Wie wäre denn dann Deine Interpretation bzw. Begründung des "Alla breve" in dieser Telemann-Sonate, Bernd ?
Was bedeuten Tempoangaben?
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Tja, Allegro, mir liegen die Noten mal wieder nicht vor (du weißt schon, wo sie sind ) , und ich habe die Sonate nie richtig gespielt, weil sie mir im Gegensatz zu den meisten anderen Telemann-Werken bei der ersten Durchsicht ziemlich öde entgegenkam....
Alla breve findet man häufig in schnelleren Tanzsätzen der Barockzeit, so z.b. in vielen Bourrees. Durch den "großzügigeren" Grundpuls kommt einfach mehr Schwung in die Musik.
Herzliche Grüße
Bernd
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Sprich: Wenn Telemann "Alla breve" als Satzüberschrift wählt, kommt es ihm vermutlich nicht auf einen besonders "schweren", sondern einen besonders flüssigen Duktus an.
Herzliche Grüße
Bernd
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Eine gute Herangehensweise könnte sein, das "alla breve" zunächst zu ignorieren und sich zu fragen, wie das Stück dann zu spielen wäre.
Und im zweiten Schritt zu fragen, was Telemann durch das "alla breve" verhindern wollte, ohne diesen Zusatz aber wohl erwartbar gewesen wäre.
Und da frage ich mich, warum Telemann wohl diese Vorgabe gewählt hat und nicht einfach 4/4-Takt mit entsprechend halbierten Notenwerten ? Ich sehe da keinen Unterschied ...
Taktart hat auch etwas mit Tempo zu tun.2/2, 3/2, 4/2, 6/4 sind Taktarten für gravitätische Musik, Ernsthaftes, Kirchenstil.
2/4, 3/4, 4/4, 6/8 halten etwa die Mitte.
3/8, 4/8, 9/8 sind Kammerstil und leicht, tändelnd.
9/16, 12/16, 24/16 sind munter und flüchtig.Es kommt aber auch drauf an, was in den Takten steht ...
... hat man einen 6/8-Takt mit durchgehender Achtelbewegung, so ist diese wohl eher zügig zu nehmen.
... hat man einen 6/8-Takt mit vielen verzierungsartigen 16tel- und 32tel-Gruppen, so braucht dies einfach mehr Zeit.Nicht so einfach ...
Gruß
MB -
Mir leuchtet Kirnbergers Theorie nicht ein. Eine Interpretation wirkt nach all meinen Erfahrungen "schwerer", wenn man in kleineren metrischen Einheiten denkt.
Kirnberger vergleicht folgendermaßen:
Eine Tonfolge, sagen wir im Rhythmus
Viertel - 2 Achtel - Viertel - 2 Achtel im Allabrevetakt
soll schwerer, "nachdrücklicher" vorgetragen werden als die Tonfolge
Achtel - 2 Sechzehntel - Achtel - 2 Sechzehntel im 2/4-Takt,
auch wenn die Zählzeiten - also Halbe im C|, Viertel im 2/4-Takt -
etwa gleich schnell genommen werden.(So hat ja auch Allegro gefragt, wenn ich recht verstanden hatte, bloß hat er die halbierten Notenwerte in den 4/4-Takt eingepaßt, also die Taktlänge quasi verdoppelt).
Das Verhältnis von Rhythmus und metrischer Einheit ist also identisch in beiden Fällen, aber dennoch soll ein Unterschied im Vortrag gemacht werden.
Wie Kirnberger den Fall interpretieren würde, wenn ein identischer Rhythmus (sowohl in den Notenwerten als auch im Tempo der Notenwerte) unter verschiedenen Zählzeiten vorgetragen wird,
also z.B.
Viertel - 2 Achtel - Viertel - 2 Achtel im Viervierteltakt,
sowie
Viertel - 2 Achtel - Viertel - 2 Achtel im Allabrevetakt,
wobei die jeweiligen Viertel und Achtel gleich schnell wären,
übersehe ich derzeit nicht.Kirnberger entwickelt da ein ziemlich ausgekochtes (und in seiner Zeit wohl schon nicht mehr ganz aktuelles, aber dennoch auch in der Zukunft einflußreiches) System.
Ich hoffe, den Kirnberger bei Gelegenheit mal referieren zu können.
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Tja, Allegro, mir liegen die Noten mal wieder nicht vor
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Eine gute Herangehensweise könnte sein, das "alla breve" zunächst zu ignorieren und sich zu fragen, wie das Stück dann zu spielen wäre.
Und im zweiten Schritt zu fragen, was Telemann durch das "alla breve" verhindern wollte, ohne diesen Zusatz aber wohl erwartbar gewesen wäre.
Wenn ich das nur wüsste - aber hierfür fehlen mir wohl die musiktheoretischen Grundkrenntnisse :hide:
Aber der Denkansatz und Deine weiteren Ausführungen sind hochinteressant, Mauerblümchen.
Auch alle weiteren Meinungen und Denkanstöße hier.
@ Areios; dein Posting habe ich vorhin leider ganz übersehen :schaem:
Wie ist denn bitte die "Betonungsregel" im Alla-Breve ? Wenn ich auf halbe Noten zähle und "normal" betone, bleibt sich das doch gleich mit der Betonung im 4/4-Takt - oder habe ich da einen Denkfehler ? -
Danke - das hilft sehr!Also liegt eine viersätzige italienische Kirchensonate vor mit der Satzfolge langsam - schnell - langsam - schnell.
Insbesondere sollte sich der zweite Satz vom ersten deutlich bzgl. seines Tempos abheben.
Ich habs mal an der heimischen Orgel probiert (mit Oboe auf dem II. Manual ... ) und fand, dass man den ersten Satz mit Halbe = 69 bis 76 und den zweiten mit Halbe = 108 bis 120 nehmen könne. Wichtig ist wohl - und das grenzt das Tempo vom zweiten Satz ein - dass die beiden thematischen Ganzenoten (eigentlich ist es so etwas wie eine zweistimmige Fuge mit irregulärem Beginn) nicht bleischwer und steif klingen, sondern trotz aller Länge (und trotz des optischen Gewichtes) immer noch Impuls und Zug nach vorne haben. Andererseits müssen die zahlreichen Achtelnoten noch klar und distinkt herauskommen. Dazwischen liegen wohl die Möglichkeiten ...
Viele Grüße
MB -
Quantz (Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, 3. Auflage, reprint, XVII, vii, 58) sieht es ähnlich wie Bernd.
Für Quantz bedeutet alla breve insbesondere dass Achtel, die auf die punktierte Viertel folgen, kürzer und schäfter gespielt werden. -
@ MB, danke für´s prompte Ausprobieren 8+)
Ich denke, Deine Tempovorschläge entsprechen im Groben in etwa dem, wie ich es auch (aus dem Bauch heraus) versucht hatte ..."Impuls und Zug nach vorne" sind jedoch sicher wichtige Stichworte; danke dafür.
@ Minuetto, und was ist, wenn in dem Werk gar keine punktierte Viertel vorkommen ? ;+)
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Alla breve gelesen hast Du in Deinem Satz etliche punktierte Viertel - zumindest in meiner Ausgabe
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Okay - hab´s kapiert, minuetto :schaem: Danke
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Zitat
Kirnberger vergleicht folgendermaßen:
Eine Tonfolge, sagen wir im Rhythmus
Viertel - 2 Achtel - Viertel - 2 Achtel im Allabrevetakt
soll schwerer, "nachdrücklicher" vorgetragen werden als die Tonfolge
Achtel - 2 Sechzehntel - Achtel - 2 Sechzehntel im 2/4-Takt,
auch wenn die Zählzeiten - also Halbe im C|, Viertel im 2/4-Takt -
etwa gleich schnell genommen werden.Man müsste jetzt noch mal kurz mit Kirnberger (der übrigens eine sehr nette Sonate für Oboe und b.c. in B-Dur geschrieben hat) telefonieren , um ihn zu fragen, welche Noten denn "schwerer" oder "nachdrücklicher" vorgetragen werden sollen. Herauskommen könnte bei diesem Gespräch eventuell, dass die langen Notenwerte das an Nachdruck gewinnen, was die kurzen verlieren - die Achtel im alla breve haben nämlich verglichen mit den zu ihnen analogen Sechzehnteln im 4/4 weniger Gewicht.
Die Herren, die aus den alten Quellen zu uns sprechen, sind leicht misszuverstehen. Und sie verkünden genauso wie unsere Zeitgenossen nicht immer absolute Wahrheiten, sondern häufig nur ihre höchst subjektive Sicht der Dinge. Ein Problem mancher (beileibe nicht aller) HIP-Vertreter ist, dass eine in einem ollen Buch gefundene Aussage gleich als unmissverständliches Dogma genommen wird.
ZitatIch habs mal an der heimischen Orgel probiert (mit Oboe auf dem II. Manual ... ) und fand, dass man den ersten Satz mit Halbe = 69 bis 76 und den zweiten mit Halbe = 108 bis 120 nehmen könne.
Ja, das passt auch für meine Begriffe.
Herzliche Grüße
Bernd
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Für Quantz bedeutet alla breve insbesondere dass Achtel, die auf die punktierte Viertel folgen, kürzer und schäfter gespielt werden.
Quantz spricht allerdings explizit von Tanzformen. Die Allabreve betitelten Stücke von Telemann/Bach sind hingegen Kontrapunkt pur, warum sollte man da "anschärfen"?
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die Achtel im alla breve haben nämlich verglichen mit den zu ihnen analogen Sechzehnteln im 4/4 weniger Gewicht
Wieso das?
Kirnberger scheint mir von der ganzen Musik zu sprechen, die mehr Schwere und Nachdruck im Allabreve als in einem analogen 2/4-Takt haben soll, also auch die Achtel im C| sind nachdrücklicher als die Sechzehntel im 2/4. Das paßt ja auch zu der quasi altmodischen Machart der zur Rede stehenden Allabreves von Telemann/Bach.
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Kontrapunkt und Tanz sind in der Barockzeit kein Widerspruch. Auch in Bachs geistlichen Werken beruhen sehr viele Sätze letztlich auf Tanzmodellen....
Herzliche Grüße
Bernd
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Kirnberger scheint mir von der ganzen Musik zu sprechen, die mehr Schwere und Nachdruck im Allabreve als in einem analogen 2/4-Takt haben soll, also auch die Achtel im C| sind nachdrücklicher als die Sechzehntel im 2/4.
Nein, das sind sie nie.
Spielst du eigentlich ein Instrument? Eines, welches du auch im Zusammenspiel mit anderen häufiger einsetzt?
Herzliche Grüße
Bernd
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Man kann ja im Falle unseres Telemann-Beispiels (die Noten habe ich inzwischen dank des Links auch gesehen) ruhig einmal ausprobieren, was geschieht, wenn man versucht, den Achteln besonderes Gewicht und extra viel Nachdruck zu verleihen. Das wird dann sehr schnell eine zähe Elefantenprozession.
Herzliche Grüße
Bernd
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Kontrapunkt und Tanz sind in der Barockzeit kein Widerspruch. Auch in Bachs geistlichen Werken beruhen sehr viele Sätze letztlich auf Tanzmodellen....
Daß es zahllose kontrapunktisch gearbeitete Tänze gibt, bedeutet nicht, daß alles kontrapunktisch Gearbeitete eine Tanzform ist, namentlich nicht die vorliegenden Stücke von Telemann/Bach, die quasi den neutralen Zuschnitt einer Kontrapunktübung nachbilden.
Quantz redet an angeführter Stelle ausschließlich von Tänzen ("Charaktere, so im Tanzen vorkommen können"):
"In dieser Tactart [C|] sowohl, als im Dreyvierteltacte, bey der Loure, Sarabande, Courante, und Chaconne, müssen die Achttheile, so auf punctierte Viertheile folgen, nicht nach ihrer eigentlichen Geltung, sondern sehr kurz und scharf gespielet werden". Das hat also in dem Allabreve von Telemann nichts verloren.Zitat von »zabki«
Kirnberger scheint mir von der ganzen Musik zu sprechen, die mehr Schwere und Nachdruck im Allabreve als in einem analogen 2/4-Takt haben soll, also auch die Achtel im C| sind nachdrücklicher als die Sechzehntel im 2/4.Nein, das sind sie nie.
?? nie ??
Spielst du eigentlich ein Instrument? Eines, welches du auch im Zusammenspiel mit anderen häufiger einsetzt?
ob wohl Kirnberger ein Instrument gespielt hat?
Was mich betrifft, so habe ich bis vor kurzem geglaubt, Musik könne nur so produziert werden, daß in größere schwarze Platten per Hand Rillen eingerizt würden oder in kleinere silberne Platten Löcher eingestanzt. Erst die sorgfältige Lektüre einiger Spezialfäden auf Capriccio hat mich da eines anderen belehrt.
Man kann ja im Falle unseres Telemann-Beispiels (die Noten habe ich inzwischen dank des Links auch gesehen) ruhig einmal ausprobieren, was geschieht, wenn man versucht, den Achteln besonderes Gewicht und extra viel Nachdruck zu verleihen. Das wird dann sehr schnell eine zähe Elefantenprozession.
Von einem "besonderen" Gewicht der Achtel war nicht die Rede. Was ist daran musikalisch unsinnig, bei einem mäßig schnellen Tempo durch Artikulation und Dynamik einen eher nachdrücklichen Vortrag zu erreichen? Sollte doch ebenso gehen, wie ein mäßig langsames Tempo eher fließend und leicht auszuführen.
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?? nie ??
In solchen Sätzen wie dem vorliegenden sind sie es nie. Wenn es sehr viel Bewegung in kleinen Notenwerten gibt (lange Achtel- oder Sechzehntelketten), muss man natürlich einzelne dieser kleinen Notenwerte betonen/leicht dehnen bzw. auf sie hin- und von ihnen wegspielen.
Nach meinen Erfahrungen in vielen Proben und Konzerten gibt es nach wie vor das Problem, dass Barockmusik viel zu statisch und zu fest gespielt/gesungen wird, weil die Ausführenden zu stark an den kleinen Noten kleben (russische Schule: "Bei Bach ist alles betont und schwer"!). Gute Dirigenten haben eine Menge Mühe damit, einen größeren Fluß und Schwung zu erzielen - vielleicht gelingt es dir, meine Einlassungen auch vor diesem Hintergrund zu sehen.
Zitatob wohl Kirnberger ein Instrument gespielt hat?
Aber sicher doch! Alle Komponisten haben ein Instrument gespielt, die allermeisten Klavier auf ziemlich hohem Niveau (nur Berlioz hat es lediglich bis zur Gitarre gebracht ).
Wenn du ein Instrument beherrschen würdest, würde ich dir wirklich empfehlen, mal verschiedene Grade der Betonung und des Nachdrucks an verschiedenen Punkten unseres Telemann-Satzes auszuprobieren. Die Theorie ist bekanntlich grau....
Von einem "besonderen" Gewicht der Achtel war nicht die Rede.
Nicht? Dann habe ich diese Aussage wohl missdeutet:
ZitatKirnberger scheint mir von der ganzen Musik zu sprechen, die mehr Schwere und Nachdruck im Allabreve als in einem analogen 2/4-Takt haben soll, also auch die Achtel im C| sind nachdrücklicher als die Sechzehntel im 2/4.
Mehr zum Thema eventuell noch heute abend spät - bis dahin liegt jetzt noch ein Berg von Arbeit vor mir.... ***O***
Herzliche Grüße
Bernd
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