Was ist, was soll, was darf Opernregie? Und was nicht?

  • und wo ist, bitte, das kriterium?
    :versteck1:

    Bezieht sich die Frage auf Symbols Currentzis-Besprechung? Wenn ja: Er führt jede Menge Kriterien an.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und habe diese geäußert. Dass ich mehr nicht dazu sagen will, habe ich auch erklärt und darüber hinaus, warum das so ist. Gibt’s sonst noch was?

  • Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und habe diese geäußert. Dass ich mehr nicht dazu sagen will, habe ich auch erklärt und darüber hinaus, warum das so ist. Gibt’s sonst noch was?


    Nein - außer, dass ich meine Frage m. E. hinreichend höflich formuliert habe, um eine etwas höflichere Antwort zu erhalten.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • und wo ist, bitte, das kriterium?
    :versteck1:


    In der Black Lodge. Wenn die Frau mit den zugenähten Augen den Schalter umgelegt hat, wird es über Anschluss Nr. 3 in einen Vorort von Las Vegas transportiert.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Woraus entnimmst Du, dass ich mich auf Deine Frage bezog?


    Daraus, dass ich einen Bezug auf den (wohl kaum ernstgemeinten, sondern eher spöttischen) Beitrag Nr. 2180 für sehr unwahrscheinlich erachtet habe.

    Sollte dem nicht so sein, nehme ich meine Bemerkung gerne zurück.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Dann nimm sie zurück. Auf Deinen Beitrag hätte ich mit einem ebenso gründlich bedachten antworten müssen, was nicht möglich war, weil ich nicht weiter über die Sache nachdenken möchte, wie ich bekundet habe. Bei einer kleinen, nicht besonders intelligenten, witzig sein wollenden frechen Bemerkung liegen die Dinge anders.

  • Heute, 7.11.2017, 17:05

    gibt anscheinend mehrere Fäden, um den Hinweis loszuwerden, dann ich soeben auf Tamino gesehen habe:

    Heute, 7.11.2017, 17:00

    SWR2 Forum

    Willkürlich und respektlos?
    Der Streit um die Opernregie

    Es diskutieren:
    Christian Gerhaher, Bariton, Lied- und Opernsänger
    Prof. Dr. Laurenz Lütteken, Musikwissenschaftler, Universität Zürich
    Prof. Dr. Stephan Mösch, Musik- und Theaterwissenschaftler, Hochschule für Musik Karlsruhe
    Gesprächsleitung: Ursula Nusser

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Aufgrund mehrerer Verstöße gegen Forenregeln 9 und 10 wurde eine Diskussion vom 29./30.11.2017 separiert, geschlossen und in den internen Bereich verschoben.

    Für die Moderation: Amaryllis

  • Der Thread wird probeweise wieder geöffnet. Bitte an die Forenregeln halten, auch, wenn die Emotionen hochschießen!

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Danke zunächst an die Moderation wegen der Wiedereröffnung.

    ich würde gern auf ein Statement von Amfortas auf Tamino reagieren.

    ein weiterer user hatte gemeint, schon durch die Vorgabe der Zeit, in der z.B. die "Tosca" spielt, sei eine Verlegung z.B. in die heutige Zeit widersinnig.

    Amfortas erwiderte:

    Zitat

    Nein. Ganz und gar nicht widersinnig.Die Oper Tosca ist in der Perspektive des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstanden.Bereits der Musikstil ist ein anderer als zu um 1800. Die mehr oder wenige durchkomponierte Großfdorm bei Puccini existierte damals nicht.


    hier möchte ich meinerseits versuchen zu widersprechen.

    Was die Feststellungen von Amfortas (Entstehung der Oper im 19. Jh., anderer Musikstil als 18. Jh., Großform) betrifft, so bin ich natürlich völlig einverstanden .

    Nicht aber mit seiner Schlußfolgerung - wobei ich nicht behaupten möchte, eine solche Verlegung sei unmöglich oder sowas, sondern nur bestreiten, daß mit Amfortas Argument die Möglichkeit erwiesen ist.

    Es ist doch in keiner Weise auszuschließen, daß die Zeit, in der die Handlung der Oper angesiedelt ist, nicht eben konstitutiv für diese Handlung ist, und damit wesentlicher Bestandteil des Gesamtwerkes "Tosca" wäre, ungeachtet dessen, daß Tosca voll und ganz ein Produkt des 19. Jh. ist.

    Eine wirklich "zeitgenössische" Handlung wäre doch von Puccini möglicherweise ganz anders komponiert worden, ungeachtet dessen, daß es sich beidemale um Musik des 19. Jh. von Puccini handeln würde.


    Vielleicht ein anderes Beispiel:

    Im "Boris Godunow" liegen die Zeit der Handlung und die Zeit der Textanfertigung und der Komposition noch weiter auseinander. Es ist aber gerade eine Eigenheit, quasi eine Errungenschaft der Musik des 19. Jh., daß sie irgendwie "nach alten Zeiten" klingen kann, ohne im mindesten tatsächlich wie authentische Musik dieser alten Zeiten beschaffen zu sein. im Boris wären das zunächst die Mönchschöre, aber auch durchgängige Züge der Harmonik, etwa die Anklänge an "modale" Führungen. Die Fremdheit der "modernen" Mittel des 19. Jh. suggerieren zugleich die Fremdheit alter Zeiten. Die kraß avancierten Harmoniewechsel verschwistern sich mit archaischem Glockengeläut.

    Wird die Zeit versetzt, so verlieren all diese Eigenheiten ihren Boden und ihren Halt im Gesamtwerk des Boris.

    Mich hat immer die Szene Pimen/Grigorij besonders beeindruckt: Pimen schreibt an seiner Chronik, er schreibt mit einer Feder in einer verschlungenen Schreibschrift, und die kratzigen Figuren der Viola passen genau dazu (ohne sich darin zu erschöpfen: sie passen auch zur düsteren Klosterzelle etc.). Schreibt - besser tippt - Pimen auf einem Laptop, so ist die Passung von Bühnengeschehen und Musik futsch.

    (ich schenke jetzt erst mal das Argument, daß der Worttext doch allemal nicht paßt, das wäre sozusagen zu leicht und die Diskussion quasi gleich am Ende)

    bei Wagner scheint mir evidentermaßen ein solcher Bezug der Musik auf imaginierte alte Zeiten vorzuliegen.

    In andern Fällen mag man so etwas nicht so direkt an der Musik allein verifizieren können, da wäre dann das Gesamt von Worttext, Situation, Handlungsablauf und Musik zu betrachten.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
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  • Wo denn zB beim "Tristan"??

    ich habe mich nicht ganz unmißvrständlich ausgedrückt - ich meinte natürlich nicht, daß sowas bei Wagner überall vorkommt, sondern daß es eben vorkommt.

    Aber ich denke, auch im Tristan wird man fündig, z.B.

    - überall da, wo die Musik "ritterlich" klingt - d.h. eine Zeit suggeriert, in der Krieger in metallenen Rüstungen auf Pferden ritten

    - die Jagdmusik Anfang 2. Akt:typischerweise sind die Signalmotive der Hörner, soweit sie über Oktaven, Quinten und Quarten hinaus gehen, quasi "Durdreiklänge". Hier teilweise verfremdet zu Molldreiklängen, welches aber wiederum kein "richtiges" Moll sind, sondern quasi Oberteile von Nonakkorden. Das sind Verfremdungen mit "modernen" Mitteln, die aber dennoch der Motivik einen zusätzlichen Schuß von "klingt alt" verpassen.

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    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Nicht aber mit seiner Schlußfolgerung - wobei ich nicht behaupten möchte, eine solche Verlegung sei unmöglich oder sowas, sondern nur bestreiten, daß mit Amfortas Argument die Möglichkeit erwiesen ist.

    Es ist doch in keiner Weise auszuschließen, daß die Zeit, in der die Handlung der Oper angesiedelt ist, nicht eben konstitutiv für diese Handlung ist, und damit wesentlicher Bestandteil des Gesamtwerkes "Tosca" wäre, ungeachtet dessen, daß Tosca voll und ganz ein Produkt des 19. Jh. ist.

    Man könnte darüber grübeln
    a. inwieweit konstitutiv.
    b. warum wählte Puccini keinen zeitgenössischen Stoff.

    Wählte/entschied sich Puccini für einen historischen Soff, um seine eigene Opern-Chose gegen den damaligen Verismo abzugrenzen, der aktuelle Stoffe bevorzugte; also quasi als geeignetes "Marketing"-Mittel, um seine Tosca gegen konkurrierende Notenquäler gleichsam zu individualisieren. Das würde m.E. dann das Konstitutive vom historischen Back-Ground abmildern, weil es damit sich veräußerlichte. Kein "konstitutiver" Zwang nötigte dann sich aufs historische Ambiente zu versteifen.

    Eine wirklich "zeitgenössische" Handlung wäre doch von Puccini möglicherweise ganz anders komponiert worden, ungeachtet dessen, daß es sich beidemale um Musik des 19. Jh. von Puccinin handeln würde.

    Was bei Puccinis Boheme und Tosca auffällig rüberkommt, sind darin rasant bis hektisch wechselnde Charaktere in ihrem Muckenfluss. Sich eben aufbauende Szenen, Duette bzw. Einzelmonologe werden sogleich brutalst unterbrochen, schier zerkloppt.
    In Butterfly, die zu mindestens zeitlich näher an Puccinis Gegenwart verortet (ja, ja örtlich weniger, okay okay okay), kommen die Übergänge in der durchkomponierten Großform mir vergleichsweise gechillter rüber, dabei nicht minder verstörend: Im 2. Akt Umschlag von Illusion in Desillusion.
    Nicht völlig unähnlich darin die – von mir nicht sonderlich gemochte – Turandot, deren Stoff ich zeitlich weder aktuell noch historisch verorten kann.
    Deshalb bin ich mir momentan nicht sicher, ob und wie Zusammenhang zwischen zeitlich-historische Wahl der Stoffe und Puccinis komponierter Mucke auszumachen wäre…

    Mir geht es ja nicht darum Tosca auf bestimmten Inszenierungsstil festzukloppen, also RT oder NO-RT. Ich habe bisher drei Wiedergaben davon mir richtig live durchgezogen. Musikalisch teilweise durchaus beeindruckend. Aber keine Umsetzung - weder RT noch NO-RT - überzeugte mich sonderlich.

    Und dann ist da noch eine Chose, die mir bei der Tosca aufs Gebälk schlägt:
    seit etwa Mitte (?) des 19. Jahrhundert beginnt sich (in Teilen Europas) die Gestalt von Herrschaft zu ändern, indem unmittelbarer Zwang/Herrschaft durch formale Freiheit von mehr oder weniger doll garantierten Rechtsverhältnissen abgelöst wird. Herrschaft wird quasi zunehmend entpersönlicht bis abgelöst durch Härte des ökonomischen, strukturellen Zwang/Abhängigkeit (aber innerhalb formal freier Rechtsverhältnisse, Vertragsfreiheit in Form von Abschluss- und Inhaltsfreiheit). Folglich kommt da so eine Art Feeling rüber, dass Figuren-Konstellationen wie potentielles Me-To-Opfer Tosca oder Folter-Exekutionsopfer Cavaradossi durch fiesen und notgeilen Scarpia nach + nach bzw. mehr + mehr anachronistisch abzukacken beginnen, vermutlich sogar als Puccini seine Tosca verzapfte (trotz bedrohliches politisches Umfeld zu Beginn des 20. Jh).

    Ich würde mir für Tosca mal eine Regie wünschen, die ihre Birne nicht in den Sand steckt, sondern versucht auf diese Diskrepanz zu reagieren, also sich dazu den Brägen zergrübelt und spannend rüberkommende Konsequenzen daraus zieht (dabei mir wumpe ob RT oder NO-RT).

    bei Wagner scheint mir evidentermaßen ein solcher Bezug der Musik auf imaginierte alte Zeiten vorzuliegen.

    mit Betonung auf imaginiert ....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Man sieht ein früheres Geschehen aus der Sicht einer späteren Zeit oder eben unserer Gegenwart. Dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen. Puccini hat es im Falle der Tosca gemacht, warum wir heute nicht auch?

    Obwohl es in dem Fall ja schon zu einer doppelten Brechung kommt. Bei Puccini war es 'nur' die Musik, die der Handlung zeitlich nicht mehr entsprach, bei uns ist sind es nun schon Musik und Handlung, die nicht mehr aktuell sind. Das aber in eine Inszenierung einzubauen, kann durchaus interessant sein.

    Was ich aber bei Aktualisierungen oftmals als problematisch ansehe ist v.a. eine ästhetische und inhaltliche Seite. Zunächst gebe ich Zabki vollkommen recht, dass es oftmals musikalisch Schwierigkeiten gibt. Viele Komponisten (Wagner - Meistersinger) bedienten sich einer Musiksprache, die schon zu ihrer Zeit nur noch eine Nachahmung bedeutete, eine Annäherung aus der Sicht ihrer Zeit. Wobei ich hier nicht wie Zabki die musikalischen Einzelheiten meine, die eben auch oftmals nicht aufgehen, eher untergehen, sondern eher die Ganzheit der Musiksprache, also die Musik, die z.B. Rittergeschehen meint, wie es sich das 19. Jahrhundert aber eben nur vorstellte.

    Aber das ist eigentlich gar nicht so sehr mein Einwand. Mich nervt bei den Aktualisierungen oftmals die ästhetische Seite (die natürlich ganz besonders eine Geschmackssache ist), bei der ich das Gefühl habe, man will ordentlich am Kostüm- und Bühnenbildetat sparen. Marelli verbrauchte für seine Giovanni-Inszenierung in Hamburg 23 Meter reine Seide für das Kostüm der Elvira, ließ die Schuhe in Italien per Hand herstellen. Dagegen ist natürlich ein Kleidchen von H&M preiswerter. :D Mir geht es dabei aber nicht um Wotans Flügelhelm einerseits oder den Straßenanzug andererseits. Was mir aber bei den Aktualisierungen im Bereich Kostüme häufig fehlt, ist die wirkliche Kreativität, die einen Mittelweg, ein so noch nie Geschautes sucht. Ich denke da nur an Rosalie, die eindeutig weder noch war.

    Natürlich müssen Kostüme zur Inszenierung und zum Bühnenbild passen. Und hier ein weiterer Einwand von mir gegen Aktualisierungen. Ich finde sie einfach oftmals billig und eben nicht zur Gesamtgeschichte passend. Dabei geht es mir nicht um Details. Im Hamburger Parsifal von Robert Wilson wurde vom Speer gesungen, der (natürlich) nicht da war. So what? Es ging trotzdem auf. Nur in Pet Halmens Don Giovanni fragte man sich nach dem Tod des Komturs, warum der Hotelbesitzer nicht die Polizei ruft, Giovanni erstmal verhaftet wird und wir alle schon nach 'ner halben Stunde in die nächste Kneipe gehen könnten, weil die Oper halt vorbei ist. Da passt die Aktualisierung eben nicht mehr.

    Zudem empfinde ich diese 'Eins-zu-Eins-Aktualisierungen' oftmals als billig, weil sie mir als Zuschauer so viel eigene Denkarbeit abnehmen. Ich möchte gefordert werden und nicht dieses 'Das betrifft uns auch heute noch, weil...' auf dem silbernen Tablett serviert bekommen. Das heißt allerdings nicht, dass eine Tosca immer um 1800 spielen muss (wobei die Aussage dort oder auch in anderen Puccini-Opern so eindeutig ist, dass eine Verlegung wohl wirklich überflüssig ist), ein Lohengrin in der Ritterzeit, die Meistersinger unbedingt in Nürnberg usw. Der Tristan von Ruth Berghaus in Hamburg spielt nicht an irgendeinem Pilcher-Strand in Cornwall, sondern irgendwo zwischen Kreuzfahrt und Universum und ist schlichtweg, auch gut 30 Jahre nach der Premiere, immer noch grandios. Eben weil er nicht im Back-Shop um die Ecke spielt :humor1: , sondern in einer imaginierten Welt, die sich loslöst von den Vorgaben des Librettos und dem Alltagsleben von heute.

    Vielleicht ist mein für mich persönlich wichtigster Einwand gegen Aktualisierungen aber die Spießigkeit, die diese (oftmals/meistens) mit sich bringen, die Übertragung und Verkleinerung von extremen Lebenssituationen in ein kleinbürgerliches, heutiges Format. (Wobei der Verismo hier sicherlich ein Sonderfall ist.) Beispiel: Rheingold von Claus Guth in Hamburg. Im Orchester leuchtet das Rheingoldmotiv am Beginn auf. Auf der Bühne geht eine Nachttischlampe an, wenn auch überdimensioniert. Meine innere Reaktion war: Schnarch, wie piefig.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Mich nervt bei den Aktualisierungen oftmals die ästhetische Seite (die natürlich ganz besonders eine Geschmackssache ist), bei der ich das Gefühl habe, man will ordentlich am Kostüm- und Bühnenbildetat sparen. Marelli verbrauchte für seine Giovanni-Inszenierung in Hamburg 23 Meter reine Seide für das Kostüm der Elvira, ließ die Schuhe in Italien per Hand herstellen. Dagegen ist natürlich ein Kleidchen von H&M preiswerter. :D


    das haben wir schonmal gestreift - in diesem Punkt sind wir diametral verschiedener Ansicht ;) . Um es etwas zu überspitzen - "Kunst" und "teuer" schließen einander m.E. (heutzutage) aus. Die Künstler sollen ihr gutes Geld bekommen, auch gute Musikinstrumente haben zu recht ihren Preis. Aber teure Materialien, aufwendige Installationen, opulente Ausstattungen sind m.E. ästhetisch für die Katz (ich meine keine moralische Argumentation "wozu könnte man das Geld alles brauchen...) das gilt m.E. gleichermaßen für RT und traditionell orientierte Inszenierung. Sollte tatsächlich das RT "sparsamer" sein als anderes Theaterrichtungen, wäre das ein plus für mich. Aber hat man nicht oft dieselbe Ausstattungs- und -Kostümmanie, nur mit abgeänderten Zielrichtungen?

    (letztens erzählte irgendwo jemand, man müßte Kitas Geld bereitstellen, damit diese teure Farben für die Kleinen kaufen könnten. Was für ein Qu...! - und nicht, weil für die kleinen das Billige gut genug wäre - ganz und gar nicht.)

    Zitat

    Natürlich müssen Kostüme zur Inszenierung und zum Bühnenbild passen. Und hier ein weiterer Einwand von mir gegen Aktualisierungen. Ich finde sie einfach oftmals billig und eben nicht zur Gesamtgeschichte passend. Dabei geht es mir nicht um Details. Im Hamburger Parsifal von Robert Wilson wurde vom Speer gesungen, der (natürlich) nicht da war. So what? Es ging trotzdem auf.

    - wenn man vom "Kunstanspruch" der Regieführung ausgeht, sollten allerdings auch "Details" wichtig genommen werden können. -

    das war eine recht "minimalistische" Inszenierung? da kann ich mir das auch vorstellen, daß man den Speer quasi "ergänzt".

    Mir schien immer die Lösung in Chereaus Rheingold interessant: wegen der "Stilmischung" bringt der Speer auch nur einen von mehreren Stilen mit sich - auf diese Weise relativiert sich das Pathos, und man "schluckt" den ohne weiteres.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Sorry, off-topic, aber wer ist denn dieser knuddelige Nachwuchsregisseur in Deinem Avatarfenster, lieber Amfortas?

    Dann versuch ich mal Avatar-Schläferchen (mit und/oder ohne Gender-*-chen) wieder in Richtung topic umzudrehen:

    Babylein, gestillt, macht nach obligaten Bäuerchen Heia-Heia, doch brütet dabei („… Mein Schlaf ist Träumen, mein Träumen Sinnen…“) neuen Ring aus.
    Wird ultimativer Ring. :top:
    Premiere voraussichtlich in irgend so ein vertrottelten BRD-Stadttheater, dass sich damit kolossalst zur Kroll-Oper 2.0 aufmöbelt und darüber hinaus.
    Dieser Ring gerät zur ultimativen Ratatouille, also sowas wie supergeile Synthesis aus RT-NO-RT, Laptop, Leichenwagen, Lederwams, Flügelhelm, Verunstaltungstheater, Bierhumpen, Bauerntheater, Bazis Kugelgestalt der Zeit (deren Prinzip ich so wenig komplett checke wie Bazi-Nerd Michael Gielen, doch das macht möglicherweise nischt)…. und.. und.. und..

    Kein Jahrhundertring, nee, nee, sondern Mega-Jahrtausendring ! :thumbup:

    Chereau, Götz Friedrich, Herz, Kupfer, Konwitschny (Götterhämmerung), Kosky, Guth dann alles nur noch was für frischgeputzte Chorknaben, weil dieser Wunderring alles Vorherige brutalst in den Schatten rückt. Dann pilgern weltweit Massen aller vereinigten Wagnerianer der Welt in besagtes Stadttheater-Kaff, zwecks Reinziehn derart fetziger Chose. Und jede Menge Touri-Kohle füllt die Region (Achtung importierte Inflation!), sodass Ring-Chose bereits nach kürzester Frist sich totalst amortisiert.
    Ist das nicht eine großartige Perspektive?
    Gelle?

    Man sieht ein früheres Geschehen aus der Sicht einer späteren Zeit oder eben unserer Gegenwart. Dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen. Puccini hat es im Falle der Tosca gemacht, warum wir heute nicht auch?

    Verlegung der Tosca in Gegenwart find ich insofern okay, weil damit keine Authentizität, wie etwa in miesen Mantel- und Degenfilmen vorgetäuscht wird und hilft, Tosca-Mucke nicht zur unverbindlichen Unterhaltung, auch nicht zum gleichnamigen Parfüm im Douglas-Sortiment abschmieren zu lassen.

    Obwohl es in dem Fall ja schon zu einer doppelten Brechung kommt.

    Un-Okay bzw. Unwohlfühlfaktor wär mir aber dabei, wenn derartige Verlegung wieder umumschlägt in „falsche“ Authentizität 2.0
    => Ja. Dieses Risiko könnte dann in der Tat mit Mann- oder Raumdeckung bzw. Viererkette aus „doppelter Brechung“ abgeschmettert werden.

    Ist mir so eine Art Feeling, dass Entwicklung von Kunst-Chose im Allgemeinen rüberkommt wie Schrumpfkopf aus dem was nicht mehr funzt, nicht mehr möglich ist, welche Mittel inzwischen untauglich werden/wurden......
    Mein armer Brägen fragt sich, warum ausgerechnet Regie von diesem Prozess unbeleckt sein sollte.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Um es etwas zu überspitzen - "Kunst" und "teuer" schließen einander m.E. (heutzutage) aus.

    Wieso?

    Aber teure Materialien, aufwendige Installationen, opulente Ausstattungen sind m.E. ästhetisch für die Katz

    Diese Marelli-Inszenierung war beileibe RT, aber auch kein klassischer Don Giovanni. Sie war extrem aufwendig, so dass sie kaum aufgeführt wurde, da die Aufbauzeit offensichtlich den Zeitrahmen des Theaters sprengte. Das empfinde ich als Unding, weil in diesem Fall wirklich zu teuer. Ansonsten war sie nicht nur ästhetisch ein Traum, denn gerade diese in Verbindung mit einer wirklich intelligenten Personenführung und überwältigenden Bildern erweckten in uns eine unglaubliche Bedeutungstiefe und fügten dem (vertrauten) Giovanni-Bild immer wieder neue Ebenen hinzu. Von daher war in diesem Fall der Kostenaufwand für mich gerechtfertigt. Gleiches gilt übrigens auch für den Hamburger Tristan von Ruth Berghaus. Aufwendig, mit Sicherheit sehr teuer, aber im wahrsten Sinne atemberaubend.
    Ich weiß von daher nicht, warum Kunst preiswert sein soll?
    Natürlich kann man Geld zum Fenster rauswerfen. Ich erinnere mich an Zeffirellis Turandot in Mailand. Da konnte man dem 'Geld beim Wackeln' zusehen, bevor man einschlief. :D

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ist mir so eine Art Feeling, dass Entwicklung von Kunst-Chose im Allgemeinen rüberkommt wie Schrumpfkopf aus dem was nicht mehr funzt, nicht mehr möglich ist, welche Mittel inzwischen untauglich werden/wurden......
    Mein armer Brägen fragt sich, warum ausgerechnet Regie von diesem Prozess unbeleckt sein sollte.

    ich glaube nicht, daß eine "traditionalistische" Einstellung zur Regiefrage eine solches Geschichtsbild ausschließt.

    eine traditionalistischen Regie würde ihre Aufgabe ja etwa so sehen, wie es in der Interpretation von Notentexten wesentlich Praxis (wenn auch nicht immer Theorie) ist, nämlich Werkdarstellung in relativ enger Anlehnung an den vorgegebenen Text. Auch diese musikalische Interpretation hat eine Geschichte, in der das "Schrumpfkopf"-Prinzip wirksam sein mag, halt nicht annähernd so auffällig wie in der Geschichte der musikalischen Komposition - ein Beethoven-Streichquartett wird normalerweise immer noch ohne Einarbeitung von Geräuschen und Mikrotönen aufgeführt (was ja auch nicht für alle Zeiten so bleiben muß).

    So ähnlich könnte es sich mit einer traditionalistischen Opernregie ja auch verhalten.

    Auch andere Alternativkonzepten zum RT können m.E. als Konsequenzen aus dem "Schrumpfkopf"-Prinzip angesehen werden:

    - in minimalistischen, abstrahierenden, halbszenische/konzertanten Aufführungen läge das auf der Hand

    - das Konzept des "Opernmuseums" würde dem "Schrumpfkopf"-Prinzip insofern verpflichtet sein, als dessen Nichtbefolgung einer erklärtermaßen musealen Sondernische zugewiesen würde (ich kann die ein solches Konzept abwehrenden Aussprüche wie "Museum ist der Tod der Kunst" etc. nicht ganz verstehen. Es würde doch nur ein Teil des Repertoires - wenn auch ein gewichtiger - dem Museum überstellt. "Neues" Musiktheater könnte mit neuen Stücken doch nach Herzenslust gemacht werden).

    - Adornos Abschaffung der Bühne überhaupt ist auch radikale Konsequenz des Schrumpfkopfes: der Lohengrin ohne Schwan ist nix, aber ein Schwan geht nicht mehr --> Schallplatten hören.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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