Opern gegen den Strich gebürstet - gibt es das auch ins Positive?


  • Inzwischen wäre ich fest entschlossen, mal nach München zu fahren, um die komplette Produktion dort live zu sehen, aber es gibt auf absehbare Zeit nur noch eine Vorstellung, und an dem Tag habe ich keine Zeit. Schade...

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Inzwischen wäre ich fest entschlossen, mal nach München zu fahren, um die komplette Produktion dort live zu sehen, aber es gibt auf absehbare Zeit nur noch eine Vorstellung, und an dem Tag habe ich keine Zeit. Schade...

    Kann sein, dass dies (11.7.13) die letzte Aufführung von Konwitschnys Tristan-Inszenierung sein wird. Es geht das Gerücht, dass zum 10.6.2015, dem 150. Jahrestag der Münchner Uraufführung, am gleichen Ort eine Neuinszenierung des Werks in Szene gesetzt werden soll.

    Allerdings ist die Produktion nach 15 Jahren wirklich etwas abgespielt, zudem nicht ohne Schwächen (Konwitschny selbst soll ja - wieder ein Gerücht - nicht zufrieden gewesen sein...).


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich kann diesem Thread eine Neuentdeckung hinzufügen: den aktuellen Don Giovanni der ROH London, inszeniert von Kasper Holten. Er wartet insgesamt mit einer Reihe ungewohnter Ideen auf, die hier den Rahmen sprengen würden. Don Giovanni ist nicht nur der bekannte Frauenvernascher, sondern in dieser Inszenierung immer wieder subtil hin- und hergerissen zwischen seiner Fixierung und Momenten, in denen er selbst nicht glücklich darüber zu sein scheint. Das und auch die sehr offensive Zeichnung der Frauenfiguren war schon ungewöhnlich genug, aber in der Schlussszene blieb mir dann endgültig der Unterkiefer hängen: Don Giovanni verschwindet nach seinem letzen Schrei nicht in einer wie auch immer gearteten Hölle, sondern die Musik springt direkt zum Schlusssextett "Questo è il fin di chi fa mal", das aus dem off gesungen wird. Auf der Bühne ist allein Don Giovanni, der ungläubig, erstaunt und tief erschüttert wie aus einem Albtraum zu erwachen scheint. Ob er diese Erschütterung zum Anlass für die von Donna Elvira geforderte Änderung seines Lebens nimmt, bleibt offen, aber es läge aus meiner Sicht durchaus im Bereich des Vorstellbaren.
    Ich bin von dieser Inszenierung, die zugunsten der psychologischen Zeichnung vieles vernachlässigt, was mir beim Don Giovanni lieb ist (fast allen Glamour, viel von der erotischen Spannung und der Tragikomik), nicht durchweg begeistert. Aber Herr Holten hat trotzdem meinen tiefen Respekt für sein ebenso ungewöhnliches wie interessantes und für mich erstaunlich stimmiges Konzept.
    Nach seinem ebenfalls sehr ungewöhnlichen Eugen Onegin (der von Simon Keenlyside absolut grandios umgesetzt wurde) nun schon die zweite Holten-Inszenierung, die sich tief bei mir eingegraben hat. Ich bin jetzt schon sehr gespannt auf zukünftige Inszenierungen von ihm.

    VG, stiffelio


  • Weiß nicht, ob gerade Janacek so ein gutes Beispiel ist: Denn der "zart-optimistische" Zug seiner Opern ist ihm doch teilweise gerade durch die Konvention aufgedrückt worden, erwa indem Kovarovic den "Jenufa" - Schluss durch Bläserverdoppelung hymnisch aufgeblasen hat oder man in den ersten Aufführungen des "Totenhauses" den finsteren Schluss (das "Marsch!"-Kommando der Wachen) einfach weggelassen hat, um mit dem Jubel über den davonfliegenden Adler enden zu können...

    Und ob das Verbrennen des lebenserhaltenden Rezeptes (Sache Makropulos) oder die Erkenntnis des Försters über die Vergänglichkeit des Lebens (Füchslein) wirklich "zart positive" Schlüsse sind oder vielmehr hauptsächlich einen resignativen Zug tragen, ist nicht so richtig klar - auch weil der große Individualist Janacek sich wirklich schwer in irgendeine "Richtung" oder "Tendenz" einordnen lässt.

    Also ich empfinde diese Schlüsse alle als positiv-realistisch, und zwar jeweils in der Originalfassung. Die Jenufa sowieso (die Kovarovic-Fassung ist nur bombastisch und aufgeblasen, aber sie klingt nicht optimistischer als das Original), darüber haben wir uns schon einmal im entsprechenden Thread unterhalten. Vec Makropulos endet mit der Erlösung der Elina Makropulos; dass sie es selbst als Erlösung betrachtet, wird in Text und Musik m.E. unzweifelhaft deutlich. Im "Füchslein" transzendiert das m.E. religiös aufgeladene Ende jede individuelle Tragödie: die pantheistisch anmutende Einbindung aller Einzelschicksale in einen unveränderlichen Kreislauf der Natur, die im Förster-Monolog und vor allem auch in der Wortmeldung des Frosches erscheint, ist auf ähnliche Weise ein Happy End wie die Himmelfahrt in mittelalterlichen Märtyrerlegenden (das kann man als Regisseur oder Interpret natürlich problematisieren; aber von der Intention des Komponisten her ist das Ende m.E. kaum als "resignativ" zu verstehen). Das Kommando der Wachen in "Z mrtvého domu" schließlich vermag in seiner Kürze den Optimismus nur realistisch einzutrüben, nicht zu ersticken.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Opern gegen den Strich gebürstet ? Manchmal ist es werktreuer als man denkt

    Das wohl bekannteste Beispiel wo ein Dirigent ein Werk gegen den Strich gebürstet hat, ist Otto Klemperers legendärer Don Giovanni aus den 60ern, erschienen bei EMI, (ein sehr gutes Digitalisat). Und diese Operneinspielung ist genau dametral entgegen der beiden gängigen Interpretationsansätze, die man bei Mozart so spielt. Die einen Dirigenten sagen, Mozart hieß (Phrasenschweinzitat ich weiß) Mo ZART und wenn dieser Mo ZART ein Fortissimo schreibt, dann ist es ein Mezzoforte, so die Aufführungstradition der 50 er Jahre. Mozart muss weich, leise, so schön ästhetiserend wie möglich gestaltend gespielt werden, Und dann gibt es die HIP Bewegung, Mozart muss schnell spritzig pointiert asketisch gepielt werden. Aber beide interpreationsansätzte sind nicht werggerecht, und laufen Mozarts Intention streng zu wider. Weil sie nicht den Mozart zeigen, wie er seine Werk Don Giovanni gespielt haben wollte, Und das was wir einen Kompomisten so andichten, und wie auch folgerichtig die Aufführungstradition gepflegt wurde, entspricht dem Philosophen Blumenberg. Die Menschheit schuf Gott nach ihrem Bilde. Die vermeintlichen gegen den Strich Bürster interpretieren die Werke mit Sicherheit manchmal besser als die herkömmliche Aufführunstradition. Zurück zu Klemperers Don Giovanni. Er ist der einzige bislang mir bekannte Dirigent, der den Don als Dramna Giocoso wirklich spielt, wo das Lachen dem Hörer im Halse stecken bleibt. So wie es Mozart haben wollte und das ist für die meisten eine Oper gegen den Strich gebürstet.

  • Aber beide interpreationsansätzte sind nicht werggerecht, und laufen Mozarts Intention streng zu wider. Weil sie nicht den Mozart zeigen, wie er seine Werk Don Giovanni gespielt haben wollte,


    Darf ich mir Deine Kristallkugel beizeiten mal ausborgen? Ich würde gerne wissen, wer nun wirklich Kennedy ermordet hat und wie die Lottozahlen vom kommenden Samstag lauten. ;) Außerdem könnte ich noch herausfinden, wie ich Mozarts d-moll-Fantasie exakt zu spielen habe.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Wie stark muss man denn bürsten, damit es gegen den Strich geht? Ich erinnere mich an die Inszenierung der Norma vor ca. 3 Jahren aus Dortmund, die meine Mutter nicht schön fand, weil das Bühnebild sehr asketisch war und die Norma "einen Putzlappen" als Schal bzw. Oberteil trug. Ich konnte daran nichts Gegenbürstiges finden - mir hat es gut gefallen.

    Helli

  • Die wohl berühmteste zur Zeit der Klemperer-Aufnahme schon vorliegende Don-Giovanni-Aufnahme, Buschs aus Glyndebourne, entspricht eigentlich nicht dem MoZART-Klischee.
    Und seither veröffentlichte Mitschnitte, z.B. Walter/MET 1940er, Furtwängler und Mitropoulos Salzburg 1950er eher noch weniger als Klemperer oder Busch.
    (Kann natürlich sein, dass die alle nur aufgrund der mäßigen Tonqualität so unzart klingen ;))
    Jedenfalls melden sich bei mir schon leise Zweifel, dass "zärtlich" der dominierende Aspekt der Mozart-Interpretation gewesen wäre. Jedenfalls nicht bei allen Werken und bei sehr berühmten Interpreten/Aufführungen auch nicht.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

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