OFFENBACH: Les contes d'Hoffmann – Märchenhafte Episoden oder postmodernes Drama?

  • Danke, Rideamus, für diese hervorragende Beschreibung und Analyse. Ich fand die Salzburger Aufführung auch grandios und bedauere sehr, dass sie nicht auf DVD greifbar ist. Neil Shicoff hat den Hoffmann irgendwie zu "seiner" Rolle gemacht. Bei aller Düsternis kam aber zum Glück im Olympia-Akt auch die Komik nicht zu kurz. Allein wie Shicoff da, die groteske "Zauberbrille" auf der Nase, mit verzückt-debilem Dauergrinsen der Puppe hinterhergafft - umwerfend!

  • Allein wie Shicoff da, die groteske "Zauberbrille" auf der Nase, mit verzückt-debilem Dauergrinsen der Puppe hinterhergafft - umwerfend!

    Zu diesem debilen Eindruck gibt es noch mehr zu sagen. Hier also meine Beschreibung dieser DVD aus Paris, die rund ein Jahr vor der Salzburger Aufführung aufgenommen wurde, und zwar ebenfalls mit Neil Shicoff:

    Die Quellenlage war damals im wesentlichen dieselbe. Der Dirigent Jesús Lopez Cobos und der Regisseur Robert Carsen stützen sich auf eine, damals üblich werdende, fünfaktige Mischung aus der traditionellen Choudens-Version und Ergänzungen durch Fritz Oeser (Prolog und Epilog der Muse; Abrundung des Giulietta-Aktes und Überleitung zum „neuen“ Epilog), der wiederum auf Felsensteins Fassung zurückgegriffen haben dürfte. Allerdings setzen sie Oesers Ergänzungen sparsamer ein, als man es ein Jahr später in Salzburg tat. Auch mochte man sich wohl nicht von manchen Hinzufügungen der Choudens-Fassung trennen. So werden auch hier die von Ernest Guiraud nachkomponierten Rezitative gesungen, bleibt das Scintille diamant und (zum Glück) auch das schöne Septett des Venedig-Aktes erhalten.

    Das ist sicher legitim, schon weil auch hier gilt, dass gerade bei dieser Oper erlaubt sein muss, was funktioniert. Es macht aber aus der schaurigen Opéra comique, die Offenbach beabsichtigte, eine große Horroroper, was u. a. die Dienerfiguren deplatziert erscheinen lässt (Michel Sénechal wirkt, mit Ausnahme des sehr passenden Auftritt auf der Bühne des Antonia-Aktes - bei aller Kompetenz entsprechend orientierungslos). Vor allem aber reduziert es die Fallhöhe des Geschehens und lässt das Werk einseitiger erscheinen, als es tatsächlich ist. Zum Glück hält das Stück das aus. Diese Anmerkung gilt natürlich für alle Rezitativ-Versionen der Oper, die sich vorwiegend auf Hoffmanns Absturz konzentrieren, also erst recht für die Salzburger.

    Unterstützt von dem Dirigenten, der eher zügige Tempi anschlägt, insgesamt aber flexibel genug ist um die Dinge nie aus dem Ruder laufen zu lassen, beginnt Carsen gleich mit dem bereits betrunkenen Hoffmann, der dennoch imstande zu sein scheint, seine Geschichten zu schreiben, und relativ konventionell mit dem Auftritt der Muse. Die allerdings erscheint nicht aus einem Fass, wie sie sagt, sondern mit Harfe im Bühnenhintergrund. Susanne Mentzer ist seine sehr beeindruckende, aber nicht überragende Muse. Sie singt gut, agiert aber nicht in der selben Liga wie ein Jahr später Angelika Kirchschlager, der allerdings auch viel mehr Spielmaterial gegeben wurde. Ihr Bühnenauftritt ist insofern logisch, als das ganze Stück verschiedenen Räumen eines Opernhauses spielt, als habe das Stück den Regisseur an DAS PHANTOM DER OPER erinnert, das Gaston Leroux rund 40 Jahre später erdachte, mit Sicherheit im Wissen um die Brandkatastrophen bei diesem Werk an der Opéra Comique und in Wien, welche den Ruf des Werkes als Unglücksoper begründeten. Auch das ist legitim, wenn es Sinn macht, was es hier allerdings nicht immer tut. Dazu später mehr.

    Im Vorspiel allerdings funktioniert es prächtig, denn Carsen fährt da eine lange Bar auf, die man ungewöhnlicherweise von hinten sieht. Deren eindrucksvolle Länge gibt eine hervorragende Spielfläche für die Beteiligten ab, denn hier vertreiben sich die gerade nicht im laufenden DON GIOVANNI aktiven Ensemblemitglieder mit Suff und Sang die Zeit. Vor allem aber profitiert Neil Shicoff als Hoffmann von dieser hervorgehobenen Auslauffläche. Er kam nach einem Jahrzehnt privater Krisen und Erkrankungen in den USA wieder nach Europa kam und konnte, unter anderem mit dieser Vorstellungsserie, an seine alten Erfolge anknüpfen konnte und den Hoffmann endgültig zu seiner Paraderolle machen. Das so sehr, dass er in jenem Zeitraum in einer Fülle von Inszenierungen immer anderer Versionen auftrat, so dass man allein schon seine Gedächtnisleistung bewundern muss, mit der er sich immer neuen Abläufen im Detail anpasste. Noch merkt man ihm gelegentlich das Bedürfnis an, den Startenor hervor zu kehren, wenn er immer wieder mal Töne zu lange hält, aber sein rückhaltloses Eintauchen in die Rolle und seine stimmliche Bewältigung von deren hohem Anspruch ist wirklich phänomenal, selbst wenn er hohe Töne gegen Ende zunehmend stemmen muss. Hübsch der Einfall, die Geschichte von Klein Zaches unter Einbeziehung des Schuhtanzes aus Chaplins GOLDRAUSCH zu erzählen. Ich glaube auch, dass Shicoff – mindestens für diese Lesart des HOFFMANN als große tragische Oper - die ideale Besetzung ist (war?), aber es gibt Alternativen, die der Vielfalt des Werkes eher gerecht werden (ich denke an Leute wie Gedda, Araiza und Villazon, die ich in dieser Rolle allerdings - bezeichnenderweise? - alle nur vom Hören kenne).

    Das Vorspiel bringt uns auch die ersten Eindrücke eines der großartigsten Böseqichte der CONTES, die ich in Bild und Ton kenne, nämlich Bryn Terfel. Mag sein, dass er die vier Schurken im Laufe der Oper zu wenig variiert, aber andererseits sind sie ja tatsächlich nur verschiedene Inkarnationen desselben Bösen, wie der grandios inszenierte und gefilmte, intensive Dialog zwischen ihm und Hoffmann im Prolog ausdrücklich feststellt. Terfel ist für mich einer der ganz großen neueren Vertreter dieser Rolle, neben van Dam und Raimondi, dem schwärzesten dieser eindrucksvollen Bässe, die ihre Schurken sehr verschieden, aber alle gleich überzeugend anlegen, verkörpern und natürlich auch singen.

    Leider relativiert sich dieser gute Eindruck des Beginns ein wenig im Olympia-Akt. Carsen siedelt ihn auf der Opernbühne selbst an, wo man anscheinend gerade eine CARMEN gibt, obwohl immer wieder Klavierauszüge des DON GIOVANNI gezeigt werden. Schon das ist wenig überzeugend, aber immerhin akzeptabel, denn zu realistisch sollte man Hoffmanns Erzählungen wirklich nicht auffassen. Das eigentliche Problem aber ist die Puppe selbst, Das ist nur bedingt die Schuld Desirée Rancatores als Olympia, die ihre Puppe sehr markant gibt, stimmlich zwar noch mehr überfordert ist als Lubica Vargicova in Salzburg, aber damit immerhin im noch akzeptablen Rahmen bleibt. Die Hauptschuld liegt aber eindeutig an der Regie. Zwar ist das Problem, dass Hoffmann als Einziger - auch ohne die Brille des Coppelius - nicht erkennt, dass Olympia eine Puppe ist, schon im Libretto angelegt, aber wer die Olympia zu Beginn des Aktes so offensichtlich als unfertige Puppe auslegt und sie trotzdem von Hoffmann anschmachten lässt, reduziert ihn vom verblendeten Jüngling zum Grenzdebilen, als den ihn Shicoff zwangsläufig geben muss, was er auch in Salzburg tut, obwohl dort die Inszenierung das nicht nötig macht. Wenn darüber hinaus Spalanzani Olympia repariert, indem er unter ihre Röcke taucht oder die durchdrehende Puppe Hoffmann buchstäblich vergewaltigt, dann ist das zwar für ein paar Lacher im Publikum gut, macht aus dem Akt aber nicht nur das, wohl auch von Offenbach beabsichtigte, „heitere" Zwischenspiel, sondern schleudert ihn für einen flüchtigen Effekt ganz aus dem Kontext der tragischen Oper heraus.

    Überhaupt finde ich es problematisch, wenn die Puppe von Anfang an als solche dargestellt wird. Natürlich lässt es sich kaum eine Sängerin, die ja hier außer einer brillanten Arie und ein paar spitzen „Oui„-Schreien nichts zu singen hat, wenn sie nicht auch die anderen Partien übernimmt, nehmen, eine starke Puppe wenigstens zu spielen, aber für die Überzeugungskraft des Textes und gar der Glaubwürdigkeit des Titelhelden ist es kontraproduktiv. Bezeichnenderweise ist mir das noch nie so deutlich geworden, wie in dieser Inszenierung. Es würde mich daher wirklich mal interessieren, ob die Wirkung nicht stärker ist, wenn man die Puppe erst später (etwa beim Versagen ihres Uhrwerkes) als solche erkennen könnte. Soweit ich erinnere, ist dies eigentlich nur bei Natalie Dessays optimaler Interpretation in Louis Erlos ansonsten arg missratener Lyoner Inszenierung der Fall und funktioniert hervorragend – leider in einem buchstäblich irren Kontext. Bei Carsen aber ist dieser Akt ein sehr zwiespältiger, was eigentlich schade ist, denn ansonsten steht er auf einem sehr hohen Niveau, nicht zuletzt wegen der Leistungen Terfels und Christian Jeans als Spalanzani.

    Der Antonia-Akt spielt im Orchestergraben des Opernhauses, was zunächst irritiert, aber im Verlauf des Akters nicht nur ein paar originelle Bilder abgibt. Die Antonia ist hier Ruth Ann Swenson. Sie singt ihren Part auf Spitzenniveau, lässt aber die Beseeltheit einer Ileana Cotrubas vermissen und wirkt, ganz im Gegensatz zu der fast übertrieben schwindsüchtig wirkenden Krassimira Stoyanova in Salzburg, zu gesund um die Story des Aktes glaubwürdig aus dem Orchestergraben zu hieven. Hier singt eine stimmstarke Operndiva, sie sich bemüht, auch ihre schauspielerischen Aufgaben zu absolvieren, aber keine Antonia.

    Dagegen ist Michel Sénechals Couplet als frustrierter Sänger und Tänzer vor dem Vorhang ein Kabinettstück, das wirklich als heiteres Zwischenspiel funktioniert und fast die Ansiedlung des Geschehens im Opernhaus rechtfertigt, vielleicht sogar ausgelöst hat. Auch der sehr gelungene Dialog Hoffmanns mit der – hier besonders guten – Susanne Mentzer versöhnt mit der Ansiedlung im Orchestergraben, der überhaupt sehr intelligent genutzt wird und schließlich sogar als Schauplatz überzeugt, wenn am Schluss auch das - von Mirakel zu dirigierende - Orchester auftaucht. Mit dem Auftritt von Alain Vernhes als Crespel und Terfels als Dr. Mirakel erlangt der Akt dann endgültig ein sehr hohes Niveau, das bis zum Schluss durchgehalten wird, trotz der stark geforderten Nora Gubisch als die Erscheinung der Mutter. Das Publikum war zu Recht begeistert.

    Der nächste Akt beginnt dann mit dem eindrucksvollen Bild der leeren Reihen des Parketts der Oper, die wie Wellen schunkeln. Niklaus und (die sehr gute, wenn auch leicht schrille, was für ihren Sexappeal, der aggressiver, aber auch vordergründiger ist der Waltraud Meiers, nicht unpassend ist) Béatrice Uria-Monzon als Giulietta singen die berühmte Barcarole, während sich der Zuschauerraum langsam füllt und sogleich für eine Orgie genutzt wird. Nachdem man sich inzwischen von der Vorstellung einer all zu großen Sinnhaftigkeit des Schauplatzes verabschiedet hat, wirkt das zumindest als Bild eindrucksvoll. Bedauerlich, dass Dappertutto dann doch das „Scintille Diamant“ an Stelle des viel besseren Originals „Tourne, tourne miroir“ zu singen bekommt, das sich nicht nur auf die Bestechung Giuliettas, sondern viel sinnvoller auf das zu gewinnende Spiegelbild Hoffmanns bezieht, zumal Terfel da nur Schöngesang und nichts Bedrohliches liefert.

    Das Septett (eigentlich Sextett plus Chor) dagegen, das Carsen nutzt um Dappertutto die Waffen verteilen zu lassen, mit denen der nach dem Verlust seines Spiegelbildes nunmehr seelenlose Hoffmann zum tödlichen Duellanten wird, ist ihm so brillant gelungen, dass es sich wirklich als unverzichtbares Ensemblestück dieses Aktes behauptet. Man kann, wenn man das hört, nur hoffen, dass Offenbach, hätte er je eine Aufführung des gesamten Stückes erlebt, selbst realisiert hätte, dass dergleichen in seiner Partitur noch fehlte. Aber das Ensemble ist nicht nur ein Glanzstück für das Ohr, denn Carsen, bei dem die Solisten für den anwesenden Chor der Freudenmädchen und –jünger singen, gelingt das seltene Kunststück, expliziten Rampengesang sinnvoll, ja zwingend erscheinen zu lassen. Der Schluss des Aktes mit dem Degenduell, bei dem Schlehmil umkommt, ist dann wieder das in der Choudens-Edition vorgesehene Melodram, wobei es ein sinnvoller Einfall ist, dass Giulietta danach nicht, wie angekündigt, mit einer Gondel entschwindet, sondern die Bühne und damit Hoffmanns Drama verlässt um sich den Rest als Zuschauerin im Publikum anzusehen.

    Der letzte Akt beginnt mit einer Fantasie der drei Frauen, die Hoffmann im beginnenden Delirium hat und endet weitgehend konventionell, wobei es etwas fragwürdig, nach den vorangegangenen Erfahrungen für Carsen aber schon wieder bezeichnend ist, dass sich Stella gleich Lindorf an den Hals wirft, sobald sie von Hoffmann nicht mehr erkannt wird. Der – erfreulich kurze – Epilog beschränkt sich auf die wunderschöne Melodie von Des cendres de ton coeur réchauffent ton génie, mit der die Muse den gescheiterten Menschen Hoffmann als Literaten wieder auferstehen lässt und dem Stück doch noch das Happy End gibt, das Offenbach und Barbier wohl von Anfang an beabsichtigt hatten.

    Ich habe die Inszenierung absichtlich etws ausführlicher beschrieben, weil sie anscheinend nicht sehr bekannt und auf DVD leider auch ziemlich teuer ist. Trotzdem: wegen ihrer Vollständigkeit und den vielen gelungenen Passagen ist dies sicher eine der erstrebenswerteren Versionen der Oper im reichhaltigen DVD-Angebot, aber es gibt bessere, die zum Teil leider nicht kommerziell angeboten werden. Die Salzburger gehört für mich trotz der relativ korrumpierten, aber wirkungsvollen Fassung dazu. Aber vielleicht komme ich - oder kommt Ihr ja später noch zu weiteren Vergleichen.

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  • LES CONTES D'HOFFMANN in Bild und Ton III

    Ich bleibe bei Neil Shicoffs Hoffmann, gehe aber ein paar Jahre zurück zu seiner Darbietung an der MET von 1988. Über die Inszenierung brauche ich nicht viele Worte zu verlieren, denn die Nennung des Regisseurs Otto Schenk genügt meistens schon. Auch hier hat er eine ordentliche, in dem Olympia-Akt wie fast üblich die Grenzen des Albernen überschreitende und sehr traditionelle Inszenierung mit Burschenschaftsstudenten etc. abgeliefert, und man kann ihm zugestehen, dass er sein Libretto sorgfältig gelesen hat. So passiert es ihm nicht, dass Hoffmann von der Puppe schwärmt, obwohl er sie ohne Brille gesehen hat. Ich gestehe, dass eine solch sorgfältige, wenn auch wenig inspirierte Lesart nach unzähligen Versuchen des sogenannten Regietheaters ganz wohl tut. Zu einer näheren Beschäftigung oder gar detaillierten Kommentaren gibt sie aber kaum Anlass.

    Der große Wermutstropfen, der aber bei der Produktionszeit nicht unverständlich ist, kommt in der Gestalt der traditionellen Choudens - Version, die, vielleicht ein Tribut an Oeser, um eine merkwürdige Schlussszene ergänzt wurde, die bereits die Glorifizierung Hoffmanns durch die Muse darstellt, aber andere Musik aus der Oper heranzieht . Das überrascht insofern, als die Inszenierung bereits aus dem Jahr 1982 stammt, Oesers Fassung aber erst 1977 veröffentlicht wurde und Keck oder gar Kaye meines Wissens damals noch gar nicht mit ihren eigenen Funden und Editionen an die Öffentlichkeit getreten waren. Zudem wählte Schenk die Abfolge Olympia, Giulietta, Antonia, was ich angesichts des Verlustes von Hoffmanns Spiegelbild mit nunmehr mittleren Akt, der Hoffmann immerhin die Seele raubte und mindestens Antonia hätte auffallen müssen, doch recht unsinnig und auch aus musikalischen Gründen völlig unnötig finde, denn das auch hier gloriose Septett wäre ebenfalls ein passender Höhepunkt vor dem Übergang zum Epilog gewesen.

    Wenn man diese Wermutstropfen akzeptieren kann, was mir mit meinem heutigen Wissen, zugegeben, schwer fällt, kann man aber eine großartige Interpretation der Oper erleben, und das ist hauptsächlich das Verdienst von drei Männern. Da ist einmal die superbe Galerie sehr verschiedener Schurken in der Darstellung und noch mehr dem Gesang von James Morris, den ich unbedingt Raimondi, van Dam und Terfel als idealen Sängerdarsteller dieser Rollen an die Seite stellen muss. Dann Shicoff selbst, der hier weniger tragisch umwölkt, dafür aber wesentlich jugendlicher wirkt und bei hörbar frischerer Stimme ist. Trotz des Verlustes seiner reiferen Darstellung in den anderen Inszenierungen würde ich dazu neigen, diese Interpretation als Shicoffs beste zu werten. Das gilt zumindest für DVDs und TV-Mitschnitten, denn diese Aufzeichnung wurde m. W. leider nie kommerziell angeboten. Der dritte und wichtigste Grund für den exzeptionellen Rang dieses Mitschnitts ist der Dirigent Charles Dutoit, der hier eine der musikalisch besten Aufnahmen der CONTES in der überkommenen Gestalt verantwortet, die ich kenne. Zu schade, dass er keine vollständigere Version und originellere Inszenierung leitet, denn er hätte fraglos ein Bestandteil einer optimalen Interpretation sein können. Auch er neigt zu flotten Tempi, was dieser Oper gut tut, hetzt aber nirgendwo und trägt seine Sänger sehr sicher durch die vielen rhythmischen Wechsel dieses Werkes.

    Die Damen haben es angesichts der Stärke der männlichen Platzhirsche etwas schwer, ihre sonst in dieser Oper übliche Dominanz auszuspielen, aber sie halten mit leichten Einschränkungen durchweg das sehr hohe Niveau, das Dutoit anschlägt. Gwendolyn Bradley singt und spielt ihre Olympia so vorzüglich, dass ich mich wundere, dass sie nie die große Karriere einer Reri Grist geschafft hat, obwohl sie doch an vielen renommierten Opernhäusern, darunter auch Berlin, gesungen hat. Ich weiß nicht, warum sie dann doch bald von der Bildfläche verschwand. Wer ihre Olympia hören und sehen möchte, hat hier Gelegenheit dazu: "

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    Ihr absolut ebenbürtig ist Roberta Peters als Antonia, die allerdings – trotz eines starken Vibratos am Schluss - eher als Sängerin denn als Darstellerin punktet, wobei man zugestehen muss, dass die Antonia für eine singende Darstellerin auch vergleichsweise die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Die hätte Tatjana Troyanos, die als einziges Ensemblemitglied schon bei der Premiere der Inszenierung sechs Jahre früher dabei war, weit bessere Möglichkeiten gehabt. Sie aber spielt dermaßen statuös, als wäre sie gerade der Inszenierung der TROYENS entsprungen, wo sie als Cassandra ein Jahr nach der Premiere dieser Inszenierung darstellerisch ebenso steif war. Sie anzuhören schafft allerdings erheblich mehr Befriedigung, wobei man anzweifeln darf, ob eine so satte Mezzostimme wirklich die ideale Ergänzung zweier hoher Sopranistinnen ist, die ja alle dieselbe Person darstellen sollen und ursprünglich auch mit einer Sängerin besetzt wurden.

    Susan Quittmeyer hat in dieser Fassung nur relativ begrenzte Chancen, als Nicklausse hervorzustechen, was schade ist, denn sie macht einen guten Eindruck.

    Eine kleine Abschweifung: was die Besetzung aller drei Rollen mit einer einzigen Sängerin allerdings für die Rolle der Olympia bedeuten kann, lässt sich bei diesem Clip aus der mit Recht hoch gelobten, Lausanner Inszenierung von Pelly und Minkowski erkennen, in dem Mireille Delunsch doch ziemlich in Schleudern kommt, obwohl sie ihre Partie schon etwas nach unten transponiert hat. Dennoch ist das ein interessanter Ausschnitt schon deshalb, weil er zu belegen scheint, dass diese Inszenierung doch mitgeschnitten und irgendwo gesendet wurde. Es besteht also Grund zur Hoffnung, dass die komplette Aufzeichnung doch irgendwann irgendwo auftaucht. Der Clip findet sich hier: "

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    Zusammengefasst: man muss diese Inszenierung nicht unbedingt wegen ihrer Optik kennen, auch wenn es schade um die Darstellung mindestens von Shicoff und Morris ist. Da ist es dann auch nur ein bedingter Verlust, dass die (für mich bislang) erreichbaren Mitschnitte auch von ziemlich mäßiger und buchstäblich farbloser Qualität sind. Musikalisch aber gehört diese Aufnahme trotz ihres traditionellen Gesamtklanges und ungeachtet der kompetent, aber weniger brillant besetzten, kleineren Rollen, zu den Spitzeninterpretationen der Choudens-Fassung. Als solche kann sie sich durchaus mit der einen oder anderen noch prominenter besetzten Studio-Alternative auf cd messen. Wer also die Gelegenheit hat, wenigstens den Soundtrack oder gar eine Kopie der Aufzeichnung zu erhaschen, sollte sie nutzen.

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    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Vielen Dank, Rideamus, für deine tollen Berichte über diverse Hoffmann-Aufführungen. Besonders interessiert mich natürlich die carsen-Inszenierung, die ich insgesamt für sehr gelungen halte. Auch der Olympia-Akt passt für mich sehr in sein Theater auf dem Theater - Konzept, da er hier das Groteske geschickt mit dem Komischen und Tragischen verbindet. Allein schon in Offenbachs Musik ist das ja sehr deutlich zu hören.
    Bei Shicoff schätze ich sehr, dass er den Hoffmann nicht nur schön singt, sondern im Gegenteil sogar sehr hässlich, aber technisch dennoch gut. Und Bryn Terfel ist schlicht und ergreifend eine Wucht.

  • RE: LES CONTES D'HOFFMANN in Bild und Ton III


    Eine kleine Abschweifung: was die Besetzung aller drei Rollen mit einer einzigen Sängerin allerdings für die Rolle der Olympia bedeuten kann, lässt sich bei diesem Clip aus der mit Recht hoch gelobten, Lausanner Inszenierung von Pelly und Minkowski erkennen, in dem Mireille Delunsch doch ziemlich in Schleudern kommt, obwohl sie ihre Partie schon etwas nach unten transponiert hat.

    Ich meine, irgendwo gelesen zu haben, bei Kaye-Keck sei die Olympia-Arie in Übereinstimmung mit Offenbach grundsätzlich einen Ganzton (?) tiefer als bei Choudens. Am Theater an der Wien wird nächste Saison die in Graz als Violetta gefeierte Marlis Petersen die Quadrupelrolle der Geliebten Hoffmanns übernehmen, ich bin schon sehr gespannt auf ihre Darbietung.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ick kann mir sehr gut vorstellen, dass Offenbach die Partie der Olympia tiefer notiert hatte als in der Praxis der Choudens-Edition, die es Koloratursopranen erlaubte, die Partie als Paradestück für sich zu erobern, was ja nicht schlimm wäre, wenn es nicht fast alleiniger Usus geworden wäre.

    Am 31. Oktober wird übrigens auch Diana Damrau alle vier Partien in München singen, die für mich derzeit eine Idealbesetzung wäre, und dabei soll die Kaye-Version (oder doch die jüngste von Kaye-Keck?) zum Einsatz kommen. Die Schurken gibt der hervorragende MEPHISTO in Berlioz' FAUST der MET, und ihr Hoffmann soll Rolando Villazon sein, und wenn der wieder die Partie meistern kann, wäre das natürlich toll. Bleibt die Frage, wie der Dirigent Constantinos Carydis und der Regisseur Richard Jones, der die Inszenierung auch für eine anschließende Aufführungsserie an der Londoner ENO erstellt, mit der Partitur umgehen.

    Für Jones sprechen immerhin gute Prodsuktionen von HÄNSEL UND GRETEL und der Glyndeboruner FALSTAFF soie (dem Hörensagen nach) der Münchener LOHENGRIN, den ich nur akustisch kenne.

    Man darf also sehr gespannt sein.

    Ich pendle im Moment zwischen Berlioz' NUITS D'ÉTÉ und weiteren HOFFMANNs mit Neil Shicoff, werde mir als Nächstes aber wohl die Inszenierung Luca Ronconis vom Florentiner Maggio Musicale 1980 vornehmen, wo Antonio de Almeida erstmals die Rekonstruktion von Fritz Oeser auf die Bühne gebracht hat.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung


  • Am 31. Oktober wird übrigens auch Diana Damrau alle vier Partien in München singen, die für mich derzeit eine Idealbesetzung wäre, und dabei soll die Kaye-Version (oder doch die jüngste von Kaye-Keck?) zum Einsatz kommen.

    2009 hat in Nizza Annick Massis alle vier Geliebten gesungen und dabei, wie noch in Pressemeldungen nachzulesen, für Furore gesorgt, was ich mir in Kenntnis ihres Gesangs auch gut vorstellen kann. Ich weiß aber nicht, welche Fassung zum Einsatz gelangt ist. Ich frage mich nur ernsthaft, wann denn endlich einmal eine Konserve der Kaye-Keck-Version auf den Markt kommt, und sei es ein Live-Mitschnitt (aber bitte von einer guten Produktion).

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • LES CONTES D'HOFFMANN in Bild und Ton IV

    Man kann sogar (aus dem Publikum abgefilmte) Ausschnitte der Produktion in Nizza mit Annick Massis auf YouTube sehen, z. B. die Arie der Olympia hier: "

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    ". Ich meine, mich zu erinnern, dass da die Kaye-Fassung aufgeführt wurde, bin aber nicht sicher.

    Nun aber erst einmal zu einem besonderen Juwel, das leider nur noch in einer technisch sehr mangelhaften Videoaufzeichnung erhalten zu sein scheint. Wir springen dazu weitere fünf Jahre zurück in das Jahr 1983, in dem Antonio de Almeida, meines Wissens zum ersten Mal, die Rekonstruktion der Oper von Fritz Oeser auf die Bühne brachte. Diese Rekonstruktion war enorm verdienstvoll insofern, als sie erstmals das gesamte Libretto Barbiers berücksichtigte und komplett musikalisch unterlegte. Wenn er sich dafür auch sehr großzügig bei anderen Werken Offenbachs bediente, kam er damit den Absichten Offenbachs wohl erheblich näher als die bis dato übliche, verstümmelte Choudens-Fassung. Ich bitte deshalb schon jetzt um Nachsicht dafür, dass ich diesmal besonders ausführlich auf die Details eingehe, obwohl die Wenigsten die Chance haben dürften, diese Version selbst zu genießen. Oesers Ergänzungen betrafen vor allem den Prolog, den Giulietta-Akt und den Epilog der Muse, die damit erstmals seit Felsensteins revolutionärer Rekonstruktion des Librettotextes die ihr zugedachte, große Rolle bekam und die Existenz des Nicklausse in ein völlig neues Licht stellte. Aber auch andere Passagen wurden von Oeser ergänzt, und zwar, in Ermangelung der späteren bedeutenden Funde Kecks und Kayes, mit Musiken aus Offenbachs damals nur noch dem Namen nach bekannter Oper LES FÉES DU RHIN (schon erstaunlich, was in den letzten 2-3 Jahrzehnten alles wieder entdeckt oder wieder erweckt wurde).

    Das war zum damaligen Zeitpunkt sehr verdienstvoll, und mir ist schleierhaft, wie man danach noch die verstümmelte Choudens-Fassung auf die Bühne bringen konnte. Offensichtlich wollten aber viele Theater Lizenzgebühren oder ihren Stars das Lernen einer ergänzten Version ersparen. Um so verdienstvoller, dass die Stars dieser Aufführung sich dieser Mühe unterzogen. Unter ihnen muss an vorderster Stelle wieder Neil Shicoff genannt werden, dessen Leistung, innerhalb von einer Dekade so viele verschiedene Fassungen zu singen, allein schon wegen seines Gedächtnisses bewundert werden muss.Der Nachteil dieser Fassung, die, der mit Offenbach-Partituren sehr gut geübte, wenn auch etwas unstete, Antonio de Almeida vollkommen ungekürzt aufführte, ist eine Gesamtlänge von knapp über drei Stunden, was die meisten Bühnen zwar für eine Wagner-Oper locker in Kauf nehmen, bei dem vermeintlich rein unterhaltenden und mit weniger Kunstanspruch behafteten Offenbach aber strikt ablehnten. Folglich bürgerte sich danach die fragwürdige Praxis ein, die Choudens - Fassung mit ihren gesungenen Rezitativen zu nehmen und mit Bruchstücken von Oesers Prolog und Epilog anzureichern, die traditionelle Version aber eher unkritisch zu übernehmen oder jeweils eine ganz eigene Fassung zusammenzumixen, was der Bärenreiter angeschlossene Musikverlag Oesers ausdrücklich erlaubte, wenn nicht ermutigte. Damit war zwar immerhin eine bessere Fassung als die traditionelle gewährleistet. Diese Praxis blockierte jedoch bis in die jüngste Gegenwart (zuletzt die in KInos übertragene Aufführung der MET) den oft kostspieligeren Einsatz der authentischeren Fassungen von Christophe Keck oder Michael Kaye, die sich auf Funde von Teilen der lange verloren geglaubten, originalen Partitur Offenbachs mit seinen Korrekturen stützen konnten. Es würde bei einer Aufführungsbesprechung zu weit führen, alle Ergänzungen Oesers aufzulisten. Man kann sie aber in dieser sehr guten und keineswegs überholten und inzwischen relativ preisgünstigen cd-Box anhören, deren aktuelle Ausstattung ich allerdings nicht kenne, da ich noch die alte Edition auf Musikkassette habe. Vielleicht kann das jemand ergänzen.


    Nun also zu dieser Aufführung selbst, die es leider nur im Netz auf einem, technisch sehr flauen, Videomitschnitt gibt. Der Regisseur Luca Ronconi siedelt den Prolog auf einer seltsam neutralen Spielebene mit einer halbkreisförmigen Spielfläche an, über der sich eine zweite Bühne erstreckt. (s. ["

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    "). Das ist nicht reizlos, aber etwas unsinnig, weniger, wenn die Muse und die Geister des Weines zu Beginn aus Weinfässern heraus bzw. in einer Kutsche heran rollen, als danach in Lutters Weinkeller, der nur durch die vage studentischen Kostüme des Chores (Kostüme: Karl Lagerfeld !) dargestellt wird. Auch der Auftritt von Sesto Bruscantinis Lindorf findet im vagen Nirgendwo statt, was irgendwie seiner stimmlich ordentlichen, aber etwas routinierten Leistung entspricht. Bemerkenswert ist der Vergleich der Leistung Neil Shicoffs mit der in Paris geschlagene zwanzig Jahre später.

    Mein Befund ist der zu erwartende: rein akustisch ist er ein Genuss. Der große Gewinn seiner weit jugendlicheren und frischen Stimme wird aber durch ein gewisses Defizitin der Darstellung sowie seiner französischen Aussprache, die er später merklich besser meisterte, leicht getrübt. Allerdings geht das vielleicht auch auf eine deutliche Unterforderung durch Ronconi zurück, der die Details des Spielsgerne der Initiative seiner Sänger überlässt und sich mehr für das Visuelle des Bühnenbildes und den allgemeinen Bewegungsabläufen darin interessiert. Brillant löst er allerdings den ersten Auftritt der Olympia während der Übergangsmusik zum zeiten Akt, denn sie tritt schon zum Schluss des ersten auf und hat kaum etwas Puppenhaftes, so das die Zuhörer und Zuschauer endlich einmal an Hoffmanns optische Täuschung glauben können. Überhaupt gefällt auch im weiteren Verlauf der Oper, dass Ronconi das Libretto offensichtlich sehr sorgfältig gelesen hat und häufiger als die meisten Regisseure auf die Details des Textes Bezug nimmt. Die Muse und der Nicklausse werden von Elena Zilio verkörpert, die einen sehr guten Eindruck hinterlässt, aber nicht an die Leistung Angelika Kirchschlagers in Salzburg heran reicht.

    Der Olympia-Akt sieht dann schon etwas konventioneller aus. Man sieht Olympia (köstlich, überzeugend und zum Glück nicht übertrieben puppenhaft: Arleen Auger mit zudem tadelloser Intonation ihrer Bravourarie) zwar schon fast von Beginn an in einem Glaskasten, aber sie sieht aus wie eine (etwas unbeweglich) Schlafende, was die Glaubwürdigkeit von Hoffmanns Verliebtheit zumindest nicht unterminiert. Coppelius’ Auftritt führt kurz danach zu einem ausgedehnten Terzett zwischen ihm, Hoffmann und Nicklaus, dessen Verlust in allen anderen Aufführungen sehr zu bedauern ist. Ich weiß im Augenblick nicht, wo Oeser es herbezogen hat, aber es ist, ebenso wie die meist gestrichene Ariette des Nicklausse, ein klarer Gewinn für das Personal dieses Aktes, der sonst immer zu sehr von der Bravourarie der Olympia dominiert wird.

    Die Darbietung von Olympias Bravourarie in einer Art Vogliere, die erstmals den Text der Arie, die ja mit den Worten „Die Vögel in den Lauben“ beginnt, und nicht etwa den unsinnigen deutschen Standard „Phoebus selbst im Sonnenwagen“, aufgreift, ist vorbildlich. Arleen Auger schafft es, natürlich mit dessen Unterstützung, die konventionelle Regie Ronconis überzeugend zu machen. Sie wäre es noch mehr, wenn man dem Chor mehr Bewegung abgefordert hätte (allerdings wird der dann immer gleich so laut, dass man sich das vielleicht doch nicht wünschen sollte). Augers Olympia kann man übrigens auf der Tube hören und sehen, und zwar hier: "

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    " Insgesamt ein herrlicher Akt, den das Publikum zu Recht minutenlang begeistert feierte, bei nur sehr gelinden Schwächen, zu denen leider auch Bruscantinis Coppelius gehört, der trotz einer respektablen Leistung einfach kein adäquates Gegengewicht zu der Dominanz der übrigen Hauptrollen aufbauen konnte.

    Der Antonia-Akt, der in der Choudens-Fassung noch am meisten im Original belassen wurde, spielt wieder auf der an den Rändern halbkreisförmig aufsteigenden Fläche (s. "

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    "), auf der etliche wertvolle Streichinstrumente ausgestellt sind, die in der (m. W. erstmals) aufgeführten Arie des Nicklausse um das Leben vermeintlich toter Violinen angereichert ("Vois sous l’archet frémissant“) wird. Diese taucht auch in Kayes Fassung wieder auf und wurde deshalb auch in späteren Inszenierungen, z. B. in Salzburg, übernommen. Die Antonia singt und spielt Catherine Malfitano, die – jedenfalls für meine Ohren – ähnlich wie Shicoff kein besonders schön klingendes Organ hat, die Rolle aber vorzüglich singt und (von etwas zuviel leerer choreographischer Bewegung gegen Ende abgesehen) spielt, so dass sie fast ein wenig an Mirella Freni erinnert und so das bisherige Niveau der Aufführung hält. Das ist um so erfreulicher, als Bruscantini nunmehr auch zu seiner gewohnten Stärke und Sonorität findet und einen überzeugenden Dr. Mirakel gibt. So hört man hier eines der besten Männerterzette, denn auch der Crespel des mir unbekannten Angelo Nosotti ist von ähnlicher Qualität, übertrifft – bei geringeren Anforderungen - sogar Bruscantini. Die Stimme der Mutter ist hier zunächst nur eine Stimme, die aus einer Statue ertönt, was dem Realismus der Szene aufhilft, so dass es fast schade ist, wenn die Geistererscheinung der Mutter dann doch noch auftaucht. Man gönnt aber Gloria Banditelli, der sehr guten Sängerin der Mutter, diesen Auftritt. Erfreulich ist, wie zügig de Almeida das finale Terzett dieses Aktes nimmt, das zur Abwechslung wirklich einmal wie ein fiebrig getriebenes Stück klingt und nicht wie ein genussvoll zelebriertes, schönes Terzett.

    Erneut also ein großartiger Akt, der allerdings in meiner Aufnahme – wer sich einen der Piratenmitschnitte besorgen will, sei gewarnt - technisch sehr flau und im Ton leider auch gelegentlich leicht verjault daher kommt.

    Fortsetzung folgt

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Denkt man nun, man habe das Beste dieser Oper bereits gehört, so überrascht der weitgehend renovierte nächste Akt. Dabei fällt zunächst die Stimme Brigitte Fassbaenders als ungewöhnlich sonore Giulietta auf, die aus der berühmten Barcarole ein Duett, fast ein Duell, mit der Muse macht, die sich halb gegen die Verführungskünste der Kurtisane Giulietta wehrt, halb ihr erliegt, wie die einschmeichelnde Barcarole nahe legt. Ein genialer Regieeinfall, der geschickt die ambivalente Sexualität des Nicklausse bzw, der Muse nutzt um die erotische Macht Giuliettas von Anfang an deutlich zu machen. Man bekommt hier auch endlich einmal den Spielsalon zu sehen, der später gebraucht wird, und nicht nur Artefakte, die Venedig andeuten sollen. Da passt auch das folgende „Tourne tourne miroir"„ des Dappertutto an der richtigen Stelle (irgendjemand hatte das Stück mal im Olympia-Akt eingesetzt, um dem Coppelius auch eine Arie zu gönnen, und da blieb sie dann), wo es das beliebtere „Scintille diamant“ (eigentlich die zweite Textzeile des „Tourne“) mehr als adäquat ersetzt.

    Damit nicht genug, folgt nunmehr ein neues Prachtstück nach dem anderen. Zunächst der sehr böse Dialog zwischen Dappertutto und Giulietta, von dem wir aus anderen Fassungen nur Teile kennen, der hier aber mit Einwürfen des devoten Pitichinaccio abgereichert wird und in dem perfiden Vorsatz Giuliettas gipfelt, dass sie Hoffmann das Spiegelbild abnehmen werde, ohne dass er sie habe besitzen dürfen, woraufhin ein kurzes Terzett einsetzt, in dem Pitichinaccio in Entzückensschreie ausbricht und Dappertutto zu Recht bemerkt, dass niemand teuflischer sein könne als eine Frau:
    C’est vrai, toujours les femmes
    Sont plus diables que nous.

    Nicht nur diese Zeilen belegen, dass in Offenbachs Original die Schurken keineswegs die bösen Teufel sind, welche die romantische Lesart der Oper aus ihnen machen wollte. Es sind „lediglich“ konsequent machtgierige Männer, welche die jeweiligen Frauen, ob Automat, Unschuld oder Kurtisane, für ihre Zwecke einsetzen um Hoffmann zu erniedrigen. Bei genauerem Hinsehen reiht sich übrigens auch die Muse in diese Reihe eigensinniger Personen von Hoffmanns Umfeld ein, denn sie tut als Nicklausse alles um Hoffmanns unselige Liebschaften zu unterstützen, damit er den Frauen entsagt und sich ganz ihr, seiner poetischen Muse widmet. In den traditionellen Fassungen und den meisten von ihnen abgeleiteten Versionen ist dies nicht so deutlich, aber Oesers Fassung belegt, dass Offenbach anscheinend doch nicht die von seinem übrigen Werk so drastisch unterschiedliche, fantastische Oper schreiben wollte (in dieser Gattung waren schließlich schon die FÉES DU RHIN gescheitert), sondern ein von seinen großen „Operetten“, die er ja auch als Opern bezeichnete, gar nicht so verschiedenes Werk über ein ernsteres Thema.

    Das belegt auch das folgende Ensemble, das (leider) das womöglich (so die Theorie Josef Heinzelmanns, der das Zensurlibretto entdeckte) doch auf Offenbach zurückgehende, aber aus dem ursprünglichen Nachspiel in diesen Akt verpflanzte Sextett ersetzt und ganz in der Tradition der großen Operetten Hoffmanns steht. Es beginnt mit einem Quartett von Giulietta, Hoffmann, Schlemihl und Nicklausse plus dem Chor der Kurtisanen, während dem Nicklausse und Hoffmann bemerken, dass Schlemihl keinen Schatten mehr wirft und dieser sich stolz darauf gibt, ihn los zu sein. Ronconi illustriert das sehr geschickt mit einem Schattenspiel. Das erweiterte Quartett endet in einem grandiosen allgemeinen Ensemble, das zeigt, wie Hoffmann sein ganzes Vermögen an Schlemihl verliert. Wenn mich nicht alles täuscht, stammt die Melodie dieses Ensembles aus den RHEINNIXEN, aber Oeser hat sie sehr geschickt eingepasst. Anschließend bekommt Giulietta eine Arie, („Qui connait donc la souffrance“), die in das bekannte, jedoch viel ausführlichere, Duett mündet, in dem Hoffmann ihr sein Spiegelbild überlässt. Das abschließende, in der überkommenen Fassung als gesprochenes Melodram aufgeführte Ensemble wird hier zu den Klängen der Barcarole durchgesungen, was in diesem Kontext mehr Sinn und Wirkung macht, obwohl grundsätzlich zu bedauern ist, dass Oeser Guirauds gesungene Rezitative aufgegriffen und sogar noch ausgebaut hat, so dass der Eindruck einer großen Oper verstärkt und die von Offenbach eigentlich komponierte Opéra compique mit gesprochenen Dialogen unterminiert wird.

    Dass der folgende Akt nicht etwa nur ein Nachspiel, sondern ein regelrechter fünfter Akt ist, der lediglich den ersten wieder aufnimmt und fortführt, unterstreicht ein kurzer musikalischer Entr’Acte, bevor das Erinnerungsmotiv und die Szenerie des ersten Aktes aufgegriffen werden. Hier macht die erweiterte Fassung deutlich, dass Hoffmann noch immer an Stella leidet, in der er die drei Frauen sieht, wie Nicklausse feststellt. Nur, weil Lindorf den Brief mit der Bitte um Versöhnung zu Beginn abgefangen hatte, weist Hoffmann Stella im Suff mit der letzten Strophe des Liedes vom Klein Zaches zurück. Die Muse, die das von Anfang an geplant und gefördert hatte, triumphiert. Spätestens hier wird deutlich, dass sie keineswegs nur der gute Geist ist, als der sie traditionell dargestellt wird, sondern eher eine Nachfolgerin der possessiven öffentlichen Meinung, die ihn ohne Rücksicht auf seine eigentliche Befindlichkeit ganz für sich und seine bzw. ihre Kunst reklamiert.

    Die abschließende, wunderschöne Ermunterung, dass aus der „Asche seines Herzens“ Hoffmanns Kunst auferstehen möge, bekommt so einen typisch offenbachschen Widerhaken, welcher der Zeile „On est grand par l’amour et plus grand par les pleurs“ (Man wird groß durch die Liebe, aber größer noch durch die Tränen) den bitteren Unterton verleiht, der ihrem egentlichen Sinn, entgegen dem Eindruck der Musik dieses groß aufstrebenden Finales, auch tatsächlich gebührt. Dankenswerterweise zelebriert de Almeida dieses Finale deshalb auch weit weniger grandios als die meisten seiner Nachfolger.

    All das erstmals, weil noch deutlicher als seinerzeit Felsenstein und zudem mit der adäquaten Musik deutlich gemacht zu haben, ist das große Verdienst der Fassung Oesers, die schon deswegen ihre Meriten behält, auch wenn man ihm zu Recht vorwerfen kann, dass er sich in dem Bemühen, aus dem unvollendeten Werk ein vollständig aufführbares zu machen, gegenüber der verehrten Vorlage etwas viel Freiheiten genommen haben mag. Wie schon gesagt, mir ist unverständlich, wie man danach noch die alte Choudens-Fassung aufführen konnte, zumal Keck und Kaye mit ihren Funden der Originalpartitur Oesers Rekonstruktion in weiten Teilen bestätigt und seine Übernahmen aus anderen Werken Offenbachs nur (überwiegend) mit den Originalen ausgewechselt haben.

    Insgesamt ist diese Aufführung also ungeachtet ihrer gelegentlichen Schwächen ein erstrangiges Desiderat, das seinen Wert sicher auch nicht verlieren wird, wenn eines Tages doch noch Mitschnitte von gelungenen Aufführungen der Kaye-Keck – Fassung auf den Markt kommen sollten. Leider gibt es aus finanziellen und rechtlichen Erwägungen kaum Hoffnung, dass irgendwann jemand eine technisch ordentliche Scheibe mit dieser "alten" Aufführung auf den Markt bringt. Schon aus technischen Gründen kann sie auch nicht die Tonaufnahme Cambrelings verdrängen, obwohl sie ihr musikalisch nicht sehr viel nachsteht. Uns allen zu wünschen, dass wir das selbst einmal überprüfen können, bleibt aber legitim.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Die Darbietung von Olympias Bravourarie (...) ist vorbildlich. Arleen Auger schafft es, natürlich mit dessen Unterstützung, die konventionelle Regie Ronconis überzeugend zu machen. (...) Augers Olympia kann man übrigens auf der Tube hören und sehen, und zwar hier: "

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    "

    Lieber Rideamus,

    ich verfolge deine glänzenden Analysen der verschiedenen Aufführungen und Fassungen mit großem Interesse, es ist richtig spannend. :klatsch: Ich habe mir auch den von dir verlinkten youtube-Ausschnitt der Olympia-Arie in der Produktion von 1983 angesehen und war etwas irritiert, weil in den Kommentaren auf youtube mehrere User steif und fest behaupten, die Sängerin in dieser Aufnahme sei nicht Arleen Auger. Ich kann selber dazu nichts sagen, fand es einfach merkwürdig. Die Darbietung selber ist tatsächlich hervorragend, sehr bedauerlich allerdings die absolut grottige Bildqualität.

  • Lieber LH,

    bei You Tube findet man manche seltsamen Kommentare, aber wenig dermaßen geballten Unsinn. Die Sängerin ist natürlich Arleen Auger. Man kann dies in allen Dokumentationen der Aufführung bestätigt finden, und es spricht zwar für die Wandlungsfähigkeit der Sängerin, dass man sie nicht sofort erkennt, aber mit etwas gutem Willen kann man das auch trotz der miserablen Bildqualität anhand der anderen Clips mit ihr durchaus selbst feststellen.

    Die Bildqualität, die leider in den späteren Akten noch mehr nachläßt, ist leider typisch für den Standard, in dem diese Aufführung in den Internetquellen und Piratenlabels, von denen ich weiß, angeboten wird, denn die Quelle war wohl eine Amateuraufzeichnung der italienischen TV-Ausstrahlung der sehr frühen 80er Jahre auf VHS, wo nur der Ton enigermaßen stimmte und wahrscheinlich schon die Ausstrahlung alles andere als optimal war.

    Deswegen wäre es ja so schön, wenn irgendjemand mal an die originalen Bänder heran käme und diese entweder neu austrahlen oder auf DVD anbieten würde.

    Ansonsten danke ich für den Ansporn Deines netten Komplimentes.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Lieber Rideamus!

    Danke für Deine so komplexe und herrliche Erzählung der Aufführungen des "Hoffmann", da kann ich nur sagen meine ist sauschlecht :hide: :hide: , weil ich immer etwas verblödle. :o: :o:

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Liebe Capricciosi!

    In den Youtube-Kommentaren wird auch behauptet, es sei Catherine Malfitano, die in der selben Saison am selben Haus auch die Rolle der Olympia gesungen hätte. Nun sind sich die beiden Sängerinnen im Gesicht tatsächlich durchaus nicht unähnlich, aber die Sängerin im Clip sieht meiner Meinung nach doch eher wie Arleen Augér aus.

    Interessant auch folgende Kommentare zur Interpretation der Arie:

    Zitat

    the two verses are exactly the same, NO ONE does that. (skitzo429)

    Zitat

    There sure is one thing remarkable about whoever it is: She sings both verses exactly the same. Check all the other doll-song versions on youtube and you will find that all singers will have some kind of "embellishment" in the 2nd verse. Here we have one singer who is 100 per cent faithful to Offenbach's notes. I find that really superior to all other interpretations. A wind-up doll can deliver a song only in one way and cannot "ad lib". So she is closest to what she should be. (harunrathore)

    Also ich schlage mich auf die Seite des zweiten Kommentators. Wie seht ihr das?

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Nun, dass die Olympia auf keinen Fall Catherine Malfitano ist, kann man doch trotz der miserablen technischen Qualität des Bandes gleich anschließend in dem anderen Clip sehen und auch hören, weil die Antonia doch sehr anders klingt, und das nicht etwa, weil Malfitano als Puppe auch ihre Stimme verstellt hätte. Ob sie jemals an der MET die Olympia gesungen hat, weiß ich nicht, und habe ich auch nachzuschlagen keine Lust, da es in diesem Zusammenhang völlig unwichtig ist, aber jedenfalls sang sie die Olympia nicht in dieser Aufführung in Florenz.

    Was die Beurteilung Arleen Augers und ihrer exakten Wiederholung der zweiten Strophe angeht, die ich gar nicht bemerkt hatte, sehe ich das genauso wie Areios und der Tubenkommentator, der zu der klenen Minderheit der Kommentatoren dort zu gehören scheint, die nicht nur auf Artistik, sondern auch auf die Inhalte der Clips achten. Ob sie gleich allen anderen Sängerinnen der Rolle überlegen ist, möchte ich allerdings dahin gestellt sein lassen. Mir fallen zumindest Natalie Dessay und Patricia Petibon als ebenbürtig ein.

    :wink: Rideamus

    PS @ Peter: man soll nicht Äpfel und Trauben vergleichen, nur weil beides Obst ist. Schreibe also lieber absichtlich Unsinn als den obigen zu Deinen Texten.

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Lieber Rideamus!

    Danke für Deine Aufmunterunter, so werde ich weiter Dörrobst schreiben. Merci vielmals. :juhu: :juhu:

    Liebe Grüße senet Dir Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Entr'acte

    Ich bedanke mich für Eure freundlichen Kommentare und Ergänzungen.

    Bevor ich mit der Darstellung meiner (derzeit) letzten Videoaufzeichnung von Shicoffs Hoffmännern, nämlich der aus der Scvala unter Riccardo Chailly von 1989 fortfahre, möchte/muss ich ein paar zuvor gemachte Behauptungen zurücknehmen bzw. relativieren. Ich habe nämlich inzwischen ein paar Quellen bekommen oder wiedergefunden, darunter vor allem das sehr verdienstvolle Buch über die Oper, die Attila Casampai, Dietmar Holland und Ernst Voss 1984, also noch frisch unter dem Eindruck der Oeser-Fassung, in der Reihe rororo Opernbuch herausgegeben haben. Ich werde auf dieses sehr verdienstvolle und nur in Teilen überholte Buch noch zurückkommen. Schon jetzt aber sollte ich besser ein paar Korrekturen zu den Darstellungen aus meinem, ersichtlich lückenhaften, Gedächtnis anbringen.

    Behauptung 1)
    Die Oper sollte mit gesprochenen Dialogen aufgeführt werden, da sie für die Opéra comique geschrieben wurde, die im Gegensatz zur großen Opéra auf Rezitative verzichtete und diese durch Dialoge ersetzte.

    Das ist nur teilweise richtig. Tatsächlich war 1878 zwischen Offenbach und dem Direktor des Théâtre de la Gaieté Lyrique vereinbart worden, dass die Oper dort uraufgeführt werden sollte. Dies bedeutete eine Aufführung mit gesungenen Rezitativen, deren Titelfigur zudem noch ein Bariton war, für den Offenbach die Rolle ursprünglich konzipierte und komponierte. Während der Komposition ging dieses Theater jedoch in Konkurs, so dass sich Offenbach eine neue Heimat für seine Oper suchen musste. Er veranstaltete 1878 eine Privataufführung von weiten Teilen der Oper, an der u. a. die Intendanten der Pariser Opéra comique und der Wiener Hofoper teilnahmen, die beide das Werk haben wollten und vereinbarten, dass Paris die Uraufführung und Wien die deutsche Erstaufführung bekommen sollte. Dies hatte den Vorteil, dass der bereits schwer kranke und wissentlich dem Tod geweihte Offenbach auf die Komposition der Rezitative verzichten konnte, allerdings auch die Titelpartie für den populären Tenor Talazac umschreiben musste. Nur diesem Umstand verdanken die seither mit dem Hoffmann berühmt gewordenen Startenöre diese Glanzrolle. Nach Offenbachs Tod übernahm sein Schüler Ernest Guiraud die Fertigstellung des Werkes, wobei er die schon besprochenen Änderungen vornahm und - stark gekürzte - Rezitative komponierte, die Teile der Handlung unverständlich machten, was die nachfolgenden Änderungen provozierte. Diese gingen schließlich so weit, dass Gustav Mahler auf beide essentiellen Rahmenhandlungen verzichtete und nur die drei Erzählungen aufführen ließ, was die Absicht und Aussage der Oper, die ja einer Matrioschka, also einer Folge von einander ähnlichen Puppen in einer Puppe entspricht, nachgerade in ihr Gegenteil verkehrte.

    Behauptung 2)
    Walter Felsenstein stützte sich in seiner legendären Neufassung auf das Zensurlibretto, lag mit seiner Inszenierung also sehr nahe an Offenbachs Intentionen.

    Das ist unrichtig. Vielmehr stützte sich Felsenstein auf das Schauspiel von Jules Barbier, nach dem dieser erst das Libretto verfasste. Im Ergebnis kam es zu erheblichen Verfälschungen der Oper, aus der Felsenstein unter Bezug auf die angebliche Urfassung mit Dialogen ein Schauspiel mit ausgedehnten Musikeinlagen machte. Dabei griff er, was wenige seiner Regienachfolger wagten, auch erheblich in die Musikstücke selbst ein, die er nicht nur umstellte, sondern oft auch auseinander riss und kürzte. Seine Fassung, die eigentlich die eines entfesselten Vertreters des Regietheaters auf der Ebene der Musik ist, wurde von ihm durch die Herausgabe eines eigens nach seiner Fassung gefertigen Klavierauszuges als ein Werk verkauft, das, zumindest nach dem damaligen Wissensstand, den ursprünglichen Intentionen Offenbachs entsprach. Dies ist nachweislich sehr unrichtig. Felsenstein bleibt aber das dauernde Verdienst, die Rolle der Muse endgültig aus der Versenkung geholt und ihre Bedeutung als eigentlicher Motor des Geschehens restauriert zu haben.

    Behauptung 3)
    Mehr noch als die, immerhin aus Offenbachs eigener Operette LE VOYAGE SUR LA LUNE entnommene, sogenannte Spiegelarie ("Scintille diamant") ist das berühmte concertato (Sextett) aus dem Giulietta-Akt vollkommen apokryph, also nicht von Offenbach komponiert, sondern wurde auf der Basis von Bruchstücken der Barcarole, womöglich von dem Intendanten der Oper von Monte Carlo, Raoul Gunsbourg, erstellt.

    Emotione verdanke ich den Hinweis, dass Josef Heinzelmann, der das Zensurlibretto der Oper entdeckt und als Erster dem Werk die richtige Einteilung in fünf Akte mit den Vor- und Nachspielen der Muse gegeben hat, in seinem Vorwort zur Druckfassung dieses Librettos darauf hinweist, dass ein solches Ensemble ursprünglich für den fünften Akt in Lutters Keller vorgesehen war. Tatsächlich starb Offenbach während der Komposition eines Duetts mit Stella und dieses Ensembles für jenen fünften Akt. Da von beiden, entgegen der belegten Überlieferung und sonst reichlich gefundenen Skizzen, keinerlei Noten erhalten zu sein scheinen, gibt dies Grund zu der Annahme, dass Guiraud, der über die Originalmanuskripte Offenbachs verfügte, das Ensemble nach Offenbachs Skizzen vervollständigte (oder vervollständigen ließ) und die Skizzen vernichtete, es aber in den vierten, also den Giulietta-Akt verpflanzte, der ihm zu mager erschien. Das erscheint mir gut denkbar, denn die Struktur des Sextetts mit seiner gruppierten Abfolge, die es Felsenstein erlaubte, daraus sogar ein unechtes Terzett (also ohne gleichzeitigen Gesang) zu machen, ist zwar Offenbachs sonstigen Ensembles eher unähnlich, atmet aber dennoch den Geist seiner Musik.

    Was davon stimmt, werden wir wahrschenlich nie mit letzter Zuverlässigkeit erfahren, aber dank der Funde De Almeidas, Oesers, Kecks und Kayes sind wir heute wohl schon auf einem Stand, der Offenbachs ursprünglichen Absichten zumindest so nahe wie noch irgend möglich kommt.

    [Blockierte Grafik: http://www.das-klassikforum.de/images/winken.gif] Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • LES CONTES D'HOFFMANN in Wort und Bild V

    Nimmt man allein die Zahl der im Studio produzierten oder live mitgeschnittenen Aufführungen als Maßstab für ihre Beliebtheit, so dürfte LES CONTES D’HOFFMANN mit rund 100 irgendwo registrierten Aufnahmen mindestens eine der beliebtesten sein. Dass Neil Shicoff in fast 10 Prozent davon die Titelrolle singt und spielt, und das in einem Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten in denkbar verschiedenen Versionen, qualifiziert ihn definitiv für einen Eintrag im Guinness-Buch der Weltrekorde als meistdokumentierter Opernsänger in einer einzigen Hauptrolle.

    Zu den weniger lobenswerten Dokumenten gehört leider die Aufführung an der Mailänder Scala von 1989, also zwei Jahre vor der auf DVD angebotenen Pariser Aufführung, unter Riccardo Chailly. Das liegt weniger an Shicoff und den anderen Sänger/Innen, obwohl auch die kein ausgeglichenes Niveau halten, als an dem Regisseur Alfredo Arias, der anscheinend mit dem Stoff nicht so recht etwas anfangen konnte, sowie, für mich etwas überraschend, an dem Dirigenten Riccardo Chailly, der sich zwar ausweislich der Bilder kaum weniger ins Zeug legt, springt und gestikuliert als Bernstein in seinen wildesten Zeiten, von Chor und Orchester der Scala aber nur eine Leistung geboten bekommt, die mit routiniert noch schmeichelhaft umschrieben ist. Mich überrascht das insofern, als Chailly noch zwei Jahre zuvor mit denselben Kräften in Rossinis IL TURCO IN ITALIA eine durchaus achtbare Leistung erzielen konnte. Hier aber herrscht ein getragener Ton vor, der Chaillys hektischem Gestikulieren in keiner Weise entspricht. Die Aufführung ist deshalb eine der spannungsärmsten, die ich kenne, aber mehr dazu im nachfolgenden Detail.

    Gespielt wird die in der Zeit schon einigermaßen eingebürgerte Choudens - Fassung mit den gewohnten apokryphen Hits des vierten Aktes, ergänzt um eine (hier ziemlich extreme) Kurzfassung von Oesers Rekonstruktion der Rahmenhandlung, also im wesentlichen die Fassung, die Shicoff später auch in Paris sang. Der Einstieg ist noch relativ konventionell und überzeugend. Die Muse (sehr gut, aber in Paris noch besser: Susanne Mentzer) entsteigt hier tatsächlich einem Fass und richtet sich an das Publikum – ganz die Nachfolgerin der öffentlichen Meinung aus dem ORPHEUS IN DER UNTERWELT. Der Auftritt des Lindorf ist wenig diabolisch, was nicht falsch, aber wohl eher Samuel Ramey zuzuschreiben ist, der sich über alle vier Schurkenpartien hinweg wenig Mühe gibt, mehr zu sein als ein grandios singender Bass, eben Samuel Ramey in Kostüm. Zu Beginn gemahnt sein Kostüm eher an einen Zirkusdirektor als dn soignierten Herrn der besseren Gesellschaft, und man ahnt Schlimmes, das leider auch noch kommt. Dagegen liefert Neil Shicoff einen sehr guten und - im Rahmen des bei dieser Regie möglichen - auch differenzierten Hoffmann ab. Allenfalls einige gestemmte und prunkende Töne lassen den Startenor durchscheinen, der in Paris stärker zum Vorschein kommen sollte.

    Warum Arias den ersten Akt statt in Lutters Keller in einem Edelbordell ansiedelt, das von zwei riesigen Frauentorsi dominiert wird und im Hintergrund durch einen Vorhang Durchblicke auf den laufenden DON GIOVANNI mit Stella in der Hauptrolle erlaubt, ist sein Geheimnis. Ob es auch seine Schuld ist, dass der deplatzierte Altherrenchor verwelkender Roués, die sich ersichtlich langweilen, die Studentenlieder zwar sorgfältig, aber mit ähnlichem Verve singen, wie ein überalterter Männergesangverein auf der –zigsten Probe? Sicher sind die unmotivierten Auftritte Stellas auf ihn zurück zu führen, aber in diesem Rahmen sind sie so irrelevant wie die – eigentlich gute – Idee des durchsichtigen Vorhangs in diesem Milieu, ganz zu schweigen von den Auftritten einer Ballettgruppe oder gar des Vagabunden, der hier nie eingelassen würde, aber – ziemlich plump – in ähnlicher, aber weit weniger überzeugenden Weise den Klein Zaches geben muss, wie seinerzeit der Tänzer in der Ballettverfilmung der Oper von Powell und Pressburger. Das Ergebnis ist ein selten langweiliger Auftakt, von dem sich das Stück trotz aller später noch überbordenden Farbigkeit und Fantasie nie recht erholt, weil der erste und letzte Akt ja die eigentliche Handlung darstellen, die von den Erzählungen nur illustriert, aber nicht motiviert wird. Das wird hier fast buchstäblich von innen nach außen gekehrt, und deshalb wirkt der vermeintliche Rahmen wie links herum getragen.

    Der Übergang zum nächsten Akt mit dem Kurzauftritt der drei Lieben Hoffmanns ist dagegen schon besser geglückt. Im Olympia-Akt schwärmt Hoffmann wieder mal ohne Coppelius’ Brille die Puppe an, da sie aber wie eine schlafende Schönheit aussieht, mag sein Irrtum noch verständlich sein. Wenn aber das Bild aufmacht und der Zwischenvorhang mit den vielen Augen erstmals verrät, dass sich Arias definitiv von dem Ballettfilm hat inspirieren lassen, kommen wieder seine neckisch-irrelevanten Einfälle in die Quere, so, wenn er die Szene unsinnigerweise mit Zuschauern ausstaffiert und Coppelius seine Brillen von Models vorführen lässt, de hier ebenso wenig zu suchen haben wie das Putzgeschwader, das idiotischerweise den weiblichen Anteil der Gäste ausmacht.

    Zum Glück kommt dann der echte Höhepunkt dieser Aufführung, die Olympia der Natalie Dessay, die hier zwar das Puppenhafte etwas albern zu übertreiben hat, aber wenigstens zum Niederknien singt, selbst (oder gerade) wenn sie in der sehr stark variierten zweiten Strophe die Verführerin heraus kehrt und unsinnigerweise immer menschlicher erscheint. (s. '

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    '). Inzwischen hat man sich nolens volens daran gewöhnt, dass man bei dieser Inszenierung nach etwas anderem als inhaltlicher Stringenz suchen sollte. Das Publikum war daher zu Recht aus dem Häuschen, und allein diese Leistung, mit der sie auch Shicoff zu seiner besten Leistung mindestens in diesen Passagen anspornt, ist es doch wert, diese Aufführung zu kennen, auch wenn Dessay sie anderswo ebenso brillant geboten hat. Der anschließende Walzer bietet Arias dann wieder Anlass für eine seiner Balletteinlagen, die hier aber immerhin besser motiviert ist als anderswo
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    und so zu einem, trotz allem, höchst befriedigenden Finale dieses Aktes führt.

    Stringente Logik sucht man auch im dritten Akt vergeblich, und zwar nicht, weil die Antonia sich hier wie eine veritable Opernsängerin gebärdet, sondern, weil sie trotzdem die junge Unschuld zu geben versucht, die sie ersichtlich nicht ist. Dabei wäre es eigentlich konsequent, wenn auch Antonia einmal nicht als Unschuldslamm dargestellt würde, die dem Hexenmeister Mirakel erliegt, sondern in einer Reihe mit den egoistischen Frauen aus Hoffmanns Erinnerungswelt steht, deren Seelenlosigkeit, Ambitioniertheit und Gier ihn so sehr ins Unglück stürzte, dass er sie (vermutlich zu Recht) in Stella wiederzuerkennen glaubt. Dagegen ist Dr. Mirakel keineswegs so sehr der böse Magier, den auch Ramey in einem sehr einseitigen Verständnis des vermeintlichen Schauergeschichtenautors E.T.A. Hoffmann aus ihm macht, sondern ein Mann, der, wie alle „Schurken“ der Oper die jeweiligen Schwächen der Frauen erkennt und für seine Zwecke nutzt. Das ist natürlich auch unfein, aber lange nicht so abgründig, wie man ihn – zugegeben, aus Hoffmanns Perspektive mit Grund - gewöhnlich zeichnet. Aber davon ahnt man in dieser Inszenierung so wenig wie in dem meisten anderen. Dafür erhält auch hier nicht nur der recht gute Diener Franz, der ein wenig an den italienischen Starkomiker Totó erinnert, sondern auch Niklaus seine Einlage über die Streichinstrumente „Vois sous l’archet frémissant“, mit welcher der Regisseur leider nicht so viel anzufangen weiß, wie zum Glück Susanne Mentzer, die mir hier, zumindest als (im Stich gelassene) Sängerin, immer besser gefällt (s.

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    ).

    Leider raubt ihr Arias den warnenden Abgang um so schnell wie möglich zu dem großen Duett zu kommen, das hier immerhin durchscheinen lässt, dass Antonia mehr an Hoffmann als Gesangspartner und Publikum denn als Liebhaber interessiert ist. Ob das wirklich eine Leistung des Regisseurs ist, der seine Stars während des ganzen Aktes als solche agieren lässt, oder der Egozentrik von Cristina Gallardo-Domas zuzuschreiben, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls passt es gut zu der wahren Antonia, dass Hoffmann eher neben als mit ihr singt. Unter diesen nicht unpassenden Voraussetzungen gelingt Arias immerhin erneut ein stimmungsvolles Schlussbild, was mit der Unterstützung von Offenbachs grandioser Musik aber auch schwer zu verfehlen ist, zumal auch ihm mit (der seltsamerweise sehr leibhaftig auftretenden) Mariana Pentcheva eine eindrucksvolle Mutter zur Verfügung steht: s.

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    Wer will sich da noch beschweren, dass das Ganze (auch wegen der allgemein stark akzentuierten französischen Aussprache) mehr nach (immerhin rasantem) Verdi als nach Offenbach klingt und auch so aussieht? Einen weiteren Grund zur Verwunderung liefert allerdings der Schlusseffekt, der Antonia in dem Bordell mit den Roués als omnipräsenten Zuschauern sterben (ok, sie hören ja Hoffmanns Erzählungen zu) und sie dann auch noch aufstehen und die große Treppe hinauf sich mit ihrer toten Mutter vereinigen lässt, als handele es sich um eine Art Himmelfahrt.

    Der vierte Akt, der wiederum von Arias geliebten Hupfdohlen eingeleitet wird, spielt endlich zu Recht in einem Bordell, das seltsamerweise eher den Erwachsenenmärchen aus 1001 entliehen als in Venedig angesiedelt ist. Das lässt die – ohnehin nicht sehr logische, denn warum sollte Niklaus mit Giulietta ein Duett singen? – Barcarolle dann endgültig unsinnig erscheinen, zumal Hoffmann hier plötzlich auch noch ein schwules Techtelmechtel mit Nicklaus anfängt, und reduziert sie auf den einschmeichelnden Hit, als den Offenbach sie in diese Partitur importiert hat. Aber dass sich hier die Musik immer wieder unabhängig von der Handlung entfaltet, sind wir ja inzwischen gewohnt. Da passt es dann auch, dass Arias und Chailly hier endgültig in die alte Choudens - Fassung zurück fallen und Samuel Ramey sein „Scintille diamant“ gönnen. Angesichts des großartigen Vortrags ist man damit auch bald versöhnt – Offenbach und der Gedanke der musikalischen Stringenz mögen es verzeihen (s.

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    .
    )
    Wir sind hier halt im Startheater und nur bedingt Zeugen von Hoffmanns Erzählungen. Die hier eher kleine Rolle der Giulietta gibt die - wiederum von der Regie im Stich gelassene und daher mehr adäquate als herausragende - stimmlich meist dominierende Denyce Graves, die hoffentlich nichts dafür kann, dass Chailly das Sextett in einem derart betonten Rhythmus abspulen lässt, als dirigiere er die Kapelle eines Kurzkonzertes mit – immerhin – erstrangigen Stimmen, die aber sorgfältig zusammengehalten werden müssen. Irgendwie ist man danach doch froh darum, dass hier die kurze Choudens-Fassung mit dem abschließenden und eigentlich ziemlich unpassenden Melodram zur Barcarolle gegeben und dann gleich auf offener Bühne zum Schlussakt übergeleitet wird, denn das geht immerhin relativ schnell.

    Das tut zum Glück auch der – stark gekürzte - letzte Akt, der ähnlich spannungsarm verläuft wie sein Pendant zu Beginn, obwohl Arias die Action übertreibt und dem besoffenen Hoffmann sogar den Versuch zumutet, Stella auf offener Bühne zu vergewaltigen. Dem schließt sich unmittelbar das von Oeser rekonstruierte Finale mit „Des cendres de ton coeur“ an, bei dem alle Beteiligten noch einmal auftauchen. Leider wird dieses Finale, ohne jede merkliche ironische Brechung, mit einem derartigen Bombast aufgeladen, dass man ausnahmsweise dem Philosophen Ernst Bloch Recht geben muss. Dieser hatte sich 1930 anlässlich einer Aufführungsserie in Otto Klemperers Kroll-Oper mit der, damals noch relativ neuen, Choudens - Fassung und auch mit der Vorlage von Barbier und Carré befasst und urteilte über das Finale: „Authentisch dagegen ist, dass die Rosen- oder auch Silber-Erscheinung einer so abgedroschenen Allegorie dem aufwühlenden Stück ein rechtes Spießer-Happy End setzt. Hoffmann soll also zum Dichter werden (als wäre er in den drei Liebesgeschichten, indem er sie so erfuhr und erzählt, keiner gewesen). Er soll der wirklichen Liebe entsagen, weil er darin ein Pechvogel ist, er soll statt dessen ihren allgemeinen Preis allen Menschen singen (geradezu weanerisch, Menschen san mer alle, der Weltfreund, die Liebe ist eine Himmelsmacht)). Andernfalls ... endet die Hoffmann-Gestalt als verkommener Säufer, statt nützlicher Pegasus. ...“ (zit. n. d. rororo-Opernbuch von 1984).

    Da ist etwas dran, und es ist sicher nicht nur ein Zufall, dass die viel bösere Vorlage der FLEDERMAUS von Meilhac und Halévy aus demselben französischen Umfeld stammt, in dem auch Jules Barbier und Michel Carré, die Autoren der Vorlage des HOFFMANN, wirkten. Beide Stücke, und in etwas weichgespülterer Form auch die nach ihnen gewonnenen Vertonungen, sind im Grunde bitterböse, höchst pessimistische – und auch ziemlich misogyne – Stücke, deren gefällige Aufbereitung nie ganz darüber hinweg täuschen sollte, wie viel kritische Beobachtungen zum Wesen des Menschen in ihnen stecken. Wie das gehen kann, haben die Inszenierung der FLEDERMAUS von Stephen Lawless in Glyndebourne und von David McVicars Salzburger HOFFMANN gezeigt. Es mag sehr wohl sein, dass solche Lesarten die Oper daran gehindert hätten, so populär zu werden, wie sie, nicht zuletzt dank der romantisierenden „Neufassungen“, gleich nach ihrer Uraufführung wurde, dass also ihre Verstümmelungen und Verfälschungen die Oper davor bewahrten, zu Offenbachs gescheiterten Werken gezählt zu werden. Zumindest heute aber sollte man den Satiriker Offenbach und seine Kunst der schmackhaften Verabreichung bitterster Pillen gerechter würdigen.

    In den Worten von Egon Voss in dem Leitessay des vorgenannten rororo-Opernbuches: „... so wie HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN nicht die ‚große Oper’ eines Operettenkomponisten ist, so ist Offenbach kein ‚Meister der leichten Muse’. Es gilt wahrzunehmen, dass Offenbach neben Verdi und Wagner der dritte große Exponent des Musiktheaters im 19. Jahrhundert ist.“

    Ich würde zwar dieses Terzett zu einem Quintett erweitern und noch Rossini und Berlioz nominieren, aber ansonsten ist dieser Erkenntnis wenig hinzuzufügen.

    Damit schließe ich erst einmal meine Betrachtungen der Tonbilddokumente des HOFFMANN ab, damit ich mich nicht damit übersättige. Es gibt aber noch viele andere Inszenierungen mit anderen Sängern der Titelfigur, die ebenfalls einer Würdigung wert und zum Teil absolut konkurrenzfähig sind. Vielleicht komme ich ja später noch dazu, mich hier auch mit denen auseinanderzusetzen, wenn überhaupt noch ein Interesse daran besteht.

    :wink: Rideamus

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  • Vielleicht komme ich ja später noch dazu, mich hier auch mit denen auseinanderzusetzen, wenn überhaupt noch ein Interesse daran besteht.


    Es besteht großes Interesse, lieber Rideamus!!!

    Herzlichen Dank schon mal für das bisherige großartige Engagement bei der umfassenden Vorstellung der Shicoff-Hoffmänner, bei der man ganz nebenbei auch vieles über die verschiedenen Fassungen und über Regiehandschriften lernen konnte. Dein Urteil erscheint immer wohlbegründet und nachvollziehbar, dazu noch in klarem, angenehm zu lesenden Stil - was will man mehr?

    :wink:

  • Lieber Rideamus!

    Ich kann mich nur anschließen - ich lese immer ganz gespannt Deine Ausführungen und die Kommentare. l-l l-l

    Peter ein Nichtwisser und Nichtkenner :hide: :hide: der Opernliteratur aus Wien. Schönen Sonntag allgemein, übrigens. :wink: :wink:

  • Korrektur zu HOFFMANN V

    Eine aufmerksame Mitleserin, der ich dafür sehr herzlich danke, macht mich gerade darauf aufmerksam, dass meine Datierung der Mailänder Inszenierung falsch ist, denn sie stammt aus dem Jahr 1995 und nicht etwa aus dem Jahr 1989. Das macht zwar den Einsatz der verstümmelten Choudens-Oeser - Fassung noch unverzeihlicher, ändert aber ansonsten nichts an meinen Befunden. Allenfalls in Bezug auf Chailly muss ich verbessern, dass die angesprochene Aufführung des IL TURCO IN ITALIA zehn Jahre später als datiert, also zwei Jahre nach der Inszenierung des HOFFMANN, nämlich 1997 stattfand. Chaillys Zusammenarbeit mit dem Orchester und Chor der Scala hat sich also mit der Zeit merklich gebessert und nicht verschlechtert.

    Ich bitte für diesen Irrtum meiner Tabelle, dessen Ursache vermutlich in der unkjorrigierten Übernahme einer Zeile meines Aufnahmenverzeichnisses lag, um Nachsicht.i

    :wink: Rideamus von hier: :hide:

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