ANDERSSON Benny: Kristina från Duvemåla
Kristina från Duvemåla, das am 7.10.1995 in Malmö uraufgeführte schwedische Musical in zwei Akten der ehemaligen ABBA Mitglieder Benny Andersson (Musik) und Björn Ulvaeus (Libretto), basiert auf Romanen des schwedischen Schriftstellers Vilhelm Moberg (1898-1973). Es erzählt eine Auswanderergeschichte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Musicalprojekt von Andersson/Ulvaeus. Mit dem durch die Zusammenarbeit mit Andrew Lloyd Webber bekannt gewordenen Tim Rice („Jesus Christ Superstar“, „Evita“) erarbeiteten sie „Chess“, uraufgeführt 1986. Das 1999 uraufgeführte Musical „Mamma Mia!“ nach einem Buch von Catherine Johnson setzt auf ein Erfolgsmodell zeitgenössischer Musicals, Hits von Einzelinterpreten oder Gruppen (in diesem Fall von ABBA) einer neuen Story anzupassen.
Kristina från Duvemåla ist mehr durchkomponiert als andere Musicals. Es gibt wie in anderen Musiktheaterwerken auch einerseits den Inhalt vorantreibende Abschnitte mit Stilwechseln (je nach dramatischer Ausrichtung), vielfach rezitativisch, je nach Szene von Solisten, mit Duetten oder vom Chor bestritten, der teilweise auch die Handlung kommentiert, andererseits wie in der großen Oper psychologisch vertiefende, quasi innehaltende Arien oder Musicalnummern, die Gefühlslagen und Problemstellungen der Mitwirkenden verdeutlichen.
Es ging dem Autorenteam (geht man von der CD Erstveröffentlichung aus Malmö aus) nicht darum, eine gefällige Nummernrevue vorzulegen, sondern großes episches Musiktheater, tief verwurzelt in der schwedischen Nationalgeschichte. Die (ebenfalls sich aus der Erstaufnahme erschließende) grundsätzlich symphonische Anlage der Partitur lässt Einflüsse der schwedischen Volksmusik, von Offenbach, Verdi, Grieg, Rodgers, Bernstein und auch der eigenen ABBA Vergangenheit aufblitzen, doch (so empfinde ich es) niemals als mutwilliges effektheischendes Zitat, sondern stets werkimmanent, dem Inhalt angemessen.
Die Hauptperson Kristina, das berührende Einzelschicksal im Zentrum des Werks, ist mit besonderer Hingabe entworfen und künstlerisch durchgearbeitet, vielfach mit stark schwedisch geprägter Melodik und entsprechendem Arrangement. Neben ihrem Mann Karl Oskar gewinnt vor allem auch dessen Bruder Robert Profil, ein scheiternder Träumer, mit dem bestimmenden Element des auch musikalisch treibenden Wassers, was der Figur eine vehement romantische Aura des vergeblichen Traums vom erfüllten Leben aus der Freiheit heraus verleiht, mit starker Naturverbundenheit. Klug genug waren Andersson/Ulvaeus, als Kontrapunkt eine schillernde weibliche Nebenfigur mitreisen zu lassen, die ehemalige Prosituierte Ulrika, die sich letztendlich von einer Außenseiterin der Gesellschaft zu einer in der neuen Umgebung Sozialisierten wandelt. Diese Figur entspricht noch am ehesten (auch musikalisch) der Musicalkonvention.
Geläufig sind zwei Aufnahmen des Werks:
Die 1995/96 aufgenommene schwedische Studio-Originalaufnahme des Werks unter der musikalischen Leitung von Anders Eljas mit der Originalbesetzung Helen Sjöholm (Kristina), Anders Ekborg (Karl Oskar), Peter Jöback (Robert), Ǻsa Bergh (Ulrika) sowie Chor und Orchester des Musiktheaters Malmö vermittelt den komplexen musikalischen Gesamteindruck des Werk mit fast 170 Minuten Spieldauer auf 3 CDs (Mono Music MMCD 011) aufwändig und beeindruckend wuchtig. Im ausschließlich schwedischen Textbuch sind einige Szenenfotos eingebettet. Die englische wikipedia Seite zum Werk
"http://en.wikipedia.org/wiki/Kristina_…n_Duvem%C3%A5la"
bietet eine detaillierte Inhaltsangabe, anhand der man dem Fortlauf der Handlung sehr gut folgen kann, auch wenn man kein Wort Schwedisch versteht. So wie sich das Werk hier anhört, ist es symphonisch angelegt, opernhafter als andere Musicals. Elemente der U-Musik werden zweckdienlich, aber keineswegs durchgehend bestimmend eingesetzt.
Am 23. und 24.9.2009 fanden in New Yorks Carnegie Hall konzertante Aufführungen des Werks statt. Das englische Libretto stammt von Björn Ulvaeus und dem Librettisten Herbert Kretzmer, der durch das von Claude-Michel Schönberg vertonte Musical „Les Misérables“ bekannt wurde. Die 2 CD Veröffentlichung dieses Events „Kristina at Carnegie Hall“ (Mono Music MMCD 026) verwandelt das Werk (so mein Höreindruck) vom ernsthaften Versuch eines zeitgenössischen Musiktheaterwerks in eine großartige, konventionellere Musicalshow. Paul Gemignani dirigiert The American Theatre Orchestra and Chorus, erneut singt Helen Sjöholm (diesmal eben englisch) die Kristina, dazu kommen Russell Watson (Karl Oskar), Kevin Odekirk (Robert) und Louise Pitre (Ulrika). Jeder Akt ist um knapp mehr als zehn Minuten kürzer als in der Originalaufnahme, es gibt also Striche. Erneut sind alle Texte im Beiheft abgedruckt und mit Fotos der konzertanten Aufführung bereichert. Der Showcharakter des Carnegie Hall Mitschnitts ergibt sich aus einem fülligeren, farbenprächtigeren, effektvolleren, auch vielfach poppigeren Orchestersatz (im Gegensatz zur deutlich symphonischeren Anlage der Aufnahme aus Schweden), aus den Inhalt weiterführenden Kommentaren einzelner Mitwirkender zwischendurch, besonders deutlich aus vielfachem Nummernapplaus (was den Ablauf mehr zu einer Art Revue macht), auch aus dem Höreindruck, dass dieses Werk mit der englischen Sprache automatisch mehr Musicalfeeling erhält und mit der konzertanten Attitüde des mikrophonierten Vortrags der Solisten (so wirkt etwa Karl Oskar ungleich „äußerlich theatralischer“ als in der schwedischen Aufnahme).