Lauritz Melchior - DER Wagner-Sänger aller Zeiten?

  • Lauritz Melchior - DER Wagner-Sänger aller Zeiten?

    Auch wenn es einen Thread nur für Wagner-Stimmen gibt, Melchior ragt nun doch so heraus; dass er als einer der besten Sänger der Musikgeschichte gelten und demnach seinen eigenen Thread beanspruchen kann. Ich selbst bin momentan ein wenig im Zweifel, weil ich mir diese Box zugelegt habe und nicht weiß, was ich von ihr halten soll:

    Es mag an der technischen Qualität der meisten Mitschnitte liegen, aber ich konnte beim besten Willen nicht heraushören, was an Melchior das Besondere sein soll. Kraftvoll und klar hätte er gesungen, melodisch und so Belcanto, wie Wagner das wollte. Habe ich zu wenig Ahnung von Stimmbildung oder bin ich durch die Sänger der letzten Jahrzehnte, mit denen ich aufwuchs, einfach anders geprägt worden beim Hören?

    P.S. Wenn gewünscht, bitte in den oben genannten Thread verschieben!

  • Naja, vielleicht hilft diese Aufnahme weiter:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Auch wenn die eher ein Argument für die Flagstad ist. Ansonsten sollen seine schauspielerischen Fähigkeiten
    ein bisschen unter Null gelegen haben, aber gesungen hat er schon wie ein Gott. :juhu:

    "Nicht immer sind an einem Misserfolg die Künstler schuld.
    Manchmal ist es auch das Publikum, das indisponiert ist."
    Leonie Rysanek (1926-1998)

  • Aber woran macht man das fest?

    Ich würde es vor allem an der vollkommenen Mühelosigkeit festmachen, mit der Melchior all die Sachen singt, bei denen seine Nachfahren zum forcieren neigen (daß sie nur sprechen, rufen und schreien ist ja zum Glück in den meisten Fällen auch wieder übertrieben). Das ihm das nicht (jedenfalls nicht nur) in die Wiege gelegt war, bezeugen manche seiner späteren Aufnahmen (insb. MET-Live-Mitschnitte) , wo er nämlich auch hörbar angestrengt singt. Bei den Aufnahmen zum o.g. Ring wie auch bei der Walküren-Aufnahme unter Walter von 1935 ist er aber einfach unglaublich. Die (unforcierte!) Power in Melchiors Gesang erreichen mE auch sängerisch mindestens gleichwertige Tenöre wie Jacques Urlus nicht.

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • bin ich durch die Sänger der letzten Jahrzehnte, mit denen ich aufwuchs, einfach anders geprägt worden beim Hören?

    Das wird wahrscheinlich schon so sein. Die Sänger der Vorkriegszeit (und die der Vor-Vorkriegszeit erst recht) haben ja andere Maßstäbe an die Diktion angelegt aus die heutigen. Da wird z.B. versucht, neben den Vokalen auch die Konsonanten zum klingen zu bringen, am deutlichsten immer beim "r": Ain Schwäärrt vrrhiihß mirr drr Vaterr, ich fänd' es in hööchstrr Notttt" ;+) - Solche Diktion ist heute halt nicht mehr gut angesehen.

    Kraftvoll und klar hätte er gesungen, melodisch und so Belcanto, wie Wagner das wollte.

    Das ist ja nun so eine Sache mit dem "Belcanto, den Wagner wollte". Vielleicht magst Du bei Gelegenheit mal in "Oper und Drama" 'reinlesen, viel Vergnügen.

    Ganz kurz (und sicher oberflächlich): Wagner fordert keineswegs "Belcanto" für seine Partien; vielmehr bezeichnet er den Belcanto als den der italienischen Sprache angemessenen Gesangsstil, für den er ein der deutschen Sprache angemessenes Pendant einführen will. Damit ist er dann viele Seiten lang beschäftigt, ohne daß ein brauchbares Ergebnis herauskommt (das ist jetzt meine flapsig zusammengekürzte Meinung). Daran haben sich dann Gesangslehrer und Stimmbildner wie Julius Kniese (Chordirektor unter Cosima) abgearbeitet, mit teilweise nicht so schönen Ergebnissen (die Shaw als "Bayreuth bark" bezeichnet hat). Mein Eindruck ist, daß Melchior mehr oder weniger dieser Schule folgt, damit aber aufgrund der schieren Power seiner sängerischen Physis nicht so vor die Wand fährt, wie das etwa einem Max Lorenz häufiger passiert. Ein Beispiel für einen davon unberührten Gesangsstil wäre der oben genannte niederländische Sänger Jacques Urlus eine Generation vor ihm. Melchior ist daneben aber eben auch Sänger-Darsteller von herausragendem Format; vgl. seine (deutsch gesungenen) Otello-Ausschnitte :juhu:

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Aber woran macht man das fest? Vor alleim im Vergleich zu den heute viel geschmähten Sängern, die nicht sängen; sondern sprächen, riefen oder schrieen?


    Ich würde dabei nicht nur auf die lauten Passagen achten ("wer kann am höchsten, längsten und lautesten?").

    Gerade in den leiseren Passagen konnte Melchior äußerst differenziert und sinnvermittelnd singen. Diese Mischung der scheinbar mühelosen Bewältigung der kraftfordernden Abschnitte mit der Differenzierung im Lyrischen bietet er wohl ziemlich konkurrenzlos. "Laut" konnten auch andere. (Wer ruft da "Vinay"??)

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich würde es vor allem an der vollkommenen Mühelosigkeit festmachen, mit der Melchior all die Sachen singt, bei denen seine Nachfahren zum forcieren neigen (daß sie nur sprechen, rufen und schreien ist ja zum Glück in den meisten Fällen auch wieder übertrieben). Das ihm das nicht (jedenfalls nicht nur) in die Wiege gelegt war, bezeugen manche seiner späteren Aufnahmen (insb. MET-Live-Mitschnitte) , wo er nämlich auch hörbar angestrengt singt. Bei den Aufnahmen zum o.g. Ring wie auch bei der Walküren-Aufnahme unter Walter von 1935 ist er aber einfach unglaublich. Die (unforcierte!) Power in Melchiors Gesang erreichen mE auch sängerisch mindestens gleichwertige Tenöre wie Jacques Urlus nicht.

    ?

  • Das ist ja nun so eine Sache mit dem "Belcanto, den Wagner wollte". Vielleicht magst Du bei Gelegenheit mal in "Oper und Drama" 'reinlesen, viel Vergnügen.

    Ganz kurz (und sicher oberflächlich): Wagner fordert keineswegs "Belcanto" für seine Partien; vielmehr bezeichnet er den Belcanto als den der italienischen Sprache angemessenen Gesangsstil, für den er ein der deutschen Sprache angemessenes Pendant einführen will. Damit ist er dann viele Seiten lang beschäftigt, ohne daß ein brauchbares Ergebnis herauskommt (das ist jetzt meine flapsig zusammengekürzte Meinung). Daran haben sich dann Gesangslehrer und Stimmbildner wie Julius Kniese (Chordirektor unter Cosima) abgearbeitet, mit teilweise nicht so schönen Ergebnissen (die Shaw als "Bayreuth bark" bezeichnet hat). Mein Eindruck ist, daß Melchior mehr oder weniger dieser Schule folgt, damit aber aufgrund der schieren Power seiner sängerischen Physis nicht so vor die Wand fährt, wie das etwa einem Max Lorenz häufiger passiert. Ein Beispiel für einen davon unberührten Gesangsstil wäre der oben genannte niederländische Sänger Jacques Urlus eine Generation vor ihm. Melchior ist daneben aber eben auch Sänger-Darsteller von herausragendem Format; vgl. seine (deutsch gesungenen) Otello-Ausschnitte :juhu:

    Das ist ja interessant, vielen Dank für den Hinweis! Ich habe nur rekapituliert, was in zwei Wagner-Biografien und bei Thielemann nachzulesen ist. Das wäre ja dann eine grobe Vereinfachung.

  • Welchen? Live 52 oder Studio 72? Sind beide sehr gut!


    Vinay hat nur im 1952er live gesungen. 1972 war es Vickers. (aber das weißt du bestimmt)

    "Nicht immer sind an einem Misserfolg die Künstler schuld.
    Manchmal ist es auch das Publikum, das indisponiert ist."
    Leonie Rysanek (1926-1998)


  • Ich würde dabei nicht nur auf die lauten Passagen achten ("wer kann am höchsten, längsten und lautesten?").

    Gerade in den leiseren Passagen konnte Melchior äußerst differenziert und sinnvermittelnd singen. Diese Mischung der scheinbar mühelosen Bewältigung der kraftfordernden Abschnitte mit der Differenzierung im Lyrischen bietet er wohl ziemlich konkurrenzlos. "Laut" konnten auch andere. (Wer ruft da "Vinay"??)

    Gruß
    MB

    :wink:


    Für mich ist mit die phänomenalste Stelle, um Melchiors Kunst schätzen zu lernen, Siegfrieds Erzählung im dritten Akt der Götterdämmerung, live gesungen 1936. Er steigert Siegfrieds zurückkehrende Erinnerung in wahnsinnige Hitze hinein, bis er bei "schlafend ein wonniges Weib" ein riesiges Diminuendo macht, das man dieser so groß dimensionierten Stimme niemals zutrauen würde. Die wunderbaren Othello-Ausschnitte wurden ja schon erwähnt.
    In der Tat ist die Stimme Melchiors eine, von der sich die heutigen Hörgewohnheiten schon ein gutes Stück entfernt haben ; der pathetische Stil seiner Zeit ist etwas, womit man sich nach der Gewöhnung an Kaufmann, Kollo und Botha errst etwas einhören muß...

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Erstmal muss man sich auf historische Aufnahmen einlassen können und dann wirkt Melchiors Stimme durch die baritonale Basis, die Eigenart des Timbres und große Volumen ggf. erstmal verstörend.
    Die Ausnahmestellung im Wagnerbereich ist aber aus meiner Sicht eindeutig und liegt aber schlicht am glücklichen Zusammentreffen vieler Vorzüge.

    Da ist einmal die schlichte stimmliche Potenz, sicher eine der größten Stimmen des Jahrhunderts, sogar auf Platte nachzuvollziehen und die Livewirkung ist gut dokumentiert. Dazu kommen ein markantes Timbre und, was bei so baritonal gefärbten Stimmen selten ist, in der Höhe auch eine durchschlagende Brillianz. Jon Vickers hatte das beispielsweise, bei aller Kraft und Volumen, nicht zur Verfügung.

    Weiterhin gibt es von Melchior sicher auch schlechte Tondokumente, man sollte die Sänger jedoch nach Ihren besten Ergebnissen beurteilen. In seinen besten Dokumenten, meist unter großen Dirigenten, singt er musikalisch korrekt und halt nicht nur mühelos alles, was die Partitur vorschreibt, sondern auch außerordentlich subtil schattierend.

    Das für mich Wichtigste ist aber die szenische Gestaltung in der Musik. Melchior mag auf der Bühne unbeweglich gewesen sein (gottseidank musste ich das nicht sehen), auf dem Tonträger ist er aber hochflexibel. Die Zärtlichkeiten in den Otello-monologen oder auch in den Brautgemachszenen aus dem Lohengrin - ich habe immer das Bild eines Grizzlybären, der ein kleines Entenküken in seinen Tatzen hält, oder gar einen Schmetterling. Das ist nicht akademisch-intellektuell interpretiert, sondern da fühlt sich ein Naturbursche in seine Rollen ein . Der gleiche Bursche, dessen Stimme allein Nothung in Form bringt.

    Bleibt noch ein Blick über die Aufführungszahlen: Melchior hat über 200mal (!) als Tristan auf der Bühne gestanden, insgesamt über 1000 Wagneraufführungen gestemmt. Das da auch viel Mittelmaß und Routine dabei war, wundert nicht.
    Er bleibt eine der großen sängerischen Ausnahmeerscheinungen des Jahrhunderts. Der größte Heldentenor ist er nicht, er ist einfach eine eigene Kategorie.


    "You realize that it’s not necessary to own 50 Beethoven cycles, 46 of which you never play, when you can be just as happy with 20 of them, 16 of which you never play.
    "
    , David Hurwitz

  • Heute habe ich mal wieder in seinen 'Siegfried' hineingehört.

    Ich bin mit Sicherheit nicht der größte Melchior-Fan, weil ich die expressive, sich in manchen Opern wirklich selbstentäußernde Kraft eines Max Lorenz vorziehe. Das ändert aber nichts an der Tatsache, das Melchior schlichtweg der bessere Sänger war.

    Zunächst finde ich es als Hörer schon einmal sehr angenehm, dass bei ihm alle Töne auch so kommen, wie sie eigentlich intendiert waren. (Ok, Melchior hat auch oft geschummelt, aber das finde ich bei der riesigen Anzahl von Aufführungen und seiner sehr lange Karriere entschuldbar.) Zudem hatte er ein wunderbares Legato, konnte Phrasen binden, sie zu einem erfüllten Höhepunkt führen. Seine Höhe war (für einen ehemaligen Bariton allemal) superb, sehr gut eingebunden, die Mittellage voll und ausdrucksvoll, sein Timbre wunderschön, warm, rund klingend und einnehmend (Achtung Geschmackssache!). Hört man ihn, weiß man eigentlich immer, dass man große Oper und bedeutende Interpretationen erleben darf. Und das mit einer scheinbar mühelosen Sicherheit.

    Ich habe bei ihm eigentlich nur einen Punkt einzuwenden. Und das soll wirklich Kritik auf höchstem Niveau sein! Er klingt mir oft zu kalkuliert und geht dabei zu wenig Risiko ein. Eigentlich darf man das einem Sänger gar nicht mal vorwerfen. Aber wir reden hier über den vielleicht größten Wagner-Tenor des letzten Jahrhunderts. Und da fällt das mir schon auf. Lorenz, mit all seinen vokalen Schwächen, hat sich in seiner Glanzzeit nie geschont, ging immer über seine Grenzen hinaus. Das kann man, darf man von einem Sänger nicht erwarten, nimmt mich aber für Lorenz mehr ein.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!