Skrjabin: mixed GA Klaviersonaten

  • Fahr nur fort , Alexander . Bin schon gespannt

    Gut Ding braucht Weile. ;)

    Hört sich Alexander Skrjabins Klaviersonate Nr. 1 f-Moll op. 6 für mich noch wie eine große Chopin-Reverenz an, so gewinnt die zweisätzige, meist um die 12 Minuten kurze Klaviersonate Nr. 2 gis-Moll op. 19 (Sonate-Fantaisie), 1892 begonnen, mehrfach überarbeitet und schließlich 1898 gedruckt (eine 1908 entstandene Klavierrollenaufnahme des Komponisten führte zu weiteren Notenausgaben), ihren ganz eigenen Zauber durch ihren mediterran-impressionistischen Charakter, der gleichwohl das ozeanisch-Pianistische klavieristisch mitreißend nicht außer Acht lässt (Durchführung im 1. Satz – ein Sonatensatz, Andante; Ausschwingendes im 2. Satz – ein Dreiminuten-Presto). Im Presto-Satz setzt sich ein Motiv fest, das mich stark an Liszts Chasse-neige Etüde erinnert.

    Ich beginne den Hörvergleich mehrerer Aufnahmen (hier wie immer rein persönliche Eindrücke) mit Ivo Pogorelich (DGG, Beethovensaal Bonn, Dezember 1990, zusammen mit Liszts h-Moll Sonate aufgenommen, auch enthalten in der Decca Box mit Skrjabins Gesamtwerk), der sich gleich über 15 Minuten Zeit nimmt und aber dabei die Musik ganz im Jetzt entwirft, wie aus dem Augenblick, wie improvisiert. Ein ganz starker Ersteindruck!

    Der Ansatz Yuja Wangs (DGG, Friedrich-Ebert-Halle, Hamburg-Harburg, November 2008, ebenfalls gekoppelt mit Liszts h-Moll Sonate, dazu noch Chopins 2. Sonate und zwei Ligeti Etüden) ist demgegenüber kühler, kalkulierter, „vorgefertigter“.

    Bei Garrick Ohlsson (Bridge, Sonaten-Gesamtaufnahme 8/2014, 4/2015 und 5/2015, Theater C, SUNY College at Purchase, New York) gibt schon einmal der Bösendorfer-Klavierklang einen anderen, wohl durch die Wahl eines schon etwas älteren Flügels bedingt etwas eigen scheppernden Farbton. Ohlsson spielt wieder etwas mehr aus dem Augenblick heraus, und wo es geht poetisch.

    Marc-André Hamelin (Hyperion, Juni 1995) besticht ganz anders, mit seinen genau kalkulierten feinsten Schattierungen

    Daniil Trifonovs Liveaufnahme aus seinem Debütkonzert in der New Yorker Carnegie Hall (DGG, 5.2.2013) erinnert (er ist in zehneinhalb Minuten durch, Pogorelich streckt´s auf über 15!) an die frühe Martha Argerich – sprungbereit fokussiert, grimmig impulsiv (Durchführung 1. Satz, ganzer 2. Satz!). Trotz fehlender Publikumsgeräusche: Konzertspannung pur!

    https://www.youtube.com/watch?v=PhJ6odCdp0M

    Auch als Decca Künstlerin hat Valentina Lisitsa weiter eigene youtube Clips veröffentlicht, die nicht auf CD oder DVD veröffentlicht wurden – dieses Werk am 2.2.2013. Auf einem Bösendorfer Imperial Flügel von LeClavier.ch Montreux dessen Klang mir ungleich mehr zusagt als der bei Ohlsson spielt Lisitsa die Sonate in der Alten Kirche in Blumenstein (Kanton Bern) mit lyrisch weichem, rundem Ansatz in den Rahmenteilen des 1. Satzes, dazwischen und im zügig fließenden 2. Satz den Flügel, dessen gesangliche wie klangliche Möglichkeiten sie ausschwingen lässt, pianistisch orchestral auslotend.

    Mit dieser Sonate hab´ ich wieder mal ein tolles Klavierwerk fürs Leben für mich entdeckt.

    Quellen: Henle Notenausgabe und CD-Beipacktexte.

    Edit: Die im Threadtitel gewünschte Liste möchte ich nach dem Ende dieser Hörreise zu erstellen versuchen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Alexander Skrjabins Klaviersonate Nr. 3 fis-Moll op. 23 entstand 1897/98. Es gibt eine Klavierrollenaufnahme des Koponisten aus dem Jahr 1908. Stilistisch mag man Schumann, Chopin, Liszt durchhören, die große pianistische Geste fällt auf, die beeindruckende Virtuosität die gefordert ist und das Werk speziell im Finalsatz konzertant wirkungsvoll macht, auch die Kontrapunktik und die thematische Verklammerung.

    Die viersätzige Sonate (der dritte Satz geht direkt in den vierten über) dauert meist zwischen 18 und 20 Minuten.

    Ein psychologisierendes Programm, möglicherweise von Skrjabins zweiter Ehefrau Tatjana 1905 verfasst sowie vom Komponisten autorisiert, beschreibt die Sonate sinngemäß so:

    I. Drammatico – Die freie Seele, leidenschaftlich in Schmerz und Kampf. (Trumpft heroisch auf.)
    II. Allegretto – Trügerische Ruhe der Seele, unter dem Schleier Unruhe. (Scherzo-Assoziation. Joachim Kaiser nennt den Satz „klassizistisch“.)
    III. Andante – Die Seele auf dem Meer, Melancholie. (Langsame Vertiefung.)
    IV. Presto con fuoco – Maestoso – Seelenkampf gegen die entfesselten Elemente, Siegesgesang des Gottmenschen. (Virtuos, furios.)

    Die SRF 2 Kultur Diskothek stellte am 8. und wiederholt am 13.10.2018 (gehört vom Schreiber am 13.10.2018) fünf Aufnahmen dieser Sonate vor. Skrjabin-Kenner Sigfried Schibli und Pianist Manuel Bärtsch kamen unter der Gesprächsleitung von Norbert Graf zu diesen Bewertungen: Andrew Tyson (Alpha Classics, 2016) – sportlich, Alexander Melnikov (Harmonia Mundi, 2005) – russische Tradition, auch sportlich, Glenn Gould (CBS/Sony Classical, 1968) – wie auf einem Dreirad, reduziert seine Möglichkeiten, Igor Zhukov (Melodiya, 1971) - ungebremst, ungestüm; und zum Sieger wurde Evgeny Kissin (RCA Red Seal, 2004) gekürt – technisch toll, Klangfarbenzauber, große Übersicht.

    (Diese CD habe ich sogleich bestellt.)

    Stärker noch als bei anderen Klavierwerken mag hier entscheidend sein, wie viel die Interpretin oder der Interpret von sich selbst preisgibt.

    Ich beginne, geprägt nun von Kissins auch für mich fabelhafter Aufnahme, den Hörvergleich und den Versuch, die Höreindrücke persönlich zusammenzufassen mit einer Liveaufnahme Emil Gilels aus dem Jahr 1984, enthalten in der Brilliant Emil Gilels Edition CD Box (Spielzeiten 6:51, 2:49, 3. und 4. 11:09). Gilels arpeggiert die Akkorde zu Beginn, als blätterte er sie ganz spontan auf. Sofort ist ein ganz persönlicher Charakter da, jemand, der seine Seele ausbreitet und damit eine unmittelbare Leidenschaft weitergibt, als hätte er Skrjabins „Programm“ bis ins Allertiefste verinnerlicht. Nach Kissins Aufnahme ist das für mich eine fast noch stärkere Vorgabe für weitere Angebote. Das ist unerklärlich geniales Jahrhundert-Klavierspiel mit ganz extremer Aura.

    In der Klavier Kaiser CD Box der Süddeutschen Zeitung ist auch Goulds in der Diskothek vorgestellte Aufnahme enthalten (8:04, 2:47, 5:13, 7:07). Gould spielt trockener als Kissin und Gilels, er schafft damit eine Distanz, aber es ist keine unbeseelte Interpretation. Als würde eine Seele unter dickem Eis frieren, so hört sich das für mich an. Das von Joachim Kaiser betonte „Klassizistische“ des 2. Satzes arbeitet Gould deutlich heraus. Und die Verlorenheit des 3. Satzes erreicht bei Gould eine wieder ganz andere Anrührung als in den bisher gehörten Aufnahmen. Auf das Exzeptionelle dieser Interpretation dieses so herrlich unkonventionell unberechenbaren Gestalters muss man sich halt einlassen. Das Finale legt Gould wie aus einem Guss hin. Liest man in der Henle Notenausgabe mit, fallen viele Vortragsbezeichnungen auf, über die Gould einfach hinwegspielt. Aber – hätte dieser Energieanfall mit einer differenzierteren interpretatorischen Zerlegung gewonnen?

    Die im August 2002 im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums entstandene Aufnahme von Sergey Kuznetsov (Classical Records, 5:49, 2:09, 4:53, 4:53, im Juni 2017 vom Schreiber schon einmal gehört) kommt sofort schneller daher als man es gerade von Gould im Ohr hat. Auch achtet Kuznetsov ungleich genauer auf die Vortragsbezeichnungen. Das ist nun eine pianistische Aufnahme, die weniger vom einzelnen Interpreten erzählt, vielmehr das generell extrem hohe Niveau des Spitzenklavierspiels Anfang des 21. Jahrhunderts unterstreicht, in dem jeder der irgendwo Preisträger werden möchte so ein Werk mindestens so gut und differenziert spielen muss wie es in dieser Aufnahme zu hören ist.

    Als überlegener, nobler Gestalter spielt Vladimir Ashkenazy die Sonate (enthalten in der Decca Scriabin Komplettbox, Kingsway Hall, London, Dezember 1972, 6:18, 2:17, 5:03, 5:49) – um mit seiner Anschlagskultur im 3. Satz einen Sternenhimmel zu öffnen, so magisch wie im langsamen Satz auch der 1. Sonate.

    Garrick Ohlsson (Daten zu seiner Gesamtaufnahme siehe 2. Sonate, 5:56, 2:43, 4:57, 6:03) stört sich nicht daran, dass der von ihm gewählte Bösendorfer Flügel „a bisserl wie a Scherbm“ klingt, wohl ein älteres Klavier, das schon viel erlebt hat. Seine empfindsam-poetische Herangehensweise an Skrjabins Klaviermusik bestätigt sich auch mit dieser Aufnahme. Das protzige Angeben ist seine Sache nicht.

    Marc-André Hamelin hingegen (Hyperion, Juni 1995, 6:49, 2:28, 4:38, 5:36) kann sich´s einmal mehr aussuchen. Seine technische Qualität ist so hoch, dass man die Handspannweite auch akustisch zu sehen meint. Alle gewünschten Schattierungen spielt er mit einer überlegenen Souveränität, alles immer im ganz großen Überblick behaltend.

    Für mich schade, dass Martha Argerich, die Impulsive, oder Krystian Zimerman, der intellektuell Sensible, dieses Werk wohl nicht aufgenommen haben.

    Meine Favoriten was Skrjabins 3. Sonate betrifft sind nun Gilels und Kissin.

    Quellen: Henle Notenausgabe Einleitung, wikipedia, CD Beipacktexte, Klavier Kaiser Begleittext und Kaisers Erläuterungen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Arbeite mich weiter vor zu einer Mixed Liste, habe dafür nun auch Horowtiz´ Sony Skrjabin CD im Auge, mit den Sonaten 3,5, 9 und 10...

    Hier nun die persönlichen Höreindrücke nach dem Kennenlernen der 4. Sonate:

    Mit der 1903 komponierten Klaviersonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30 entfernt sich Skrjabin aus dem romantischen Nachklang, er öffnet für mich faszinierende neue, mystische Klavierklangwelten. Der später der Sonate beigefügte Text, in dem der Dichter sich sehnsüchtig verzehrend zu einem Sternenlicht hingezogen fühlt, imaginiert umso stärker, was man dann fast zehn Minuten kurz hört – eine zartere, zerbrechlichere Tristan-artige Sehnsucht. Der 1. Satz (Andante) gibt sich verhaltener, filigran, der 2. Satz (Prestissimo volando), attacca anschließend, exaltierter, am Ende ekstatisch.

    Garrick Ohlssons Aufnahme (Daten und Cover siehe oben, Spielzeit 9:43 Minuten) taucht am Bösendorfer Flügel ganz in die Musik ein, die Mystik im 1. Satz ist sofort geheimnisvoll da, und im 2. Satz swingt Ohlsson überraschend leichtgewichtig los.

    Marc-André Hamelin (Daten und Cover auch oben, 7:58) geht es kälter an. Einmal mehr vermittelt Hamelin für mich den Eindruck, nicht ganz tief drin in der Musik zu sein, sondern sie „von oben souverän zu überblicken“. Der 2. Satz kommt bei ihm weniger swingend, angespannter, gezügelt-kontrollierter, um daraus aber umso vehementere Energie zu entfesseln. Hamelins Aufnahme lässt mich insgesamt kalt, sie bleibt äußerlich, besticht aber freilich eindrucksvoll mit ihrer Brillanz.

    Die Decca Skrjabin CD-Gesamtbox (auch weiter oben schon gezeigt) baut was dieses Werk betrifft wie bei den meisten anderen Sonaten auch auf Vladimir Ashkenazys Aufnahme (Kingsway Hall, London, 12/1972, 8:09). Die Sterne leuchten bei Ashkenazy für mich ganz klar, und der 2. Satz bietet einen sternenklar kräftigen, anders beeindruckenden Klaviervirtuosenhimmel.

     

    Die großen Russen (gehört aus den Brilliant Historic Russian Archives CD Boxen der Pianisten) hingegen geben der Sonate existenzialistische ekstatische Unbedingtheit. Emil Gilels (Liveaufnahme vom März 1957, 7:08 Minuten) bleibt dabei eine winzige Spur dezenter, gemäßigter, differenzierter schattierend als der noch wildere, impulsivere, erdigere Lazar Berman (Liveaufnahme vom 16.2.1962). Da entfesseln sich abgründige impulsive, eruptive Psychodramen, jeweils im 2. Satz ungeheure pianistische Gewaltstürme entfachend, irrwitzig rasch, atemberaubend wild.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Fragen an die Richterianer/innen:

    Wie beurteilt Ihr diese beiden Editionen? Interpretatorisch und aufnahmetechnisch? Gibt es Überlappungen? Richter hat ja einiges von Skrjabin mehrfach eingespielt, so viel ich weiß.

    Enthält u. a. die Sonaten Nr. 2, 5, 6, 7 und 9.

    Enthält u. a. die Sonaten Nr. 2, 5 und 9.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

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