Blind gehört / Wie gut kann man Interpreten "blind" erkennen?

  • PS: Anlass meiner Frage: Ich habe inzwischen meine Klassikaufnahmen (vom Radio aufgenommen) digitalisiert. Leider kenne ich nur das jeweilige Werk. Zu den Interpreten habe ich null Info. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Interpreten erkennt? Bei den beiden Opernaufnahmen (Walküre und Rosenkavalier) bin ich zuversichtlich. Aber beim Rest?

    Sehr gering.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Gould kann ich.

    Ich kann Anna Netrebko

    Dreimal Radio gehört und mir bei der unbekannten Sopranistin gedacht:
    Zu angestrengt, schwache Höhe, öfters nicht exakt den Ton treffend, muss ich nicht mehr hören. So dachte ich mir das könnte nur A.N sein. Jedesmal hatte ich recht. (Ich glaub es waren Ausschnitte/Übertragungen von Carmen, Manon und Anna Bolena.)

    Dasselbe gilt für Harnoncourt und Concentus Musicus. Habe ich bis jetzt schon mehrmals blind im Radio erkannt.

    Karajan ist nicht mehr so oft im Radio aber vor allem seine DG Aufnahmen haben einen sehr typischen eigenen Karajansound und müsste erkennbar sein.

  • Ich habe eine Zeitlang fünf Orchester, wenn es aktuelle Aufnahmen waren, ziemlich sicher erkannt und damit einen Freund, der eigentlich ein sehr viel besserer Musiker als ich war, gaga gemacht. Der verstand nämlich nicht, wie ich das mache und probierte es immer wieder aus und meine Trefferquote war so gut, dass es einfach kein Zufall sein konnte. Außerdem war ich dabei von den Dirigenten unabhängig.

    Der "Trick" war ganz einfach: In diesen Orchestern saßen Fagottisten, die ich sehr gut kannte. Oper Stuttgart und (während dieser Zeit) Bayreuth war mein hochverehrter Lehrer, dessen Ton ich natürlich supergut kannte, zudem war ich mit seinen beiden Fagotten sehr vertraut (ich habe mit einem nicht sehr guten Fagott angefangen und darum hat er mir in den ersten Jahren immer sein zweites Heckel geliehen, wenn was war. Und später hatte ich sein Instrument, wenn meines mal in der Werkstatt war). In München bei Celibidache saß ein Kollege, der denselben Lehrer gehabt hatte, mir aber einige Jahre voraus war - an dem hatte ich mich als Anfängerin sehr orientiert. Und so ging's weiter - ich habe einfach die Fagotte gekannt. ;)

    Heute beschränke ich mich mehr auf "generelles". Ich denke, ich könnte unterscheiden, ob Barock von Harnoncourt und Consorten oder von einem der großen Engländer kommt, ich kann bei einem Sänger erkennen, welcher von seinen beiden "Standardbegleitern" am Klavier war (oder ob er gar einen anderen gehabt hat) und es ist mir zweimal passiert, dass ich einen jungen Sänger gehört habe und eine Ahnung hatte, wo er für diese Rolle den letzten Schliff gekriegt hat (und ich bin besonders stolz darauf, dass es bei den Beiden zwei verschiedene Lehrer waren!). ;)

    Sycorax
    "Aber Pferde und ihre Stammbäume erkenne ich besser." ;)

  • Alle Achtung! :juhu:

    Der "Trick" war ganz einfach: In diesen Orchestern saßen Fagottisten, die ich sehr gut kannte.

    Heißt das umgekehrt, daß Du die Orchester nicht erkannt hättest, wenn in den vorgeführten Stücken keine Fagotte mitgespielt hätten?

    :wink:

    PS: Ich kann immerhin Pferde von Rindern unterscheiden. Meistens. :tee:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hallo zusammen,

    PS: Ich kann immerhin Pferde von Rindern unterscheiden. Meistens. :tee:

    Ku(h)da, Ku(h)da... ;+)

    In dem Zusammenhang komme ich auf die dazugehörige Oper und einen Tenor den ich ziemlich sicher immer erkennen würde - Nicolai Gedda.


    Ich denke, einige Sänger/innen an Ihrem Timbre und an Ihrer Art der Interpretation zu erkennen dürfte für die meisten Opernfreunde nicht so schwer sein. Entweder weil es sich bei dem Sänger oder der Sängerin um eine persönlich bevorzugte Stimme handelt, oder aber natürlich auch, wenn man den bzw. die entsprechenden Künstler so rein gar nicht mag.

    Ich kann aber garantiert keine Orchester oder Dirigenten "blind" erkennen. :shake:

    LG

    Maggie

    Wenn Einer kümmt un tau mi seggt, Ick mak dat allen Minschen recht, Dann segg ick: Leiwe Fründ, mit Gunst, O, liehr'n S' mi de swere Kunst. - Fritz Reuter

  • Ich verweise der Vollständigkeit halber noch auf diesen Thread:

    Blind gehört

    Bei den dort verlinkten Blindtests stellt man fest, dass Sänger/Instrumentalisten usw. immer mal wieder große Schwierigkeiten haben, berühmte Vertreter ihres eigenen Fachs blind zu erkennen.


    Viele Grüße

    Bernd


    [Danke für den Hinweis. Das beide Themen eigentlich eines sind, habe ich die Fäden verknüpft.
    :gurni:
    Gurnemanz]

    .

  • Um von meiner Seite her ein Beispiel zu nennen: Arturo Toscanini

    Ich bin mit ihm und seiner Orchestersprache seit Jahren gut vertraut, habe viel im Vergleich gehört, habe mich sozusagen gut in Toscanin herein gehört. Manchmal frage ich mich, erkenne ich hier eigentlich Toscanini oder den Klang des Studios? Natürlich habe ich inzwischen die wenigen Aufnahmen mit dem BBC und dem Philadelphia Orchestra gut abgespeichert, so dass sie als "Varianten" erkannt werden.

    Wenn ich verallgemeinere: Es gibt Aufnahmen, bei denen ich Eigenheiten (etwa den Klang) wiedererkenne, weil ich mich mit ihnen sehr intensiv auseinander gesetzt habe. Manchmal erkenne ich den Komponisten und das Stück - und dann weiß ich eben, dass es nur wenige Alternativen an Einspielungen gibt (oder nur eine, wie so oft bei Gluck) und kann aus einigen gehörten Indizien schnell zuordnen.

    Als ich mich sehr intensiv mit dem "Freischütz" und da speziell mit der Interpretation des Kaspar beschäftigte, habe ich auf Anhieb auch die verschiedenen Kaspars auseinander gehört. Inzwischen habe ich schon wieder soviel anderes gehört ...

    Interessant finde ich das musikalische Quartett, letzthin mit Bartóks zweitem Violinkonzert. Die haben in der Vorbereitung nun viel in ihr Gedächtnis gespreichert und waren dann doch oft hilflos im Erkennen einer bestimmten Aufnahme. Da machte es ihnen der Komponist sehr schwer und so mussten z.T. andere Indizien weiterhelfen. Wenn es vorbereiteten Profis schon so geht. Um das nur mal zu erzähle: Einer der vier, ein renommierter Musikkriter, beschwerte sich von Anfang an über das Komponieren gegen das Instrument, über die fehlende Kantabilität. Schon bei dem ersten Hörbeispiel ruderte er zurück und nahm sehr schnell die (voreilige) Äußerung zurück - immerhin ein erfrischend ehrlicher Mensch - und ein Mensch mit Ohren ....

    Die hatten übrigens bei Rossinis Stabat mater (eine Sendung, die schon länger zurück liegt) keine großen Schwierigkeiten. Da hat die Komposition klare Kriterien geliefert, mit der man nun eben Sänger gut erkennen konnte. Bei einem Vokalwerk von Bartók wäre es wahrscheinlich nicht so einfach gewesen.

    Also: Vertrautheit mit dem Werk, klare Unterscheidungskriterien, die das Werk aber auch ermöglichen muss, evt. Vertrautheit mit dem Interpreten (bei mir etwa die Flagstad) und seinen Eigenheiten.

    Über Kennerschaft sagt das eigentlich sehr wenig aus

    meint Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Lieber Thomas,

    Du hast mit einer schönen und treffenden Entsprechung das Thema eingeleitet.

    Ich gestehe, ich erkenne insb. durch wiederholtes Hören bestimmte Aufnahmen wieder. Je öfter ich eine Aufnahme in der Vergangenheit gehört habe, umso leichter fällt es mir. Heißt: Bei irgendeiner Symphonie-Neuaufnahme z. B. unter S. Rattle z. B. mit den Berliner Philharmonikern erkenne ich wahrscheinlich weder den Dirigenten, noch das Orchester…aber vermutlich das Stück oder wenigstens den Komponisten bzw. die Trefferrate ist bedeutend höher. ;+)

    Die Erkennungsrate oder Wiedererkennungsrate bei Solisten (Instrumente) ist mehr schlecht als recht. Früher – während einer langen Phase des Hörens von Violinkonzerten oder anderen Stücken mit „führender“ Violine - ist es mir gelungen eine Stradivari von einer Guarneri (durch Hören) zu unterscheiden. Die Unterscheidung der Klänge und Spielweisen von z. B. G. Kremer und J. Heifetz traue ich mir auch noch zu. [Ich höre beide Interpreten sehr gerne.]

    Bei Sängerinnen und Sängern dagegen sind die Erkennungsraten und Wiedererkennungsraten bzgl. Stimme - für mich - zufriedenstellend.

    M. E. ist das Erkennen/Wiedererkennen bei älteren Orchesteraufnahmen größer z. B. hinsichtlich amerikanischer vs. russischer Orchester. Ich vermute bzw. unterstelle, dass die Individualität früher ausgeprägter war. Ich vermute darüber hinaus, dass z. B. das Wiedererkennen der Wiener Philharmoniker aufgrund der spezifischen Instrumente (teilweise) ggf. relativ leichter ist.

    "Über Kennerschaft sagt das eigentlich sehr wenig aus." (Zitat Peter Brixius)

    Lieber Peter, dem stimme ich zu. Es sagt was über Übungsintensität (Training), Gedächtnisleistung sowie angeborenem Hörvermögen aus und dazu muss man nicht zwingend Kenner und/oder Musiker sein.

    Bis dann.

  • Heißt das umgekehrt, daß Du die Orchester nicht erkannt hättest, wenn in den vorgeführten Stücken keine Fagotte mitgespielt hätten?

    Richtig. Ich hätte sie auch in einem lauten Tutti, in dem die Fagotte nur irgendwo unten rumdudeln, nicht unbedingt erkannt. Aber sobald ich das jeweilige Fagott "richtig" hören konnte (wobei ich allerdings vermute, dass ich Fagotte in vielen Orchesterpartien besser höre als andere - zum einen, weil ich natürlich bei vielen Stücken weiß, was da im Fagott abgeht und zum anderen, weil ich halt generell mehr auf den Klang dressiert bin), war's klar.

    Es gibt übrigens einen Fagottisten, den ich bis heute ziemlich sicher erkenne: Klaus Thunemann. Bei dem falle ich höchstens insofern auf die Nase, wenn einer seiner Schüler am Werk ist. Aber mir ist es in England mal passiert, dass ich bei einem Continuo-Fagottisten die ganze Zeit dachte: "Verflixt, der klingt wie Thunemann." Aber im Programm stand, dass er vom RCM kommt! Ich habe ihn hinterher gefragt, worauf er meinte, er nehme das erst mal als Kompliment. Er habe "Thunemann Feinschliff" - zwei Meisterklassen bei ihm gemacht. Und er sei einer von denen, die mit Thunemann-Aufnahmen als "Referenz" aufgewachsen sei.

    PS: Ich kann immerhin Pferde von Rindern unterscheiden. Meistens. :tee:

    Auch schon 'ne Leistung. ;)
    Ich habe dereinst, als ich nach einem längeren Auslandsaufenthalt heimkam, den klassischen Aufschrei losgelassen: "Wer hat die Kuh zu meinen Stuten gestellt?" Die "Kuh" war eine braun-weiß geschickte Westernstute, die unter meinen einfarbigen Sportpferden schon komisch aussah - und ich hatte sie nur zwischen meinen Mädels rausblitzen sehen und sie hatte den Kopf im hohen Gras gehabt. ;)

    Sycorax
    "Kann also auch Pferdeleuten passieren, dass sie da was verwechseln." ;)

  • Zitat

    Aber sobald ich das jeweilige Fagott "richtig" hören konnte (wobei ich allerdings vermute, dass ich Fagotte in vielen Orchesterpartien besser höre als andere - zum einen, weil ich natürlich bei vielen Stücken weiß, was da im Fagott abgeht und zum anderen, weil ich halt generell mehr auf den Klang dressiert bin), war's klar.


    Hmmm....ich bin ja im Hinblick auf mein Instrument auch "dressiert", aber ich muss gestehen, dass ich mir nicht zutraue, in Aufnahmen auch nur einen einzigen Oboisten aufgrund seines Klangs zweifelsfrei zu identifizieren. Das Problem geht für mich schon damit los, dass die Aufnahmetechnik das Ihrige tut und den Klang mal mehr, mal minder stark verfremdet.

    Und wenn es gar um das Identifizieren von Orchestern aufgrund ihrer Instrumentalsolisten geht: Die meisten Spitzenorchester haben doch wechselnde Solobläser! Ein Karl Steins klang damal völlig anders als ein Lothar Koch, ein Jonathan Kelly klingt heute ziemlich anders als ein Albrecht Mayer - aber in beiden Fällen handelt es sich um die Berliner Philharmoniker! Man muss also bei ein und demselben Orchester zwei verschiedene Klangbilder auf dem Schirm haben....

    Ich will damit nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber wenn du das kannst/konntest - Hut ab! :juhu:

    Viele Grüße

    Bernd

  • Hallo, Kollege Doppelrohrblattbläser,

    ich habe Euren Thread über die Anfänger mit der Oboe interessiert gelesen und festgestellt, dass wir Fagotte im Vorteil sind. Ich habe mir zwar die Hände kaputt gemacht (der Grund, warum ich aufhören musste), aber mit den Lippen hatte ich nie Probleme. Aber ich dachte mir immer, dass Eure schmalen Blätter sehr anstrengend sein müssen. ;)

    Hmmm....ich bin ja im Hinblick auf mein Instrument auch "dressiert", aber ich muss gestehen, dass ich mir nicht zutraue, in Aufnahmen auch nur einen einzigen Oboisten aufgrund seines Klangs zweifelsfrei zu identifizieren. Das Problem geht für mich schon damit los, dass die Aufnahmetechnik das Ihrige tut und den Klang mal mehr, mal minder stark verfremdet.

    Das ist für mich nicht so sehr das Problem. Es ist ja nicht nur der reine "Klang", sondern auch gewisse Eigenheiten - bis dahin gehend, dass man zum Beispiel einen amerikanischen Kollegen, der in der Zeit einiges solo gemacht hat, immer auch daran identifizieren konnte, dass man bei ihm alle Klappen gehört hat - und lustigerweise immer besonders die langen oben unter dem Daumen! Ich weiß nicht, was der da für Federn drauf hatte (ich glaube, er hatte ein französisches Fagott - ein Heckel bringt man wahrscheinlich nicht so zum Klappern), aber die haben geknallt wie nichts.
    Oder bei meinem Lehrer hätte ich sein wunderschönes Legato - bei Fagotten ja auch nicht so einfach, vor allem nicht, wenn sie überblasen müssen - immer sofort erkannt. Andere "näseln" oben, er nie - das war immer wunderschön rund und sauber.

    Ich habe kein absolutes Gehör, aber ich weiß, dass ich ein ziemlich gutes habe. Ein Sängerfreund meinte sogar mal, es sei "ekelhaft gut". Der Gute, der's eigentlich hervorragend kann, hat mal einen Liederabend - für seine Verhältnissen und seinen sehr hohen Standard - ein wenig vergurkt. Es hat halt in der Tiefe intonationsmäßig ein wenig gewackelt. Das Publikum war trotzdem begeistert und hinter den Kulissen gab's dann eine kleine "Szene". Er guckte mich an und seufzte leise, ich sagte: "War nicht so ganz dein Abend heute ..." - "Tja ..." Er wurde von jemand anders eingefangen, dafür bekam ich von der Dame, die hinter mir gestanden war, einen regelrechten Anpfiff. Wie ich denn auf sowas käme? Das sei ja unverschämt und er sei "immer perfekt" (na, den Sänger will ich hören, der immer perfekt sei) und sowas sage man doch nicht und wenn's mir nicht gefallen hätte, solle ich doch abhauen und ihn nicht belästigen!
    Ich konnte blöderweise nicht abhauen. Ich war an dem Abend seine Chauffeuse. ;)
    Und ich wusste natürlich auch, dass er mir nicht abkaufen würde, wenn ich ihm erzähle "Och, was warst du wieder toll!" Er wusste selbst, dass er gegurkt hat - und wenn ich so getan hätte, als wenn nichts gewesen wäre, hätte er mir danach auch nie mehr ein Lob abgekauft.
    Aber die Szene zeigte mir mal wieder, dass ich offensichtlich ein bisschen "mehr" höre als andere Leute. Mir geht das oft so, dass ich fast fassungslos in der Oper stehe, wenn um mich rum was beschwärmt wird und denke: "Öh, Leute - der hat heute aber dauernd daneben gelegen! Hört das denn niemand?" Oder ich wundere mich, wenn irgendwelche Sänger hymnisch gepriesen werden, die jede Menge heiße Luft mit Druck fabrizieren und bei denen man doch merkt, dass die Stimme verbraucht ist!

    Und wenn es gar um das Identifizieren von Orchestern aufgrund ihrer Instrumentalsolisten geht: Die meisten Spitzenorchester haben doch wechselnde Solobläser! Ein Karl Steins klang damal völlig anders als ein Lothar Koch, ein Jonathan Kelly klingt heute ziemlich anders als ein Albrecht Mayer - aber in beiden Fällen handelt es sich um die Berliner Philharmoniker! Man muss also bei ein und demselben Orchester zwei verschiedene Klangbilder auf dem Schirm haben....

    Ich konnt's ja auch nur, wenn der Fagottist, den ich kannte, am Werk war - und mit einem Werk, das genug Fagott bot. Ein "Referenzwerk" war zum Beispiel der Bolero - wenn da ein Fagottist unterwegs ist, den man kennt und das möglichst noch auf einem Instrument, das einem vertraut ist (bei meinem Lehrer ging es ja noch weiter: Das Es, mit dem er Bolero gespielt hat, lieh ich aus, wenn bei mir irgendwas in die Richtung kam!) - ich bin sicher, dass Du es da bei Dir wirklich vertrauten Kollegen auch könntest.

    Nimm doch mal die Altarie aus dem WO gleich am Anfang (sorry, ich habe gerade kein WO greifbar und darf auch keinen Krach machen - neben mir schläft jemand). In den vier, fünf Jahren, in denen ich in unserer lokalen Szene gemuckt habe, hätte ich mir zugetraut, den Oboer, der im Stammorchester neben mir saß, dabei zu erkennen. Und der Freund, mit dem ich das "Ich erkenne ein Orchester"-Spiel gespielt habe - das war gleichzeitig mein Cembalo-Lehrer, der mit dem eigenen Instrument (einem herrlichen Merzdorf-Italiener) viel in der lokalen Szene unterwegs war. Ich habe davor und danach nie jemand getroffen, der so gut B.C. Cembalo gemacht hat - den habe ich teilweise auch erkannt. Es war nicht so, dass der in jedem Rezitativ Schnörkelchen und Arabesken einbaute, aber wenn er es tat, dann war es halt so, dass ich wusste: "Das ist Mike!"

    Ich will damit nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber wenn du das kannst/konntest - Hut ab!

    Wie gesagt: Es funktionierte unter ganz bestimmten Umständen mit mir sehr vertrauten Kollegen.

    Sycorax
    kein Wundertier ;)

  • Zitat

    Ich habe mir zwar die Hände kaputt gemacht (der Grund, warum ich aufhören musste)....

    Oh - das ist aber übel....

    Zitat

    aber mit den Lippen hatte ich nie Probleme. Aber ich dachte mir immer, dass Eure schmalen Blätter sehr anstrengend sein müssen. ;)

    Fagottspielen ist vom Ansatz her definitiv eine VIEL lockerere Angelegenheit als das Blasen der Obö! Dazwischen liegen regelrechte Welten.

    Zitat

    Es ist ja nicht nur der reine "Klang", sondern auch gewisse Eigenheiten - bis dahin gehend, dass man zum Beispiel einen amerikanischen Kollegen, der in der Zeit einiges solo gemacht hat, immer auch daran identifizieren konnte, dass man bei ihm alle Klappen gehört hat - und lustigerweise immer besonders die langen oben unter dem Daumen! Ich weiß nicht, was der da für Federn drauf hatte (ich glaube, er hatte ein französisches Fagott - ein Heckel bringt man wahrscheinlich nicht so zum Klappern), aber die haben geknallt wie nichts.

    Ein amerikanischer Kollege mit einem französischen Basson? :wacko: Die Geräte aus Frankreich klingen meines Wissens so anders, dass sie außerhalb ihrer Landesgrenzen keiner spielen mag, oder?

    Gegen die lautstarke Mechanik hätte vermutlich eine Generalüberholung entscheidend geholfen..... :D

    Zitat

    Wie gesagt: Es funktionierte unter ganz bestimmten Umständen mit mir sehr vertrauten Kollegen.

    Auch da hätte ich meine größeren Schwierigkeiten! So differenziert in bestimmten Punkten höre ich einfach nicht.... :schaem:

    Aber dafür kann ich - um einen Bogen zum Anfangsposting des Threads zurückzuschlagen - recht zuverlässig eine Wehlener Sonnenuhr von einem Piesporter Goldtröpfchen unterscheiden. Darauf würde ich eventuell sogar eine Wette annehmen! :D

    Viele Grüße

    Bernd

  • Ich kann bei den Jazzern die mir besonders ans Herz gewachsenen Musiker meist heraus hören, in der Klassik ist es mir , warum auch immer, kaum möglich. Da ich von der Trompete her komme, sind es nur zwei der bekannten klassischen Trompeter, die ich - als Solisten - heraus hören kann, weil sie beide so einzigartig und doch so unterschiedlich waren, wie sie nur sein konnten : Maurice André und sein Kollege aus Rußland (damals Sowjetunion) Timofej Dokshitzer.


    Allerdings muss ich zugeben, mir darüber auch keinen großen Kopf zu zerbrechen, da ich hier selbst keine Ambitionen habe, ein Trompetenkonzert einzustudieren oder gar aufzuführen. Die Zeiten sind lange vorbei. Bei den Kollegen des Jazz kann man sehr wohl einen Louis Armstrong von jedem anderen Trompeter unterscheiden, obwohl es hier teilweise Trompeter gab, die ihn extrem gut nachspielen konnten, bzw. seine Soli und/oder seinen Ton doch recht nahe gekommen sind.


    Man mag mich dafür jetzt zurecht weisen, aber die Individualität im Jazz scheint scheint mir dort weitaus wichtiger zu sein als in der Klassik. Dass dies so nicht stimmt, ist mir trotzdem klar, aber MIR kommt es so vor. Selbst wenn Benny Goodman Mozart spielt ist es der Ton von Benny Goodman, und der ist einmalig. Natürlich gab es Musiker, die seinen Stil auch sehr in ihr eigenes Spiel mit einflechten konnten (Peaunuts Hucko hat zeitweise als Saxophonist in seiner Bigband gespielt und war ihm als Solist nicht unbedingt so viel unterlegen), aber kann man in der Klassik einen Reinhold Friedrich einfacher erkennen als einen seiner hoch geschätzten Kollegen? Mir gehts hier wie dem Kollegen mit den Fagottisten. Ich denke mal, wenn man sich sehr damit beschäftigt, kann man das ganz gut.


    Alleine bei den diversen Trompeten so etwas hin zu bekommen, ist sehr schwierig. Doch der klangliche Unterschied zwischen den "deutschen Trompeten" mit Drehventilen und den amerikanischen Perinet-Instrumenten ( die sog. "Jazz-Trompete" oder "Pump Ventil-Trompete) ist wahrnehmbar. Denvor einiger Zeit verstorbenen , sehr lange als Solo-Trompeter beim Chicago Synphony Orchestra tätigen Adolph "Bud" Herseth zu erkennen, sollte nach kurzer Zeit möglich sein, da er einen extrem großen Ton hatte, der selbst bei Mahler locker über dem Orchester stehen konnte. Wäre das auch mit seinem Nachfolger machbar?


    Die "Handschrift" eines Dirigenten zu erkennen, könnte da manchmal einfacher sein.....Aber einen Harnoncourt von einem Koopman zu unterscheiden, dürfte nur über den Orchesterklang an sich machbar sein, nicht alleine über den "musikalischen Ansatz" als Dirigenten selbst. Doch das können die Leute viel besser beurteilen, die in den Orchestern selbst sitzen.


    VG, Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Harnoncourt ist meistens sehr leicht von Koopman zu unterscheiden (bei Dvorak würde ich nicht drauf wetten, aber bei Bach, Händel, Haydn sollte es selbst für die hörbar sein, die bislang kaum etwas von diesen Interpreten gehört haben) und nicht am Orchesterklang (obwohl der Klang des Concentus Musicus meistens auch weit charakteristischer ist als der anderer HIP-Ensembles). Das liegt aber einfach daran, dass Harnoncourt einer der exzentrischsten Interpreten überhaupt ist und die Manierismen sich in ähnlicher Form immer wieder finden. Es ist auch erheblich leichter Gould oder Mustonen von Brendel zu unterscheiden als Brendel von Paul Lewis.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • "Wiedererkennung" in Jazz, Rockmusik und sog. Klassischer Musik

    Zitat von Maurice


    ...

    Man mag mich dafür jetzt zurecht weisen, aber die Individualität im Jazz scheint scheint mir dort weitaus wichtiger zu sein als in der Klassik. Dass dies so nicht stimmt, ist mir trotzdem klar, aber MIR kommt es so vor.

    Lieber Maurice,

    und vielleicht gilt das für die Rockmusik ebenso?

    Ein Grund könnte sein, dass es in diesen Bereichen nicht die Art von Ausbildung nach Schulen i. w. S. gibt, wie in der sog. Klassischen Musik. Zum Beispiel zeigt das Buch: Campbell, Margaret, Die großen Geiger - Eine Geschichte des Violinspiels von Antonio Vivaldi bis Pinchas Zuckerman -, Königstein/Ts., 1983; einen durchgehenden "Stammbaum" der großen Violinisten - ausgehend von Corelli, Vivaldi und Viotti sowie über Auer zur "UdSSR-Schule" - in dem die Lehrer-Schüler-Beziehungen bis ins 20. Jh. aufgeführt sind.

    Ein weiterer Grund könnte sein, dass in den Bereichen Jazz und Rockmusik die Partitur i. w. S. oder eine "Werktreue am Original" nicht die herausragende Stellung haben, da hier die "Originale" i. d. R. eingespielt bzw. aufgenommen und somit als Dokument festgehalten sind (und dieses für die sog. Klassische Musik lediglich für das 20. Jh. gelten könnte).

    Darüber hinaus ist die (individuelle) Improvisation immanenter*, herausragender Teil der Bereiche Jazz und Rockmusik.

    Ich bin mir bewusst, dass die Musiker der sog. Klassischen Musik berechtigte Zweifel haben.

    Bis dann.

    * Oder für die Freunde der Fremdwörter: ggf. ein intrinsischer Aspekt. ;+)

  • Harnoncourt ist meistens sehr leicht von Koopman zu unterscheiden (bei Dvorak würde ich nicht drauf wetten, aber bei Bach, Händel, Haydn sollte es selbst für die hörbar sein, die bislang kaum etwas von diesen Interpreten gehört haben) und nicht am Orchesterklang (obwohl der Klang des Concentus Musicus meistens auch weit charakteristischer ist als der anderer HIP-Ensembles). Das liegt aber einfach daran, dass Harnoncourt einer der exzentrischsten Interpreten überhaupt ist und die Manierismen sich in ähnlicher Form immer wieder finden. Es ist auch erheblich leichter Gould oder Mustonen von Brendel zu unterscheiden als Brendel von Paul Lewis.


    Bei Harnoncourt hilft auch, dass er immer mitatmet. Alleine schon durch das Geschnaufe erkennt man ihn.
    Der Concentus klingt sowohl auf CD als auch Live wesentlich dunkler als die meisten Ensembles. Der Klang ist markiger und nicht so durchsichtig oder, wie ich oft finde, gläsern wie bei manch anderen Ensembles. Ob den Concentus ich blind erkennen würde, war ich nicht zu behaupten.

    Das Chamber Orchestra of Europe hat auch einen sehr eigenen Klang. Zwar kenne ich nur Aufnahmen mit Harnoncourt, jedoch habe ich es zweimal mit anderen Dirigenten Live gehört und war überrascht sehr der CD-Klang dem Original nahe kommt.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Das Geschnaufe habe ich auf CDs noch nie gehört. "Dunkler", "erdiger", "saftiger", "farbiger" fällt auch mir als Klangcharakteristik ein. Auch bei den meisten Interpretationen Harnoncourts mit anderen Ensembles fallen mir zB sehr präsente und charakteristische Holzbläser auf. Aber noch verräterischer sind bestimmte Artikulationsarten, ebenso, jedenfalls bei den späteren Aufnahmen eine Art rubato (die von Kritikern oft als unorganisch oder willkürlich empfunden wird usw.). Blind erkennen ist natürlich schnell gesagt. Aber mich würde wundern, wenn jemand, der eine der "Pariser" Sinfonien aus der Aufnahme Harnoncourts gehört hat, bei einem Blindtest mit einer anderen Sinfonie dieser Werkreihe gegenüber zB Brüggen, Weil, Kuijken nicht ziemlich zuverlässig Harnoncourt/Concentus erkennen würde. Ebenso bei den Brandenburgischen Konzerten oder Händels op.6

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die frühen Digitalaufnahmen mit dem Concertgebouw haben auch einen ganz charakteristischen Klang, aber hier erkennt man wenn überhaupt eher das Studio und nicht den Orchesterklang selbst.

    Ad Geschnaufe: Deutlich hört man es beim Tripelkonzert und bei den Beethovenn-Ouvertüren. Bei Harnoncourt ist ein Einsatz oft mit einem Atmer verbunden.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Zitat

    Lieber Maurice,

    und vielleicht gilt das für die Rockmusik ebenso?

    Ein Grund könnte sein, dass es in diesen Bereichen nicht die Art von Ausbildung nach Schulen i. w. S. gibt, wie in der sog. Klassischen Musik. Zum Beispiel zeigt das Buch: Campbell, Margaret, Die großen Geiger - Eine Geschichte des Violinspiels von Antonio Vivaldi bis Pinchas Zuckerman -, Königstein/Ts., 1983; einen durchgehenden "Stammbaum" der großen Violinisten - ausgehend von Corelli, Vivaldi und Viotti sowie über Auer zur "UdSSR-Schule" - in dem die Lehrer-Schüler-Beziehungen bis ins 20. Jh. aufgeführt sind.

    Ein weiterer Grund könnte sein, dass in den Bereichen Jazz und Rockmusik die Partitur i. w. S. oder eine "Werktreue am Original" nicht die herausragende Stellung haben, da hier die "Originale" i. d. R. eingespielt bzw. aufgenommen und somit als Dokument festgehalten sind (und dieses für die sog. Klassische Musik lediglich für das 20. Jh. gelten könnte).

    Darüber hinaus ist die (individuelle) Improvisation immanenter*, herausragender Teil der Bereiche Jazz und Rockmusik.


    Nein, das würde ich SO nicht unterschreiben. Auch im Jazz gibt es diese "Schulen" , wenn auch in anderer Form. Unzählige Trompeter kommen von Louis Armstrong, Dizzy Gillespie oder Miles Davis her.


    Sidney Bechet, George Lewis und Benny Goodman haben ebenfalls unzählige "Schüler" gehabt, später kam dann der Einfluss des modernen Jazz hinzu (etwa Eric Dolphy), allen voran John Coltrane und Sonny Rollins bei im Grunde allen Instrumenten. Sei es wwas den Ton angeht, aber auch, was die Art der Improvisation angeht.


    Da es nun seit rund 30 - 40 Jahren auch Jazz als Hochschulfach gibt, ist auch hier eine "Akademische Schulung" in diversen Bereichen wie z.B. der Tongebung "lehrbar". Man nehme z.. den sog. "Drucklosen Ansatz" durch den Trompeter und Dozenten Malte Burba. Man mag ihn als Mensch nicht unbedingt mögen, aber er verdient damit durchaus Anerkennung und zugegeben auch viel Geld damit.


    In wie weit Rockmusiker heute auf dem gleichen Niveau wie Jazzmusiker improvisieren können, vermag ich überhaupt nicht einzuschätzen. Das ist nicht meine Musik und auch nicht meine Welt. Das sollen Andere beurteilen.


    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

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