J.S.Bach: Die Motetten, BWV 225-230
Das ist doch einmal etwas, woraus sich etwas lernen lässt – so Mozarts Kommentar, als er im Jahr 1789 in Leipzig die Motette „Singt dem Herrn ein neues Lied“ hörte. Der Thomanerchor, der damals sang, war es auch, der Bachs Motetten als einziger Werkgruppe zu einer ununterbrochenen Aufführungstradition verhalf. Dabei handelt es sich bei diesen zwei bis elfsätzigen Stücken eigentlich „nur“ um Gelegenheitswerke, die Bach überwiegend wohl für Begräbnisfeiern angesehener Leipziger Bürger komponiert hat. Im Gegensatz zu den Kantaten, die neben Bibelwort und Kirchenlied auch noch freie magdrigalische Dichtungen enthalten, hatten Bachs Motetten keinen festen liturgischen Platz im Gottesdienst – dort wurde zur Eröffnung zwar eine Motette gesungen, die war aber in der Regel von einem anderen, älteren Komponisten. Die Motette war zu Bachs Zeit ohnehin schon ein wenig aus der Mode. Im Gegensatz zur Kantate werden die Instrumente in der Motette– wenn überhaupt – lediglich als stützendes Continuo eingesetzt (insbesondere die Orgel) oder aber sie gehen als Verstärkung (colla parte) mit den Singstimmen mit. Konzertierende Passagen obligater Instrumente fehlen hingegen ganz.
Wie viele Motetten gesichert Bach zugeordnet werden können, wird noch diskutiert. Da nur von zwei Motetten der Autograph erhalten ist, kann nicht jedes Werk zweifelsfrei auf Bach zurückgeführt werden.
Singet dem Herrn ein neues Lied, BWV 225: das Stück hat eine doppelchörige Anlage mit jeweils vier Stimmen. Es ist 1727 entstanden, der Text beruht auf Versen aus Psalm 149 und 150, sowie einem Kirchenlied im zweiten Abschnitt. Die Musik ist ein Ausdruck reiner Freude, als Begräbnismusik kaum vorstellbar. Wolff spekuliert, dass Bach die Motette als Übungsstück für seine Thomaner komponiert hat; ein anderer Zweck ist jedenfalls nicht bekannt.
Der Geist hilft meiner Schwachheit auf, BWV 226: wiederum doppelchörig angelegt (acht Stimmen). Der Text ist dem achten Kapitel des Römerbriefs entnommen, mit Ausnahme des Schlusschorals, der auf einem Kirchenlied von Martin Luther beruht. Die Stimmen des ersten Chores werden durch eine Streicher- die des zweiten durch eine Bläsergruppe verstärkt. Das Werk wurde 1729 anlässlich einer Beerdigung erstmalig aufgeführt;
Jesu meine Freude, BWV 227: fünfstimmig; mit 11 Sätzen die bei weitem längste und komplexeste Motette. Es erklingen alle sechs Strophen des Kirchenliedes Jesu meine Freude im Wechsel mit Passagen aus dem Römerbrief. Im Zentrum steht die fünfstimmige Fuge auf Ihr seid nicht fleischlich sondern geistlich. Schweitzer charakterisiert die Motette als „Bachs Predigt vom Leben und Sterben“ (S. 628).
Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, BWV 228: auch hier wieder eine doppelchörige Anlage. Das Werk ist vermutlich schon in Weimar entstanden. Der Text beruht im ersten Teil auf Jesaja 41, 10, im zweiten auf Jesaja 43, 1. Im zweiten Teil wird das Jesajawort (von Alt, Tenor und Bass gesungen) mit zwei Choralstrophen im Sopran kombiniert (Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden und Du bist mein, weil ich dich fasse von Paul Gerhardt).
Komm, Jesu, komm, BWV 229: doppelchörig, innige, intime Musik, die das Flehen und Sehnen des Menschen ausdrückt. Die Schluss-Arie Drum schließ ich mich in deine Hände und sage, Welt, zu guter Nacht klingt schon sehr nach „empfindsamen Stil".
Lobet den Herrn, alle Heiden, BWV 230: das Werk basiert auf dem 117. Psalm und wurde erstmals 1821 vom damaligen Thomaskantor Gottfried Schicht als Bach-Motette veröffentlicht. Teilweise wird seine Authentizität wegen „stilkritischer Bedenken“ (Geck) angezweifelt. Gemeint ist offenbar eine gewisse galante Eingängigkeit, die diese Motette trotz zahlreicher fugischer Abschnitte kennzeichnet und nach Geck eher auf einen der Bach-Söhne oder Schüler verweist.
O Jesus Christus, meines Lebens Licht, BWV 118: um 1736 entstanden, mit transportablen Instrumenten für den Trauerzug (Zink, Posaunen, Trompeten). Bach selbst hat das - im BWV unter die Kantaten eingeordnete - Werk als Motette bezeichnet. Trotzdem ist es auf vielen Aufnahmen nicht zu hören.
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, BWV Anh. 159: Küster ordnet das Werk Bachs Weimarer Zeit zu, Wolff datiert es genauer auf 1712/1713, beide gehen von der Urheberschaft Bachs aus. Trotzdem wird es selten aufgenommen (die einzige mir bekannte Ausnahme ist Suzuki).
Gruß, Carola