Was bedeuten Tempoangaben?

  • Ja?
    Was möchtest Du mir damit sagen?
    Es erschließt sich mir leider nicht.

    pardon, ich hatte aufgrund u.a. folgender Äußerung:

    Daher kann ich mit dieser Diskussion eher nicht viel anfangen, denn ich würde mich als einen sehr flexiblen Musiker einordnen.
    Alles in der Musik mathematisch korrekt einzuordnen ist mir ein Gräuel, aber eine gewisse Grundordnung ist absolut notwenig.

    ... den Eindruck, es könne ein Mißverständnis vorliegen, welchem ich mit dem Zitat vorbeugen wollte.

    Zitat

    Das sind so gelehrte Worte in Deinem Zitat.

    hä? kein einziges

    Zitat

    Ich habe ein Metronom und benutze es, wie es mir gefällt, und mein Kollege benutzt es halt anders.

    gut, und wieder andere benutzen es ebenfalls, wie es Ihnen gefällt.

    Zitat

    Und ich bin kein Metronomgegner, ganz im Gegenteil.
    Lese Dir erstmal alles durch, bevor Du antwortest.

    werd mir Mühe geben.

    Zitat

    Denn das, was Du da in Deinen Zitaten beschreibst, ist ein ganz alter Hut.
    Und den habe ich auch nicht in Frage gestellt.

    umso besser, dann war meine Befürchtung überflüssig.

    Zitat

    Oder meinst Du wirklich, ich könnte aus diesem Zitat aus einem Buch noch etwas lernen, was ich nicht weiß?
    Das wäre ein ziemlicher Denkfehler.

    klar nicht; es ging nicht um einen Belehrungsversuch, sondern um ... s.oben.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Auf dem Reißbrett kann man sich das alles zurecht rechnen, aber die Praxis sieht anders aus.

    Genau. Das ist ja wohl auch der Grund, warum viele Komponisten sich nicht an ihre eigenen Metronomzahlen halten.

    auf der Bühne im Konzert werden die Karten IMMER neu gemischt.
    Und da kann alles mögliche passieren, was man vorher natürlich ausschließen möchte.
    Aber man eben nicht kann.

    Ich denke ja sogar, dass es gar nicht unbedingt erstrebenswert ist, das Unvorhergesehene auszuschließen. Gert Voss: "Das Zulassen des Ungeklärten ist genau der Moment, in dem Unerwartetes entstehen kann."

    Falls das nicht klappt ist Mord und Totschlag die nächste Variante.
    Streichquartett spielen geht immer an die Substanz.

    Klavierduo spielen auch :D .

    Christian

  • Genau. Das ist ja wohl auch der Grund, warum viele Komponisten sich nicht an ihre eigenen Metronomzahlen halten.


    Einspruch. Die Komponisten haben nicht am Reißbrett komponiert, sondern waren die erfahrensten Praktiker. Einen gewissen Unterschied der Phantasie von einer "wirklichen" Aufführung kann man ja zugestehen, aber das braucht man den Komponisten auch nicht zu erzählen.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Die Komponisten haben nicht am Reißbrett komponiert, sondern waren die erfahrensten Praktiker.

    Das ändert aber nichts daran, dass Komposition und instrumentale Praxis geradezu per Definition entgegengesetzt sind (es gibt z.B. keinen Komponisten, der im selben Tempo notiert wie er spielt), was sich eben oft in einer Differenz zwischen Tempovorstellung und Tempowahl zeigt. Das führt dann auch bei erfahrenen Praktikern wie Fauré schon mal dazu, dass sie aus der am Schreibtisch notierten Metronomzahl 152 in der Praxis 104 machen...

    Christian

  • Das ändert aber nichts daran, dass Komposition und instrumentale Praxis geradezu per Definition entgegengesetzt sind (es gibt z.B. keinen Komponisten, der im selben Tempo notiert wie er spielt), was sich eben oft in einer Differenz zwischen Tempovorstellung und Tempowahl zeigt. Das führt dann auch bei erfahrenen Praktikern wie Fauré schon mal dazu, dass sie aus der am Schreibtisch notierten Metronomzahl 152 in der Praxis 104 machen...

    Wie würdest Du erklären, dass Komponisten sich anscheinend bei manchen Stücken "mehr irren" als bei anderen?
    Dass bei manchen (gerade langsameren) Stücken natürlich aus vielen Gründen mehr Luft sowohl zum schnelleren als auch zum langsameren hin ist, ist nachvollziehbar. Aber warum wird beinahe kein Beethoven-Scherzo in einem deutlich von der MM-Angabe abweichenden Tempo gespielt (bzw. in den Sinfonien oft/meist eher einen Tick schneller), aber viele andere Sätze deutlich langsamer? Müsste jemand, der die Metronomziffer für den Kopfsatz oder Trauermarsch der Eroica viel zu schnell findet und 25-30% langsamer dirigiert, das Scherzo nicht auch entsprechend langsamer nehmen? Liegt das an der relativen rhythmischen und thematischen Einheitlichkeit von Scherzosätzen?

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die Komponisten haben nicht am Reißbrett komponiert, sondern waren die erfahrensten Praktiker.

    Gustav Mahler war gewiß ein äußerst erfahrener Praktiker, komponierte in den Sommerferien am "Reißbrett", sprich: in seinem Komponierhäusl - und änderte später beim Einstudieren seiner Symphonien ständig alle möglichen Stellen seiner Partitur. Zumindest hier gibt es also keinen Widerspruch zwischen "Reißbrett" und "Praktiker".

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Wie würdest Du erklären, dass Komponisten sich anscheinend bei manchen Stücken "mehr irren" als bei anderen?

    Schwere Frage, zu deren Beantwortung man vermutlich im Einzelfall sowohl bei den Kompositionen als auch den Umständen ihrer Entstehung sehr genau hinsehen müsste...

    Aber warum wird beinahe kein Beethoven-Scherzo in einem deutlich von der MM-Angabe abweichenden Tempo gespielt (bzw. in den Sinfonien oft/meist eher einen Tick schneller) (...) Liegt das an der relativen rhythmischen und thematischen Einheitlichkeit von Scherzosätzen?

    Auf die Schnelle nur eine Vermutung: Scherzosätze folgen selbst bei Beethoven noch einer Art typologischer Tradition. Bei aller Breite des Aussdrucksspektrums erfüllen sie doch im Gesamtzusammenhang eine eindeutigere und mehr an historischen Vorbildern orientierte Funktion als z.B. Kopfsätze. Anders gesagt: Im Vergleich zur Entwicklung von Sonatenhauptsätzen sind Scherzo- bzw. Menuett-Sätze wesentlich mehr ihren historischen Wurzeln verhaftet, selbst noch bei Beethoven. Das erleichtert möglicherweise den Konsens in Bezug auf ein angemessenes Tempo. Aber wie gesagt: Nur eine Vermutung bzw. ein erster Gedanke. Kann auch sein, dass das Kappes ist.

    Müsste jemand, der die Metronomziffer für den Kopfsatz oder Trauermarsch der Eroica viel zu schnell findet und 25-30% langsamer dirigiert, das Scherzo nicht auch entsprechend langsamer nehmen?

    Das finde ich nicht. Der Zusammenhang der Sätze in der Eroica setzt meines Erachtens keine bestimmte Tempo-Relation zwischen ihnen voraus.

    Christian

  • Ich meinte auch keine bestimmte Tempo-Relation zwischen den Sätzen (obwohl es das bei anderen Stücken geben mag). Sondern ich sehe eine Diskrepanz darin, dass man bei einem Satz eines Stücks die Metronomangabe für zuverlässig/plausibel/praktikabel hält, bei anderen aber deutlich davon abweicht. Das mag man ja begründen können; ich halte es aber für keine gute Begründung zu sagen, dass sich Stücke "im Kopf" eben anders anfühlen und daher MM-Angaben tendenziell zu schnell sind, wenn man sie dann doch bei einigen Sätzen für gute Tempovorschläge hält, bei anderen (teils erheblich) abweicht. Dann müsste man erklären, warum sich bei manchen Sätzen eine viel stärkere Diskrepanz zwischen "Kopf" und erklingenden Tempi ergibt.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich habe schon den Eindruck, dass Tanzsätze ein gewisses "natürliches" Tempo haben, in dem Sinne als die Tonfolgen aufgrund der unterliegenden Rhythmik nur bei einem gewissen Tempo nachvollziehbar klingen. Bei Kopfsätzen ist das nicht so ausgeprägt, hier liegt mehr die Thematik als die Rhytmik im Vordergrund. Ich habe vor vielen Jahren Beethovens op. 49/2 (das G-Dur Stück) gespielt - natürlich in sehr langsamen Tempo. Und mir gefiel das gut, denn der Kopfsatz macht auch als Andante "Sinn". Bei einem Scherzo oder Menuett kann ich mir das nicht vorstellen. Die verzerrte Rhythmik klänge so grotesk wie der "Elefant" in Saint-Saens Karneval der Tiere.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Naja, Beethoven hat ja das Scherzo mehr oder weniger dadurch "erfunden", dass er das Tempo des Menuetts ca. verdoppelt hat. Ein ganztaktiges "Ländlerartiges" Menuett ging in etwa 60 Takten pro Minute, ein typisches Beethoven-Scherzo geht in 112. D.h. das ist eine viel deutlichere Änderung gegenüber den leichten Tempoverschärfungen eines "normalen Allegros", die man aus seinen Angaben herauslesen kann.
    Und es ist ja noch komplizierter. Im ersten Don-Giovanni-Finale mit den drei gleichzeitig gespielten Tänzen geht ein Takt des "Teutschen" auf ein Viertel des "grazioso-Menuetts" und ein übliches Tempo hierfür ist ca. 90, der "Teutsche" liegt also in der Mitte zwischen einen Walzer und einem Beethoven-Scherzo, während das grazioso-Menuett in mäßigen Vierteln geht. Entsprechend gibt es bei klassischen Menuetten vor Beethoven schon ein sehr breites Tempospektrum (und z.B. Richard Strauss oder einige HIPIsten haben die Menuette in den späten Mozart-Sinfonien auch entsprechend rasant dirigiert, während man in Klemperers Linzer das Menuett beinahe als langsamsten Satz hört). In Beethovens op.31/3 ist das Menuett tatsächlich der langsamste Satz und vertritt gleichsam den langsamen Satz, was sicher auch beim Tempo berücksichtigt werden wird, noch deutlicher in der Violinsonate op.30/3.

    Aber klar, es gibt Sätze, für die sich anscheinend ein Tempo (oder ein sehr enges Spektrum) nahezu "natürlich ergibt". Es war ja gerade meine Frage, woran das liegen kann. Tanzformen wären eine Möglichkeit (wobei das gerade für die Scherzi m.E. eben nicht mehr galt, weil die viel schneller sind als ein Walzer oder Ländler).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Das stimmt schon, aber auch beim schnelleren Scherzo gibt es einen rhythmischen Grundpuls, der verhältnismäßig bedeutender ist als jener in Kopfsätzen oder langsamen Sätzen. Natürlich gibt es auch Beispiele von Kopfsätzen, in denen das Tempo nicht allzu stark von einem "natürlichen" Tempo abstrahiert werden kann. So kann ich mir das Hauptthema von Mozarts Jagdquartett kaum in einem anderen Tempo vorstellen als dem gebräuchlichen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

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