Opern gegen den Strich gebürstet - gibt es das auch ins Positive?

  • Ich glaube ja ohnehin, daß es leichter ist ein (scheinbar) harmloses Stück mit Happy End in eine Tragödie zu verwandeln als in einem Stück mit tragischem Ausgang einen versöhnlichen Zug zu finden.
    Eine Welt zu zertrümmern ist nicht besonders schwer.
    Sarastro als Sektenführer, Vergasungen im Tannhäuser und bald vielleicht ein paar Vergewaltigungen im Liebestrank (immerhin kommen da Soldaten ins Dorf, und man weiß ja, wie die so drauf sind) und ab dafür.
    Nicht daß ich das gut fände, aber ich frage mich schon, warum sich das umgekehrt niemand traut: Butterfly retten ohne sie Suzuki und ihr Kind meucheln zu lassen. Natürlich: weil es nicht zur Musik passt und nicht im Textbuch steht, aber das stört andersherum ja mittlerweile auch immer weniger Regisseure. Also gehe ich davon aus, daß ein glückliches Ende spießig und etwas für Idioten ist und verhindert werden muß, während ein möglichst düsterer, möglichst lethaler Ausgang nur begrüßt werden kann... ;+)

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • ch glaube ja ohnehin, daß es leichter ist ein (scheinbar) harmloses Stück mit Happy End in eine Tragödie zu verwandeln als in einem Stück mit tragischem Ausgang einen versöhnlichen Zug zu finden.

    Eine Welt zu zertrümmern ist nicht besonders schwer.

    [...]
    Nicht daß ich das gut fände, aber ich frage mich schon, warum sich das umgekehrt niemand traut:

    Einfach, weil ein lieto fine mancherorts eine Konvention war, wie das happy end in Hollywood. Das Tragische am Schicksal, das die Griechen schon eindrucksvoll auf die Bühne gebracht haben, wurde zwangsweise ignoriert, vertuscht, weggesungen. Aus unterschiedlichen Gründen, nicht zuletzt um einen politischen Optimismus zu verbreiten, eine allgegenwärtige Strategie.
    Die Tragödie hat sich hartnäckig auf der Sprechbühne gehalten aber dort ist sie auch ständig vom drame bourgeois bedroht worden, das zeigen wollte, daß es alles in allem nicht so schlimm ist.
    Auf der Singbühne war der Drang zur Verharmlosung größer. Sogar Hamlet hat ein lieto fine in der Oper bekommen.

    Und das noch 1868, 55 Jahre nachdem zum ersten Mal Rossini gegen die Konvention brach und für seinen Tancredi ein finale tragico nachkomponierte, was nach und nach dazu führte, daß sich die Oper vom Optimismuszwang befreite.

    Deshalb ist jetzt auch die Versuchung groß, szenographisch dagegen zu agieren und den aufgesetzten Optimismus als das zu zeigen, was er ist, nämlich aufgesetzt.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ein Hamlet mit einem Prinzen der überlebt geht natürlich komplett am Stück vorbei und ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich die Oper zum erstenmal gesehen habe, allerdings finde ich gerade
    diese Umsetzung eines Dramas, trotz der schönen Musik, ohnehin nicht besonders gelungen. :S
    Ein ZWANG zum Optimismus auf der Opernbühne ist selbstverständlich nicht gutzuheißen, aber mit der Brechstange ales in eine Tragödie zu verwandeln kann auch nicht die Lösung sein.
    Ich gebe zu, daß die Zauberflöte hier in der Tat nicht das beste Beispiel ist, denn Sarastro und seine Mannen kann man durchaus und mit einem gewissen Recht als dubiose Sekte interpretieren.
    Eine sehr gelungen Umdeutung eines ursprünglich heiteren Finales habe ich vor einigen Jahren in unserem Theater erlebt: in „Siroe, Re di Persia“ gibt es dieses sehr seltsame Happy End: nachdem Siroes Vater, König Cosroe die komplette Familie von Emira im Kampf getötet hat, heiratet Emira nach diversen Verwicklungen Siroe, der von ihr verlangt, den Haß auf seinen Vater aufzugeben. Emira ist in einem ähnlichen Konflikt wie Aida: hin- und hergerissen zwischen Haß und liebe. Am Schluß zerbricht Emira, entgegen dem was im Text steht, an diesem Konflikt. Sie heiratet Siroe, wird aber wahnsinnig. Das hat erstaunlich gut zur Musik gepasst, und mich mit dem seltsamen, unpassend heiteren Ende versöhnt. Im allgemeinen aber mag ich es nicht, wenn eine Komödie zur Tragödie umgedichtet wird, sooo schlimm ist das Leben gar nicht und manche Dinge gehen nunmal
    tatsächlich gut aus.
    Zum Glück.

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • Ein ZWANG zum Optimismus auf der Opernbühne ist selbstverständlich nicht gutzuheißen, aber mit der Brechstange ales in eine Tragödie zu verwandeln kann auch nicht die Lösung sein.


    Liebe Mina, DANKE für diesen Satz! :yes:
    Selbstverständlich gibt es wunderbare tragische Opern und das soll auch so bleiben, aber Optimismus muss auch nicht immer aufgesetzt sein. Auch nicht in der Oper. Zum Glück.

    Nur noch eine kleine Nebenbemerkung zum HAMLET: den habe ich inzwischen sowohl mit einem sterbenden als auch mit einem überlebenden Hamlet gesehen. Aber auch der überlebende Hamlet hat für mich ganz bestimmt keine optimistische Oper daraus gemacht. Ehrlich gesagt, habe ich eher den Eindruck, dass das Überleben für Hamlet das tragischere Ende war. Das mag natürlich anders gewesen sein, als die Oper geschrieben wurde und damals tatsächlich einem "Zwang" unterlegen haben.
    Aber ein Drama, das zur Oper wird, ist sowieso m.E. praktisch immer eine derart tiefgreifende Umwälzung, dass von ursprünglichen Drama nicht mehr viel übrig bleibt.

    VG, stiffelio

  • Eine Kollegin von mir (Deutschlehrerin) wurde einmal von einem ihrer Schüler gefragt, warum so viele Werke, die im Deutschunterricht gelesen werden, schlecht enden. Sie antwortete, dass zur Entstehung eines Werkes das Bedürfnis des Autors dazugehöre, in irgendeiner Form seine Sicht der Welt zum Ausdruck zu bringen. Dieses Sich-ausdrücken-müssen empfinde aber ein Autor mit einer problematischen Beziehung zu seiner Umwelt viel dringlicher als jemand, der glücklich ist, sich behaglich eingerichtet oder arrangiert hat. Wo keine Spannung vorhanden ist, da sei auch wenig Ausdrucksbedürfnis. Und das halte auch ich zumindest tendenziell für korrekt: Wer glücklich ist, muss nichts ändern. Wer unglücklich ist, der schreibt dagegen an und dadurch erhält seine problematische Beziehung zur Umwelt Eingang in sein Werk.

    Das ist natürlich eine pauschalisierende und vereinfachende Antwort (und für Oberstufenschüler gedacht). Trotzdem finde ich, dass sie einen wahren Kern enthält, der auch für andere Kunstformen gelten kann.

    Tharon

  • Die Franzosen haben sogar ein Sprichwort dazu:
    Les gens heureux n'ont pas d'histoire

    Glückliche Leute haben keine Geschichte

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Wer glücklich ist, muss nichts ändern. Wer unglücklich ist, der schreibt dagegen an und dadurch erhält seine problematische Beziehung zur Umwelt Eingang in sein Werk.


    Da ist was dran, das klingt auch für mich einleuchtend.
    Aber umso wichtiger finde ich es dann, die Werke, in denen ein heiterer oder versöhnlicher Stoff verewigt wurde, nicht auch noch umzukrempeln.

    VG, stiffelio


  • Da ist was dran, das klingt auch für mich einleuchtend.
    Aber umso wichtiger finde ich es dann, die Werke, in denen ein heiterer oder versöhnlicher Stoff verewigt wurde, nicht auch noch umzukrempeln.

    VG, stiffelio

    Wenn es denn ein genuin heiterer und versöhnlicher Stoff ist ... Ich kann mir vorstellen, dass manche Theaterautoren unter dem Druck der gesellschaftlich-politischen Konvention vom lieto fine einen Stoff mehr "gestreamlinet" haben, als sie es ohne die Konvention aus freien Stücken getan hätten. In diesem Fall würde eine "aufrauende" Inszenierung den ursprünglichen Kern der Idee wieder frei legen. Natürlich erst mal Spekulation, aber nicht ganz abwegig, wie ich finde.

    Ansonsten finde ich es sehr interessant und spannend, dass Du dieses Thema aufgebracht hast, Stiffelio!

    DiO :beatnik:

    "Wer Europa in seiner komplizierten Verschränkung von Gemeinsamkeit und Eigenart verstehen will, tut gut daran, die Oper zu studieren." - Ralph Bollmann, Walküre in Detmold

  • In diesem Fall würde eine "aufrauende" Inszenierung den ursprünglichen Kern der Idee wieder frei legen.


    Hallo DiO,

    ja, zugestanden. Ich habe aber bei dieser Gelegenheit gemerkt, dass ich doch vorwiegend Opern mit Enstehungsjahr nach 1813 konsumiere, als die lieto fine-Linie schon gebrochen war (zumindest Verdi hat sich nach meinem Eindruck überhaupt nicht mehr daran gehalten).
    Und da halte ich umgekehrt auch Minas Vermutung für beachtenswert: könnte es sein, dass ein modernerer Komponist sich gar nicht mehr traut, einer Oper einen versöhnlichen Schluss zu geben, damit sie nicht spießig wirkt?
    Bei manchen Inszenierungen war es auf jeden Fall so, dass ich das Gefühl hatte, dass der Regisseur am Schluss Angst vor der eigenen Courage bekommen und noch schnell ein tragisches Ende draufgebastelt hat, das dann wenig zum Rest passte (als Beispiel fällt mir im Moment die FIDELIO-Inszenierung 2012 aus Kassel ein, die wird freilich wohl kaum jemand hier kennen).

    VG, stiffelio


  • Und da halte ich umgekehrt auch Minas Vermutung für beachtenswert: könnte es sein, dass ein modernerer Komponist sich gar nicht mehr traut, einer Oper einen versöhnlichen Schluss zu geben, damit sie nicht spießig wirkt?

    Mit Janácek als großem Vorbild würde ich sagen: Der versöhnliche Schluss ist definitiv auch in der Moderne möglich. Oder sogar nötig, denn gerade bei Janácek überzeugen mich die tragisch endenden Opern (Kat'á Kabanova, Osud, Sárka - letztere nur der Vollständigkeit halber genannt, ich kenne sie nämlich nicht) - weniger als die komischen (Broucek) und zart-optimistischen (alle anderen).

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ich glaube in der Tat, daß es die Kompromisse die Menschen machen die beschlossen haben glücklich zu sein sind, die manche Regisseure nicht ertragen können.
    Um nochmal auf die Zauberflöte zu kommen: es ist heute einfacher, Sarastros Welt in Bausch und Bogen zu verdammen und als faschistisch darzustellen, als die Brüche, die es in dieser Welt ohne jeden Zweifel gibt, stehen zu lassen und zu akzeptieren, daß jeder Charakter der Oper anders dmit umgeht. Pamina und Tamino nehmen um der hehren Ideale willen diese Welt hin wie sie ist, Papageno will damit nix zu tun haben haben und geht mit Papagena seiner Wege. Genauso ist das Leben: jeder zieht andere Konsequenzen. Daran ist nichts schlimmes und der Zuschauer mag selber entscheiden, welchen Weg er für besser hält. (ICH habe mich entschieden :D ).
    Am tragischen Ende mit aller Gewalt stört mich, daß der Zuschauer oft für blöd gehalten wird: als würden wir die Kehrseite eines heiteren Endes nicht mitkriegen wenn man es uns nicht mit dem Holzhammer einprügelt. :boese:
    Im Übrigen geht es mir wie Stiffelio: ich höre auch vor allem Opern mit ohnehin tragischem Ausgang.
    Wobei noch die Frage wäre, was tragischer ist: eine Traviata, an deren Ende sich Alfredo nach angemessener Trauerzeit wieder neu, und hoffentlich glückvoller, verlieben wird und Violetta, die ohnehin an ihrer Krankheit gestorben wäre, in Frieden ruht, oder Figaro, an dessen Ende der Herr Graf nach eienr gewissen Zeit der Scham und Reue wieder auf's neue den Fraun hinterhersreigt und alles von vorne losgeht.

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • oder Figaro, an dessen Ende der Herr Graf nach einer gewissen Zeit der Scham und Reue wieder auf's neue den Fraun hinterhersreigt und alles von vorne losgeht.


    Im dritten Teil von Beaumarchais' Figaro-Trilogie, La Mère Coupable, hat Chérubin mit der Gräfin eine Nacht verbracht. Reumütig haben sich beide getrennt und der Page ist in den Krieg gezogen, wo er gefallen ist, bevor die Gräfin seinen Sohn Léon gebar.
    Der Graf hat auch außereheliche Abenteuer gehabt. Frucht davon ist Florestine. Keiner weiß, daß Léon nicht vom Grafen ist. Léon und Florestine sind ineinander verliebt usw usf ...

    Als Oper wurde es 1966 von Darius Milhaud vertont.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Mit Janácek als großem Vorbild würde ich sagen: Der versöhnliche Schluss ist definitiv auch in der Moderne möglich. Oder sogar nötig, denn gerade bei Janácek überzeugen mich die tragisch endenden Opern (Kat'á Kabanova, Osud, Sárka - letztere nur der Vollständigkeit halber genannt, ich kenne sie nämlich nicht) - weniger als die komischen (Broucek) und zart-optimistischen (alle anderen).


    Weiß nicht, ob gerade Janacek so ein gutes Beispiel ist: Denn der "zart-optimistische" Zug seiner Opern ist ihm doch teilweise gerade durch die Konvention aufgedrückt worden, erwa indem Kovarovic den "Jenufa" - Schluss durch Bläserverdoppelung hymnisch aufgeblasen hat oder man in den ersten Aufführungen des "Totenhauses" den finsteren Schluss (das "Marsch!"-Kommando der Wachen) einfach weggelassen hat, um mit dem Jubel über den davonfliegenden Adler enden zu können...

    Und ob das Verbrennen des lebenserhaltenden Rezeptes (Sache Makropulos) oder die Erkenntnis des Försters über die Vergänglichkeit des Lebens (Füchslein) wirklich "zart positive" Schlüsse sind oder vielmehr hauptsächlich einen resignativen Zug tragen, ist nicht so richtig klar - auch weil der große Individualist Janacek sich wirklich schwer in irgendeine "Richtung" oder "Tendenz" einordnen lässt.

    Im übrigen gibts doch einige Standardwerke des 18. und 19, Jahrhunderts, deren "positives" Ende doch ziemlich plötzlich und gewaltsam erscheint. WAgner hat 20 Jahre nach der Entstehung seinem "Holländer" eine fragwürdige Apotheose angehängt. Ebenso endet die Vorlage zum Freischütz (Gespensterbuch von Apel) konsequent tragisch, was die Autoren der Oper meinten, dem Publikum nicht zumuten zu können, und was an dem sehr offenen Schluss bei "Cosi fan tutte" positiv sein soll, weiss ich auch nicht - vom "Also stirbt, wer Böses tat" bei Don Giovanni ganz zu schweigen.

    Auch wenn auch mir manchmal das "Positive" fehlt (Kästner: "Ja. weiß der Teufel, wo das bleibt..."): Wenn heutige Interpreten die Brüche in solchen Stücken aufzuzeigen versuchen und solche Art des "lieto fine" in Frage stellen, ist das meines Erachtens verdienstvoll und bereichert die Vorlage.

  • Bei manchen Inszenierungen war es auf jeden Fall so, dass ich das Gefühl hatte, dass der Regisseur am Schluss Angst vor der eigenen Courage bekommen und noch schnell ein tragisches Ende draufgebastelt hat, das dann wenig zum Rest passte (als Beispiel fällt mir im Moment die FIDELIO-Inszenierung 2012 aus Kassel ein [...]

    Da hat doch der Regisseur recht unbeholfen versucht, das Publikum an der Nase herumzuführen: Zu den Klängen der Schlußapotheose kehrt die Szenerie wieder in den Kerker zurück, zu Pizarros Mordversuch. Ich hätte ja eine Wendung ins tragische angesichts Beethovens etwas unglaubwürdigem Happy End noch nachvollziehen können (auch wenn die Musik in dem Moment anderes sagt) - aber am Ende erschießt Pizarro ja gar nicht Florestan und/oder Leonore (auch wenn man das bis zur vorletzten Sekunde erwartet), sondern sich selbst. Hanebüchen! War auch sonst eine der unbeholfensten Inszenierungen, die ich je gesehen habe; dafür gab es eine unerwartet prächtige Leonore namens Kelly Cae Hogan - war den Besuch alleine wert!

    Allgemein zum Thema: bei Opern, deren happy end für uns Zuschauer heute unglaubwürdig ist, finde ich es völlig korrekt, wenn die Regie das auch ausführt; anders müsste es ihr halt gelingen, das glückliche Ende "gegen den Strich" glaubhaft zu machen. Wenn das gelingt: auch gut!

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Fidelio beruht ja angeblich auf einer wahren Begebenheit.
    Glaubwürdigkeit ist ein ziemlich dehnbarer Begriff, der nicht nur positiv endende Dramen betrifft. Einer der bekanntesten abendländischen Tragödienstoffe beruht auf einem ziemlich unglaubwürdigen Konflikt, da hat einer rein zufällig den Vater erschlagen und die Mutter geehelicht, ohne mitzukriegen, was er tat...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Hallo pedrillo,

    Im übrigen gibts doch einige Standardwerke des 18. und 19, Jahrhunderts, deren "positives" Ende doch ziemlich plötzlich und gewaltsam erscheint. WAgner hat 20 Jahre nach der Entstehung seinem "Holländer" eine fragwürdige Apotheose angehängt. Ebenso endet die Vorlage zum Freischütz (Gespensterbuch von Apel) konsequent tragisch, was die Autoren der Oper meinten, dem Publikum nicht zumuten zu können, und was an dem sehr offenen Schluss bei "Cosi fan tutte" positiv sein soll, weiss ich auch nicht - vom "Also stirbt, wer Böses tat" bei Don Giovanni ganz zu schweigen.

    bei Don Giovanni stimme ich dir zumindest teilweise zu. Soweit ich weiss, soll Mozart das Schlussquintett auch wirklich erst auf Druck angefügt haben, stimmt das?
    Zu Cosi fan tutte und zum Freischütz kann ich mich nicht fundiert äußern.
    Aber beim Holländer muss ich dir widersprechen: Ich kenne keinen Hinweis, dass Wagner den "neuen" Schluss auf äußeren Druck angehängt hätte. Er ist aus meiner Sicht auch keine Veränderung, sondern nur eine Verdeutlichung der ursprünglichen Aussage.
    Ich kann Sentas letzten Satz "Preis seinen Engel und sein Gebot: hier steh ich, treu dir bis zum Tod" nicht anders deuten, als dass die Forderung des Engel mit Sentas Tod erfüllt wird und der Holländer also erlöst wird. Daran ist für mich nichts fragwürdig.
    Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass Wagner die unmißverständliche musikalische Erlösung deshalb noch angehängt hat, weil er genervt von den Opernregisseuren war, die das nicht verstanden haben. :D

    Auch wenn auch mir manchmal das "Positive" fehlt (Kästner: "Ja. weiß der Teufel, wo das bleibt..."): Wenn heutige Interpreten die Brüche in solchen Stücken aufzuzeigen versuchen und solche Art des "lieto fine" in Frage stellen, ist das meines Erachtens verdienstvoll und bereichert die Vorlage.

    Kästner hat auch mal geschrieben: "Es ist leicht, das Leben schwerzunehmen. Und es ist schwer, das Leben leichtzunehmen. Das gilt, heute mehr denn je, für alle Menschen. Für uns Deutsche im besonderen. Und ganz speziell für unsere tragischen Barden und ihre theoretisierenden Herolde und Stabstrompeter. ...Die deutsche Literatur ist einäugig. Das lachende Auge fehlt. Oder hält sie es nur krampfhaft zugekniffen?" (Quelle: Aufsatz "Die einäugige Literatur", Februar 1946)
    Einen solchen Lidkrampf vermute ich manchmal auch bei einigen Opernregisseuren.

    VG, stiffelio

  • Die utopisch-glückstrahlende Vereinigung von Tristan und Isolde zum sogenannten Liebestod in Konwitschnys Münchner Inszenierung fällt mir hier ein.

    aber stehen dann am Schluss nicht doch die beiden Särge auf der Bühne um zu zeigen, dass diese Vereinigung bloß in Isoldes Sterbetraum stattfand?

    ________________________________________________________________________________________________________

    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • aber stehen dann am Schluss nicht doch die beiden Särge auf der Bühne um zu zeigen, dass diese Vereinigung bloß in Isoldes Sterbetraum stattfand?

    Es stimmt, dass beides inszeniert wird: der Tod (analog zu Markes und Brangänes Klagen) auf der Bühne und die Vereinigung (analog zu Isoldes Musik) auf der Vorderbühne. Ich habe aber immer die Vereinigung als das stärkere Moment empfunden: schon zu den kurzen instrumentalen Andeutungen des "Liebestodes" (in Streichern und gedämpften Hörnern während der Klagen Markes und Brangänes) schließt sich der Vorhang immer ein kleines Stück weiter, während Isoldes Gesang wird er schließlich ganz geschlossen und wir als Publikum im Nationaltheater sind mit dem sich vereinenden Paar vereint. Erst zu den letzten Takten gehen die beiden dann traut umschlungen ab, der Vorhang öffnet sich wieder und zeigt die Trauergemeinde. Was hier "Realität" und was "Traum" ist, wage ich da nicht zu entscheiden. Es ist auch ein wenig Spiel im Spiel dabei - die beiden Hauptpersonen werden schon kurz vor Schluss mehr und mehr zu den gefeierten Darstellern einer Opernaufführung.

    (Relativierende Bemerkung: ich habe die Produktion zwar in den letzten zwölf Jahren dreimal live und einmal aus der Konserve gesehen, aber möglicherweise täuscht mich meine Erinnerung auch bei bestimmten Details.)


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Nachtrag: den "Liebestod" aus der Münchner Produktion gibt's auch online (die Minuten vorher wohl leider nicht):

    "

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    "

    Ganz zu Anfang steigen Isolde und der auferstandene Tristan auf die Vorderbühne hinunter, der Vorhang wird geschlossen, Tristan setzt sich zu den Füßen Isoldes nieder. Ganz zum Schluss (ab ca. 6:00) kann man sehen, wie Isolde Tristan zu sich hochzieht und die beiden Hand in Hand (nicht umschlungen) seitlich abgehen, während sich kurz noch einmal der Vorhang öffnet und die Särge mit den beiden Wächtern Marke und Brangäne sichtbar werden.

    Deutlich wird vor allem, warum eine Aufzeichnung ein so jämmerlicher Ersatz für eine im Theater erlebte Aufführung ist: die Kamera zoomt die ganze Zeit auf das (zweifellos sehr ausdrucksvolle) Gesicht von Waltraud Meier, die Szene wirkt nicht nur angedeutet, sondern ausschließlich als quasi-konzertante Darbietung. Wie Isolde/Waltraud Meier abwechselnd mit dem vor ihr sitzenden und sie anhimmelnden Tristan und mit dem Publikum (Seht ihr's, Freunde?) kommuniziert, ist kaum zu erleben.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Also: an der Schwelle vom 20. zum 21.Jh. hat Kunst ganz klar das Scheitern des Individuums und aller von ihm geschaffenen Strukturen und Beziehungen zu thematisieren. Ein lieto fine ist B-Movies aus Hollywood und Fernsehserien vorbehalten. Sowas wollen wir nicht. Außerdem hatten wir jetzt 400 Jahre lang zahllose Götter, die aus irgendwelchen Maschinen gekrochen sind und für das happy end gesorgt haben. Jetzt wollen wir das endlich mal andersherum sehen. Jawollja! Kein Trompetensignal für das Finale von Fidelio! Florestan stirbt nach seiner Arie an Entkräftung, Leonore erschießt erst Pizzarro und anschließend sich selbst, Marzeline springt aus Liebeskummer vom Söller, Jaquino geht zur Fremdenlegion, Don Fernando bleibt in seinem Büro und Rocco darf den Lauf der Welt beklagen. So muß Oper sein! Wer will da schon Re persönlich vom Obelisken klettern sehen, um Aida mit Radames zu vermählen und anschließend Freibier für alle auszugeben?! Zeitgemäß-viktorianischer Zimperlichkeit gemäß sind ohnehin alle Nubier bereits beim Triumphmarsch (gestrichen: Triumph ist nicht zeitgemäß! Marsch auch nicht!) mit offenen Armen zu empfangen und zu integrieren. Genaugenommen handelt es sich ja auch um keine frisch gefangenen Sklaven (nicht zeitgemäß! Brauchen wir hier nicht! Wir produzieren in Nubien! Krieg führen haben wir daher nicht nötig!) sondern um eine Handelsdelegation der Nubischen Partnerstadt, bei deren Besuch sich Jungunternehmer Radames und Jungmanagerin Aida wunschgemäß näherkommen. Seine Ex Amneris verzichtet selbstredend großherzig und tröstet sich mit Amonasro, dem Chef der Delegation. Der hat die größere Firma mit mehr Sklaven, äh, Mitarbeitern in Nubien. Und das Grabmal ist gar kein Grabmal, sondern das Fundament von dem neuen Opernhaus, das dem Ramphis seine Baufirma errichtet und was sich schließt ist die Platte auf dem Grundstein... So ist allen geholfen und wenn sie nicht gestorben sind...

    Äääähh - Wenn ich jetzt so darüber nachdenke...
    :D

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

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