reinen" Musikhörens funktioniert bei mir aber nicht.

    In seinen späten Metamorphosen bezieht sich Strauss ja nochmal auf das Modell Eroica und tastet sich gewissermaßen aus der Katastrophe in die Vergangenheit zurück. Das ist eine Rücknahme der fortschrittsoptimistischen, egozentrischen Aktualisierung des Beethoven-Werks im Heldenleben. In diesen ständigen Wandlungen des Umgangs mit (Musik-)Geschichte finde ich Strauss hochinteressant, aber das ist ein anderes Thema.


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    Ich hab's nochmal mit der Partitur in den Händen versucht, niemand soll mir nachsagen, dass ich mich auf dem Polster meiner Vorurteile ausruhe. Es hat aber nicht geklappt: Den ersten beiden Teilen kann ich noch mit Interesse, manchmal sogar Wohlgefallen zuhören. Aber die Liebesszene finde ich einfach langweilig, ich kann da keine formale Idee erkennen - es ist einfach ein endloses musikalisches Malen nach Zahlen mit der Solovioline. Und die melodische Erfindungsgabe finde ich hier generell nicht ganz auf der Höhe. Die Walstatt-Musik verspricht am Anfang ganz...äh...fetzig zu werden, hört sich dann aber streckenweise eher nach Zimmerschlacht an und wogt außerdem etwas zäh hin und her. Das Zitieren von 153 eigenen Themen und Motiven in den Friedenswerken ist zunächst ja ebenfalls ganz nett, wirkt auf mich aber wiederum sehr episodisch. Schließlich: "Ausklingende" Schlüsse hat Strauss inspiriertere komponiert, z.B. im Don Quixote und vor allem in der Alpensinfonie. Das auftrumpfende Gedröhne in den Schlusstakten ist auch nicht meine Sache (ok, es gibt ja auch die andere Fassung).

    Wo bleibt das Positive? Obwohl mir der programmatische Gestus des Abschnitts eigentlich zuwider ist, finde ich Des Helden Widersacher ziemlich gut, insbesondere den Anfang. Das ist die einzige mir bekannte Stelle bei Strauss, die irgendwie auf Schostakowitsch vorausweist (diverse Scherzi), nicht nur in Motivik und Harmonik, sondern auch in der Instrumentation. Bei einem Komponistenraten könnte ich mir vorstellen, dass man jemanden, der das Werk nicht kennt, hier ziemlich in die Irre führen könnte. (Der Anfang der Walstatt-Szene mit dem Trompetenmotiv ist allerdings ebenfalls ein bisschen schosti-like...)


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Meine Vorbehalte dem Werk gegenüber bleiben. Allerdings höre ich in letzter Zeit Ein Heldenleben verdächtig oft, es scheint mir also immer besser zu gefallen Tja. Inzwischen kapier ich auch die musikalischen Zusammenhänge etwas besser, dank des Einführungstextes von Ralph und des Buchs von Mathias Hansen über Strauss' symphonische Dichtungen.

    Ich möchte als unverbesserlicher Carlos-Kleiber-Anhänger auf folgende Aufnahme hinweisen, die es auch als CD bei irgendeinem komischen Label gab/gibt, die ich allerdings nur über Youtube kenne:

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
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    "

    Ein Heldenleben war das einzige Werk, das Kleiber seinem immer schmaler werdenden Repertoire in den 90er Jahren neu hinzugefügt hat. Er dirigierte es nur bei zwei Abo-Konzerten der Wiener Philharmoniker im Mai 1993, eines der Konzerte liegt der Aufnahme zugrunde. Diese sollte ursprünglich bei Sony erscheinen, aber abwechselnd gaben Kleiber und der Konzertmeister Rainer Küchl (der mit seinem Solo nicht völlig zufrieden war) sie nicht frei - bis Kleiber dann endgültig Nein sagte. Das übliche also.

    Die Wiener Philharmoniker waren zunächst (auch dies nichts Neues) mit Kleibers Konzept, insbesondere mit seinen Tempi nicht zufrieden. Tatsächlich handelt es sich mit ziemlich genau 39 Minuten um eine der schnellsten Interpretationen des Werks - Kleiber hatte sich ausdrücklich an den vorhandenen Aufnahmen mit dem Komponisten am Pult orientiert. Das Werk hat von Anfang an einen enormen Zug, kommt rasant daher. Auch die Teile ("Des Helden Gefährtin" und "Weltflucht"), die m.E. oft etwas zerdehnt und auseinanderfallend wirken, haben Struktur. Trotzdem kein stures Durchpeitschen, sondern große Flexibilität. Was ich besonders mag: weder wird der Fokus zu sehr auf die jeweilige Hauptstimme gelegt noch klingen alle Haupt- und Nebenstimmen gleichberechtigt, was bei Strauss schnell diesen wuseligen, leicht ermüdenden Eindruck bewirkt. Auch wird dynamisch das Pulver nicht zu schnell verschossen, die ganz großen Entladungen kommen nur zu den ganz großen Höhepunkten zustande. Die z.T. "scharfe" Artikulation und der traditionelle Schönklang der Philharmoniker ergänzen sich hervorragend. Wunderbares Orchesterspiel, für Youtube-Verhältnisse sehr guter Klang.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

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