Wie wünsche ich mir das Konzertleben der Zukunft?

  • Wie wünsche ich mir das Konzertleben der Zukunft?

    motiviert durch:

    Dass das heutige Konzertleben ein überaltertes und hoffentlich demnächst aussterbendes Gebilde ist, heißt ja nicht, dass es das vor hundert oder gar zweihundert Jahren auch schon war. Aus "Die Erfindung des Musik Hörens" von Gerhard Schulze:


    :wink:

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Ad Threads zum Kämpfen: Das mache ich vielleicht später mal ...
    Ich bin damit, wie's ist, auch recht zufrieden.
    Manchmal wünsche ich mir mehr Kommunikation zwischen den Besuchern und eventuell auch mit denen "von der anderen Seite" - aber das größte Problem ist da nicht der Veranstalter oder die Form der Veranstaltung sondern die Gäste selbst und unsere mitteleuropäische Mentalität oder wie das Ding heißt. Sieht man jemanden, den man nicht kennt (was natürlich im Konzert die Regel ist), versucht man möglichst jede Kontaktaufnahme zu vermeiden. Da hilft wohl eine Launtsch auch wenig. Der Neue-Musik-Betrieb ist vergleichsweise familiär, und von dort kenne ich auch Veranstaltungen, wo der kommunikative Aspekt sehr wichtig ist. Aber dazu bedarf es schon engagiert-charismatischer Veranstalter, eines übersichtlichen Publikumsaufkommens und eines hohen Anteils von Stammgästen, die zum Teil selbst an den Kunsthervorbringungen beteiligt sind. Für ein Konzert in einem 1000-Leute-Saal kann ich mir das schwer vorstellen. Da nuckelt dann wieder jeder schön isoliert an seinem Pausensnack.

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  • Zitat von »El Duderino«
    Dass das heutige Konzertleben ein überaltertes und hoffentlich demnächst aussterbendes Gebilde ist,


    Da habe ich maßlos übertrieben. "Das" Konzertleben gibt es so einfach heute zum Glück nicht mehr, da ist schon einiges Gute auf dem Weg. Interessant, dass so eine provokante Äußerung zu einem neuen Thread führt, während meine ernsthafteren Versuche in den Splittern modern - neben einem ganzen Haufen persönlicher Beleidigungen aus den beiden oben genannten Threads.

  • Interessant, dass so eine provokante Äußerung zu einem neuen Thread führt, während meine ernsthafteren Versuche in den Splittern modern

    Naja, ich habe kürzlich Threads mit etwas provokanten Titeln eröffnet, was dem Gedeih eher abträglich war, dennoch finde ich etwas zugespitzte Formulierungen doch einigermaßen diskussionsanregend.

    Ansonsten ist das hier doch eher provokationslos als Ort für persönliche Wunschträume anzusehen. Ich finde z.B., dass man die Architektur, die bespielt wird, ernster nehmen soll. Also aus der Berliner Philharmonie die Marketender wieder raus und nur Musik und sonst gar nichts, keine CD-Geschäfte, keine Erfrischungen, eine Stätte, in der sich alles nur auf das Eine konzentriert.

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  • Ich würde mir wünschen, dass im Diskurs und der Gestaltung von Konzerten, die Dualität traditionell bzw. reaktionär und "neue Wege" bzw. revolutionär verschwinden würde. Sowohl der Standpunkt "alle neuen Konzertformen sind nur Spektakel" und "das bürgerliche Konzert ist abzulehnen" lehne ich ab.

    Regional würde ich mir in Wien etwas mehr Vielfalt bei der Programmgestaltung wünschen. Mehr zyklische Aufführungsserien wären schön, womit auch mal die unbekannteren Werke von bekannten Komponisten zu Ehren kämen.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Ansonsten ist das hier doch eher provokationslos als Ort für persönliche Wunschträume anzusehen. Ich finde z.B., dass man die Architektur, die bespielt wird, ernster nehmen soll. Also aus der Berliner Philharmonie die Marketender wieder raus und nur Musik und sonst gar nichts, keine CD-Geschäfte, keine Erfrischungen, eine Stätte, in der sich alles nur auf das Eine konzentriert.


    Leistet das nicht der Entfremdung weiteren Vorschub? Konzerte bald nur noch im Elfenbeinturm, zu dem nur noch "Eingeweihte" Zugang bekommen? M. E. haben Musikaufführungen, die sich wieder im Alltag ansiedeln, eine Zukunft. Musik ist immer ein Teil des Alltags. Und wenn sich eine oder mehrere Musikrichtungen (durch die Veranstalter verantwortet) aus diesem zurückziehen und elitär werden, dann wird es für diese früher oder später vorbei sein. Ich begrüße jede Bemühung Musik wieder einen Platz im realen Leben zu schaffen. Musik (nicht aus der Konserve!!) auf die Märkte und in die Kongresse als einen Bestandteil dieser Veranstaltungenen... Und wenn dabei aus Versehen bei klassischer Musik sich auf die Schenkel geklopft wird und mitgeschunkelt wird, wer hätte dann ein Recht dazu, darüber die Nase zu rümpfen? Und warum nicht die sogenannte "ernste Musik" wieder im Wirtshaus? Die seichte Unterhaltungsmusik macht das doch auch. Warum nicht die Aufführungen noch mehr in die Verantwortung von Vereinen geben. Eine entfernte Verwandte gründete in ihrem Ruhestand ein Verein zwecks Entwicklung des kulturellen Lebens der Region. Unter anderen etablierte sich eine Konzertreihe, bei der auf der einen Seite das Publikum ansteht für Karten und auf der anderen die Künstler für Auftrittsmöglichkeiten. [Liebe Grüße in die Uckermark].

    "Die Philister, die Beschränkten,
    Diese geistig Eingeengten,
    Darf man nie und nimmer necken.
    Aber weite, kluge Herzen
    Wissen stets in unsren Scherzen
    Lieb und Freundschaft zu entdecken."
    Heinrich Heine

  • Und wenn dabei aus Versehen bei klassischer Musik sich auf die Schenkel geklopft wird und mitgeschunkelt wird, wer hätte dann ein Recht dazu, darüber die Nase zu rümpfen?

    Zum Beispiel die, die gerne konzentriert zuhören wollen.

    Christian

  • Vielleicht fehlt mir die Phantasie, aber wie soll man in einem Alltag, der dadurch bestimmt ist, dass in jedem Geschäft und Restaurant (Pop)Musik o.ä. aus der Konserve dudelt und ohnehin beinahe jede(r) unter 30 mit Kopfhörern auf den Ohren durch die Gegend läuft, live musizierte klassische Musik ansiedeln. Gottesdienste sind keine sozialen Pflichttermine mehr, Militärparaden gibt es auch eher selten, wie es mit Platzkonzerten auf der Kurpromenade in der Sommerfrische aussieht, weiß ich nicht so genau. Die gibt es vielleicht noch, aber ein Hort ernsthafter klassischer Musik wäre da wohl auch kaum.

    Meines Wissens musste man für ein öffentliches Konzert noch nie ein "Eingeweihter" sein. Man musste den Eintrittspreis zahlen können und evtl. festlich gekleidet sein. Die zweite Bedingung ist heute weitgehend aufgehoben. Es gibt keinen Eingangstest oder irgendwelche künstlichen Hürden.

    Alles andere wurde eigentlich schon in den alten threads diskutiert. Fazit ist schlicht und einfach, dass das traditonelle Konzert eine Form ist, die sich als Antwort auf den Charakter klassischer Musik (bzw. "ko-evolutionär") entwickelt hat, nämlich einen Raum zu bieten, in dem ohne übermäßige Störung und Ablenkung konzentriert Musik gehört werden kann, deren Rezeption solch konzentriertes Zuhören verlangt. Dass man die Fledermaus-Ouverture auch mal auf dem Platzkonzert spielen kann, ändert daran nichts Grundsätzliches.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Dass das aktuelle Konzertwesen das logische, "ko-evolutionäre" Ergebnis der Anforderungen "klassischer" Musik sei, ist eine bloße Behauptung, die sowohl von der vergangenen Musikgeschichte wie auch derzeit von allen halbwegs progressiven Veranstaltern und Planern widerlegt wird. Diese Behauptung erinnert mich immer an die Feststellung, der moderne Konzertflügel sei der Höhepunkt der Klavierevolution. Wer allerdings vergangene Instrumente kennenlernt, stellt schnell fest, was alles im Laufe der Entwicklung verloren gegangen ist.

    Erstaunlich auch, dass die Verfechter eines reinen Musikgenusses (gab es nicht um 1900 herum Bestrebungen, Musik nur noch in einem abgedunkelten Saal aufzuführen, dem man sich schweigend und mit gesenktem Haupt nähern sollte?) sich nie von der Realität des Konzertwesens und der Hörgewohnheiten beeinflussen lassen. (von den ökonomischen Zwängen ganz abgesehen) Viel leichter lässt sich eben über Kulturverfall und die blöde Jugend motzen. Aber dafür gibts ja bereits oben genannte Threads.

  • Dass das aktuelle Konzertwesen das logische, "ko-evolutionäre" Ergebnis der Anforderungen "klassischer" Musik sei, ist eine bloße Behauptung, die sowohl von der vergangenen Musikgeschichte wie auch derzeit von allen halbwegs progressiven Veranstaltern und Planern widerlegt wird.

    Erst einmal ging es nicht um "das aktuelle Konzertwesen" und dessen Inhalte sondern um die Form des "traditionellen Konzertes". Du wirst hoffentlich nicht ernsthaft bestreiten, dass die einer Beethoven-Sonate oder einem Schubert-Quartett angemessene Rezeptionshaltung ein konzentriertes Zuhören ist. Die traditionelle Form des Konzertes ermöglicht das, nicht mehr und nicht weniger. Alles Gerede vom "Elfenbeinturm", von "gesenktem Haupt", von "Eingeweihten" usw. hat mit der Realität nichts zu tun. Jeder kann in Konzerte gehen, ohne erst "eingeweiht" zu werden. Die einzige Bedingung ist: Er darf die anderen Besucher (und natürlich die Musiker) nicht stören. Wenn "halbwegs progressive Veranstalter" das ändern wollen, haben sie von ernsthafter Musik keine Ahnung.

    Diese Behauptung erinnert mich immer an die Feststellung, der moderne Konzertflügel sei der Höhepunkt der Klavierevolution. Wer allerdings vergangene Instrumente kennenlernt, stellt schnell fest, was alles im Laufe der Entwicklung verloren gegangen ist.

    Ist das so? Ach ja: Alte Flügel sind leichter zu transportieren. Außerdem brennen sie besser.

    Viel leichter lässt sich eben über Kulturverfall und die blöde Jugend motzen.

    Aber nein! Wie könnte man von Kulturverfall reden, wenn ein Orchester nach dem anderen zu Tode gespart wird! Das ist progressive Planung! Wir brauchen schenkelklopfende Bespaßung, Schubert stört da nur.

    Christian

  • Ärgerlich an dieser Art von Diskussion finde ich, daß jeder Gedanke, klassische Musik auch mal in anderen Zusammenhängen erklingen zu lassen, sofort so dargestellt wird, als wollte man das traditionelle Konzert abschaffen. Was daran so verwerflich sein soll, klassischen Musikgenuß auch mal mit bequemen Sitzgelegenheiten, Getränken und womöglich leisen Gesprächen zu verbinden, bleibt unklar.
    Daß das nicht mit jedem Werk funktioniert, sollte klar sein.
    Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß, wenn ich z.B. auf dem Fusion-Festival im Familiy Camp vormittags klassische Gitarre spiele (natürlich anständig verstärkt), sich Menschen darüber freuen, die vermutlich niemals in ein klassisches Konzert gehen würden und vermutlich auch kaum klassische CDs hören. Daß die alle per se unfähig zu konzentriertem Zuhören sind, hielte ich für eine durch nichts gerechtfertigte Unterstellung.

    Mal davon abgesehen, daß es auch so etwas wie "unkonzentriertes" Zuhören gibt, und in diesem weiten Bereich der oft abwertend "Hintergrundmusik" genannten "lebensbegleitenden" Klänge durchaus mal etwas qualitativ hochwertiges passieren dürfte.
    Ich bin überhaupt kein Anhänger der Dauerbeschallung in allen Lebenslagen, aber wenn die eine oder andere CD-Abspielstation durch einen Live-Musiker ersetzt würde, fände ich das prima.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ist das so?


    Jupp, das ist so. Wenn Haydn und Beethoven lieber auf ihren Wiener Instrumenten als auf den Vorläufern der heutigen Instrumente, den englischen Exemplaren, gespielt haben, dann scheinen die alten Grillanzünder ihren Reiz gehabt zu haben


    Jeder kann in Konzerte gehen, ohne erst "eingeweiht" zu werden.


    Haben aber immer weniger Bock drauf. Und jetzt könnte man natürlich den Zusammenhang hierzu herstellen:

    wenn ein Orchester nach dem anderen zu Tode gespart wird!

  • Wie könnte man von Kulturverfall reden, wenn ein Orchester nach dem anderen zu Tode gespart wird!

    Was soll das erst werden, wenn man Brahms-Symphonien auch auf zwei Klavieren spielen kann :D , reicht doch auch, wozu 50+ Musiker bezahlen...
    Um Mißverständnisse gleich auszuschließen: ich spiele auch Symphoniesätze auf der Gitarre, und vermute eher, daß es Menschen animiert, mal nach dem Original Ausschau zu halten.
    Aber der Trend ist klar: wenn dieselbe Klangfülle, für die man traditionell ein Orchester brauchte, mit technischen Mitteln und wenigen Musikern erreichbar ist, sind Orchester wie Big-Bands weniger gefragt; das liegt einfach an der technischen Entwicklung, und sich einigelnd auf seinem hochkulturellen Wert zu bestehen, hilft da nur bedingt. Also sind Gedanken darüber, wie man den Wert dieser vergleichsweise teuren Kunstformen breiteren Kreisen fühlbar macht, nicht ganz unwichtig.

    Das ist progressive Planung! Wir brauchen schenkelklopfende Bespaßung, Schubert stört da nur.

    Genau! Wo kämen wir denn da hin, wenn zu Beethovens Apotheose des Tanzes tatsächlich - getanzt würde!

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ärgerlich an dieser Art von Diskussion finde ich, daß jeder Gedanke, klassische Musik auch mal in anderen Zusammenhängen erklingen zu lassen, sofort so dargestellt wird, als wollte man das traditionelle Konzert abschaffen.


    Das verstehe ich anders. El Duderinos These verstehe ich eher so: Das traditionelle Konzert ist eine sterbende Darbietungsform. Sterbend, weil "Elfenbeinturm" und spießig. Also muss irgendwie das pralle Leben hinein bzw. umgekehrt, weil klassische Musik sonst ausstirbt (mangels Publikum). Sie kann nur überleben, wenn das klassische Konzert durch Alternativen mindestens ergänzt, besser ersetzt wird.
    Ich verstehe v.a. nicht genau, was daran neu sein soll. Bernsteins Young people's Gesprächskonzerte gab es vor 50 Jahren schon. Konzerteinführungen vorher gibt es sehr häufig. Aber vermutlich ist das alles kontraproduktiv. Sich vorher einen Einführungsvortrag anhören, das ist ja nur was für Eingeweihte. Lieber Klassik Lounge, wo man nebenher Energy Drinks konsumieren und am Smartphone rumfummeln kann (macht man jetzt auch schon in traditionellen Settings)

    "http://www.businessinsider.com/kevin-williams…-theater-2013-5

    Bei Form geht es Leuten wie mir und Christian, so weit ich ihn verstehe, nicht darum, dass bitte alle im dunklen Anzug erscheinen oder um den Raum, die Programmgestaltung usw. Sondern dass der Kern der traditionellen Form darin besteht, dass die Musik im Mittelpunkt steht (nicht Sehen und Gesehen werden oder Tänzerinnen, die man in der Pause vernaschen will, begaffen, was es alles in der Vergangenheit auch schon gab). Und das ein Konzert so organisiert ist, dass man ungestört zuhören können soll.

    Zitat


    Was daran so verwerflich sein soll, klassischen Musikgenuß auch mal mit bequemen Sitzgelegenheiten, Getränken und womöglich leisen Gesprächen zu verbinden, bleibt unklar.


    Wie das die klassische Musik, von der viele Werke auf diese Art eben nicht angemessen rezipiert werden können, "retten" können sollte, allerdings auch.

    Zitat


    Mal davon abgesehen, daß es auch so etwas wie "unkonzentriertes" Zuhören gibt, und in diesem weiten Bereich der oft abwertend "Hintergrundmusik" genannten "lebensbegleitenden" Klänge durchaus mal etwas qualitativ hochwertiges passieren dürfte.


    Dafür gibt es aber seit vielen Jahrzehnten Radio und Tonträger. Oder vorher eben das Kurkonzert mit Operettenpotpourris.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wir brauchen schenkelklopfende Bespaßung, Schubert stört da nur.

    Von mir aus könnte man Schuberts Streichquartette auch im Wirtshaus aufführen, vor schenkelklopfendem und biertrinkendem Publikum. Wäre ja vielleicht ein ganz witziges Spektakel bzw. "Happening" (gibt's den Ausdruck heute noch?). :D

    Aber ich muß da nicht dabeisein, denn auch ich will Schubert und all die anderen möglichst ungestört hören. Daheim wie im Konzertsaal. Daß das weiterhin möglich ist, wünsche ich mir auch im Konzertleben der Zukunft.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Nachdem das Diktum von Wagner stammt, darf bezweifelt werden, dass Beethoven das als echten Tanz konzipiert hat. Wie der darauf reagieren würde, wenn da die Leute das Tanzbeinchen schwingen würden? Zumal bereits die Menuette bei Haydn nicht mehr wirklich als Tanzmusik gedacht war. Gut, im Tanztheater passt das hin, auf die Festivalwiese? Das würde wohl auch an den nicht vorhandenen Tänzern scheitern.

    Was das Reden während des Konzerts anlangt bzw. lockere Rezeptionsformen, so muss das wohl von der Situation und den Werken abhängig gemacht werden. Auf einem Festival als Zwischenact Transkriptionen auf der Gitarre zu spielen, stellt etwas anderes dar, als in der Berliner Philharmonie während Mahlers 9 im Fauteuil zu liegen ein Bierchen zu zischen und dem Nachbar zur Hintergrundmusik das neue vom Tage zu erzählen.

    Brendel hat gesagt (wenn es denn Brendel war): Die Voraussetzung für Musik ist Stille. Das gilt sicher nicht für alle Musikrichtungen und Aufführungssituationen, das klassische Konzertrepertoire ist allerdings wenig dazu geneigt hier große Störungen zu tolerieren. Zumal die unplugged-Natur des klassischen Konzerts empfindlicher darauf reagiert, als elektronisch verstärkte Musik. Nur weil es vor 150-200 Jahren anders war, heißt das ja nicht, dass es auch besser war (das Niveau der Aufführungen war sicherlich nicht höher). Bei einem Chanson-Abend kann man auch nicht permanent reinquatschen und auch bei unplugged-Konzerten ist es für gewöhnlich üblich, dass man sich während der Lieder ruhig verhält.

    Letztlich ist es irrelevant, WIE die Leute sitzen und WAS sie trinken oder nicht, so lange es nicht stört. Im Sprechtheater kann man auch nicht in der Regel (ja ich weiß in ganz tollen Theaterhappenings ist das anders) herumgehen, was trinken und sich einfach unterhalten. Oder macht das mal im Kino. Wer liebt es nicht, wenn vor einem die Leute vor sich hinplaudern und laut krachende Nachos in sich reinmampfen. Da stört es einen doch auch. Warum soll man daher ausgerechnet im Konzert solche Dinge als die Zukunft betrachten? Wenn es bereits reaktionär ist, wenn man gerne in Ruhe einem Musiker zuhört, dann gute Nacht.

    Dass all die vielen Orchester erhalten bleiben, wenn mehr Leute ins Konzert gehen, weil man da neuerdings nicht den Mund halten muss, halte ich für eine liebe kleine (man könnte auch sagen, naive) Utopie. Die Konzertlandschaft Deutschlands ist einzigartig groß, aber dadurch aus einzigartig zusammenkürzbar. Wo viel ist, kann man viel kaputtmachen und solange nicht der Wille da ist, jedes mittlere Orchester zu erhalten, wird sich am Orchestersterben kaum etwas ändern. Egal ob mit Bier oder ohne.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Wenn Haydn und Beethoven lieber auf ihren Wiener Instrumenten als auf den Vorläufern der heutigen Instrumente, den englischen Exemplaren, gespielt haben, dann scheinen die alten Grillanzünder ihren Reiz gehabt zu haben

    Lieber El Duderino, die Diskussion hatten wir bereits anderswo (finde grad den entsprechenden Thread nicht). Notfalls kannst Du ja gern etwas dazu eröffnen; hier paßt's nicht.

    :gurni:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Wenn Haydn und Beethoven lieber auf ihren Wiener Instrumenten als auf den Vorläufern der heutigen Instrumente, den englischen Exemplaren, gespielt haben, dann scheinen die alten Grillanzünder ihren Reiz gehabt zu haben

    Tolles Argument. Brahms hat den Fortschritt des 1885 von Carl Benz motorisierten Dreirads nicht erkannt. Er würde also ganz sicher heute noch mit der Postkutsche reisen.

    Zitat von »ChKöhn«
    Jeder kann in Konzerte gehen, ohne erst "eingeweiht" zu werden.


    Haben aber immer weniger Bock drauf.

    Die Behauptung wird auch durch gebetsmühlenartige Wiederholung nicht wahrer. Die Gesamtzahl der Besucher von Konzerten der deutschen Kulturorchester lag 2011 mit 4448405 so hoch wie nie zuvor im erfassten Zeitraum und z.B. rund eine halbe Million über der Zahl von 2005. Die Platzauslastung der deutschen Opernhäuser lag zwischen 1993 und 2011 relativ konstant zwischen 71,4 und 77,9 Prozent. 2011 lag sie ziemlich in der Mitte bei 73,8 Prozent. Ähnlich bei Konzerten der Opernorchester: Die Zahlen schwanken zwischen 71,8 und 77,0 Prozent, 2011 lag die Auslastung mit 76,3 Prozent nahe am Spitzenwert.

    Aber der Trend ist klar: wenn dieselbe Klangfülle, für die man traditionell ein Orchester brauchte, mit technischen Mitteln und wenigen Musikern erreichbar ist, sind Orchester wie Big-Bands weniger gefragt; das liegt einfach an der technischen Entwicklung, und sich einigelnd auf seinem hochkulturellen Wert zu bestehen, hilft da nur bedingt.

    Ich habe neulich in Berlin die Philharmoniker mit Bartok und Brahms gehört, und ich kann Dir versichern, dass ein solcher Klang weder mit technischen Mitteln noch mit wenigen Musikern erreichbar ist. Man muss allerdings schon zuhören, um das wahrzunehmen. Wahrscheinlich entspricht das nicht dem "Trend" (da kennst Du Dich besser aus als ich).

    Genau! Wo kämen wir denn da hin, wenn zu Beethovens Apotheose des Tanzes tatsächlich - getanzt würde!

    Die Bezeichnung "Apotheose des Tanzes" stammt von Richard Wagner, und der hat sich mit seinem spießigen und hoffnungslos veralteten Motto "Hier gilt's der Kunst" ja wohl selbst ins Abseits gestellt. Stell' Dir mal vor: Ein ganzes Festspielhaus nur um seine Werke in Ruhe zu erleben! Ganz ohne Mitsingen, Mitschunkeln, ohne Gespräche und Bewirtung während der Aufführungen, mit Holzstühlen für das Publikum. So etwas kann ja heute gar nicht mehr funktionieren. Wegsparen!

    Christian

  • So etwas kann ja heute gar nicht mehr funktionieren. Wegsparen!

    Wieso mein Plädoyer für ein "sowohl als auch" irgendwie nicht anders verstanden wird als "wegsparen!", bleibt unklar.

    Auf einem Festival als Zwischenact Transkriptionen auf der Gitarre zu spielen, stellt etwas anderes dar, als in der Berliner Philharmonie während Mahlers 9 im Fauteuil zu liegen ein Bierchen zu zischen und dem Nachbar zur Hintergrundmusik das neue vom Tage zu erzählen.

    Schrob ich davon, daß eine lockerere Darbietungsform nicht für alle Formen geeignet ist?

    Ich habe neulich in Berlin die Philharmoniker mit Bartok und Brahms gehört, und ich kann Dir versichern, dass ein solcher Klang weder mit technischen Mitteln noch mit wenigen Musikern erreichbar ist.

    Der Unterschied zu Zeiten, wo nur ein Orchester solche Fülle, und damit meinte ich auch "Volumen", herstellen konnte, zu heute, wo eine Rockband mit drei Leuten ähnlichen Radau hinkriegt, ist ja trotzdem vorhanden. Falls es immer noch nicht aufgefallen ist, habe ich nirgendwo die Abschaffung der Orchester gefordert...

    Man muss allerdings schon zuhören, um das wahrzunehmen. Wahrscheinlich entspricht das nicht dem "Trend" (da kennst Du Dich besser aus als ich).

    muß also auch nicht daran erinnert werden, daß man "schon zuhören" muss, "um das wahrzunehmen".
    Jeder, der im nichtklassischen Bereich mit Musik Geld verdient, ist mit dem "Trend" konfrontiert, daß ungerne 5 Leute bezahlt werden, wenns 3 auch tun würden. Mir daraus größere Vertrautheit mit dem Trend hin- (und vor-?) zuwerfen, finde ich zynisch oder gedankenlos.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

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