Dirigenten im deutschen Sprachraum 1945-1965

  • Dirigenten im deutschen Sprachraum 1945-1965

    [Die folgende Diskussion entspann sich im Faden zu Mahlers 5. Symphonie. Da sie den Rahmen dort sprengte, habe ich sie hierhin ausgelagert. Die Grenze "1965" im Titel muß nicht wörtlich genommen werden; im wesentlichen geht es wohl um das deutsche (bzw. österreichische) Musikleben in den 1950er-Jahren.
    :gurni:
    Gurnemanz]


    In Foren treiben halt Untote=Zombies noch ein Dasein.
    Weil es eben Fans gibt, die diese Werke hoch halten.
    Gut so, so werden sie nicht komplett vergessen.

    So der von mir wenig geschätzte Horenstein, der ja eigentlich ne Randerscheinung war und eben deswegen so hochgejubelt wird. Mainstream ist nicht so wichtig, die kennt ja jeder! Ich kenne aber....
    Dann Barbirolli, der außerhalb seines Kernrepertoires (British, Verdi und teilweise Mahler) nicht bedeutend war und eben die Jungs, die nach 1945 die deutsche Musikkultur im Radio wieder an den Start brachten.
    Rosbaud war so einer! Leider heute überschätzt, damals sicherlich von großer Hilfe.
    Ich habe den Eindruck, das er, der zwischen 1933 und 1945 nicht besonders auffiel und schon garnicht mit Avantgarde, sich gesagt hat, 'dirigiere ich eben moderne Werke, die kennt eh keiner, dann fällt nicht auf, das ich eben nur mittelmäßig bin.'
    Von der Qualität, die Günter Wand zeitgleich in Köln für ein "französisches Label" machte, ist er jedenfalls meilenweit entfernt. Aber Rosbaud ist was zum einvernehmlichen Raunen unter Eingeweihten: Oooh,.... Rosbaud.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Rosbaud war so einer! Leider heute überschätzt, damals sicherlich von großer Hilfe.
    Ich habe den Eindruck, das er, der zwischen 1933 und 1945 nicht besonders auffiel und schon garnicht mit Avantgarde, sich gesagt hat, 'dirigiere ich eben moderne Werke, die kennt eh keiner, dann fällt nicht auf, das ich eben nur mittelmäßig bin.'
    Von der Qualität, die Günter Wand zeitgleich in Köln für ein "französisches Label" machte, ist er jedenfalls meilenweit entfernt. Aber Rosbaud ist was zum einvernehmlichen Raunen unter Eingeweihten: Oooh,.... Rosbaud.

    Glaub ich nicht, der wird doch schon einen Draht zu der zeitgenössischen Musik gehabt haben. Also sich nicht erst kurz vor Beginn seiner Nachkriegskarriere damit befasst haben. Das wäre ja schon ein ziemlicher Kraftakt. Von den Protagonisten der Nachkriegsavantgarde war er doch durchaus anerkannt.
    Und Avantgarde hat Wand auch gemacht, aber dafür keinen Mahler, soweit ich weiß.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Zitat

    Dann Barbirolli, der außerhalb seines Kernrepertoires (British, Verdi und teilweise Mahler) nicht bedeutend war und eben die Jungs, die nach 1945 die deutsche Musikkultur im Radio wieder an den Start brachten.

    Barbirolli war auch ein hervorragender Sibelius-Dirigent, das nur mal am Rande erwähnt. Ich finde, dass nicht die Masse der Komponisten wichtig ist, sondern dass er DIESE Komponisten ganz hervorragend "konnte".

    Nach dem Kriege konnte man in Deutschland, was völlig ausgesaugt, müde und kaputt war, wohl kaum noch große Künstler hervorzaubern. Ein Celibidache wäre nie und nimmer Dirigent eines Klangkörpers wie den Berliner Philharmonikern geworden. Sein weiterer Werdegang hat ja letztendlich auch bewiesen, dass es für die höchste Klasse nie gereicht hatte. Das mag dem Celi-Fan jetzt schwer im Magen liegen, aber mehr als zweit-und drittklassige Orchester hat er selten dirigiert, was nicht zuletzt auch seinem schwierigen Wesen zuzuschreiben war. Ob man ihm in München wirklich eine Träne nachgeweint hat, weiß ich nicht, aber mir persönlich haben kaum Einspielungen gefallen von ihm, was die CD-Veröffentlichungen angeht. Er wusste schon, warum er nie Aufnahmen frei gab.

    So,nun zu den anderen Dirigentenkollegen. Außerhalb Deutschlands dürften die Rosbauds, Pours, Zilligs oder Bongartz kaum bekannt geworden sein. Ob man das jetzt an deren Qualität alleine festmachen kann, vermag ich nicht zu sagen, da sich das außerhalb meiner Lebenszeiten befindet. Es gibt da ja auch noch einen Schmidt-Isserstedt, Scherchen oder Günter Wand. Letzterer scheint mir hier die große Ausnahme zu sein.

    Wand hat die Nazi-Zeit ohne Parteibuch überstanden, schaffte es sogar, seine Stelle zu behalten, ohne sich dem Narrenvolke unterzuordnen. Sein Einsetzen für die neue Musik nach dem Kriege ist Vielen vermutlich entfallen, weil er sich in den späten Jahren eher dem Kern-Repertoire zugewandt hatte, was er aber um so besser zu interpretieren verstand.

    Leider sind seine alten Einspielungen, die er damals für ein französisches Label machte, erst in den letzten Jahren auf den Markt gekommen, aber ohne den großen Presserummel, den man um andere Dirigenten gemacht hätte. Wand hatte das nie nötig, er heißt ja auch nicht Thielemann..... :D


    Fazit : Man sollte diese ersten Nachkriegs-Dirigenten nicht unterschätzen, da sie es waren, die den musikalischen Karren wieder in die Spur brachten. Allerdings sollte man sie auch nicht überbewerten, wie es hier doch teilweise mMn getan wird. Heute wäre man manchmal wohl froh, es gäbe sie noch, die guten,alten Kapellmeister, die wussten, wie man Sänger begleiten musste.....


    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Nach dem Kriege konnte man in Deutschland, was völlig ausgesaugt, müde und kaputt war, wohl kaum noch große Künstler hervorzaubern.

    Eigentlich hätte man schon gekonnt, wenn man denn die Exilanten wieder reingelassen hätte. Spontan fallen mir da jetzt Tintner ein und Gurlitt ein, Scherchen könnte man auch dazuzählen und auch den ein oder anderen Amerikaner.

    Gruß
    Spartacus

    Für Monika

  • Zitat

    Eigentlich hätte man schon gekonnt, wenn man denn die Exilanten wieder reingelassen hätte.

    Ach,Du meinst, die wären freiwillig sofort wieder in das Land herbeigeeilt, was sie erst vertrieben hat, total am Boden liegt und keinerlei Luxus zu bieten hatte? Solche Irren mag es gegeben haben, aber jeder halbwegs "normale" Mensch hätte erst einmal einige Zeit abgewartet. Es wurden aber Leute für SOFORT gesucht, die noch dazu "unvorbelastet" waren.

    In Wien war es der unerschüttliche Josef Krips, dem man leider dafür niemals wirklich gedankt hatte. Er wurde dann einfach wieder "zur Seite geschoben"......Dabei wäre man ohne ihn, dem "Halbjuden" (sorry, das soll jetzt nicht persönlich gemeint sein), ziemlich führungslos gewesen. ER war in der Lage sofort zu helfen, und er konnte das auch fachlich. Wen hatten denn die Deutschen zur Hand, die unvorbelastet waren? Immerhin hatten Karajan, Jochum und Böhm dauerhaft gearbeitet, Kempe sollte bald aus dem Orchestergraben an den Pult wandern, aber wer war denn da? Ich wüsste niemanden außer bereits genannten Dirigenten....

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Hallo Maurice,

    sorry, dann hab ich deine vorhergehende Aussage falsch verstanden. Ich hab gemeint, du beziehst dich auf die gesamte Nachkriegszeit, also von 45 bis 49, derweil du nur das 45er Jahr gemeint hast.
    Diesbezüglich stimm ich dir natürlich zu.

    Gruß
    Spartacus

    Für Monika

  • Zitat

    sorry, dann hab ich deine vorhergehende Aussage falsch verstanden. Ich hab gemeint, du beziehst dich auf die gesamte Nachkriegszeit, also von 45 bis 49, derweil du nur das 45er Jahr gemeint hast.

    Man könnte es sicher auch auf die zeit bis 1949/1950 ausweiten, aber da waren ja die Größen wie Böhm,Karajan,Furtwängler wieder rehabilitiert und durften dirigieren. Da ich erst viel später geboren wurde, es nur aus Erzählungen meiner Großeltern und meines Vaters her kenne, ist das für mich sicher kaum nachzuvollziehen, sondern nur nachlesbar, bzw. in den Wochenschauen auch zu sehen.

    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Zu Maurice

    Hallo,
    hier geht es zwar um Mahler 5, dennoch erlaube ich mir zu den letzten Beiträgen der Diskussion noch zwei Anmerkungen:

    a) die Dirigenten der 1. Stunde nach dem Krieg, also Rosbaud u.a. waren wichtig! Durch den Rundfunk wurde die moderne Klassik eingeführt. Und wenn ich mir meine LP Schuber mit Rundfunkaufnahmen von moderner Musik anschaue, dann frage ich mich, wo dieses Engagement geblieben sein mag.
    Doch auch heute sind die deutschen Orchester "durch die Bank" einwandfrei, Herr Fritzsch in Kiel ist das beste, das uns sein Jahrzehnten passieren konnte (die Anfangszeit von Tennstedt mal ausgenommen, doch der wurde sehr schnell sehr zickig, so ein Musiker mal zu mir und wurde unerträglich)
    Dass die Qualität heute vielfach besser ist, geht bei mir der Glorifizierung der "Alten" verloren: dies Thema wäre aber einen eigenen Thread wert, weil ich hier kontroverse Meinungen erwarte.

    b) In der Adenauerzeit fand wie Wiederherstellung der Kulturszene fast ohne die Emigranten statt. Kein Steinberg, kein Walter, kein Klemperer, kein Leinsdorff, sehr spät Sanderling, die einen Posten außerhalb von Gastdirigaten erhielten, dafür immerhin Solti in München! Manche, die sich in den 1000 Jahren vorher zwischen 1933 und 1945 etabliert hatten, haben die anderen geradezu verjagt bzw. vom Hof ferngehalten.
    Auch das wäre einen Thread wert.

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Zitat

    Hallo,

    hier geht es zwar um Mahler 5,


    Ja,doch davon ist in Deinem Posting nicht die Rede. Egal, was Du geschrieben hast, ist mit Sicherheit richtig. Warum hätte eine Leinsdorf kommen sollen? Er hatte doch in den Staaten alles was er brauchte? Die Anderen ja ebenso.


    Leider ist heute davon nicht mehr viel übrig geblieben. Viele Positionen, gerade in den wirklich erstklassigen Orchestern, haben Dirigenten aus aller Herren Länder intus. Es sind also nicht viele gute Dirigenten nachgekommen oder übrig geblieben. Ja,Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber wer dirigiert denn die Berliner Philharmoniker,das Gewandhausorchester, das SO des WDR,HR und BR?Wer dirigiert das Deutsche SO Berlin?Die Staatskapelle Berlin?Das Staatsorchester München? Wo sind die fortschrittlichen Dirigenten aus unserem Lande denn geblieben? Ich möchte hier keinesfalls in Deutschtümmelrei verfallen, aber die Frage sollte doch nach Deinem Einwand berechtigt sein.


    Ich sehe schon, auch ich schweife vom Thema ab. Man sollte das echt ausgliedern und in einen Extra-Thread stellen. Liebe Moderatoren,hebt nicht den Zeigefinger,sondern steckt das separat in einen eigenen Thread. VIELEN DANK!!!


    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Liebe Moderatoren,hebt nicht den Zeigefinger,sondern steckt das separat in einen eigenen Thread. VIELEN DANK!!!

    Na, wenn so intensiv gefordert wird, wird's am besten gleich erledigt. ;+)

    :gurni:

    PS: Hiermit getan.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • DANKE!!!

    Es war die beste Entscheidung. Wir wollen ja dem armen Gustav nicht schaden.....Seine Fünfte ist mir nämlich seine Liebste gewesen!!

    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Außerhalb Deutschlands dürften die Rosbauds [...] kaum bekannt geworden sein.

    Ich kann Dir versichern, daß Rosbaud in Frankreich sehr wohl bekannt ist. Er hat zum Beispiel in Aix-en-Provence fabelhafte Mozart-Aufführungen dirigiert

    Ihm verdankt man auch eine der schönsten Aufnahmen von Orphée et Eurydice
    ,

    von seinem Engagement für Messiaen und Boulez ganz zu schweigen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Das Staatsorchester München

    gibt es nicht. Es gibt das Bayerische Staatsorchester, die Münchner Philharmoniker (eines dieser "zweit-und drittklassige Orchester", die Deiner Meinung nach Celibidache dirigiert hat), das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Münchner Rundfunkorchester und noch ein paar andere Formationen, wie die Münchner Symphoniker oder die Junge Münchner Philharmonie.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Zitat

    Das Staatsorchester München

    gibt es nicht. Es gibt das Bayerische Staatsorchester


    Ja,stimmt. Das habe ich falsch geschrieben. Danke für die Korrektur.


    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Also was ich von Rosbaud oder Schmidt-Isserstedt kenne, finde ich schon sehr gut, sicherlich nicht schlechter als das, was ich von Wand kenne. Beide hatten nach 45 keine Probleme, die internationalen Stars der Zeit als Solisten für Konzerte und Aufnahmen zu bekommen. Sicherlich, das Feld war durch die Zeit des Faschismus augedünnt, nach 45 auch, weil man im Westen nichts unternahm, die Emigranten zurückzuholen. Aber, wenn ich etwa an die Aufnahmen beider mit Genette Neveau denke, das ist fantastisch.

    Sicherlich profitierten beide unmittelbar nach 45 auch davon, dass sie zwar während des Faschismus in Deutschland geblieben waren und in dieser Zeit nach Anfangsschwierigkeiten vielleicht sogar besonders schnell Karriere machen konnten, weil die meisten der besten Dirigenten emigriert waren, die Nazis aber die Orchesterstellen zunächst massiv ausbauten und sogar einige Orchester neu gründeten. Für die, die da bleiben und aktiv bleiben durften, bot die Nazizeit also einiges - bald auch sogar gerade für Leute, die wie Rosbaud und Schmidt-Isserstedt nicht nur keine Nazis waren, sondern sogar eher Gegner, aber schon bald wohl so geheim, dass es auch nichts machte. Am Anfang hatten sie noch Schwierigkeiten. Der Schreker-Schüler Schmidt-Isserstedt wurde sogar entlassen und war zunächst arbeitslos. Aber im gelichteten Feld nach den Vertreibungen, in dem sich bald auch den kunstsinnigeren Nazis zeigte, dass ein Naziparteibuch und ein paar Artikel gegen "Kulturbolschewismus" nicht ausreichten, um die frei gewordenen Spitzenstellen zu besetzen, wurden dann auch solche "Kulturbolschewisten" von einst sogar oft besonders umworben und wer sich von ihnen darauf einließ, machte sogar besonder schnell große Karriere. Anschließend, nach 45, konnten Rosbaud, Schmidt-Isserstedt und einige wenige ähnliche in beiden Deutschland dann noch weiter davon profitieren, dass sie immerhin keine Nazis gewesen waren. Das hat zunächst sicherlich auch mit dazu beigetragen, dass sie international schnell eine gute Reputation erringen und Aufnahmen machen konnten, zu Konzerten ins Ausland eingeladen wurden, die internationalen Stars als Solisten bekamen usw.

    Beide Karrieren während des Faschismus zeigen die ganze Widersprüchlichkeit der Situation für Dagebliebene, in der es kaum jemand gelang, sich so geschickt zu verhalten, wie Wand oder sogar konsequent zu sein, wie K.A. Hartmann und sich sogar die meisten in Deutschland gebliebenen Gegner als verführbar erwiesen.

    Schmidt-Isserstedt wird 1933 fristlos entlassen, ist erst mal arbeitslos, bzw muß sich eher behelfsweise durchschlagen, bis ihm durch Hilfe der Wiedereinstieg gelingt, trennt sich aber auch von seiner jüdischen Frau, hilft ihr andererseits auch mit den gemeinsamen Kindern ins Exil zu kommen, und macht schließlich recht steile Karriere, tritt dabei auch im besetzten Norwegen bei Repräsentations- und Propagandaveranstaltungen auf, was man nicht unbedingt machen mußte, und zwar in besonders zugespitzter Situation - den streikenden norwegischen Professoren und Studenten auch der Musik und Angestellten staatlicher Orchester, die sich weigern, in die norwegische Nazipartei einzutreten, wird gerade mit Deportation oft nicht nur gedroht.

    Rosbaud, dem der Faschismus zunächst verhaßt ist und der sich solidarisch mit seinen verfolgten Freunden fühlt, sucht nach 33 zunächst intensiv nach einer Stelle im Ausland, obwohl er selbst nicht unmittelbar bedroht ist. Zwar durchaus als Spezialist für Neue Musik auch bereits international nicht mehr ganz unbekannt, aber die Konkurrenz durch die vielen Emigranten ist groß, die Stellen begrenzt, findet er nichts und bleibt in Deutschland, wo er sich schrittweise verbessern kann und als ihm 1941 die besonders gut ausgestattete Stelle als GMD in Straßburg angeboten wird, nimmt er an. Das war aber eine explizit politische Stelle. In der klaren Aufgabenstellung stand zentral, die Germanisierung des Elsaß-Lothringen zu betreiben. Mit z.B. mit Pfitzner-Programmen und Neuen-Musik-Arbeitskreisen, in denen nun nicht mehr das Werk Schönbergs, sondern nun das solcher Typen wie Julius Weismann Thema war, wirkte er durchaus konform mit. Auch mit ähnlichen Programmen und ähnlicher offizieller Mission bei Touren in Holland. Irgendwie muß ihm aber auch gleichzeitig gelungen sein, zu andersdenkenden Franzosen Kontakte zu knüpfen, auch andere Interessen und Distanz zu signalisieren. Denn nach '45 hat er besonders auch in Frankreich Fürsprecher. Er selbst führte zu seiner Entlastung an, dass er darauf bestanden hätte, gegen die offizielle Direktive, auch fanzösische Musiker im Orchester behalten zu haben und sie damit vor der Einziehung zur Reichswehr bewahrt zu haben.

    Und, wie schon geschrieben, andere waren noch viel Belasteter, andere waren weniger gut, anderen fehlte ganz die Erfahrung, jetzt, nach 45, auch die einstmals Verfemten aufzuführen und 'es muß ja irgenwie weitergehen'. Die beiden haben es wenigstens gut genutzt, waren wahrscheinlich auch aufrichtig erleichtert und jedenfalls mit engagiertem Interesse dabei, neu zu beginnen.

    :wink: Matthias

  • Danke, Matthias.

    Ohne Deinen Beitrag wäre dieser thread bisher furchtbar sinnlos gewesen.

    Ich habe auch überhaupt keine Lust, mehr dazu zu schreiben.
    Ich könnte, aber wozu....hier wird nur noch scharf geschossen.

    Das macht keinen Spaß mehr.
    Es ist unerträglich.

  • Ich schließe mich Michael an, die von Matthias vorgelegten Fakten sind wirklich interessant - und verdeutlichen, wie komplex Biographien in diktatorischen Zeiten werden. (Man kann es auch anders formulieren.)

    Ich habe aber eine Frage:

    Dieser Thread heißt momentan: Dirigenten in Deutschland 1945-1965
    Bisher kommt aber der zweite deutsche Staat, die DDR, hier nicht vor, außer bei der Erwähnung von Kurt Sanderling durch Doc Stänker.
    Oder läuft die Entwicklung doch ganz parallel zu Trizonesien und späteren "Adenauer-Westtdeutschland"? Das würde eine Hervorhebung verdienen, schließlich war das politische System ein anderes. Daher glaube ich das eher nicht.

    Dass die Betrachtung auch auf die Entwicklung in Österreich ausgeweitet wird, halt ich für sehr sinnvoll.

    LG, Kermit :wink:

    Es ist vielfach leichter, eine Stecknadel in einem Heuhaufen zu finden, als einen Heuhaufen in einer Stecknadel.

  • In Österreich. besonders in Wien, war es der Dirigent Josef Krips (1902-1974) der ab 1945 fast im Alleingang die Wiener Philharmoniker um sich scharte und maßgeblich zum Wiederaufbau des Kulturlebens der Stadt beitrug. Krips gehörte schon früh zu den hoffnungsvollsten Dirigenten Österreichs und war Schüler und Assistenten von Felix von Weingartner der Wiener Volksoper (1921-1924). 1926 kam er nach Karlsruhe, wo er schnell zum jüngsten GMD Deutschlands aufstieg, 1933 aber aus dem Amt gejagt wurde, da er Halbjude war.

    Anschließend wieder in Wien und ab 1938 in Belgrad und Budapest tätig,erhielt er aber Berufsverbot und musste sich mit Privatstunden und als Korrepetitor durchschlagen, ehe er ab 1943 durch einen der wenigen verbliebenen Freunde in einer Lebensmittelfirma unterkam und so den Krieg überlebte.

    Nach dem Kriege war er der einzige (!!) Dirigent in Österreich, der völlig unbelastet von der Nazi-Ära sofort arbeiten durfte und durch seine langjährige Erfahrung auch in der Lage war wirkliche Aufbauarbeit zu leisten. Er trat bei den Salzburger Festspielen auf und leitete die ersten beiden Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker 1946 und 1947. Es war also Josef Krips, der diese Tradition wieder aufnahm und weiterführte.

    Doch als man die bekannten Stardirigenten Karajan und Furtwängler wieder holen durfte, schob man den emsigen und auch absolut fähigen Krips einfach beiseite. Wie es ihm zumute gewesen war, kann man in seiner so wunderbaren Biographie nachlesen. Sie steckt voller Geschichten, sehr humorvoll erzählt, aber auch gerade die Zeit von 1933-1950 sehr anschaulich beschrieben, was und wie es in ihm vorging.

    Er sollte dann eine internationale Karriere machen, aber mMn nicht in dem Maße,was ihm eigentlich hätte zustehen müssen. 1950-1954 war er Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Mit diesem Orchester legte er eine GE der Beethoven-Sinfonien vor, die damals hoch angesehen und auch klangtechnisch hervorragend war. Ich hatte diese GE selbst in meinem Besitz als CD-Sammlung und fand sie wirklich hervorragend gelungen. Frei vom Pathos der damaligen Ansichten, frisch und auch in den Tempi weitaus flotter als man es damals sonst machte.

    Er ging dann in die Staaten und wurde neun Jahre lang Chef in Buffolo und sieben in San Francisco, ehe er wieder nach Österreich zurück kehrte und bis kurz vor seinem Tode die Wiener Symphoniker als Hauptdirigent leitete, ohne als Chefdirigent zu gelten. 1972-1974 nahm er mit dem Concertgebouw Orchestra die 20 letzten Mozart-Sinfonien auf und tourte als erster Dirigent Österreichs nach dem Kriege durch die ehemalige UDSSR.

    Krips galt als ein Meister der Werke Mozarts, war ein überaus geschätzter und geliebter Opern-Begleiter bei den Sängern hoch geschätzt, weil er die Sänger ideal tragen konnte. Auch als Bruckner-Dirigent trat er in die Fußstapfen Weingartners und Felix Mottls, seinem indirekten Vorgänger in Karlsruhe.Auch als Schubert-Dirigent hatte er sich einen sehr guten Ruf erworben.

    Als Literatur kann ich seine Biographie "Ohne Liebe kann man keine Musik machen" nur wärmstes empfehlen. Aus diesem Buch habe ich auch meine Angaben hier für diese Widmung. Man kann diese Angaben aber auch natürlich im allgegenwärtigen Wikipedia.de nachlesen.

    Meine CD-Empfehlungen findet man hier :












    So, ich hoffe, diesen wunderbaren Menschen und Musiker hier wieder den Leuten positiv ins Gedächtnis gerufen zu haben. Er war ein Mann der allerersten Stunde nach dem Kriege in Wien. Er sah die Panzer einfahren, zuerst die Amerikaner, dann die Russen. Er war DER Mann des Wiederaufbaus der Wiener Staatsoper nach 1945. Erst gefeiert, dann gefeuert kann man sagen....Doch Pepi, wir haben Dich nicht vergessen. Ich bin gespannt, was die Wiener unter euch jetzt schreiben....

    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • So, ich hoffe, diesen wunderbaren Menschen und Musiker hier wieder den Leuten positiv ins Gedächtnis gerufen zu haben.

    Ich bin ein bißchen gewundert. Denn für mich hat immer Krips als einer der ganz großen gegolten. Nachdem der angebliche Mozart-Guru Karl Böhm mir Mozart verleidet hat, habe ich ihn gleichzeitig mit der HIP-Bewegung und Bruno Walter/ Josef Krips wiederentdeckt, wobei diese zwei Ströme eigentlich nicht so weit voneinanderliegen. Krips' Aufnahme von Schuberts Großen C-Dur begleitet mich seit ca 30 Jahren. Sein Don Giovanni ist ein Klassiker:

    Dieser Dalibor mit den Rysanek Schwestern ist auch Legende geworden:

    und Sänger wie Lucia Popp haben sich wiederholt mit höchstem Respekt und Anerkennung über Krips geäußert.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich bin ein bißchen gewundert.


    Ja, ich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass man Josef Krips "wieder den Leuten positiv ins Gedächtnis rufen" muss, ich halte ihn, gerade durch seine reichhaltige diskographische Hinterlassenschaft für immer noch sehr präsent. Er hat ja nicht nur viele Aufnahmen gemacht, die immer noch neu aufgelegt werden, sondern vor allem auch einige Einspielungen, die bis heute als Klassiker und Referenz gelten, wie etwa der gezeigte "Don Giovanni".
    Was vielleicht eher in Vergessenheit gerät, ist seine Bedeutung für den Wiederaufbau des Wiener Musiklebens, Das ist ja ganz natürlich: Die Aufnahmen werden auch heute noch immer wieder gekauft und gehört, die Gestaltung des Wiener Musiklebens ist ein historisches Phänomen, die Zeitzeugen sterben aus, wirklich greifbar ist es auch nicht mehr.

    Denn für mich hat immer Krips als einer der ganz großen gegolten.


    Ich denke, so geht es vielen hier. Gerade, wenn man sich für Mozart interessiert, kommt man an Krips nicht vorbei.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!