VIVALDI: L'Olimpiade
Wie schon in einem anderen Thread erwähnt, war das Libretto Metastasios ein außerordentlich erfolgreiches, was man an der Vielzahl der Vortonungen feststellen kann. Die letzte vollständige Vertonung war die von Cimarosa 1798 in Lissabon. Selbst Beethoven benutzte noch den Text einer Arie für eine seiner Ariettas. Wir haben heute eher einen falschen Eindruck von dem Stück, das Caldara 1733 zum ersten Mal in Szene setzte: ein Vertreter der opera seria mit ihrer strikten Abfolge von Rezitativ und Arie einserseits, aber auch Repräsentant einer "barocken", vielfältig verschlungen Handlung. Dabei war Metastasio einer der wichtigsten Opernreformer in Sachen Libretto, er gerade hat die barocke Oper von ihren kruden und unwahrscheinlichen Handlungsverläufen in der Sicht einer rationalistischen Idee befreit. Dazu kam die geschliffene Ausdrucks- und Verskunst, die seine Libretti geradezu beliebt machten.
Die Grundidee dieses Librettos ist eine Konstellation, die als Motiv in der Antike eine große Rolle spielte (man hat mit ihr auch den bethlehemitischen Kindermord in Beziehung gesetzt), am bekanntesten im Ödipusstoff: Eine Prophezeiung sagt den Tod des Vaters durch sein neugeborenes Kind voraus. Durch die Tötung des Kindes versucht man der Konsequenz dieser Prophezeiung zu entgehen. Doch das Kind überlebt, wächst im Verborgenen heran, die schicksalhafte Situation gewinnt ihre Unvermeidbarkeit gerade durch das Nichtwissen der Akteure.
Doch hier zeigt sich die Antike-Rezeption im Lichte einer empfindsameren Zeit. Die Prophezeiung spricht nicht von dem Tod des Vaters, nur von dem Versuch ihn umzubringen. Dieser misslingt, so kann er - nachdem durch ein Medaillon seine Identität entdeckt worden ist, verziehen werden und alles zu einem guten Ende kommen. Es bleiben nur noch die Liebesgeschichten, die zwei Freunde in unterschiedliche Positionen bringen. Doch auch dies klärt sich durch die Grundkonstellation: das umworbene Objekt der beiden ist nun die Zwillingsschwester des einen - es paart sich nun, was zusammen gehört, der dramatische Knoten des ersten Aktes hat sich gelöst.
Da wird nämlich die schöne Aristea vom König Clistenes als Preis der Olympischen Spiele ausgesetzt. Der liebende Licidas sieht für sich keine Chance, er bittet seinen Freund Megakles, sich unter seinem Namen anzumelden, was dieser gerne tut, steht ohnedies eine Dankesschuld offen. Doch als er erkennen muss, dass er für seinen Freund nun um die eigene Geliebte kämpft, die er durch den Betrug seinem Freund übereignet, ist eine entsprechend effektive affektgeladene Arie fällig.
Für einen Musikdramatiker ein guter Stoff, das Libretto gehört zu den besten aus Metastasios Hand: die menschlichen Irrungen und Wirrungen bieten ausdrucksstarke Situationen, die Konstellation lässt eine farbenreiche Abfolge von Musiknummern zu, von der Idylle, einem locus amoenus bis zum höfischen Glanz, von der intimen Liebesszene bis zur Ausübung weltlicher Macht - alles ist vorhanden.
Und trotzdem stand ausgerechnet Vivaldi dem Libretto skeptisch gegenüber.
Dazu im nächsten Beitrag.
Liebe Grüße Peter