Opern gegen den Strich gebürstet - gibt es das auch ins Positive?

  • Opern gegen den Strich gebürstet - gibt es das auch ins Positive?

    Anlass zu meiner Frage gab die unvorsichtige Lektüre des Fadens https://www.capriccio-kulturforum.de/berichte-von-o…03-2011-bieito/ . Bei der Vorstellung einer ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, in der die dort beschriebenen Szenen ablaufen, schrie meine Fantasie gequält auf und suchte aus Selbstschutz eilig die Flucht ins andere Extrem. Das war freilich, was das eigene Erleben betrifft, nicht so ergiebig, und so lautet nun meine Frage an euch:
    Gibt es auch Anti-Bietos? Also Regisseure, die es schaffen, aus tragischen Opern versöhnliche, humanistische Ideale feiernde Manifeste zu machen? (gern natürlich auch andere positive Ideale, ich bin nicht auf den Humanismus fixiert).
    Ich gestehe, dass mich zur Abwechselung ja mal eine Tosca reizen würde, die am Schluss ihrem Mario (der nur angeschossen und daher kurze Zeit bewusstlos war) in die Arme springt. Wenn nötig, darf dann auch Scarpia nur scheintot gewesen sein und pantomimisch zum Schluss, von Reue geschüttelt, eine Generalamnestie verkünden.
    Oder ein Lohengrin, dem Kraft seines Gebetes erlaubt wird umzukehren, seine Elsa in die Arme zu schließen und mit ihr in Monsalvat eine neue Generation ritterlicher Retter zu begründen.
    Eine Götterdämmerung, an der am Schluss alle geläutert wieder auferstehen, Hunding mit Siegmund Brüderschaft trinkt und die Rheintöchter Alberich einen Tauchkurs spendieren oder ein Don Giovanni, dem das nimmermüde Gebet Donna Elviras die Höllenfahrt erspart, kann ich mir zwar schon deutlich schwerer vorstellen, aber auch nicht schwieriger als eine ENTFÜHRUNG, die in Folter, Mord und Selbstmord mündet.
    Das war zwar jetzt bewusst nicht ganz bierernst formuliert, aber Antworten mit ernsthaftem Hintergrund würden mich trotzdem sehr interessieren. Oder falls es dafür keine Beispiele geben sollte (was ich nicht hoffe): warum ist das so, dass die Bürsterei ins Negative offenbar leichter fällt als ins Positive?

    VG, stiffelio

  • Ich habe schon (zu) oft erlebt, wie Beckmesser am Ende der "Meistersinger" wieder freundlich in den Kreis aufgenommen wird.

    Billy Budd habe ich schon als Engel vom Himmel den Captain befummeln sehen.

    Und irgendwo sind mal alle Gralsritter im Parsifal verreckt - positiver geht's nicht. :D

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Die utopisch-glückstrahlende Vereinigung von Tristan und Isolde zum sogenannten Liebestod in Konwitschnys Münchner Inszenierung fällt mir hier ein.

    Apropos Parsifal: Irgendwo haben Parsifal und Kundry am Ende des dritten Akts mal geheiratet - ich weiß aber nicht mehr, in welcher Inszenierung.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • oder die fröhlichen Alten bei ihrer ausgelassenen Karusellfahrt am Ende von Bietios Version von Händel: "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" in Stuttgart

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Hm, da sind schon ein paar ganz interessante Beispiele dabei, wenn auch noch nicht so 100%ig das, was mir vorschwebte (insbesondere bei Alberichs Vorschlägen nahm meine Zustimmung mit fortschreitender Reihenfolge dann doch deutlich ab ;+) ). Wobei ich einräumen muss, dass ich IL TRIONFO... nicht kenne. Ich hatte auch vergessen hinzuzufügen, dass mir am liebsten Beispiele sind, die man auf DVD oder anderen Aufzeichnungen überprüfen kann.
    Bernd, der TRISTAN von Konwitschny war mir auch schon eingefallen und teilweise trifft er auch das, was ich suche. Aber da sind immer noch die Särge, Marke und Bangräne trauern.... Dass Tristan und Isolde am Schluss der Oper vereint werden, nur typischerweise nicht ganz so optisch sichtbar wie bei Konwitschny, daran hatte ich sowieso noch nie Zweifel. Insofern ist das weniger eine echte Umdeutung für mich.
    Wenn dir noch die PARSIFAL-Inszenierung einfällt, in der der Parsifal und Kundry heiraten, würde mich das auch interessieren.

    Ansonsten vielen Dank für die bisherigen Vorschläge und ich hoffe durchaus noch auf weitere :k:
    VG, stiffelio

  • "Parsifal", Bayreuther Festspiele, Regie Stefan Herheim: Schlußbild mit Gurnemanz, Kundry und kleinem Jungen quasi als "glückliche Familie".

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • In Kupfers Bayreuth-Ring gehen beim Fall des schiefen Vorhangs ein Junge und ein Mädchen Hand in Hand mit der Taschenlampe das Gute in der Welt suchen.
    Furchtbar kitschig, aber bombig positiv im Sinne des Threaderöffners.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • ich weiß nicht, ich weiß nicht :shake:
    Symbol, die traute Familie schön und gut, aber was ist mit Amfortas?
    Audiamus, unter "bombig positiv" scheine ich doch etwas anderes zu verstehen als du. Dieses Kinderpaar, ist das mehr als eine äußerst vage Hoffnung in einer Welt, in der alle Erwachsenen auch im Schlussbild optisch erkennbar versagen? Auch aus diesen Kindern werden Erwachsene werden und wer sagt, dass sie dann auch nur einen Deut besser werden als die letzte Generation? (und um mal ganz miesepetrig zu sein: woran erkennst du überhaupt, dass sie sich aufmachen, um "das Gute zu suchen" und nicht nur aus einer für sie unerträglichen Situation fliehen, egal wohin?)

    Oje, ich hab das Gefühl, ich bin doch zu anspruchsvoll.

    VG, stiffelio

  • Auch Konwitschny: Tannhäuser in Dresden. Die Liebesgeschichte spielt sich weniger zwischen Elisabeth und Tannhäuser, denn zwischen Elisabeth und Wolfram ab. Übrigens auch ohne Vergewaltigung des Librettos erstaunlich stimmig, schön tragisch.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Wobei ich einräumen muss, dass ich IL TRIONFO... nicht kenne

    Eine Ausführliche Besprechung der Inszenierung gibt es hier: Händel: "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno" - Staatstheater Stuttgart, 28.05.11


    Ein anderes Beispiel, wobei mir aber der Name des Regisseurs entfallen ist (ist auch schon ziemlich lange her) - allerdings haben andere Inszenierungen der Zauberflöte sicher ähnliche Umdeutungen "gegen den Strich" auf die Bühne gebracht: Statt das dunkle, pessimistische Ende der Vorlage zu zeigen (Tamino und Pamina erliegen den Einflüsterungen des Manipulators Sarastro und werden in dessen Sekte aufgenommen) gibt es im letzten Augenblick eine Wendung ins Positive: Das Paar entzieht sich der finalen Gehirnwäsche und macht sich auf und davon ins Happy End. 8+)

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)


  • Z. B. in Andreas Homokis launiger Kölner Inszenierung von ca. 1995 :thumbup:


    Köln war's in jedem Fall, und mindestens 15 Jahre her ist es auch - dann wird's wohl Homoki gewesen sein :thumbup:

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • ehem - mich beschleicht langsam der Verdacht, dass die Bürsterei ins Positive sich hier immer mehr in die Tendenz wandelt, eine in der durchschnittlichen Wahrnehmung beileibe nicht tragische Oper (ZAUBERFLÖTE???) zunächst tragisch umzuinterpretieren, um dann einem gewagten Regieansatz eine positive Wendung abzugewinnen. ;+)
    Auch wenn ich kein Spielverderber sein will (und die Beispiele sind durchaus interessant, habe auch einiges über das mir vorher nicht bekannte Opern-Oratorium IL TRIONFO dabei gelernt) - so war das eigentlich nicht gemeint... :S

    Ekkehard, an dich noch eine Verständnisfrage: wenn in der von dir angesprochenen TANNHÄUSER-Inszenierung Elisabeth eigentlich Wolfram liebt - was treibt sie dann in die Aufopferung für Tannhäuser? Reines Mitleid?

    VG, stiffelio

  • dann wird's wohl Homoki gewesen sein


    Da fällt mir ein, dass Homoki Jahre später in Hannover den rührenden Einfall hatte, dass der Stein, der sich über Aida und Radames geschlossen hat, sich gen Licht und Sonne wieder öffnet. Bevor das Paar das Grab verlässt, fiel zwar der Vorhang, aber m.E. war es unzweifelhaft, dass genau das passieren würde.

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Ich habe irgendwo mal von einer Traviata läuten hören in der Violetta ihre Krankheit nur vortäuscht, wohl um ihre Gunst ganz besonders teuer an den Mann bringen zu können, da es sich bei ernster Krankheit um eine Waare handelt, die es bald nicht mehr geben wird.
    Wie auch immer, durch die Beziehung zu Alfredo emanzipiert sie sich irgendwann von ihrem bisherigen Leben, will aber auf Dauer doch nicht mit ihm zusammenleben und spaziert nach der Sterbeszene tatsächlich munter in ein neues, selbstbestimmtes Leben ohne Mann.
    “Ah! ma io ritorno a viver!”
    Wem’s gefällt…
    Ansonsten träume ich ja schon lange von einer Madama Butterfly bei der die kleine Frau Schmetterling überlebt, Pinkerton ihr den Dolch aus der Hand schlägt, seine Frau in die Wüste schickt und mit Cio-Cio San und Kind glücklich lebt bis ans Ende seiner Tage.
    Wolfram Goertz hat in seiner Kolumne im Fono Forum schon vor Jahhren gefordert: "Rettet Mimì!" :angel:

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • Ich habe irgendwo mal von einer Traviata läuten hören in der Violetta ihre Krankheit nur vortäuscht, wohl um ihre Gunst ganz besonders teuer an den Mann bringen zu können, da es sich bei ernster Krankheit um eine Waare handelt, die es bald nicht mehr geben wird.

    Das war, wenn ich mich recht erinnere, bei Calixto Bieito in Hannover, ca. 10 Jahre her. Ich hab die Inszenierung nicht gesehen, aber sehr lustig oder "positiv" ist es da sicher nicht zugegangen....

    Ansonsten träume ich ja schon lange von einer Madama Butterfly bei der die kleine Frau Schmetterling überlebt,

    Duplizität: Bei Bieito (Komische Oper Berlin/2005) überlebte auch Cho-Cho-San, mit einem amerikanischen Pass in der Hand - allerdings, nachdem sie ihr Kind und auch Suzuki hingemordet hatte - war ein starkes Bild am Ende einer nur teilweise überzeugenden Inszenierung und ist nun ganz bestimmt auch nicht das, wonach in diesem Thread gesucht wird!

  • Teilweise ins Positive ging auch Claus Guths letztjährige Inszenierung von Debussys Pelléas et Mélisande in Frankfurt: Die beiden Protagonisten erwachen zu neuem Leben und entschwinden als Traumgestalten in einer neuen Welt, dies wenigstens als Andeutung einer Glücksutopie (vgl. Debussy: Pelléas et Mélisande - Oper Frankfurt, 4.11.2012 (Premiere)).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Stiffelio!

    Um auf die "Zauberflöte" zu kommen, da würde es doch fesch sein, wenn die Königin endlich Sarastro heiraten würde. Pamina sich doch lieber Papageno nimmt und Tamino ins Kloster zu den Trappisten geht und nur immer, wo er nur einmal im Jahr was sprechen oder singen darf und "Zu Hilfe!" singt und durch die Versenkung am Besten entschwindet. Den Sprecher nimmt Papagena und die sonstigen Priester werden verbannt nach Maurizius, warum grad dorthin, der Name g'fallt mir, bei Briefmarken besonderes wenn sie blau sind, nur gibt's da wenige.

    Und die Drei Damen sind die Mütter der Drei Knaben und geben ihren Job bei der Königin auf und fürs Abendessen Schlangen zu jagen, weil sich die Väter ja gar net um die Kinder kümmern und auch keine Alimente zahlen, und Papageno sich eine Tierhandlung aufmacht, wo die Drei Damen auch als Habltagkräfte auf Ein Euro-Basis arbeiten - das war noch nie da.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus dem fast sommerlichen Wien. :wink: :wink:


  • Da fällt mir ein, dass Homoki Jahre später in Hannover den rührenden Einfall hatte, dass der Stein, der sich über Aida und Radames geschlossen hat, sich gen Licht und Sonne wieder öffnet. Bevor das Paar das Grab verlässt, fiel zwar der Vorhang, aber m.E. war es unzweifelhaft, dass genau das passieren würde.

    Ja, das klingt nach dem, was ich gesucht habe. Mir hat es ja schon ziemlich gut gefallen, als in der letzten Bregenzer Inszenierung Aida und Ramades in einem Boot in den Himmel entschwebt sind. Ich fürchte, von dieser Hannoveraner Inszenierung gibt es keine Aufnahme, oder?

    Bieto scheint tatsächlich immer für eine Überaschung gut zu sein, wenn auch praktisch nie für eine rundum positive. Ich würde vermuten, dass für Guth Ähnliches gilt, wenn auch nicht ganz so extrem.

    Peter, Sarastro und die Königin als Paar hatten wir ja dieses Jahr in Baden-Baden (wenn auch nicht erst am Schluss).
    Den Rest deiner Vorstellungen wirst du bestimmt auch nochmal irgendwann erleben. Ich habe den Eindruck, bei der ZABERFLÖTE herrscht überdurchschnittlich viel Inszenierungswagemut. ;+)

    VG, stiffelio

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