BIBER, Heinrich Ignaz Franz: Die Rosenkranz-Sonaten

  • Rüdiger Lotter & Lyriarte

    Noch eine in 2004 entstanden (aufgenommen am 3. und 4. Mai), aber in 2005 herausgegeben.
    Übrigens: eine Weltneuheit: die erste Live-Einspielung sämtlicher Rosenkranz-Sonaten!

    Rüdiger Lotter, Violine
    Olga Watts, Cembalo, Truhenorgel
    Axel Wolf, Laute, Theorbe, Barockgitarre (mit ihm sind wir schon bei Letzbor begegnet)
    Oehms Classics, 2005

    Gut zu wissen, dass Lotter Live spielt (er benutzt drei Violinen in der Reihenfolge: V1-V2-V2-V3-V2-V1), sonst hörte ich es nicht. Nicht nur, dass es zu keinen Fehlern kommt: er spielt mit einem Bravour, dass man tatsächlich den Verdacht hat, da wurde doch studiotechnisch nachgeholfen. Eins ist aber sicher: Lotter fühlt sich da in seinem Element, wo er seine virtuose Technik zeigen kann. Zwar sind auch die langsamen Melodien auch sehr empfunden, doch wirken sie, neben Größen, wie Goebel, Letzbor, Manze, usw. doch ein wenig gefühllos. Er nimmt ein schnelles Tempo, und reißt den Hörer mit; er jagt fast schon manche Sonata durch, nimmt halsbrecherische Tempi, doch wahrt immer die Musikalität. So wirkt doch alles natürlich und gelassen.
    Hier und da (z.B. in der Sonata XIV) wird fast schon völkisch-derb, wie er dahingeigt. (Bei ihm wird der Himmelfahrt Mariä zu einem Tanz: wie ihn Ohnmacht reigen da die Engel mit der Mutter Gottes hinauf.)
    Die Continuo-Gruppe ist relativ klein, doch hat man nie den Eindruck, sie wäre nicht genug: ganz im Gegenteil, üppig und farbenfroh werden die Stücke realisiert.

    Meine Bewertung:
    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Riccardo Minasi & Bizzarie Armoniche

    Sicher nicht die letzte Einspielung der Rosenkranz-Sonaten:

    Riccardo Minasi, Violine, Viola d'Amore (!!??)
    Continuo: Bizzarie Armoniche, das ist
    Elena Russo, Violoncello
    Rodney Prada, Viola da Gamba, Lirone
    Margret Köll, Doppelharfe
    Gabriele Palomba, Theorbe
    David Yacus, Bassposaune (!!! eigentlich nur für die Auferstehungssonate)
    Davide Pozzi, Cembalo, Orgel
    Matteo Riboldi, Orgel
    Ludovico Minasi, Halbbass

    Ein übergroßes Ensemble... zum Glück spielen freilich nicht alle auf einmal, aber es kommt doch oft vor, dass 5 Musiker die Contnuo-Stimme vor sich haben. Demgemäß stark ist auch der Klang. Zu stark schon. Bei Melkus verzeiht's man ja, weil seine Einspielung schon nicht ganz frisch ist; aber was haben sich Minasi und seine Leute dabei gedacht?
    Zu breit instrumentiert ist dabei eine Untertreibung...
    An dem Spiel des Solisten hab ich "bloß" auszusetzen, dass es kühl ist und steif, wie ein Stein - und da hilft nichts, dass er mit schönem Klang und virtuos sein Part bewältigt. Noch dazu ist das ganze sehr unausgeglichen: es gibt ja Stellen, die beindrucken (wenn nicht anders, dann mit dramatischer Wucht), es gibt aber auch deren viel, die man ganz einfach als daneben losgeschossen empfindet. (Im ungarischen sagt man dafür: "es ist, wie eine Hose auf der Kuh"; oder "sucht zwischen den Hörner das Euter".)

    Meine Bewertung:
    :juhu:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Mein Werk ist getan... :klatsch:
    Die oben sind die von mir bekannten 13 Einspielungen. Ich erwarte eure bestreitende oder bekräftigende Ansichten... :hide:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Mein Werk ist getan... :klatsch:
    Die oben sind die von mir bekannten 13 Einspielungen. Ich erwarte eure bestreitende oder bekräftigende Ansichten... :hide:

    Lieber Tamás,

    Fabelhaft! und vielen Dank dafür!

    Ich liebe die Rosenkranzsonaten von Biber auch sehr und bereits recht lange. Viele, der von Dir vorgestellten Aufnahmen, sind nach meinem Kauf der Einspielung von Goebel entstanden. Diese Interpretation hat mir immer so sehr gefallen, dass ich nicht auf die Idee kam etwas anderes zu versuchen. Du hast seine Interpretation sehr schön dargelegt, ebenso empfinde ich sein Spiel auch. Nun fragt man nach meinem Rat und ich möchte auch eine wirklich andere Version probieren. Manze schätze ich sehr und habe seine Aufnahme der 8 Sonaten (Salzburg 1681). Auf der Doppel-CD ist auch die Passagalia aus den Rosenkranzsonaten dabei (Spielzeit 10 Minuten). Kennst Du diese Aufnahme? Falls ja, erhält man einen guten Eindruck seiner Gesamteinspielung der Rosenkranzsonaten?

    Gruß, Beryllo

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • ... Nun fragt man nach meinem Rat und ich möchte auch eine wirklich andere Version probieren. Manze schätze ich sehr und habe seine Aufnahme der 8 Sonaten (Salzburg 1681). Auf der Doppel-CD ist auch die Passagalia aus den Rosenkranzsonaten dabei (Spielzeit 10 Minuten). Kennst Du diese Aufnahme? Falls ja, erhält man einen guten Eindruck seiner Gesamteinspielung der Rosenkranzsonaten?

    Gruß, Beryllo

    Lieber Beryllo,

    Wie oben schon angedeutet, hab ich den Eindruck, dass Manze zwei ganz verschiedene Annäherungen in der Sonatae Violino solo, 1681 und in den Rosenkranz-Sonaten wählt. Erstere macht er eher virtuos, mit viel Humor und mit schnell aufgebauten Spannungen. Die Rosenkranz-Sonaten macht er eher nachdenklich, zart, in einem großen Bogen. So fallen auch die zwei Einspielungen der Passacaglia unterschiedlich aus: als 16. Sonate wählt er ein schnelleres, aber ausgeglicheneres Tempo, während die, auf der Violinsonaten-CD auch tempomäßig mehr gegliedert wird: hier wird er schneller, hastiger, da ganz-ganz langsam. Der Unterschied ist gleich zu erkennen: zuerst zeigte er die Passacaglia als Solostück, demnach eher spielerisch, "verrückt", dann als Schlussstück eines religiösen Zyklus, so eher zurückhaltend, aber auch strahlender und mehr majestätisch.

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Lieber Tamàs,

    Vielen Dank für Deine Antwort. Jetzt wird das Bild klarer, zumal ich mir nicht sicher war, ob Manze die Passacaglia zweimal aufgenommen hat, da ich ja die Einspielung der Rosenkranzsonaten nicht kenne.

    Gruß, Beryllo

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Manze ist ein fantastischer Geiger - und auch begabter Dirigent. Schade, dass er heutzutage "zu verschwunden" scheint. (Sein letztes Soloalbum mit Schubert-Sonaten ist schon einige Zeit her, wie auch seine Einspielung von Beethovens Eroica.
    Ich hoffe darauf, dass er sich wieder einmal "ins Zeug legt". (Seine Aufnahmen mit den Ensembles Academy of Ancient Music und The English Concert waren ja fabelhaft.)

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Auch das Continuo-Spiel finde ich dann an bestimmten stellen zu sehr sich nach vorne drängend (vielleicht nur weil gerade in den ersten Sekunden der ersten Sonate).
    Schlecht ist ja nicht bestellt, wer diese Einspielung wählt: nur, nach meiner Meinung, tun sich die wahren Schätze der Sonaten nicht wirklich auf (für mich jedenfalls).

    Mir gefällt interessanterweise die Aufnahme mit Alice Pierot gerade wegen der deutlichen Präsenz des vielfältigen, farbigen Continuo. Ich bin aber nicht Hippie genug, um eine Aussage darüber treffen zu können, inwieweit das jetzt historisch korrekt ist.
    Ansonsten höre ich noch gerne Manze und Goebel, die ja in gewisser Weise die Pole meditativ und virtuos abstecken, ohne andererseits das Werk allzu einseitig zu sehen.

    Jedenfalls ein schöner Thread und Danke an den Verfasser. :)

    :wink:
    Sascha


    "You realize that it’s not necessary to own 50 Beethoven cycles, 46 of which you never play, when you can be just as happy with 20 of them, 16 of which you never play.
    "
    , David Hurwitz

  • Mir gefällt interessanterweise die Aufnahme mit Alice Pierot gerade wegen der deutlichen Präsenz des vielfältigen, farbigen Continuo. Ich bin aber nicht Hippie genug, um eine Aussage darüber treffen zu können, inwieweit das jetzt historisch korrekt ist.

    Na, das weißt ja eigentlich niemand... :P Die neuesten Theorien besagen aber, dass Trios, Solosonaten, usw. klein besetzt waren, also z.B. im Trio wirklich drei Leute spielten (obwohl natürlich auch Belege gibt, dass Corellische Trios mit einem großen Orchester gespielt wurden: dazu kam dann natürlich ein ähnlich großes Continuo). Zu Solosonaten passten also - nach neuesten Theorien - max. zweifach besetzte Gruppen (z.B. Cello mit Laute, oder mit Cembalo, Orgel mit Theorbe, usw.), aber eher nur einfach besetze. Wie richtig das ist... ?( , aber es klingt gut. :thumbup:

    (und Danke für die ermutigenden Worte - mir war's ein Spaß zu prahlen, wie viele Aufnahmen ich doch habe... :thumbup: )

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Wenn alles gut geht, habe ich bald über weitere Einspielungen auch zu berichten... 8)
    Über Bismuth vielleicht schon nächste Woche, und Wallfisch erwerbe ich auch schon...
    :jub: YIPPIE!

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Lieber Tschabrendeki,

    Ich besitze seit heute drei Aufnahmen. Zuerst hatte ich Reiter (Brilliant) und Lotter (Oehms) wobei mir Lotter viel besser gefiel.

    Heute bekam ich eine Sendung von Amazon.fr und dabei war die Aufnahme mit Gunar Letzbor.

    Ich sage nur Woahh!

    Sorry, aber ich bin so begeistert, Du hat ja so recht, schon allein der Anfang, man wird von dieser Musik gefesselt. Selten hat mich ein Werk so in den Bann gezogen. Bis jetzt habe ich einfach nur die Musik gehört, ohne mich mit der Geschichte und dem Inhalt zu beschäftigen, man wird Süchtig danach und will mehr darüber wissen.

    Anfang nächste Woche erwarte ich die Aufnahme mit Manze und bin mal ganz gespannt wie das ganze weitergeht.

    liebe grüße
    romain

    Dieser Thread muß weitergeführt werden!!!

  • Lieber Tschabrendeki

    Deine Begeisterung reißt anscheinend viele hier mit. Dieser Thread ist auch wirklich toll, ganz ehrlich :klatsch: .

    Letzbor und Manze werden früher oder später auch hier im Schrank stehen... Und Du bist auch verantwortlich dafür, dass ich soeben diese Platte bestellt habe:

    Nicht, dass ich Dir deswegen bösr wäre :wink:
    Gute Nacht
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Gleich vier Aufnahmen auf einmal?? 8| :thumbup:
    Ich werde mich dann zusammenreißen und erzählen, wass ich bisher über die Stücke herausfinden konnte.

    Liebe Grüße
    Tamás

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Lieber Tschabrendeki

    Deine Begeisterung reißt anscheinend viele hier mit. Dieser Thread ist auch wirklich toll, ganz ehrlich :klatsch: .

    Letzbor und Manze werden früher oder später auch hier im Schrank stehen... Und Du bist auch verantwortlich dafür, dass ich soeben diese Platte bestellt habe:

    Nicht, dass ich Dir deswegen bösr wäre :wink:
    Gute Nacht
    Michel

    :D Ja, scheint so... Der Lob gebührt mir aber nicht, nur dem Komponisten, Herrn Biber - er ist nur fähig so zu begeistern... :hide:
    Über die bestellte Platte hab ich schon etwas gekritzelt im neuen Heinrich Biber Thread. :wink:

    Guten Morgen
    Tamás

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Lieber Tamas,

    Zitat

    von Tamás
    Ja, scheint so... Der Lob gebührt mir aber nicht, nur dem Komponisten, Herrn Biber - er ist nur fähig so zu begeistern..

    Natürlich trägt Herrn Biber etwas dazu bei, aber auf HIF Biber muß man erst einmal stoßen und da gebührt Dir einfach ein großes Lob. Nicht so bescheiden sein! :thumbup:

    Durch Deine Begeisterung und diese detallierten und interessanten Berichte über die Aufnahmen machst Du es uns ja auch ziemlich einfach.

    Es macht auch einfach Lust auf mehr und möchte mich noch etwas mehr in diese Sonaten vertiefen. Ich glaube daß mir 5-6 Aufnahmen reichen werden, freue mich aber auch andere Werke von Herrn Biber kennenzulernen.

    noch einen schönen Sonntag :wink:
    romain

    Dieser Thread muß weitergeführt werden!!!

  • ... romain, du machst mich verlegen... :wink:

    Bevor ich mich wieder ins Zeug lege, und die Sonaten unter die Lupe nehme, noch eine interessante Einspielung:

    In dieser Sammlung:

    ist die 4. Rosenkranz-Sonate ("Darstellung im Tempel"), eine breite Ciacona zu hören. Interessant macht diese Aufnahme, dass sie nicht HIP ist: die Begleitung wird auf einem Klavier realisiert und es wird wahrscheinlich auch die Skordatur nicht verwendet. (Am Anfang des 20. Jhs ist eine Ausgabe erschienen, wo die Sonaten für unskordierte Violine und Klavier transkribiert wurden - ich hab sie schon in Hand gehabt: skurill, möchte man sagen. Möglich, dass Kremer und sein Begleiter aus jene Ausgabe gespielt haben, am 5. März, 1977 - live-Aufnahme.)

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Die Rosenkranz-Sonaten an sich

    Heinrich Biber war am 12. August 1644 in Wartenberg geboren. Nach mehreren Zwischenstationen ist er 1700 in den Dienst des Salzburger Erzbischofs, Max Gandolph Graf von Kuenburg getreten. Der damals 36-jährige hatte schon Werke hinter sich, die bis heute viele Leute begeistern, wie z.B. die Sonata representativa (mit den Imitationen von Tierstimmen).
    In den folgenden Jahren entstanden Erfolgswerke, wie die Battalia oder die Sonata "der Pauern Kirchfahrt". 1676 publizierte er seine erste Sammlung mit Orchestersonaten, die so für den Hof, wir für die Kirche geeingnet gedacht waren (Sonatae tam aris quam aulis servientes - Sonaten aufzuführen vor dem Altar, wie beim Hofe).
    Danach vergehen 8 Jahre ohne Publikation (Mensa sonora, 1680), doch nicht ohne zu komponieren: bestimmte Anhaltspunkte lassen darauf deuten, dass die Rosenkranz-Sonaten um 1678 entstanden.
    Das Werk liegt in einem einzigen Manuskript vor, die heute im Bayerischen Staatsbibliothek verwahrt wird - doch man muss nicht nach München gehen um ein Blick darin zu werfen: mittlerweile sind mehrere Faksimile-Ausgaben erhältlich. [Bezahlen muss man sie nur können.] Wenn jemand diesen Blick wagt, sieht er, dass statt Bezeichnungen oder Titel, wie Sonata oder sonstwas, nur kleine kreisförmige Vignetten vor den einzelnen Stücken stehen. Diese sind aber den 15 Mysterien des Rosenkranzes zuzuordnen. Die ersten fünfzehn Vignetten stammen aus einem Gebets-, oder Andachtsbuch, das Anleitungen zum Rosenkranzgebet enthielt, und 1678 Max Gandolph gewidmet erschien. Max war ein großer Förderer der Rosenkranzbruderschaft in Salzburg, und so nimmt auch kein Wunder, dass auch die Rosenkranz-Sonaten in diesem geistigen Umfeld enstammen (dass es unbedingt so ist, zeigt, dass auch die Sonaten Max Gandolph gewidmet wurden, und auch die Herkunft der Vignetten belegt das).
    Der Zyklus enhält 16 Sonaten: je 5 nach den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Mysterien und eine Schlusssonate, die sich aber auf mehrerer Weise von den Rest des Zyklus abhebt: die Abbildung dazu ist kein eingeklebtes Kupferstich, wie bei den anderen, sondern eine Federzeichnung, und zeigt einen Schutzengel ein Kind am Hand zu führen, damit ist sie tematisch nicht zum Rosenkranzgebet gebunden. Und während die anderen Sonaten für Solovioline und Continuo verfasst worden sind, steht diese Sonate, eine ausgedehnte Passacaglia, für Violine allein. Darüber aber erst später.
    Neben ihrer Thematik macht diese Sonaten besonders die Benutzung der Skordatur interessant. Außer I. und XVI. sind alle in Skordatur geschrieben, es wird also eine Verstimmung der Violine vorgeschrieben. Nach der Angabe der Skordatur werden die Sonaten wie in Tabulatur notiert, es wird also angezeigt, welche Note zu spielen wäre, wäre das Instrument nicht umgestimmt. Ganz schön und bildlich - besser gesagt: klanglich - wird das am Ende der Manze-Einspielung dargestellt.
    Die Sonaten wurden in der Neuzeit schon mehrmals verlegt, erstmals 1905 in der Reihe Denkmäler der Tonkunst in Österreich (DTÖ). Darauf gründete sich später (wenn ich mich richtig erinnere 1912) eine Transkription von Kalmus für unskordierte Violine und (teilweise modernisierte) Klavierbegleitung. Weil aber die original DTÖ-Ausgabe mehrere gravierende Fehler hatte (die Skordatur der XI. Sonate konnte nicht entschlüsselt werden, und wurde so falsch interpretiert), mussten später neue Ausgaben folgen. Die Neuausgabe in DTÖ erfolgte erst 2003 durch Dagmar Glüxam und Ingomar Rainer. Es sind aber auch andere Ausgaben inzwischen erhältlich, so z.B. bei "http://www.doblinger.at/detail2008.asp?itemnr=12378" Doblinger von Ernst Kubitschek und Marianne Ronez [dort ist übrigens auch eine Faksimile zu haben]. Es sind aber auch im Internet einige Transkriptionen zu finden. Mehr sag' ich dazu hier nichts. :pfeif:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Die Sonaten I-V: Die freudenreichen Mysterien

    Die ersten fünf Sonaten sind den "freudenreichen Mysterien" gewidmet, also deren Geschehnissen des Lebens Mariä, die vor, um und nach der Geburt Christi erfolgten, und im Rosenkranzgebet zur Grundlage von Meditationen werden. Es gibt deren fünf, so auch fünf Sonaten dazu:
    * Die Kupferstiche sind eigene Scans aus dem Booklet der Manze-Einspielung (im Kolophon sind keine Urheberrechte dafür angemerkt) [Anm.: Die Bilder sind jetzt von imslp.org genommen, wo sie unter GNU Free Documentation License stehen. - Areios]

    1) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/4/4b/Biber_C_90_The_Annunciation.jpg
    Jesus, den du, o Jungfrau vom Heiligen Geist empfangen hast ("Die Verkündigung")
    in d-moll; ohne Skordatur: g-d'-a'-e"
    Präludium - Variatio / Aria allegro - Variatio / Adagio / Finale

    Das Präludium fängt nach einem lange ausgehaltenem d-moll Akkord (oder, nach einer d-a' Quinte, ohne Terz - hängt vom Continuo-Realisierung ab) mit schnellen Figurationen auf der Violine. Einige Forscher und Interpreten hat das dazu verführt, hier die Flügel von Erzengel Gabriel hören zu müssen: für mich ist das eher das Eintreten des Göttlichen in die Welt (vor allem, wenn der hier vorgeschriebene Orgelpunkt im Basso continuo ernst genommen wird, und ohne Füllakkorde ausgehalten wird (wie das vollkommen überzeugen bei Letzbor geschieht).
    Die Aria mit den folgenden Variationen basiert auf einem Ostinatobass - steht damit im Zyklus nicht allein! Wenn es - neben der Skordatur - ein musikalisches Grundprinzip im Werk gibt, dann ist es die Variation: von Ostinatovariationen reicht es bis zu Melodie- oder sogar Cantus-Firmus-Variationen. Der Satz schließt mit einem schönen Adagio-Finale.

    Aufbau:
    1) Praeludium: Orgelpunkt auf Tonika (D) - Takt 13. Wechsel zu Dominante (A) - Kadenz auf "D"
    2) Variatio: chaconne-artiges Bassthema 4mal - Adagio: 4 weitere Variationen (4+4=8 Variationen)
    3) Finale: Orgelpunkt auf Subdominante (G) - Kadenz auf D

    2) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/b/be/Biber_C_91_Marys_Visit_to_Elizabeth.jpg
    Jesus, den du, o Jungfau, zu Elisabeth getragen hast ("Die Heimsuchung")
    A-Dur, Skordatur: a-e'-a'-e'
    Sonata - Presto / Allamanda - Presto

    Die langsame Einleitung führt zu dem ersten Höhepunkt, und eine kurze schnelle Passage leitet zur ausgedehnten Allemande über, ein überaus melodiöser Satz. Die Sonata schließt wieder ein kurzes Presto-Satz.

    Aufbau:
    1) 1.1: Sonata: Anfangsthema (Terzsprung nach unten, fortgesetzt mit einer Quinte (in Transposition mit einer Quartdann eine kleine Sekunde nach oben) der Violine wird mehrstimmig verarbeitet: (Violine - Bass - zweite Simme der Violine - wieder Bass, usw.) - 1.2: Presto: ein aufsteigendes Motiv (a-h-c-d-h) wird 4stimmig imitativ durchgeführt danach frei bearbeitet. Der Satz schließt mit einem 6taktigem Tonika-Orgelpunkt (A)
    2) 2.1: Allamanda: zweiteilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. - 2.2: Presto: freier Schlusssatz


    3) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/6/6e/Biber_C_92_The_Nativity.jpg
    Jesus, den du, o Jungfrau, geboren hast ("Jesu Geburt")
    b-moll, Skordatur: h-fis'-h'-d"
    Sonata - Presto / Courente / Double / Adagio

    Wieder kommt nach einer sanften Einleitungssonata, wo auf der Violine durchgehend zweistimmig gespielt wird, ein kurzes Presto, dem ein Tanzsatz mit seinem Double-Variation folgt. Diese Variationsform wird Bach in seinen Soloviolin- und Solocellostücken wieder aufgreifen. Die Sonata endet mit einem edlen Adagio-Satz.

    Aufbau:
    1) 1.1: Sonata:freier Eröffnungssatz. Bass und Violin setzen mit selbem Thema in verschiedenen Notenwerten an (Bass verlängert) b-c'-d'-e'-f' - 1.2: Presto: freier Nachsatz mit Adagio Kadenz.
    2) 2.1: Courente: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. - 2.2: Double: Variation auf dasselbe Bassthema
    3) Adagio: zwei Themen werden auf der Violine verarbeitet: ein Septimsprung nach unten (Takt 1) und ein mit drei aufsteigenden Sechzehnteln vorbereitetes Tripelgriff (Takt 5).


    4) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/f/fb/Biber_C_93_The_Presentation.jpg
    Jesus, den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast ("Die Darstellung im Tempel")
    d-moll, Skordatur: a-d'-a'-d"
    Ciacona - Adagio piano - Presto - Adagio

    Die vierte Sonate ist eine einzige siebenminütige Ciacona (na gut, es gibt auch wesentlich längere Interpretationen ;) ).

    Aufbau:
    1) Ciacona: 2teiliges Bassthema: A: d-cis-d-G-A-D, B: fis-g-a-d-A-d; jeder Teil wird einmal wiederholt, auch während der Variationen!. Es kommen 10 Variationen in selbem Tempo; Dann eine A: Adagio B: Presto; wird Presto fortgesetzt mit 3 Variationen, geschlossen wird mit einer Adagio-Variation. (Insgesamt 15 Variationen)

    5) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/0/0e/Biber_C_94_Child_Jesus_in_the_Temple.jpg
    Jesus, den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast ("Jesus im Tempel")
    A-Dur, Skordatur: a-e'-a'-cis"
    Präludium - Presto / Allamanda / Guigue / Sarabada / Double

    In dieser Sonate finden wir wieder Tanzsätze mit Doublevariation. Die Verwendung von Tänzen is religiösen Sonaten - deren kirchliches Gebrauch ja nicht auszuschließen ist - kann heute befremden, vor allem, weil wir die sonata chiesa-Typ eines Corelli für die ganze Barock-Epoche geltend sehen. Aber als Biber seine Sonaten schuf, war Corelli noch nicht die Persönlichkeit, wie wir sie kennen - noch mehr: die Corellischen Violinsonaten op. 5 zeigen einen eindeutigen Einfluss von Bibers Sonatae Violino solo aus 1681 (die Erscheinungsjahr des Corellischen op.1!).

    Aufbau:
    1) 1.1: Praeludium: Anfangsthema der Violine wird frei bearbeitet. - 1.2: Presto: nach zwei freien Takten kehrt das vorige Thema zurück.
    2) Allamanda: 2teilig; Violine setzt solistisch ein, Bass kommt erst im 3. Takt dazu. A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton.
    3) Guigue: 2teilig; A: Ton. - Dom.; B: Dom. - Ton.
    4) 4.1: Sarabande: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. - 4.2: Double: Variation auf dasselbe Bassthema

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Die Sonaten VI-X: Die schmerzhaften Mysterien

    Man würde von den Sonaten der schmerzhaften Mysterien allgemein eine bedrückte Stimmung und allgemeines Adagiocharakter erwarten. Biber bedient sich jedoch einer sehr breiteren Vielfalt an Formen.

    6. [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/3/34/Bi…_the_Garden.jpg
    Jesus, der für uns Blut geschwitzt hat ("Das leiden am Ölberg")
    c-moll, Skordatur: as-es'-g'-d"
    Lamento - Adagio / Presto / Adagio I / Adagio II / Adagio III

    Diese Sonate zeigt das Bild, das man von den schmerzhaften Sonaten erwarten würde. Ruhig, jedoch schmerzerfüllt im Ausdruck ist sie ein ungewöhnliches Lamento. Fachmännisch besprochen und analysiert wird sie von "http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/379/…ber_lamento.pdf" Christian Berger auf der Seite der Albert-Ludwigs-Uni Freiburg, wo unter anderem auch vorgeführt wird, dass Biber hier auf zwei Traditionen: auf die des italienischen Lamentos und auf die des französischen Tombeaus bezug nimmt.

    Aufbau:
    1) 1.1: Lamento: Anfangsfigur der Violine (Takt 2) wird frei bearbeitet. - 1.2: Adagio: nach 3 einleitenden Takten kommt ein zweites Thema mit punktierten Achteln, das auf der Violine 2stimmig verarbeitet wird. - 1.3. Presto: hat auch eigenes Thema (in Sechzehnteln), das aber nach 5 Takten bei Seite gelegt wird und es kommt ein Absatz mit Tonrepetitionen in Achteln. Der Teil kadenziert Adagio. - 1.4: (ohne Bezeichnung) Es kommt zu einem Taktartenwechsel vom geraden zu ungeradem Takt. Zwei Themen werden verarbeitet, das erste eher rhytmisch wichtig: (Halbe - punktierte Halbe - Viertel) (von Takt 46), das zweite ein Achtellauf im Abstand einer Oktave, dann ein Oktavsprung nach unten. 1.5: (ohne Bezeichnung) Wechsel zum geraden Takt. Nach zwei Takten Zweiundreißigstellaufen kommt es zum Adagio. Nach einem Takt (T. 84) wird ein Thema vorgestellt, das dann zwei Takten später zuerst in Terzen, dann zweistimmig verarbeitet wird. 1.6: Adagio: Taktartenwechsel zu 12/8. Das Thema enthält wieder einen Oktavsprung (duch einen Terz) fortgesetzt zum Duodezim. Es wird 6 Takte lang verarbeitet. 1.7: (ohne Bezeichnung) Taktartenwechsel zu 8/12 (vgl. 1.6!!!!) ein einfaches Thema mit aufsteigenden Vierteln wird durchgehend zweistimmig (meistens in Terzparalellen) durchgeführt.


    7. [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/d/d1/Bi…ng_of_Jesus.jpg
    Jesus, der für uns gegeißelt worden ist ("Die Geißelung")
    F-Dur, Skordatur: c'-f'-a'-c"
    Allamanda / Variatio / Sarabanda / Variatio

    Zwei grundsätzlich langsame Tänze und ihre zum Teil stürmische Variationen bilden die Geißelungssonate. In der Allemanda vermeinen einige Interpreten die Verspottung, in der Sarabanda die Geißelung zu hören, aber nur sehr wenige können das auch zeigen. Einzig überzeugend vielleicht nur Letzbor. Auf der Seite von "http://www.winterandwinter.com/index.php?id=389" inter&Winter zur Ronez-Einspielung wird geschrieben, dass die relativ engen Stimmabstände zwischen den Saiten in dieser Skordatura ungewöhnlich viele Saitenwechsel notwendig machten, so daß der Geiger quasi mitgegeißelt werde. Wer weiß? ?(
    Aufbau:
    1) 1.1: Allamanda: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. - 1.2: Variation auf dasselbe Bassthema
    2) 2.1: Sarabanda: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. - 2.2: 3 Variationen auf dasselbe Bassthema (eigentlich auch selber eine Variation des Bassthemas der Allamanda)


    8. [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/9/9e/Bi…n_of_Thorns.jpg
    Jesus, der für uns mit Dornen gekrönt worden ist ("Die Dornenkrönung")
    B-Dur, Skordatur: d'-f'-b'-d"
    Sonata. Adagio / Presto / Guigue / Double I. Presto / Double II

    Gemäß einer Steigerung finden wir in diesem Stück eine noch größere Dramatik, und wieder Double-Variationen, jetzt ausgedehnter. Interessant, dass zwar hier nicht das Corellische sonata chiesa-Modell verwendet wird, doch die Satzfolge das Schema langsam-schnell-langsam-schnell folgt, bloß mit verwendung von Tanzrythmen.

    Aufbau:
    1) 1.1: setzt zweistimmig imitativ an (b'-a'-b'-g'-f'-es'-d') zuerst im Bass (T. 1-2) dann auf der Violine (T. 2-3); das Thema kehrt im 11. T. im Bass, im 12. auf der Violine zurück - schon transponiert. Dann noch im 13. und kurz vor dem Schluss im 15.-16. nochmals im Bass. - 1.2: Presto: Violine hat zwei Themen: Akkordbrechungen in Achteln und Tonrepetitionen in Sechzehnteln. Der Anfang der Bassstimme lehnt sich an das Anfangsthema an.
    2) 1.1: Guigue: zweiteilig; A: Ton. - Dom. B: Dom - Ton. - 1.2: Double. Presto - 1.3: Double 2: zwei Variationen auf dem Bass der Guigue.


    9. [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/7/75/Bi…g_the_Cross.jpg
    Jesus, der für uns das schwere Kreuz getragen hat ("Die Kreuztragung")
    a-moll, Skordatur: c'-e'-a'-e"
    Sonata / Courante / Double / Finale

    Meine Lieblingsonate aus den schmerzhaften. Ein wunderbar schmerzliches, gequältes Anfagsthema bildet den Ausgangspunkt für die folgenden Tanzsätzen. Auf der "http://www.winterandwinter.com/index.php?id=389" schon genannten Seite liest man folgendes: "Wie ein mühsames Aufrichten mit Zusammenbrüchen wirkt die steigende, stetig unterbrochene Melodik des langsamen, lamentoartigen ersten Satzes. Im folgenden zweiten Satz herrscht eine resignierte Grundstimmung, während das Finale die Grundidee des ersten Satzes wieder aufnimmt, gedrängter allerdings und somit dramatischer, bis hin zum völligen Zusammenbruch."

    Aufbau:
    1) Sonata: scheint eigentlich kein Thema zu haben, aber ein Teil des Anfangsmotivs in T. 2 (h-h-c-d-e-d) wird oft in verschiedenen Notenwerten und zum Teil stark variiert wiederholt.
    2) 2.1: Courente: 2teilig; A: Ton. - Terz B: Dom. - Ton. - 2.1: Double: Variation auf dassselbe Bassthema.
    3) Finale: hat auch kein fest umrissenes Thema; besteht aus schnellen Passagen und beruht auf einem Orgelpunkt auf der Dom.


    10. [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/b/ba/Biber_C_99_The_Crucifixion.jpg
    Jesus, der für uns gekreuzigt worden ist ("Die Kreuzigung")
    g-moll, Skordatur: g-d'-a'-d"
    Präludium / Aria / Variatio / Variatio / Adagio / Variatio / Variatio

    Wiebke Thormählen schreibt im Begleittext zur Huggett-Einspielung, am Anfang der Kreuzigungssonate stehe eine Reminiszenz an das katholische Hymne "Hertzliches Mitleiden mit dem gekreuzigten Jesu" - leider hab ich das noch nirgendwo sonst gelesen, so möchte ich das nur so dahingestellt lassen. Man hat die Meinung geäußert, die Martellato-Akkorde des Mittelteils würden den Annageln Christi an das Kreuz darstellen. Wenn die Martellato-Ausführung wirklich in dem Notentext festgehalten ist, könnte das eventuell stimmen, schon, wenn man die wörtliche Bedeutung von martellato, also "gehämmert", vor Augen hält. Das es hier auch um ein Variationsstück handel braucht ja man nicht extra zu sagen.
    Interessant, dass es diese Sonate in einer wiener Abschrift existiert unter dem Namen von Joseph Anton Schmelzer - der Sohn des berühmteren Komponisten - mit geringfügigen änderungen und mit dem Titel: "Victori der Christen" (i.e. über den Türken); sie hat auch ein detalliertes Program, nämlich:
    "Der Türken Anmarsch / Der Türken Belagerung der Stadt Wien / Der Türken stürmen / Anmarsch der Christen / Treffen der Christen / Durchgang der Türken / Victori der Christen". Enstaden ist diese Undeutung um 1684-84.
    Viele Fragen wirft das auf auch bezüglich des Biberschen Programmes. Zwei Tatsachen könne wir aber daraus ableiten:
    1) die Sonaten waren zumindest bis zum Teil bis 1683 schon fertig;
    2) sie hatten eine größere - zuminest landesweite - Verbreitung gefunden (das wird noch von der Tatsache unterstützt, dass es auch von der 16. Sonate eine Transkription für Laute gibt).
    (s. "http://www.omifacsimiles.com/brochures/biber_ms2.html" noch diese Seite)
    Es soll in diesem Stück ein Kreuzverweis auf die Christi-Geburt-Sonate sein (3 zitierte Takte) ich fand sie aber bisher nicht.

    Aufbau:
    1) Praeludium: 2 Themen werden verarbeitet: ein Septimsprung-Thema (T. 1) (wir in der Transsposition zum Sextsprung) und eine Triole mit punktiertem Rhytmus (T. 2)
    2) 2.1. Aria: zweiteilig; A: Ton. - Terz B: Dom. - Ton.; - 2.1: Variatio: 2 Variationen auf dasselbe Bassthema - 2.2: Adagio: noch eine Variation - 2.3: Taktartenwechsel zu 12/8; noch 2 Variationen. (Insgesamt 5 Variationen)

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Die Sonaten XI-XVI: Die glorreichen Mysterien und die Passacaglia

    Wir kommen nun zum eindeutigen Höhepunkt der Sammlung. Man kann eine Häufung an Ausdrucksmittel während den ersten zwölf Sonaten bemerken, die in der 11. den Gipfel erreicht, was danach kommt: "die Verweilung im Himmel", oder besser: "die Verweilung im Wissen der Erlösung". Leider aber gelingt es dann nicht jedem Interpräten das auch zu zeigen.

    11) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/3/35/Bi…esurrection.jpg
    Jesus, der von den Toten auferstanden ist ("Die Auferstehung")
    G-Dur, Skordatur: g-d'-g'-d" - aber die beiden mittleren Saiten werden gekreuzt, so entsteht: g-g'-d'-d"
    Sonata / Surrexit Christus hodie / Adagio

    Das Herzstück der Sammlung. Nach katholischem Sichtpunkt ist ja nicht die Kreuzigung, sondern die Auferstehung der Höhepunkt der Passionsgeschichte. Dafür bereitet also Biber seine erstaunlichsten Kunstgriffe vor.
    Zum einen die verblüffendste Skordatur der Musikgeschichte, schön dargestellt "http://www.op59.net/biberx.html" auf dieser Seite, aber auch "http://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…r_mysterien.jpg" auf diesem Bild; Pierre Pascal schreibt im Begleittext der Piérot-Einspielung: "Die dritte Saite klingt demnach tiefer als die zweite. Die Beziehung zwischen klingendem Ton und Notation ist vollständig gestört, da man an mehreren Stellen genau das Gegeteil von dem hört, was geschrieben steht: hohe Tönen erklingen im tiefen Register und umgekehrt. Ist hierin der Reflex der Umstülpung des Zyklus von Leben und Tod zu sehen, den das Mysterium der Auferstehung repräsentiert?" "http://www.utorpheus.com/utorpheus/pub/…iche/css067.pdf" Auf dieser Seite kann man sich auch ein Bild darüber verschaffen.
    Zum anderen bildet den Kern der Sonate ein Satz den man sowohl als Passacaglia interpretieren veruchte, besser wäre ihn jedoch als Cantus-firmus-Variation zu sehen: als Thema dient das Kirchenlied "Surrexit Christus hodie" (deutsche Textvariante: "Erstanden ist der heilig Christ") in folgender Form (im Original in 3/1 in viermal so langen Notenwerten wie hier):
    [Blockierte Grafik: http://csabrendekilap.extra.hu/surrexit.jpg
    Das Thema wird zuerst mehrfach im Bass durchgeführt, dann wandert es ins Diskant (Violine), wo es in Oktaven gespielt erklingt (Dank der ungewöhnlichen Skordatur); es gibt auch Variationen, wo es aufgeteilt wird, und einmal im Diskant, einmal im Bass erscheint. Den Schluss bildet eine - vielleicht befremdende - Variation, wo es in drei Oktaven gespielt wird. Das errinert an einen freudenvollen Gemeindengesang, aber nur wenige Interpreten können das als Höhepunkt darlegen. Manze und Lezbor sind auch da die Besten.

    Aufbau:
    1) Sonata: Orgelpunkt auf der Subdominante G, vom 18. Takt wird zur Tonika gewechselt. Es gibt kein einheitliches Thema, nur das Motiv von Oktav- und Undezim-Sprüngen.
    2) Surrexit Christus hodie: 9 Variationen: 6mal im Bass, 1mal in der Violine allein (in Oktavverdopplung), 1 mal abwechselnd im Bass und in der Violine (eine Strophe auf der Violine, dann die selbe nochmals im Bass), 9. Variation: in durchgehenden Oktaven.
    3) Adagio: Die Violinstimme ist durchgehen 2stimmig, der Satz ist homophon gesetzt.


    12) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/a/ad/Biber_C_101_The_Ascension.jpg
    Jesus, der in den Himmel aufgefahren ist ("Christi Himmelfahrt")
    C-Dur, Skordatur: c-e'-g'-c"
    Intrada / Aria Tubicinum / Allamanda / Courente / Double

    Die beiden Himmelfahrtssonaten (Christi und Mariä: XII und XIV) sind besonders aufwendige, tänzerische Sonaten. Ausgelassen, sprühend von Witz, "Biber at his best". Paradesatz der zwölften Sonate ist die "Aria Tubicinum", also die Arie der Himmelstrompeten. Komponiert für Violine und solo Cello, die Violine spielt nur Naturtöne, während das Cello die Pauken, oder Basstuben nachahmen scheint, mit seinen Dominante-Tonika-Part. Rüdiger Lotter - der doch recht skurille Auffassungen von den Rosenkranz-Sonaten vertritt, und meint sie gründen auf Keplers "Harmonices Mundi" [nach meiner Meinung wäre der Einfluss von Kircher eher glaubwürdig) - schreibt im Begleittext zu seiner Einspielung: "Im bereits zitierten 7. Kapitel des 5. Buches findet kepler vier Gesamtharmonien aller sechs Planeten, [...]. Sollte Biber eine dieser Gesamtharmonien als Skordatur umgesetzt haben, so wäre ein sinnfälliger Zusammenhang nur in der Sonate Christi Himmelfahrt gegeben; denn hier kehrt der Sohn zum Vater zurück. Biber verwendet in der Sonate Christi Himmelfahrt eine Skordatur mit den Tonbuchstaben c-e-g-c. Die zweite der von Kepler gefundenen Gesamtharmonien entspricht genau diesen Tönen."
    (übrigens: das Ganze "http://www.oehmsclassics.de/cd.php?formatid=215&sprache=de" nachzulesen hier)
    Nun: diese Töne seien ja ganz einfach die Töne des Tonikaakkordes zu C-Dur. Interessanterweise steht aber auch die Sonate Krönung Mariä in C-Dur, auch die beschreibung einer mystischen Ereignis! So an Haaren herbeigezogen Lotters These auch wirkt, da könnte er recht haben, dass Biber recht bedacht die Tonarten der einzelnen Sonaten ausgewählt hat. Einschränkend muss man aber erwähnen, dass ja die Sonate Mariä Himmelfahrt aber in D-Dur steht - eine direkte Entsprechung kann man da so nicht sehen.

    Aufbau:
    1) Intrada: zwei "Themen": schnelle, staccato Tonrepetitionen und Terzsprünge (Akkordbrechungen) in Terzparalellen.
    2) Aria Tubicinum: 2teilig (mit Wiederholungen). Bass für Violone allein (Ton. - Dom. Sprünge). Violine durchgehend 2stimmig, es kommen mehrere Quadrupelgriffe vor.
    3) Allamanda: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton.
    4) 4.1: Courante: 2teilig; A: Ton. - Dom. B: Dom. - Ton. (Bass ist sehr ähnlich aufgebaut, wie im Allamana, ob Variation?)
    - 4.2: Double: Variation auf dasselbe Bassthema


    13) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/7/74/Biber_C_102_The_Holy_Ghost.jpg
    Jesus, der uns den Heiligen Gesit gesandt hat ("Die Sendung des Hl. Geistes")
    d-moll, Skordatur: a-e'-cis"-e"
    Sonata / Gavotte / Guigue / Sarabanda

    Der Anfang der Pfingstsonate ist wieder recht interessant: aus einem Stillstand kommt es zu den heftigsten Wirbelungen (circulatio-Figuren). Manchen Interpreten erinnert das auf das Rauschen der Pfingstwinde. "Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen." Es folgen drei wunderschöne Tanzsätze.

    Aufbau:
    1) Sonata: Orgelpunkt auf der Tonika D. Beim 14. Takt Taktartenwechsel vom ungeraden zum geraden; 19. Takt Orgelpunkt geht zur Dominante A; 22. Takt: Taktwechsel zum ungeraden; 36. Takt: Generalpause; 37. T. Anfangsthema einen Oktav höher angefangen (Orgelpunkt auf D); 44. Takt - Wechsel zum ungeraden Takt (Violine spielt hier eine Kette von Triolen); 46. Takt Bass geht zur Dominante, Orgelpunkt 9 Takte lang, Kadenz im 56. Takt.
    2) Gavott: 2teilig; A: Ton. - Ton.; B: Dom. - Ton.
    3) Guigue: 2teilig; A: Ton. - Dom.; B: Dom.- Ton.
    4) Sarabanda: 2teilig; A: Ton. - Terz; B: Dom. - Ton.


    14) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/7/74/Biber_C_103_The_Assumption.jpg
    Jesus, der dich, o Jungfrau in den Himmel aufgenommen hat ("Mariä Himmelfahrt")
    D-Dur, Skordatur: a-e'-a'-d"
    Präludium - Grave - Adagio / Aria / Aria / Guigue

    Nach einer langsamen Einleitung kommt ein heftig-ausgelassener Ostinato-Satz, der wirbelnd himmelaufwärts zu steigen - oder doch tanzen? - scheint. Das schließende Guigue, das schon den jubelnden Empfang im Himmel zu beschreiben scheint, endet höchst ungewöhnlich: die Violine verstummt abrupt und man hört nur den "alleingelassenen" Ostinatobass: Maria ist im Himmel zur unaussprächlichen Höhen gelangt, nur einige jubelnde Engelchöre kreisen dort, wo sie verschwand.
    Ganz ausgezeichnet wird die vierzehnte Sonate von Rüdiger Lotter gespielt.

    Aufbau:
    1) 1.1: (ohne Bezeichnung) Orgelpunkt auf der Tonika (D). Frei, ohne erkennbares Thema. 1.2. Grave: Es gibt ein Kopfmotiv, wir aber nicht wiederverwendet. Bass geht zur Dominante. 1.2. Adagio: Bass wird bewegt. Kein erkennbares Thema.
    2) 2.1. Aria: 8taktiges chaconneartiges Bassthema in langen Notenwerten. 13 Variationen durchgehend (also ohne Wiederholungen) - 2.2. 2 Variationen mit Pizzicato; Bass wird 4 Takte lang allein gelassen, Violine setzt mit der Aria an, es kommt noch eine Variation: 2 (pizz.) +2 (Aria) Variationen also: diese 4 werden zusammen wiederholt. Es kommen noch 4 Variationen ohne Wiederholung. (21 Variationen bisher); - 2.3. Guigue: 9 Variationen auf dasselbe Bassthema. Violine endet abrupt mit einer Umkehrung des Tonikaakkordes (f-a-d'), Bass geht 5 Takte lang allein weiter. (Insgesamt 30 Variationen)


    15) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/2/2e/Bi…Virgin_Mary.jpg
    Jesus, der dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat ("Krönung Mariä im Himmel")
    C-Dur, Skordatur: g-c'-g'-d"
    Sonata / Aria / Canzon / Sarabanda

    Dr. James Clements im Begleittext zur Beznosiuk-Einspielung: "Die würdige Abschlusssonate, Die Krönung der Jungfrau Maria
    benutzt wieder die Circulatio Figur, diesmal zur Darstellung der Krone. Eine Zeichnung am Ende des Manuskripts zeigt das Mariensymbol einer Krone in einem Halbmond, eine Symbolik, auf die Biber in seiner Widmung mit den Worten Lunae sine macula, der unbefleckte Mond, anspielt." (Das Ganze m original Englischen "http://www.bluntinstrument.org.uk/biber/PavloCD2004.htm" nachzulesen hier) Natürlich auch hier handelt es sich um eine Variationsreihe: "Selbst die Variationsfolge verzichtet auf einen Abschnitt mit ernstem Charakter. Das folgende Thema der Aria erfährt in der Canzona schließlich eine kontrapunktisch vertiefte Ausarbeitung." (Von der "http://www.winterandwinter.com/index.php?id=389" Winter&Winter-Seite)

    Aufbau:
    1) Sonata: zuerst frei; vom 7. T. setzt ein Thema auf der Violine zweistimmig enggeführt imitativ ein, im 8. T. kommt auch der Bass mit dem Thema.
    2) 2.1. Aria: 2teilig; A: Ton. - Dom.; B: Dom. - Ton. 2.2. Variation auf dasselbe Bassthema.
    3) Canzon: Das Thema der Aria wird verarbeitet: unverendert kommt die melodie vor im: 1. T. - Violine; 2. T. - Bass;
    3. T. - Violine; 6. T. - Bass, 8. T. - Bass; 13. T. - Vne; 17. T. - Bass, 18. T. - Vne; 21-22. T. - Bass; 25-26. T. - Vne;
    27-28. T. - Bass; 31. T. - Vne; 38-39. T. (Kadenz) - Vne.
    4) 4.1. Sarabanda: 2teilig; A: Ton. - Dom.; B: Dom. - Ton. - 4.2. Eine Variation auf dasselbe Bassthema.


    Die sechzehnte Sonate ist kein Teil der glorreichen Mysterien, sondern ein selbständiger Abschluss des gesamten Zyklus.

    16) [Blockierte Grafik: http://imslp.org/images/4/4e/Bi…rdian_Angel.jpg
    "Der Schutzengel"
    g-moll, ohne Skordatur: g-d'-a'-e"
    Passagalia

    Inwieweit sie zum Zyklus gehört, und wie der Schutzengel mit dem Rosenkranzgebet gekuppelt werden kann - darüber kann man viel Verschiedenes lesen. Der eine meint, die Rosenkranzbruderschaft in Salzburg habe am 2. Oktober ihre Situngen gehabt haben, oder der Tag, den Anfang des Rosenkranzmonates markiere; ein anderer wiederum, dass Biber damit auf die Fresken (Abbildungen der Mysterien des Rosenkranzes: die selben, die man auf den Kupferstichen sieht) der Aula Academica in Salzburg - der mögliche Versammlungsplatz der Rosenkranzbruderschaft - abspielt, weil die Person des Erzengel Gabriels wie ein roter Faden die Tröstung Marias durchzöge; oder der Schutzengel erscheine, weil beide - Maria und er - als Fürbitter angesehen würden; es gibt also zahlreiche Lösungsversuche, einige vielleich glaubhafter, andere wiederum weniger überzeugend.
    Die Sonate ist für Violine allein (also ohne Basso continuo) geschrieben (damit hebt sie von den anderen Sonaten deutlich ab), und basiert auf die absteigende Quarte von der Dominante zur Tonika. Sie erreichte schon damals eine hohe Bekanntheitsggrad, es gibt z.B. eine Transkription für Laute.

    Aufbau:
    in 6/8. 2taktiges Bassthema; einmal vorgestellt kommen noch 64 Variationen. Vom Takt 46 wechselt zu Adagio, in der 2ten Hälfte des 49. Taktes zu Allegro. Im 58 Takt kommt das Bassthema einen Oktav höher, vom 73. Takt kommen Variationen unter dem Thema (einsetzend mit dem Thema selbt einen Takt verschoben); im 86. T. kommt das Thema wieder in Originallage.


    Eine Interessante Einführung in die Problematik der Sonaten bietet auch "http://www.bluntinstrument.org.uk/biber/penetrating.htm" die Seite von Dr. James Clements. (Die neuesten Tatsachen, also die Entdeckung der Quelle der Kupferstichen sind da noch nicht berücksichtigt, so nimmt er ein deutlich früheres Entstehungsdatum an.)

    Damit schließ ich. Ich hoffe einige interessante Informationen doch geboten haben zu können. :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

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