ZELENKA, Jan Dismas

  • Die Zelenka-Begeisterung kann ich bestens nachvollziehen, und die Triosonaten gehören sicherlich zum Großartigsten, was je für unser Instrument geschrieben wurde. Aber sie stellen einen vor höchste konditionelle Herausforderungen.

    Wie wäre es denn alternativ mit Zelenkas "Hipocondria“ (ZWV 187). Die ist wesentlich lässiger zu bewältigen!

    Herzliche Grüße

    Bernd

  • Die Zelenka-Begeisterung kann ich bestens nachvollziehen, und die Triosonaten gehören sicherlich zum Großartigsten, was je für unser Instrument geschrieben wurde.


    Unter dem Gesichtspunkt der Kontrapunktik hat Zelenka wohl alles ausgereizt, was mit drei Stimmen kombinatorisch geht. Ich höre diese Werke immer mal wieder (festes Repertoire auf dem MP3-Player), und jedes Mal frage ich mich, ob der große J. S. Bach in puncto Vertracktheit und kombinatorischer Komplexität mit drei Stimmen bei seinen Triosonaten da mithalten kann. Eine Flötensonate h-moll (verkappte Triosonate mit der r. Hd. des Cembalisten als 2. Stimme) oder die Triosonaten für Orgel sind da jedenfalls einfacher gestrickt, letztere natürlich auch aus pedaltechnischen Gründen. Anderes kenne ich zuwenig.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Zitat

    und jedes Mal frage ich mich, ob der große J. S. Bach in puncto Vertracktheit und kombinatorischer Komplexität mit drei Stimmen bei seinen Triosonaten da mithalten kann.

    Für meine Begriffe ist Zelenka unter rein kontrapunktischen Gesichtspunkten tatsächlich ein größerer Hexenmeister als Bach. Und erstaunlicherweise wirkt seine Musik trotzdem überhaupt nicht formalistisch oder akademisch, sondern strömt fast immer eine große Vitalität aus.

    Trotzdem halte ich Bach im Hínblick auf harmonische und vor allem auch melodische Expressivität für überlegen. So etwas wie "Ich habe genug" konnte Zelenka einfach nicht erfinden - von den Highlights aus den Passionen oder aus der h-moll-Messe ganz zu schweigen. Aber dass er mit seinem vergleichsweise eher schmalen Schaffen zu den herausragendsten Meistern der Barockzeit gehört, ist inzwischen wohl ziemlich unumstritten.

    Als ich - noch zu Schulzeiten - Zelenkas Triosonaten zum ersten Mal begegnet bin, kannte außer den Oboisten und Fagottisten fast niemand diese Musik oder auch nur den Namen ihres Schöpfers. Zum Glück hat sich das mittlerweile deutlich geändert!

    Herzliche Grüße

    Bernd

  • Trotzdem halte ich Bach im Hínblick auf harmonische und vor allem auch melodische Expressivität für überlegen. So etwas wie "Ich habe genug" konnte Zelenka einfach nicht erfinden

    Was den rhytmisch-tänzerischen Puls, und Leichtigkeit der Melodik angeht, ist aber wieder Zelenka vorne. ;+)

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Also Entschuldigung,

    aber über ein Werkverzeichnis mit mehr als 1000 Nummern eine pauschale Aussage hinsichtlich tänzerischem Rhythmus und melodischer Leichtigkeit zu machen kommt mir ziemlich verwegen vor.

    Tharon

  • Jedenfalls finden sich auch bei Bach genug Beispiele für einen mitreißenden tänzerischen Impetus und einen kaum zu übertreffenden rhythmischen Drive (ich suche heute abend oder morgen gerne konkrete Stücke heraus, wenn das gewünscht wird).

    Und was genau meinst du mit "melodischer Leichtigkeit", Tamás?

    Beste Grüße

    Bernd

  • aber über ein Werkverzeichnis mit mehr als 1000 Nummern eine pauschale Aussage hinsichtlich tänzerischem Rhythmus und melodischer Leichtigkeit zu machen kommt mir ziemlich verwegen vor.

    Mir auch, wenn man, das reht große Vokalwerk von Zelenka unberücksichtigt, über dessen mangelnde expressive Kraft sinniert wird... khm. Zwinker übersehen? :D

    Und was genau meinst du mit "melodischer Leichtigkeit", Tamás?

    Eben eine tänzerisch direkte Melodik, die mit der starken Rhytmik zu einer Einheit verschmilzt. Eingängigkeit. Vgl. zweiter Satz der B-dur Triosonate von Zelenka.

    Mein subjektiver (pauschaler) Eindruck von Bach ist, dass von der Einfachheit immer zurückschikt, und alles zu gern Verkompiliziert. Auch wenn es eigentlich nicht so komplex ist, wirkt es bei ihm so, als wäre e o. Bei zelenka fühle ich es umgekehrt: auch die kompliziertesten Dinge wirken bei ihm so leicht hingeworfen. Mag mich täuschen, aber ich erlebe seine Musik so.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Jedenfalls finden sich auch bei Bach genug Beispiele für einen mitreißenden tänzerischen Impetus und einen kaum zu übertreffenden rhythmischen Drive (ich suche heute abend oder morgen gerne konkrete Stücke heraus, wenn das gewünscht wird).

    Da kenne ich wahrscheinlich die falschen Stücke von ihm... ;+) aber wenn ich an tänzerischen Impuls denke kommt mir sicherlich nicht Bach in den Sinn. Vivaldi, Händel, Zelenka, Biber viel eher.

    (aber lass mich gern belehren)

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Zitat

    aber wenn ich an tänzerischen Impuls denke kommt mir sicherlich nicht Bach in den Sinn.

    Tamás, das wundert mich ernsthaft!

    Höre dir z.b. mal den Eingangschor zur 5. Kantate aus dem WO an. Mehr Swing geht eigentlich kaum noch - beim Spielen reißt es einen da regelrecht vom Sitz!

    Bei ganz vielen Bach-Sätzen ist der Tanz zumindestens im Hintergrund immer präsent.

    Wie gesagt: Ich bringe dir heute abend gerne noch etliche Beispiele (montags früh ist meine Zeit immer arg knapp).

    Beste Grüße

    Bernd

  • Zitat

    Eben eine tänzerisch direkte Melodik, die mit der starken Rhytmik zu einer Einheit verschmilzt. Eingängigkeit. Vgl. zweiter Satz der B-dur Triosonate von Zelenka.

    Bei Bach kann ich genausogut Beispiele für melodisch enorm Eingängiges ("Schlummert ein, ihr matten Augen") wie bei Zelenka für melodisch erst einmal wenig Eingängiges (3. Satz Triosonate I ) finden....

    Beste Grüße

    Bernd

  • Ich bringe dir heute abend gerne noch etliche Beispiele [...].

    Vielleicht in einem eigenen Thread: "Bach: Tanz und Melodie" oder so ähnlich...? ;+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich würde sagen, bei Zelenka merkt man, dass er Fux-Schüler war.

    Bei Bach merkt man, dass er nicht Fux-Schüler war. ;+)

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Bei ganz vielen Bach-Sätzen ist der Tanz zumindestens im Hintergrund immer präsent.

    Eben. Im Hintergrund. :P :-H

    aber ernst:

    Ich sagte ja nicht, dass bei Bach ganz und gar keinen tänzerischen impuls gäbe. Sagte bloß, dass das für ihn weniger typisch ist, und eher selten vorkommt - im gegensatz zu Zelenka, Vivaldi, Handel, usw. bei denen das viel präsenter ist. (bei Vivaldi fast omnipräsent)

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Zitat

    Sagte bloß, dass das für ihn weniger typisch ist, und eher selten vorkommt - im gegensatz zu Zelenka, Vivaldi, Handel, usw. bei denen das viel präsenter ist. (bei Vivaldi fast omnipräsent)

    Das empfinde ich absolut nicht so! Gerade Vivaldi mit seinem in etlichen Konzerten sehr virtuosen Girlandenstil komponiert für mich weit weniger tänzerisch "groovig" als Bach.

    Zitat

    Vielleicht in einem eigenen Thread: "Bach: Tanz und Melodie" oder so ähnlich...?

    Nein, das ganz gewiss nicht! :shake: Ein wenig Ordnung ist ja schön und gut, aber man kann es auch bis zur Sterilität übertreiben. Gewisse Abschweifungen liegen im Wesen jeder Diskussion. Eure Moderatorentätigkeit schätze ich grundsätzlich sehr; wenn sich die Aufräumwut in etwas engeren Grenzen halten würde, wäre ich noch begeisterter!

    Beste Grüße

    Bernd

  • Also Entschuldigung,

    aber über ein Werkverzeichnis mit mehr als 1000 Nummern eine pauschale Aussage hinsichtlich tänzerischem Rhythmus und melodischer Leichtigkeit zu machen kommt mir ziemlich verwegen vor.

    Tharon


    Kurze Nachfrage: ich habe gerade mal online nach dem Zelenka-Werkverzeichnis geschaut und "nur" etwa 250 Nummern gefunden. Oder beziehst Du Dich auf das BWV?

    Ansonsten kenne ich von Zelenka leider nur ein Werk, das aber immerhin aus der eigenen Musizierpraxis im Chor: "De profundis" (ZWV 50). Ein tolles Stück!

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das empfinde ich absolut nicht so! Gerade Vivaldi mit seinem in etlichen Konzerten sehr virtuosen Girlandenstil komponiert für mich weit weniger tänzerisch "groovig" als Bach.

    Wie sich Geschmäker unterscheiden können... ^^

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Liebe Capricciosi!

    Ich habe heute alle sechs Sonaten wieder einmal der Reihe nach angehört und bilde mir jetzt ein (vielleicht ist aber nur der Zelenka-Overkill schuld), dass zwischen den ersten und den andern drei Sonaten gewisse Unterschiede hörbar sind: die ersten drei sind meinen Ohren nach sehr deutlich nach Fux'schem Vorbild gestaltet, mit einer einfachen, kantablen Melodik und strengen Fugen (man vergleiche z.B. K 358 und weitere Sonaten); mit der vierten Sonate ändert sich aber die Behandlung der Stimmen und rückt für mich stärker in die Nähe von sowohl Bach als auch Vivaldi (markante Motive, penetrante Wiederholungen und Sequenzierungen auch in eigentlich polyphonen Passagen).

    Wie hört ihr das?

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Wie hört ihr das?

    Es ist mir auch schon aufgefallen, dass sich die ersten drei (die ich lieber mag), von den anderen drei etwas unterscheiden. Über wie und wieso habe ich aber noch nicht nachgedacht. Vielleicht ist es Zeit, dass ich mal auch wieder die Triosonaten hervorkrame... :thumbup:

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

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