Canteloube: Chants d’Auvergne

  • Canteloube: Chants d’Auvergne

    Der franzöische Komponist und Musikwissenschaftler Marie-Joseph Canteloube de Malaret, kurz Joseph Canteloube, der eine Anzahl von Kammermusiken, Opern u.a. Werken schrieb, ist heute vor allem für seine Arrangements von Volkslieder seiner Heimat, der Auvergene, bekannt. Er hat 1925 sogar eine Organisation mit dem Namen "la bourree" gegründet, die als Anlaufpunkt für Auvergne-Interessierte und Auvergnaten in Paris, fungierte, um so die Kultur und die Natur der Auvergne zu präsentieren.
    Er sammelte Lieder in seiner Heimat, aber auch aus anderen Regionen zB dem Baskenland, und gab sie in verschiedenen Werken und Sammlungen heraus.
    Das Südfrankreich eine reiche Tradition des Schöngesangs hat, zeigt sich zB am König Wilhelm IX. von Aquitanien (seine Enkelin Eleonore wurde später Frau von Henry Plantagenet, später Henry II. von England), der "der erste Troubadour" genannt wird, da seine Gedichte Wegbereiter für die spätere Troubadour-Lyrik wurde (auch wenn es sie durchaus vor ihm existierte, nur half seine Macht und seinen Einfluss sie weiter zu verbreiten).
    Seine Lyrik ist in Okzitanisch verfasst, einer romanischen Sprache des südlichen Frankreichs und kleinen, angrenzenden Teilen Spaniens.

    Genau diese Sprache begegnet uns nun in Canteloubes berühmtester Sammlung, den Volkslied-Arrangements "Chants d'Auvergne", die zwischen 1923–1930; nach manchen Quellen 1923–1955; enstanden.
    Canteloube hatte sie in den Dörfer und Städtchen gesammelt, bei den Bauern und Hirten abgelauscht.
    Sie sind in fünf Serien aufgteilt :

    Serie 1 :

    “La pastoura als camps (La bergère aux champs)”
    “Baïlèro (Chant de bergers de Haute-Auvergne)”
    “Trois bourrées”
    “L'aio de rotso (L'eau de source)”
    “Ound'onoren gorda ? (Où irons-nous garder?)”
    “Obal, din lou limouzi (La-bas dans le limousin)”

    Serie 2 :

    “Pastourelle”
    “L'Antouèno (L'Antoine)”
    “La pastrouletta e lou chibalie (La bergère et le cavalier)”
    “La delaïssádo (La delaissée)”
    “Deux bourrées”
    “N'ai pas ieu de mio (Je n'ai pas d'amie)”
    “Lo calhe (La caille)”

    Serie 3 :

    “Lo fiolairé (La fileuse)”
    “Passo pel prat (Viens par le pré)”
    “Lou boussu (Le bossu)”
    “Brezairola (Berceuse)”
    “Malurous qu'o uno fenno (Malheureux qui a une femme)”

    Serie 4 :

    “Jou l'Pount d'o Mirabel (Au Pont de Mirabel)”
    “Oï ayaï”
    “Pour l'enfant”
    “Chut, chut”
    “Pastorale”
    “Lou coucut (Le coucou)”

    Serie 5

    “Obal, din lo coumbèlo (Au loin, la-bas dans la vallée)”
    “Quan z'eyro petitoune (Lorsque j'étais petite)”
    “Là-haut, sur le rocher”
    “Hé! beyla-z-y dau fé! (Hé! donne-lui du foin!)”
    “Postouro, se tu m'aymo (Bergère si tu m'aimes)”
    “Tè, l'co tè (Va, l'chien, va!)”
    “Uno jionto postouro (Reg Ret) (Une jolie bergère)”
    “Lou diziou bé (On dirait bien)”

    Das wohl berühmteste Lied dieser Sammlung dürfte wohl "Baïlèro" aus der ersten Serie sein.
    Es gibt eibige Aufnahmen der Lieder, einige vollständig, andere greifen nur bestimmte Lieder heraus.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Obwohl ich gar kein großer Liederfan bin, mag ich die Chants d'Auvergne ausgesprochen gerne. Was mich anspricht, ist das Ungekünstelte, ja Naive, und das Folkloristische der Sätze; auch das Okzitanische als eine verglichen mit dem Französischen klanglich härtere frühe Stufe in der Entwicklung der romanischen Sprachen hat großen Reiz für mich. Canteloubes Orchestersound mischt auf raffinierte Weise Volkston und impressionistische Klangentfaltung, was mich ähnlich reizt wie etwa die - natürlich nicht naiven und intentional gänzlich anders gearteten - Lieder des Abschieds von Korngold. Ich finde Canteloubes und Korngolds Klangsprache bei aller Unterschiedlichkeit ähnlich süffig, elegant, von analoger Reizharmonik. Auch muss ich ganz offen gestehen, dass ich bezüglich meiner Hörkarriere noch vor Schubert (!) durch diese Volksliedbearbeitungen ein gewisses Faible für die Gattung entwickelt habe.

    Meine beiden Einspielungen sind recht unterschiedlich geartet; vor allem die EMI-CD dürfte Referenzcharakter haben:

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Die Aufnahme von Victoria de los Angeles ist ganz sicher das, was man in dem Fall als Referenz ansehen kann.

    Ich persönlich habe am liebsten Aufnahmen (leider nicht die kompletten Serien, sondern nur einzelne Lieder) der Spanierin Maria Bayo, zu hören auf diesen Aufnahmen :


     [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/5120tdi1zUL._SL500_AA300_.jpg]

    ein herrliches Strahlen in der Stimme

    Eine durchaus interessante, weil etwas ungewöhnliche Interpretation hat Netania Davrath abgeliefert :

    ihre Stimme wirkt äußert mädchenhaft -unverbraucht und gibt den ohnehin natürlichen Gepräge der Lieder so einen zusätzlichen Hauch von ländlicher Idylle, ingesamt singt sie weniger "opernhaft"

    Natürlich wären hier noch einige Interpetationen zu nennen, zB Veronique Gens, Dawn Upshaw und Kiri Te Kanawa (letztere empfinde ich allerdings als etwas blass, auch ihre Begleitung)

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Liebe Capricciosi!

    Die Chants d'Auvergne höre ich auch sehr gerne, sie gehören wohl zu den gelungensten Volkslied-Arrangements des frühen 20. Jh. (gemeinsam mit den wunderbaren Arrangements sephardischer Lieder für Sopran, Flöte und Gitarre von Manuel Valls).

     

    Die hervorragenden Aufnahmen von Victoria de los Ángeles und Netania Davrath wären hier auch meine Empfehlungen. Vom Konzept und der Interpretation her sind sie sehr ähnlich, beide nehmen sie die Volkslieder ernst und lassen sie nicht zur Opernszene geraten, nur in der Stimmfarbe unterscheiden sie sich doch deutlich. Mir hat es Victoria de los Ángeles' warme und dunkle Stimme ja generell ganz besonders angetan, und dementsprechend höre ich sie auch hier besonders gerne, aber auch der mädchenhafte kristallklare helle Sopran von Netania Davrath hat gerade in diesem Repertoire nicht zu unterschätzende Reize (z.B. "Ound onorèn gorda ?" :juhu: ). Bei der Aufnahme mit Victoria de los Ángeles halte ich es für einen großen Pluspunkt, dass der berüchtigte Bailéro in einem vernünftigen Tempo (i.e. relativ schnell) genommen wird (4'49''), denn die zähen 8-Minuten-Bailéros, die man bisweilen geboten bekommt, finde ich eine ziemliche Geduldsprobe.

    Nicht vergessen werden sollte hier allerdings auch die allererste Aufnahme (von Ausschnitten) dieser Liedsammlung: Die französische Sopranistin Madeleine Grey, damals am Zenit ihres Könnens, hat mit dieser Aufnahme 1930 Standards gesetzt, die wenige spätere Sängerinnen übertroffen haben. Auch sie hat den richtigen Volkslied-Zugang, generell ähnlich wie de los Ángeles und Davrath, der Bailéro (Dirigent: Élie Cohen) ist bewundernswert hurtig (gerade einmal 4 Minuten!), auch die Bourrées sehr spritzig. Natürlich kommen aufgrund der Aufnahmetechnik der Zeit die Orchesterfarben nicht so gut heraus, aber die Gesangsleistung ist top. :juhu:

    María Bayos Stimme hingegen halte ich nicht aus, egal in welchem Repertoire. :o:

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • María Bayos Stimme hingegen halte ich nicht aus, egal in welchem Repertoire. :o:


    Echt? Ich gebe zu sonst nichts von ihr zu kennen, aber bei den wenigen Teilen der Chants, die es von ihr gibt, gefällt sie mir sehr gut.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Eine Aufnahme, die ich mal für wenig Geld erwarb, war diese :

    Bekannt war mir das vor allem durch den Film "My Father's Den", wo Teile daraus angespielt werden und von Jürgen Kesting über den grünen Klee gelobt (fast auf dem Podest mit los Angeles) habe ich vielleicht zu viel erwartet. Sicher hat Te Kanawa eine schöne Stimme und singt technisch auch einwandfrei, aber so ein richtiges Gefühl für diese Lieder kommt mir bei ihr nicht auf. Das wirkt alles ein bisschen unterkühlt auf mich. Auch klingt es mir persönlich ein wenig zu opernhaft-geziert, wenig natürlich und am Volksliedcharakter entlang. Eine hübsche Oberfläche ohne echte Tiefe. Das macht die ganze Aufnahme auf das Gesamterlebnis hin auch leicht langatmig und gleichförmig.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Guten Morgen.

    Danke für die Einführung, Succubus.

    Genau diese Sprache begegnet uns nun in Canteloubes berühmtester Sammlung, den Volkslied-Arrangements "Chants d'Auvergne", die zwischen 1923–1930; nach manchen Quellen 1923–1955; enstanden.


    Es hängt scheinbar davon ab, im welchem Jahr das fünfte Buch eigentlich publiziert wurde. Zwei CD-Büchlein, die ich habe, geben unterschiedliche Angaben (1930 und 1955).

    ihre Stimme wirkt äußert mädchenhaft -unverbraucht und gibt den ohnehin natürlichen Gepräge der Lieder so einen zusätzlichen Hauch von ländlicher Idylle, ingesamt singt sie weniger "opernhaft"


    Dazu habe ich nichts hinzufügen. Aus dem ähnlichen Grund habe ich auch die Aufnahme von Dawn Upshaw & Kent Nagano. Dazu haben Davrath und Upshaw auch interessante Zugaben. Netania Davrath singt noch weitere 15 Lieder aus der Volksliedersammlung von Canteloube (orchestriert von Gershon Kingsley). Dawn Upshaw dann "Chansons bourguignonnes du Pays de Beaune" von Maurice Emmanuel.

       

    Schönen Tag.
    Penthesilea

    Auch Rom wurde nicht an einem Tag niedergebrannt - Douglas Adams

  • Obwohl ich gar kein großer Liederfan bin, mag ich die Chants d'Auvergne ausgesprochen gerne. Was mich anspricht, ist das Ungekünstelte, ja Naive, und das Folkloristische der Sätze

    Merkwürdig - ich empfinde gerade Canteloubes Bearbeitungen als gekünstelt und mäßig passend - ich erkenne hier viel deutlicher als etwa bei Rimsky oder Bartók, wie schwer es ist, Volkslieder zu bearbeiten.

    Zitat

    Canteloubes Orchestersound mischt auf raffinierte Weise Volkston und impressionistische Klangentfaltung, was mich ähnlich reizt wie etwa [...]

    Neben Impressionismus höre ich da auch noch Musical-Sound, aber das mag ein Irrtum sein, höre ich doch kaum Musicals.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Hallo, putto!

    Vielleicht sind sie tatsächlich primär gekünstelt - ich habe keine sonderlich präzise Vorstellung davon, wie der authentische Volkston der Region klingt. Es ist auch nicht mein Hörkriterium, da mich der flirrende Orchestersound in seinen Bann zieht, und der ist sicher atmosphärisch und nicht folkloristisch bedingt. Auch die Sängerinnen stilisieren natürlich mehr oder minder deutlich diesen Volkston. Es ist Kunstmusik - trotz allem.

    Nun gut - dann will ich "naiv" auf den Tonfall der Liedtexte und "ungekünstelt" auf den Gesangsstil derjenigen Solistinnen beziehen, welche ich mit diesen Liedern kenne, dann kann ich dazu stehen. Das Orchester klingt nicht naiv - das ist schon richtig.

    Den Vergleich mit Musicals mag ich jetzt eigentlich nicht nachvollziehen: von können kann sowieso keine Rede sein. :P ;+) Wenn Du von Filmmusik gesprochen hättest ( :) ) oder wenn Du gesagt hättest, dass man beim besten Willen keinen Vergleich mit Pärt ziehen kann ... :hide:

    Einigen wir uns auf halbem Weg!

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich dachte, die Singstimme singt Volksmelodien?
    Dass die durch die Niederschrift verfremdet werden, habe ich jetzt gar nicht berücksichtigt, sondern nur über die Orchesterbegleitung geschrieben.
    Die Nummern oder Stellen, die mich weniger an Impressionismus als an Musical denken lassen, müsste ich jetzt raussuchen.
    Ein Vergleich mit Pärt ist völlig abwegig.
    :cursing: ;+)
    :wink:

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  • Entweder sind die Canteloubes auf der 2. CD besser, oder mir sind über Nacht die Ohren aufgegangen:

    hat mir jetzt sehr gut gefallen.
    :)

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    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Hab mir wieder mal meine aktuell drei CD-Einspielungen durchgehört (Angeles, Stade, Navrath) und mich im Sound gebadet ... :fee:

    Zitat von putto

    Ein Vergleich mit Pärt ist völlig abwegig.


    ;+)

    Das war doch bloß ein (übler) Scherz! :P Hingegen glaube ich jetzt schon zu verstehen, was Du mit dem gelegentlichen Musical-Ton meinst. Und ich kann es auch nachvollziehen.

    Ich mag nicht noch mehr kaufen, aber über youtube lässt sich bequem feststellen, dass auch Upshaw das Wesen dieser Musik bestens erfasst. Kiri te Kanawa ist mir ein wenig zu opernhaft, Veronique Gens eigentlich auch, selbst wenn sie aus der Gegend stammt.

    Andererseits lässt sich angesichts der unverwechselbaren Stilisierung des Canteloube-Orchesters wohl ein Opernton genauso gut rechtfertigen.

    Davrath und schon auch los Angeles würde ich jetzt nach intensiverer Befassung in jedem Fall die Krone aufsetzen.

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Véronique Gens kommt aus Orléans, das nicht gerade in der Auvergne liegt :)

    Danke für die Korrektur, werter Philbert! Irgendwo habe ich gelesen, die Sopranistin käme aus der Auvergne, habe das aber nicht überprüft. :)

    NB: Die kurzen Ausschnitte bezüglich Madeleine Grey, die der Partner online bietet, vermitteln ein wieder ganz anderes Bild ländlicher Idylle, kein mädchenhaftes, sondern ein herb rustikales. Dies mag vielleicht (zum Teil) der Aufnahmetechnik in dieser uralten Produktion geschuldet sein, vielleicht wäre der Gesamteindruck ein stärker differenzierter:

    Zwei yt-Dateien mögen weiterhin von Interesse sein. Bezüglich der ersten war ich überrascht, dass auch ein berühmter männlicher Sänger aus Frankreich den Bailero darbietet - wobei das Ergebnis für mich, sagen wir, ungewohnt ist:

    https://www.youtube.com/watch?v=uvlFgyBiFUk

    Die zweite Aufnahme präsentiert ein Arrangement für Flöte und Gitarre. Ich könnte nicht behaupten, dass es mich überzeugt. Vielleicht steht es dem originalen Volkslied näher als die berühmte Canteloube-Version. Vielleicht ist man auch längst verdorben durch Letztere. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Indes erscheint mir die Version derart neutral und affektlos, dass es fast wie ein Sample klingt - wobei der Arrangeur ja genannt wird. Zum anderen ertönt das Arrangement in musikalischer Hinsicht reichlich hölzern in meinen Ohren:

    https://www.youtube.com/watch?v=2OHsvM7Sz5o

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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