Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Sinfonie Nr. 3 in a-moll, op. 56 ("Schottische")

  • sind es? im Schlußthema erstmal nur 3... oder täusche ich mich jetzt komplett?


    Im Schlussthema sind es vier Noten auf drei Tonhöhen (der zweite Ton wird in zwei gleich lange geteilt). In der Einleitung sind es vier Tonhöhen, aber auch hier ist der dritte Ton nicht
    "vollwertig".

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Klemperer mochte die Coda des Finalsatzes nicht, fand sie zu aufgesetzt, und hat diese kurzerhand gestrichen und selbst eine Ersatzkoda komponiert (über ein bereits eingeführtes Mendelssohn-Thema).

    In Klemps Studio-Aufnahme original, im Münchener Mitschnitt die Klempererbearbeitung

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • es wäre total cool, endlich mal eine unkomplizierte Variante zum Einfügen von Notenbeispielen aufzutun.


    l-l l-l l-l

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ich habe gerade keine Partitur hier, aber aus der Erinnerung scheint mir neben der aufsteigenden Linie der recht ähnliche Rhythmus mit der Punktierung (im letzten Satz triolisch) am Taktende eine wichtige Gemeinsamkeit zu sein. Außerdem natürlich der Beginn beider Phrasen auf dem Dominant-Grundton, im ersten Satz über den Tonika-Grundton hinaus zur Terz, im letzten dann über die Subdominant-Terz zum Tonika-Grundton, was zusammen mit der Dur-Wendung sozusagen als "Erfüllung" oder als Ziel gehört werden kann. Auch ist der zweiteilige Takt am Ende stabiler als der Dreiertakt zu Beginn, also auch das eine Art Entwicklungsziel. Motivisch ist da vergleichsweise wenig Zusammenhang, das sehe ich genauso.

    Schön beschrieben.
    Das ist für mich gerade das faszinierende, wie diese "Schlüssigkeit", dieser Eindruck von Auflösung vorheriger Fragen entsteht ohne die typischen Motivbeziehungen, sondern über subtile Anspielungen und kleine Veränderungen.

    Zitat

    Außerdem natürlich der Beginn beider Phrasen auf dem Dominant-Grundton, im ersten Satz über den Tonika-Grundton hinaus zur Terz, im letzten dann über die Subdominant-Terz zum Tonika-Grundton,

    Wobei die Verwandtschaft weiter geht: schon im Allegro des ersten Satzes wechselt die Tonika zwischenzeitig sofort in Durparallele, von wo aus die Wendung a-c schon die Beleuchtung bekommt, die sie im Schluß endgültig hat: Terz der Subdominante-Tonikagrundton.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • scheint mir neben der aufsteigenden Linie der recht ähnliche Rhythmus mit der Punktierung (im letzten Satz triolisch) am Taktende eine wichtige Gemeinsamkeit zu sein. Außerdem natürlich der Beginn beider Phrasen auf dem Dominant-Grundton, im ersten Satz über den Tonika-Grundton hinaus zur Terz, im letzten dann über die Subdominant-Terz zum Tonika-Grundton, was zusammen mit der Dur-Wendung sozusagen als "Erfüllung" oder als Ziel gehört werden kann.


    Das würde ich als "eine Schicht" der Bezugnahme sehen; zugleich höre ich schon die ja volltaktige Anfangsquart e - a in dem e - fis - a des Schlusses, als eine Heraushebung und Bereicherung; die auftaktige Repetition des Quart bestätigt das. Der Dominant-Hochton e' wird dann am Schluß gleich im ersten Schwung erreicht, wo die Einleitung sich relativ umständlich herantasten muß. Das Ohr hört wohl "Motive" der Veränderungen (Steigerung, Zusammenfassung) mit und braucht so nicht (nur) Identitäten nachzuzeichnen (so wichtig letzteres auch ist).

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ich habe jetzt nicht in die Partitur angesehen, aber das Choralthema scheint mir aus Anleihen aus dem Einleitungs- und Allegrothema des ersten Satzes gleichermassen zusammengesetzt zu sein. Die ersten vier Noten spiegeln die Einleitung wider, und die Fortsetzung erinnert rhythmisch stark an das Allegrothema. So richtig kann ich den Finger auch nicht drauflegen, aber es hört sich so an. Ein ähnliches Gefühl habe ich bei allen Themen des Es-Dur Klaviertrios op. 70/2 von Beethoven. Alle Themen scheinen mir hier verwandt, ohne, dass es leicht definierbar wäre weshalb.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Meiner Erinnerung nach habe ich diese Sinfonie schon als Einsteiger mit 16,17 als ähnlich unproblematisch hörbar wie die "Italienische" empfunden. Letztere ist vielleicht noch ein wenig eingängiger, dafür wirkt sie weit weniger geschlossen, eher suitenhaft. Jedenfalls scheint mir die "Schottische" deutlich unproblematischer als die uneinheitliche "Reformationsssinfonie".

    Das Dur-Ende wirkt ein wenig angehängt, stört mich aber nicht weiter. Motivisch höre ich am ehesten eine rhythmisch veränderte Dur-Variante des 2. Themas des Finales (das auch als schwedisches Volkslied überliefert ist). Die Einleitung vom ersten Satz ist einfach schon lange her, die habe ich dann nicht mehr im Ohr ;+)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die Einleitung vom ersten Satz ist einfach schon lange her, die habe ich dann nicht mehr im Ohr


    Du hörst das Werk ja auch nicht so oft wie ich... ;+)
    Die Sätze 2 und 4 sind mMn recht unproblematisch bei der Gestaltung, wenn man präzise spielt. Aber der erste und der dritte können schrecklich verschleppt und tranig klingen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Klemperer mochte die Coda des Finalsatzes nicht, fand sie zu aufgesetzt, und hat diese kurzerhand gestrichen und selbst eine Ersatzkoda komponiert (über ein bereits eingeführtes Mendelssohn-Thema).


    Das ist eine spannende Info! Ich habe die Sinfonie mal in einem guten Laienorchester gespielt und dem Dirigenten (Soloposaunist im RSO Stuttgart) war furchtbar wichtig, dass der Schluss keine "rheinische Gemütlichkeit" bekommt. Das ist einer der Gründe, warum ich auch mit der Aufnahme von Frans Brüggen sehr glücklich bin.

    Ich kann mit dem ganzen letzten Satz nicht so viel anfangen. Ich finde den Scherzo-Charakter merkwürdig unbefriedigend und den triumphalen Schluss tatsächlich auch riskant. Wenn er nicht gut gemacht ist, klingt er in meinen Ohren schnell satt-zufrieden-bräsig. Aber es gibt ja noch die Sätze eins und drei.. :love:

  • Der letzte Satz ist mMn eine Art symphonische Dichtung. Geschildert wird wohl eine Schlacht in den Highlands, die von den "Guten" gewonnen wird. Das muss man natürlich gebührlich feiern.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Der letzte Satz ist mMn eine Art symphonische Dichtung. Geschildert wird wohl eine Schlacht in den Highlands, die von den "Guten" gewonnen wird. Das muss man natürlich gebührlich feiern.


    Stimmt, da scheint es ja entsprechende Äußerungen von Mendelssohn zu geben. Aber man muss den Sieg ja nicht unbedingt schmerbäuchig beim zehnten Bier feiern, so ein bisschen Haltung tut ja vielleicht trotzdem gut.. :D

  • H


    Stimmt, da scheint es ja entsprechende Äußerungen von Mendelssohn zu geben. Aber man muss den Sieg ja nicht unbedingt schmerbäuchig beim zehnten Bier feiern, so ein bisschen Haltung tut ja vielleicht trotzdem gut.. :D


    Halloooo... Schottland!!

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Hallo zusammen,

    beim Nachsinnen über meine stärksten Klassik-Neuerfahrungen in 2015 bin ich drauf gekommen, dass diese SACD/Blu-ray-Ausgabe auf jeden Fall dazu gehört:

    Meine ausgeprägte Mendelssohn-Schwäche zusammen mit einer ordentlich Schottland-Begeisterung und Gardiner-Bewunderung haben sich hier wunderbar bestätigt gefunden: das z.T. doch sehr Kleinteilige der Motive (das auch in der Darstellung der Streichquartette in meinen Ohren dafür sorgt, dass ich noch keine gültige Version des f-moll-Quartetts gefunden habe), die vielen unterschiedlichen Charaktere der Motive und Themen werden hier (der Schumann erreicht mich leider auch hier nicht, aber das ist ein Benno- und kein Interpreten-Thema) sehr schön nebeneinander gestellt, sind im Tonfall viel zwingender getroffen als in meinen Vergleichsaufnahmen (Abbado, LSO, Dohnanyi, WP).

    Dass Gardiner großflächige Klangdispositionen beherrscht, habe ich in den Handel-Oratorien schon in den 1980'er Jahren gehört.

    Hier finde ich es aber auch auf die gesamte Dauer der Schottischen klug disponiert, dass kein Forte wie das andere klingt, sondern für jede Stelle eine neu zusammengesetzte Klangabmischung (so höre ich es) gefunden wird. Und ob man schmerbäuchig den Sieg feiert, wird wohl bei der eher asketischen Figur des Dirigenten auszuschließen sein.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Lieber Benno!

    Deine Eindrücke von den Mendelssohn-Aufnahmen auf dieser auch irrsinnig gut klingenden Einspielung kann ich für mich nur bestätigen. Mein derzeitiger Favorit für die "Schottische" und die "Hebriden". Das Schumann-Klavierkonzert, obwohl mir grundsätzlich eines der liebsten Werke seiner Gattung, fand ich überhaupt nicht spannend, vermutlich ist der Ansatz mir zu lyrisch. Ich freue mich jedenfalls schon auf weitere Veröffentlichungen, die Fünfte gibt es ja schon.

    Viele Grüße,

    Peter

  • Ich habe gestern im Konzert die Hebriden, Reformation und Schottische mit Minkowski / LMdL gehört, da ist mir erstmals aufgefallen, dass der Schlusssatz der Dritten echt nicht der große Wurf ist, hat die brucknersche Krankheit des ständigen Neu-ansetzens (Scherzocharakter) und die choralhafte Coda wirkt aufgesetzt und nicht entwickelt. Seltsam, dass die Schottische meist als Mendelssohns wichtigste Sinfonie gehandelt wird.

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Sehe ich nicht so. Dass die Finalcoda nicht der musikalisch komplexeste Teil der Sinfonie ist: geschenkt - das ist nicht so ungewöhnlich in der symphonischen Tradition. Aber "nicht entwickelt" stimmt so nicht: das hymnische Thema der Coda nimmt sowohl Bezug auf das Seitenthema des Allegro vivacissimo als auch auf die Einleitung des Kopfsatzes. Nicht umsonst lässt Mendelssohn das Finale vor der Coda nochmal in den melancholischen Tonfall des Andante con moto zurückfallen. Die gegensätzlich-zyklische Verklammerung von Anfang und Ende der Sinfonie steht auch romantisch-programmusikalisch für die Dualismen Natur-Kultur, Landschaft-Nation, Individuum-Kollektiv usw.

    Auch für sich betrachtet finde ich das Allegro vivacissimo ziemlich konzentriert und abwechslungsreich, z.B. wenn die pochende Begleitung des Hauptthemas zu einem eigenen Nebenthema entwickelt wird.

    Die Frage, an welcher Stelle die Schottische in der Rangfolge der Mendelssohn-Sinfonien steht, überlasse ich den Ranking-Spezialisten...


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Was ich nie verstanden habe: weshalb werden bei Mendelssohn immer diese zweischneidigen Kriterien angelegt? Entwickelt er den Verlauf des Satzes rein aus dem melodischen Material im Rahmen des Formenkanons, gilt er als "bieder" und "klassizistisch". Integriert er wie die Romantiker Aussermusikalisches, Extrinsisches in seine Sätze, dann ist es "aufgesetzt" oder "formal unausgewogen", oder sogar "religiöser Kitsch". Die Schottische wandelt haarscharf am Grat zwischen klassischer Symphonie und symphonischer Dichtung. Zwar haben die Sätze kein offizielles Programm, aber es liesse sich ohne die kleinste Mühe eines unterlegen. Der letzte Satz hiess ursprünglich "Allegro guerrero" - somit ist schon klar, was hier abläuft. Eine Schlacht in den Highlands, die gewonnen wird. Der Sieg wird in einem Hymnus am Ende zelebriert. Rein musikalisch vermeintlich (!) nicht logisch (die thematischen Bezüge hat ja Bernd ausgeführt), programmatisch hingegen völlig.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Als Mendelssohn hier im Forum runtergemacht werden sollte von einigen Leuten, habe ich ihn verteidigt. Ich lege auch keine zweischneidigen formalen Kriterien an. Der Schlussatz der Schottischen hat mich gestern im Konzert aber leider etwas ermüdet, was verschiedene Gründe haben kann. Aber die formalen Gründe sind halt konkret greifbar. Und wenn dann noch das Dirigat nicht so hundertprozentig gefällt, langweilt sich der TB.

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Ich habe hier aber nicht Dich (also den TB) bewertet sondern ausschliesslich die Aussage, genauer die "aufgesetzte und nicht entwickelte Coda". Auch Mendelssohnfreunde können Aussagen über Mendelssohns Musik treffen, über die man diskutieren kann bzw. muss.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Auf der jüngsten Vierteljahresliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik (02/2016, "http://www.schallplattenkritik.de/bestenlisten/8…tenliste-2-2016") findet sich die Aufnahme mit dem Freiburger Barockorchester mit Paul Heras Casado:

    Kennt die schon jemand? Ist sie wirklich so empfehlenswert oder wäre doch dem hier auch schon genannten Gardiner oder de Vriend der Vorzug zu geben?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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