Was ist, was soll, was darf Opernregie? Und was nicht?

  • Schön, dass es hier jetzt wieder um Opernregie geht und nicht ad personam gezankt wird (EDIT: BITTE, BITTE, bei aller subjektiven Betroffenheit). Vielleicht schaffen wir es ja diesmal, die Kriegsbeile begraben zu lassen und sachorientiert, aber vor allem friedlich zu diskutieren.

    Im Grunde geht es doch um die Dichotomie Kongruenz oder Konkurrenz zur Vorlage, will heißen: soll eine Regie "nur" anstreben, die Vorlage durch besondere Beleuchtung bestimmter Faktoren verständlicher zu machen oder durch die Konkurrenz sich reibender Bilder und Assoziationen die bleibende Relevanz von Themen aufzeigen, die unter der Staubschicht der Tradition als unaktuell empfunden werden. Das muss ja nicht immer in Extreme ausarten wie Edwin sie beschreibt. Auch des Ende von Aida und Radames in der Gaskammerpyramide von Neuenfels in Frankfurt hatte so etwas Skandalös sich reibendes, zeigte aber in der Tat auch eine Parallele in der Unmenschlichkeit von Methoden der Machtausübung auf, an die bis dato wohl noch dieWenigstgen dachten, wenn sie "in die AIDA" gingen. Verstehen kann ich beide Herangehensweisen, und es ist sicher kein Zufall, dass jedem, der öfter in die Oper geht, gelungene Beispiele für beide einfallen. Es hängt eben doch vor allem vom "Wie" ab und weniger vom "Was", wie die Traditionalisten gern all zu reflexartig unterstellen.

    Die Frage, die ich mit dem Threadtitel aufwerfen wollte, ist nicht die unmögliche nach der einzigen, sondern die nach der sinnvolleren Strategie. Völlig legitim ist beides, das ist, zumindest von mir, unbestritten. Es gibt sicher sinnhaltigere Sprüche als den immer wieder zu hörenden, dass man inszenieren solle, was komponiert wurde. In aller Regel werden nämlich nicht Inhalte und Schauplätze komponiert, sondern Emotionen und Affekte, von rein musikalischen Ambitionen einmal ganz abgesehen. Allgemein gesagt, versucht man doch von jeher und bis heute, mit der Musik Dinge auszudrücken, die man nicht so leicht in Worte oder Bilder fassen kann. Sonst wäre die Musik ja die falsche Ausdrucksform. Nicht von ungefähr werden musikalisch-textliche Verdoppelungen je eher der Komik in der Musik überlassen. Dort werden gerne Situationen illustrativ vertont - man denke nur an Rossinis Gewittermusiken. Deswegen gehört es ausrücklich zum Respekt für Rossinis Ironie, das Gewitter auch zu bebildern. Ansonsten aber waren und sind musikalische Pleonasmen mit Recht verpönt, und das sollte m. E. auch für eine gute Regie gelten, die mehr will, als nur illustrieren.

    Wer also mit einer Kongruenz von Musik und Inszenierung argumentiert, tatsächlich aber nur jede Konkurrenz verurteilt, meint doch eher den Kontrast zwischen Libretto und Inszenierung. Da fällt natürlich die Konkurrenz leichter, weil Libretti allgemein einen weit schlechteren Ruf haben als viele verdienen. Aber auch die schlechten bieten erst einmal eine Vorlage, mit der man sich schon deshalb intensiv beschäftigen muss, weil sich der Komponist ernsthaft damit auseinandergesetzt hat. Bei allem Respekt vor den Bemühungen selbst hochrangiger Dichter um die Rettung oder Fortführung der widersprüchlichen ZAUBERFLÖTE ist doch auffällig, dass das Original alle Verbesserungsversuche selbst großer Geister unbeschadet überstanden hat. Der Grund: der Musik, die allein das Überleben des Stückes sicherte, wohnt dieselbe Widersprüchlichkeit inne.

    Es ist ein grundlegender Fehler vieler Opernregisseure, zumal solcher, die keine große Erfahrung mit Musik haben, an eine Inszenierung mit dem Vorsatz heran zu gehen, die unterstellte große Kluft im Verständnis zwischen Stück und
    Zuschauer zu vermindern, indem man mehr oder weniger selbstherrlich das ganze Stück wie einen Rucksack des allwissenden Regisseurs dem anscheinend unverrückbaren Zuschauer näher bringt, anstatt Brücken nur dort zu bauen, wo tatsächlich eine Kluft existiert. Hier aber haben die bearbeitungswütigen Regisseure ihre größte Schwäche, zumal man ihnen sicher nicht immer zu Unrecht unterstellt, dass da auch eine gehörige Portion Buhlen um Aufmerksamkeit mitspielt, die in einer reinen Illustrie (statt Regie) vorwiegend dem Dirigenten und den Sängern gelten würde.

    In diesem Spannungsfeld dennoch die Balance zu finden und sowohl schlüssige als auch angemessene Bilder für das originäre Kunstwerk namens Oper zu finden, ist für mich die Hauptaufgabe der Regie. Erfolgreiches Streben nach Balance füttert aber des Ego eines Künstlers nur sehr bedingt. Also buhlt er um besondere Aufmerksamkeit für seine Arbeit.

    Dieses Buhlen gelingt besonders gut bei der durchnittlichen Presse, die keineswegs eine Regietheatermafia bildet, sondern einfach nach der viel leichter zu verdauenden Wurst der Textänderung schnappt, als mit der schwerer verständlich zu kommentierenden musikalischen Darbietung zu ringen. Und wo die Aufmerksamkeit der Presse ist, hecheln auch die finanzierenden Kämmerer hinterher, denen wiederum die Intendanten folgen, die wiederum gerne die
    provokanten Regisseure bestärken, welche ihnen Schlagzeilen und erhoffte Skandale liefern, die natürlich auch das Publikum besonders gerne verschlingt. Wer in diesem Teufelskreis ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.

    Ist dies vielleicht der Angelpunkt des Problems, weil das Publikum sich nur um die Auswüchse seiner Folgen streiten kann oder mag?

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Ich verstehe eigentlich gar nicht, dass man über dieses Thema überhaupt streiten muss.

    Ich denke, jeder wird jedem zugestehen und gönnen, Aufführungen zu sehen, die ihm mehr gefallen.

    Jemand, der gerne etwas modernes sehen wird, wird sicher auch dafür sein, wenn jemand, der das ablehnt, gerne etwas "traditionelles" sehen will.

    Und umgekehrt wird jemand, der gerne etwas traditionelles, "werkgetreues" sehen will, es völlig in Ordnung finden, dass ein anderer gerne etwas modernes sehen möchte.

    Oder um es einfacher zu sagen: jemand, der im Freischütz gerne einen Wald sieht, wird jemandem, der keinen Wald sehen möchte, das sicher nicht vorwerfen, und umgekehrt wird jemand der keinen Wald sehen möchte, jemand anderen, dem das gefällt, das auch gönnen.


    Viel interessanter fände ich z.B. die Diskussion, ob eine bestimmte Aufführung (die auch alle Diskutanten gesehen haben, egal ob live, DVD oder TV) einem gefallen hat oder nicht.

    Solange es nicht dahin führt, dass man sagt "Klar dass es dir nicht gefallen hat, du verstehst halt diese neuen Ansätze nicht" etc.
    Weil genau solche Aussagen führen zu diesen Streitereien.

  • Um in Bayreuth zu verweilen: Ponnelles "Tristan" - da weiß keiner so recht, ob das nun Regietheater war oder nicht, jedenfalls erreichte er ebenso Kultstatus wie Herzogs "Lohengrin" (eher kein Regietheater).

    Was nicht gerade für den Begriff RT spricht, wenn er an bedeutenden Inszenierungen abgleitet. Wenn wir aber schon mit dem unseligen „RT“-Begriff operieren, dann fiele der Heiner-Müller-Tristan nicht, aber Ponnelles Tristan unter RT.
    Robert Wilson: sein mißglückter Freischütz wäre RT, seine belanglose Pelleas+ Melisande (dessen Regie zumindestens nicht störte :D ) kein RT, sondern eher sowas wie Wieland-Wagner-Epigonentum.

    Doch diese Abende sind für mich die absoluten Ausnahmen, und, ich gebe es offen zu, ich kann diese Stückzertrümmerungen, die sich die Regisseure herausnehmen, nicht mehr sehen.

    Keiner verlangt zeitgenössische Regiearbeiten gut zu finden, aber „Stückezertrümmerung“ ist sehr pauschal. Denn wenn ich mir gelungenen (es gibt auch weniger bzw. nicht gelungene) Arbeiten von z.B. Kosky, Neuenfels, Konwitschny u.a. vergegenwärtige, so kann ich darin kaum den Eindruck einer Zerstörung finden, sondern eher, dass es sich u.a. um einen Versuch der „Rettung“ der Werke handelt, nämlich den vor einer „neutralisierten“ Rezeption, die dem Anspruch, den die Werke an den Besucher richten, nämlich den einer lebendigen, also sich auch wandelnden Auseinandersetzung, nicht gerecht wird: z.B. Arbeiten von Wolfgang Wagner und vermutlich auch den dir gescholtenen Peter Hall Ring, den ich aber nicht kenne....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Mich würde mal interessieren, wer das geschrieben haben soll. Ich war es jedenfalls nicht, auch wenn Du das noch zweihundert mal andeuten solltest.

    Der Autor Reinhard Federmann schrieb als Vorbemerkung in seinen Roman "Herr Felix Austria": "Dieser Roman ist ein Schlüsselroman. Alle Personen sind nach lebenden Vorbildern geformt. Wer sich erkennt, ist gemeint."
    Ich habe Dich allerdings nicht gemeint...
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • "Und dann machen sie es wie seinerseits die Nazis: Alles, was ihnen am Text nicht paßt, wird gestrichen. Die Nazis nannten diese Texte dann "undeutsch" oder "verjudet", und die heutigen Regisseure nennen sie "Opas Theater". Das ist der ganze Unterschied. Aber Zensur bleibt Zensur, auch wenn man sie "Modernisierung" oder "Regie" nennt."

    Die Moderation hatte einige Postings weiter oben darauf hingewiesen, das Vergleiche mit totalitären Systemen ebenso problematisch wie unsensibel sind. Auch wenn sie sich vordergründig zur sprachlichen Colorierung gut zu eignen scheinen. Das gilt unabhängig davon, ob sie sich auf die Moderation beziehen oder nicht. Es wäre mehr als angemessen solche Vergleiche sehr umsichtig zu gebrauchen. Ich kann nur noch einmal empfehlen, die Hinweise der Moderation sorgfältig zu lesen.

    Für die Moderation:

    Caesar73

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • "Und dann machen sie es wie seinerseits die Nazis: Alles, was ihnen am Text nicht paßt, wird gestrichen. Die Nazis nannten diese Texte dann "undeutsch" oder "verjudet", und die heutigen Regisseure nennen sie "Opas Theater". Das ist der ganze Unterschied. Aber Zensur bleibt Zensur, auch wenn man sie "Modernisierung" oder "Regie" nennt."

    Zitat

    Es wird immer schlimmer. Zuerst unterstellst Du Anhängern des "Regietheaters" (was immer das sein mag; die Anmerkung kann ich Dir/Euch nicht ersparen) totalitäre Neigungen, dann Sektiererei, und jetzt erklärst Du Regisseure zu Nazis, weil sie Texte kürzen (was selbstverständliche, jahrhundertealte Theaterpraxis ist). Zur Sache hast Du nur unbelegbare Behauptungen: "Der Regisseur beschädigt die Substanz des Stückes". Es liegt auf der Hand, dass damit nur die Substanz gemeint sein kann, wie Du sie zu sehen meinst. Diesen Allmachtsanspruch, allein zu entscheiden, worin die Substanz eines Stückes liegt, könnte ich jetzt mit einem Nazi-Vergleich würzen, aber das Niveau überlasse ich Dir.

    Christian

    Lieber Christian,
    lieber Caesar,
    das mir unterstellte Zitat stammt, wie eigentlich aus dem Text hervorgehen sollte und unter der angegebenen Adresse nachzulesen ist, vom jüdischen Kabarettisten, Stückautor und Komponisten Georg Kreisler, dessen Überspitzungen ich zwar sehr mag, aber nicht in allen Fällen teile.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Ich habe Dich allerdings nicht gemeint...


    Dann ist ja gut - dies wollte ich nur klargestellt wissen. In diesem Sinne wünsche ich Euch hier noch viel Spaß!

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Lieber Rideamus,
    danke für dieses Statement. In den meisten Punkten sehe ich das ähnlich, wenngleich mein Fazit dann ein anderes sein mag, aber das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks und daher nicht so relevant.
    Du erwähnst die "Aida" und den aus heutiger Sicht problematischen Triumphmarsch. Bleiben wir einmal dabei. Die für mich beste Lösung, die ich je sah, ist die von Franco Zeffirelli.

    Nein, reingefallen, das war es wohl, was die meisten von mir erwartet haben. ;+)

    Die beste, die ich kenne, stammt von John Dew: Er ließ eine Parade der Kriegsversehrten aufmarschieren. Für mich ist dies ein Paradebeispiel für eine gute Regietheateridee, denn das Bild ist vielschichtig. Nicht nur werden die Folgen eines Krieges deutlich, sondern auch die bisweilen verlogene Heldenverehrung wird dargestellt - schnell erinnert man sich an die Paraden, die sich mit Kriegsversehrten schmücken. Ob es eine glückliche Idee war, die Musik von der Schallplatte zu nehmen und das Orchester schweigen zu lassen, weiß ich nicht, immerhin haben Paraden ja auch ihre Orchester, aber im Zusammenhang mit dieser Szene war auch das letzten Endes überzeugend.

    Nur: Gegen solche Formen des Regietheaters, in denen Aspekte des Werks ausgedeutet werden, habe ich nichts. Ich bin aber jedem dankbar, der mir erklären kann, was "Rusalka" mit Natascha Kampusch und das "Totenhaus" mit einer Neureichen-Party zu hat. Wenn die Regie gleichsam neben dem Stück herläuft, ist sie meiner Meinung nach schlicht eine Themenverfehlung. In der Schule bekam man dafür bei uns übrigens ein "Nicht genügend".
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Lieber Edwin,

    nichts gegen den frühen John Dew, aber die Idee von dem Triumphmarsch zur Parade der Kriegsversehrten hat auch schon Hans Neuenfels gehabt, natürlich zum originalen Orchesterklang Michael Gielens. Unterstützt vom Bühnenbild Erich Wonders und den Kostümen Nina Ritters, steckte Neuenfels seine Soldaten in die Uniformen Garibaldis und des Rosrgimento, mischte sie aber mit nordafrikanischen Sklaven, wie auch Aida eine ist, die entsprechend für Amneris putzen musste. Shocking? Damals noch, ja. Aber zum Glück kam niemand auf die Idee, aus Radames einen Stauffenberg zu machen, denn genau zwischen solchen Spotlights wie dem Triumphmarsch und der total(istisch)en verfälschung und dem nur provokanten Austausch ganzer Schauplätze und Epochen verläuft die unsichtbare Linie zwischen Aufklärung und Verfälschung - für mich jedenfalls.

    Dass ich solch oberschlaue Parallelisierungen wie Du sie schilderst, auch für mich untragbar sind, und das sage ich ganz dezidiert schon auf der alleinigen Basis Deiner Schilderung, sollte nicht überraschen. Es gibt tatsächlich schon Indizien, die unweigerlich darauf hinweisen, dass ein Regiekonzept nicht funktionieren kann, selbst wenn einzelne Passagen faszinierend ausfallen mögen, wie Tscherniakows Verfälschung des DIALOGUE DES CARMELITES in München, wo allein das, die Musik weitgehend ignorierende, Finale alles ruiniert, was vorher noch so interessant erschienen sein mag.

    Aber man sieht hier auch: das Urteil muss man anhand des Einzelfalles fällen. Daraus grundsätzliche Befürwortung oder Ablehnung abzuleiten, heißt nur, das Kind mit dem Bade auszuschütten - egal, welches.

    Also lasst uns bitte weiter differenzieren, nicht um möglichst Einigkeit zu erzielen, sondern um nach Möglichkeit Verständnis zu wecken oder zu verstärken.

    :wink: Rideamus

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  • Also lasst uns bitte weiter differenzieren, nicht um möglichst Einigkeit zu erzielen, sondern um nach Möglichkeit Verständnis zu wecken oder zu verstärken.


    Es ist sicher schön, wenn viele Opernfreunde mit mehr aktuellen Inszenierungen ihre Freude haben als andere - dennoch gibt es natürlich eine große Gruppe von Opernfreunden, die Veränderungen am Libretto oder eine - sagen wir mal - großzügigere Auslegung desselben, gar nicht goutieren. Deren Meinung ist dann im Grunde auch nicht weniger differenziert, und außerdem werden dann Inszenierungen geschätzt, die wiederum von den Freunden "weiterer Auslegungen" nicht geschätzt werden.

    Bei mir läuft die Grenzlinie bezüglich Inszenierungen, die ich sehen will, und solchen, deren Besuch ich meide, etwa so, wie man gängigerweise zwischen Regietheater und Werktreue unterscheidet. Mich macht also bereits eine zeitliche Versetzung ziemlich unglücklich. Mein Ideal ist das Bühnen-Analogon zur HIP-Instrumentalpraxis, und da habe ich (leider nur) eine Aufführung bereits geniessen dürfen.
    :wink:

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • nichts gegen den frühen John Dew, aber die Idee von dem Triumphmarsch zur Parade der Kriegsversehrten hat auch schon Hans Neuenfels gehabt, natürlich zum originalen Orchesterklang Michael Gielens. Unterstützt vom Bühnenbild Erich Wonders und den Kostümen Nina Ritters, steckte Neuenfels seine Soldaten in die Uniformen Garibaldis und des Rosrgimento, mischte sie aber mit nordafrikanischen Sklaven, wie auch Aida eine ist, die entsprechend für Amneris putzen musste.

    Sieh an, ich kenne diese Inszenierung leider nicht, muß aber zugeben, daß Neuenfels Deiner Schilderung zufolge hier eine hervorragende Idee gehabt hat.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Er ließ eine Parade der Kriegsversehrten aufmarschieren. Für mich ist dies ein Paradebeispiel für eine gute Regietheateridee, denn das Bild ist vielschichtig. Nicht nur werden die Folgen eines Krieges deutlich, sondern auch die bisweilen verlogene Heldenverehrung wird dargestellt

    Trotzdem frage ich mich, ob man dem Publikum durch solche Einfälle zeigen muss, dass Krieg etwas Schlechtes ist?

    Wenn ich den Freischütz sehe, dann (ich sage es jetzt mal bewusst hart) bin ich selber gescheit genug um zu wissen, dass Tiere totschießen keine "fürstliche Freude" ist. Braucht es erst solche Einfälle, um dem Publikum zu zeigen, was "gut" und was "schlecht" ist?

    Traut man ihm nicht zu, selber über ein Stück nachzudenken? Muss man in jeder Kleinigkeit irgendetwas symbolisches sehen?

    Sehe ich z.B. einen guten Western, beispielsweise "Zwei glorreiche Halunken" von Sergio Leone, dann gibt es da ein realistisches Szenario, ohne Fernseher, ohne Flughafen etc. Dennoch kann ich über den Film, seine Handlungen und Aussagen nachdenken, ich kann für mich entscheiden, was ich von den Figuren halte usw.

    Spricht man dem Publikum mit manchen Inszenierungen (nicht allen! Achtung!) nicht ein Stück weit die Fähigkeit ab, dass es selber nachdenkt über das was es sieht und hört?

    Ich denke mal, es gibt Opernbesucher, die einfach nur hingehen, damit man sie beim Ausgang sieht - denen wird eh egal sein was da für ein Stück läuft.
    Und es gibt die, die sich mit dem Werk auseinandersetzen, eben mit Inhalt, Figuren, Aussagen etc.. Sind da solche Regieeinfälle noch notwendig?

    Ich weiß, jetzt kommt "Es werden neue Denkanstöße und Zusammenhänge geliefert" - aber oft wird das auf eine Weise gemacht, mit Inszenierungen, die wiederum selber "entschlüsselt" werden wollen.

    Ich pauschalisiere hier nicht, und finde (das habe ich schon öfter geasgt hier) solche Inszenierungen völlig in Ordnung.

    Ein Beispiel aus der Praxis: ich habe, bevor ich den Freischütz das erste Mal live gesehen habe, mir oft die Aufnahmen angehört, mitsamt Partitur, habe die Regieanweisungen darin gelesen etc. Und DA habe ich mir schon gedacht, dass mir die Figuren allesamt unsympathisch sind, und dass ich vom Jagen etc. absolut nichts halte.

    Nun ging ich in den Freischütz, Volksoper, und auf der Bühne war statt einem Wald eine leere Bühne, mit einer schiefen Sperrholzplatte, auf der die Figuren agierten.

    Was soll mir das jetzt sagen? Und: ist das, was es mir sagen soll, für mich wirklich wichtig? Vielleicht denkt der Regisseur "Sperrholz, das ist kein romantischer Wald, das symbolisiert die kaputte schiefe Psyche von den Figuren" oder irgendsowas; ich weiss es nicht. Aber ich habe mir VORHER schon meine Gedanken zur Handlung gemacht, und ich würde sie mir auch machen, würde auf der Bühne ein schöner Wald stehen, eine altmodische Waldschenke usw.

  • Mich macht also bereits eine zeitliche Versetzung ziemlich unglücklich.

    Was mich betrifft: Kommt darauf an. Wenn es einen klaren historischen Bezug im Libretto gibt bzw. Aussagen darin, die eine bestimmte Zeit oder einen absteckbaren Zeitraum in der Vergangenheit festlegen, stimme ich Dir zu. Aber Überzeitliches kann meiner Meinung nach auch überzeitlich inszeniert werden, solange, und das ist eigentlich die einzige Grundbedingung, die ich stelle, das Stück in seiner Aussage unangetastet bleibt.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Trotzdem frage ich mich, ob man dem Publikum durch solche Einfälle zeigen muss, dass Krieg etwas Schlechtes ist?


    So ist es.

    Man sollte die Entscheidung, wie Krieg/Sieg/Triumph/Niederlage dargestellt wird, den "schöpfenden Künstlern" überlassen, und weder als Dirigent noch als Regisseur einen Kommentar dazu abgeben - außer im Programmheft.

    Ich habe auch oft den Eindruck, es ginge nun darum, den moralischen Fortschritt der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit zu unterstreichen. Das halte ich für nicht wirklich angebracht - und man kann eine Anti-Kriegs-Darstellung auch schön an den Werken von Rubens studieren und muss trotzdem kein schlechtes Gewissen haben, im nächsten Museumsraum einen strahlenden Sieger im Triumph zu bewundern.
    :wink:

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  • Ich fände auch interessanter, wenn wir über EINE bestimmte Inszenierung reden könnten, die alle gesehen haben.

    Man könnte drüber reden, was einem gefallen hat und was nicht, und welche "Botschaften" und Aussagen etc. man entdeckt hat, was man kritisiert etc.

    Sowas wäre sicher fruchtbarer und inhaltlich interessanter als ein Streit darüber, ob "Regietheater" jetzt ok ist oder nicht.

    Gehe ich fehl in der Annahme, dass ALLE hier (also die, die traditionelles lieber haben, und die, die modernes, neues eher mögen) es vollkommen ok finden, wenn der andere lieber traditionelles bzw. modernes sehen will?

  • Ich fände auch interessanter, wenn wir über EINE bestimmte Inszenierung reden könnten, die alle gesehen haben.


    Die wird's wohl kaum geben.
    Ich schlage den Schenk-Rosenkavalier vor, der in der Wiener Staatsoper läuft.
    :wink:

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  • Aber ich habe mir VORHER schon meine Gedanken zur Handlung gemacht, und ich würde sie mir auch machen, würde auf der Bühne ein schöner Wald stehen, eine altmodische Waldschenke usw.

    Das ist der Punkt, in dem wir unterschiedliche Auffassungen haben. Mir ist nur wichtig, ob der "Freischütz" den Wald braucht wie der "Peter Grimes" die Meeresküste. Klare Antwort: Ja. Wie der Bühnenbildner dem Regisseur den Wald nun aber hinstellt, ob naturalistisch oder in Form von Wunderbaum-Scherenschnitten oder als abgestorbenen Wald oder wie auch immer, ist mir letzten Endes egal, da kommt es dann für mich nur noch darauf an, wie das auf mich im Gesamtergebnis wirkt.

    Ich kenne sogar einen Fall einer Inszenierung, in der der Regisseur weitgehend verweigert, was die Librettistin will - und dennoch wird für mich daraus eine Sternstunde, und zwar "Hänsel und Gretel" in der Regie von Laurent Pelly, der das Stück als unglaubliche witzige Satire auf die Konsumwelt erzählt (das Knusperhaus etwa wird zum Supermarkt), und das so geschickt macht, daß ich an keiner einzigen Stelle das Gefühl hatte, es ginge gegen die Kernaussage des Werks, und auch die Details fügen sich alle sehr schön. Aber, wie gesagt: Das betrachte ich als Sonderfall.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Ich fände auch interessanter, wenn wir über EINE bestimmte Inszenierung reden könnten, die alle gesehen haben.

    Das müsste dann auf jeden Fall eine Inszenierung sein, die medial verfügbar ist (YouTube, DVD etc.).

    DiO :beatnik:

    "Wer Europa in seiner komplizierten Verschränkung von Gemeinsamkeit und Eigenart verstehen will, tut gut daran, die Oper zu studieren." - Ralph Bollmann, Walküre in Detmold

  • Braucht es erst solche Einfälle, um dem Publikum zu zeigen, was "gut" und was "schlecht" ist?
    Traut man ihm nicht zu, selber über ein Stück nachzudenken?
    .....
    ......Ich weiß, jetzt kommt "Es werden neue Denkanstöße und Zusammenhänge geliefert" - aber oft wird das auf eine Weise gemacht, mit Inszenierungen, die wiederum selber "entschlüsselt" werden wollen.

    Auf der einen Seite wendest du ein, dass dem Publikum zuviel erklärt wird und auf der anderen Seite kritisierst du, dass Inszenierungen „entschlüsselt“ werden wollen. Das läuft argumentativ nicht zusammen.

    Spricht man dem Publikum mit manchen Inszenierungen (nicht allen! Achtung!) nicht ein Stück weit die Fähigkeit ab, dass es selber nachdenkt über das was es sieht und hört?

    Wäre gegenüber der zeitgenössische Regie zu pauschal eingewendet. Im Gegentum.
    Gelungene zeitgenössische Regiearbeiten (natürlich auch gelungene traditionelle) (z.B. Lohengrin von Neuenfels) überlassen es erfahrungemäß oft dem Publikum selbst, Schlüsse zu ziehn’ ... im Neuenfels-Lohengrin ist manches sehr verrätselt. Was – nebenbei - sehr meiner Neigung entgegenkommt. Ich will nicht sofort komplett die Regiearbeit/Aufführung checken.

    Arbeiten von Walter Felsenstein dagegen versuchen oft sehr viel zu erklären; also z.B. quasi „pädagogisch“ musikalische Zusammenhänge zu verdeutlichen. Muss ja auch nicht verkehrt sein.

    Muss man in jeder Kleinigkeit irgendetwas symbolisches sehen?

    Kleinigkeiten können sehr wichtig sein und sind dann keine Kleinigkeiten z.B. die zarten Streicherakkorde vor Beginn des Einsatzes vom Gefangenenchor im 1. Akt von Beethovens Fidelio. Sehr schön, wie das "RT" unter Harry Kupfer in der KOB diesen Moment gestaltete.

    Es muss keiner etwas. Aber die Bestandteile eines Kunstwerkes bzw. ein Kunstwerk hat die Tendenz die eigene Gegebenheit zu übersteigen und auf ein „..mehr als es selbst ist “ zu verweisen. Das ist ein spezifisches Merkmal von Kunst. Und warum sollte die Regie nicht darauf reagieren ?

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Aber die Bestandteile eines Kunstwerkes bzw. ein Kunstwerk hat die Tendenz die eigene Gegebenheit zu übersteigen und auf ein „..mehr als es selbst ist “ zu verweisen. Das ist ein spezifisches Merkmal von Kunst.


    Hm ... die Tasse, die vor mir auf dem Tisch steht, verweist auch auf ein mehr als sie selbst ist, nämlich auf die Möglichkeit, Kaffee zu trinken.
    Prost!
    :k:

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