Schön, dass es hier jetzt wieder um Opernregie geht und nicht ad personam gezankt wird (EDIT: BITTE, BITTE, bei aller subjektiven Betroffenheit). Vielleicht schaffen wir es ja diesmal, die Kriegsbeile begraben zu lassen und sachorientiert, aber vor allem friedlich zu diskutieren.
Im Grunde geht es doch um die Dichotomie Kongruenz oder Konkurrenz zur Vorlage, will heißen: soll eine Regie "nur" anstreben, die Vorlage durch besondere Beleuchtung bestimmter Faktoren verständlicher zu machen oder durch die Konkurrenz sich reibender Bilder und Assoziationen die bleibende Relevanz von Themen aufzeigen, die unter der Staubschicht der Tradition als unaktuell empfunden werden. Das muss ja nicht immer in Extreme ausarten wie Edwin sie beschreibt. Auch des Ende von Aida und Radames in der Gaskammerpyramide von Neuenfels in Frankfurt hatte so etwas Skandalös sich reibendes, zeigte aber in der Tat auch eine Parallele in der Unmenschlichkeit von Methoden der Machtausübung auf, an die bis dato wohl noch dieWenigstgen dachten, wenn sie "in die AIDA" gingen. Verstehen kann ich beide Herangehensweisen, und es ist sicher kein Zufall, dass jedem, der öfter in die Oper geht, gelungene Beispiele für beide einfallen. Es hängt eben doch vor allem vom "Wie" ab und weniger vom "Was", wie die Traditionalisten gern all zu reflexartig unterstellen.
Die Frage, die ich mit dem Threadtitel aufwerfen wollte, ist nicht die unmögliche nach der einzigen, sondern die nach der sinnvolleren Strategie. Völlig legitim ist beides, das ist, zumindest von mir, unbestritten. Es gibt sicher sinnhaltigere Sprüche als den immer wieder zu hörenden, dass man inszenieren solle, was komponiert wurde. In aller Regel werden nämlich nicht Inhalte und Schauplätze komponiert, sondern Emotionen und Affekte, von rein musikalischen Ambitionen einmal ganz abgesehen. Allgemein gesagt, versucht man doch von jeher und bis heute, mit der Musik Dinge auszudrücken, die man nicht so leicht in Worte oder Bilder fassen kann. Sonst wäre die Musik ja die falsche Ausdrucksform. Nicht von ungefähr werden musikalisch-textliche Verdoppelungen je eher der Komik in der Musik überlassen. Dort werden gerne Situationen illustrativ vertont - man denke nur an Rossinis Gewittermusiken. Deswegen gehört es ausrücklich zum Respekt für Rossinis Ironie, das Gewitter auch zu bebildern. Ansonsten aber waren und sind musikalische Pleonasmen mit Recht verpönt, und das sollte m. E. auch für eine gute Regie gelten, die mehr will, als nur illustrieren.
Wer also mit einer Kongruenz von Musik und Inszenierung argumentiert, tatsächlich aber nur jede Konkurrenz verurteilt, meint doch eher den Kontrast zwischen Libretto und Inszenierung. Da fällt natürlich die Konkurrenz leichter, weil Libretti allgemein einen weit schlechteren Ruf haben als viele verdienen. Aber auch die schlechten bieten erst einmal eine Vorlage, mit der man sich schon deshalb intensiv beschäftigen muss, weil sich der Komponist ernsthaft damit auseinandergesetzt hat. Bei allem Respekt vor den Bemühungen selbst hochrangiger Dichter um die Rettung oder Fortführung der widersprüchlichen ZAUBERFLÖTE ist doch auffällig, dass das Original alle Verbesserungsversuche selbst großer Geister unbeschadet überstanden hat. Der Grund: der Musik, die allein das Überleben des Stückes sicherte, wohnt dieselbe Widersprüchlichkeit inne.
Es ist ein grundlegender Fehler vieler Opernregisseure, zumal solcher, die keine große Erfahrung mit Musik haben, an eine Inszenierung mit dem Vorsatz heran zu gehen, die unterstellte große Kluft im Verständnis zwischen Stück und
Zuschauer zu vermindern, indem man mehr oder weniger selbstherrlich das ganze Stück wie einen Rucksack des allwissenden Regisseurs dem anscheinend unverrückbaren Zuschauer näher bringt, anstatt Brücken nur dort zu bauen, wo tatsächlich eine Kluft existiert. Hier aber haben die bearbeitungswütigen Regisseure ihre größte Schwäche, zumal man ihnen sicher nicht immer zu Unrecht unterstellt, dass da auch eine gehörige Portion Buhlen um Aufmerksamkeit mitspielt, die in einer reinen Illustrie (statt Regie) vorwiegend dem Dirigenten und den Sängern gelten würde.
In diesem Spannungsfeld dennoch die Balance zu finden und sowohl schlüssige als auch angemessene Bilder für das originäre Kunstwerk namens Oper zu finden, ist für mich die Hauptaufgabe der Regie. Erfolgreiches Streben nach Balance füttert aber des Ego eines Künstlers nur sehr bedingt. Also buhlt er um besondere Aufmerksamkeit für seine Arbeit.
Dieses Buhlen gelingt besonders gut bei der durchnittlichen Presse, die keineswegs eine Regietheatermafia bildet, sondern einfach nach der viel leichter zu verdauenden Wurst der Textänderung schnappt, als mit der schwerer verständlich zu kommentierenden musikalischen Darbietung zu ringen. Und wo die Aufmerksamkeit der Presse ist, hecheln auch die finanzierenden Kämmerer hinterher, denen wiederum die Intendanten folgen, die wiederum gerne die
provokanten Regisseure bestärken, welche ihnen Schlagzeilen und erhoffte Skandale liefern, die natürlich auch das Publikum besonders gerne verschlingt. Wer in diesem Teufelskreis ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.
Ist dies vielleicht der Angelpunkt des Problems, weil das Publikum sich nur um die Auswüchse seiner Folgen streiten kann oder mag?
Rideamus