Antonín Dvořák: Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88
Antonín Dvořáks (1841-1904) Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88 entstand 1889 und wurde am 2.2.1890 in Prag uraufgeführt. Sie gilt neben der 9. Symphonie („Aus der neuen Welt“) als die populärste des Komponisten. Und sie ist auf jeden Fall ein ideales Werk, um ein Orchester griffig in Szene setzen zu können – so wie ich es höre durchaus plakativer, unmittelbarer als die vorangegangenen Symphonien komponiert, mit den gewohnten Formmodellen der vier Sätze vielfach gekonnt rhapsodisch spielend (erster und zweiter Satz!), einmal mehr die ganze orchestrale Farbpalette einfallsreich auskostend. Weil das Werk bald in England sehr erfolgreich aufgeführt wurde, erhielt es den Beinamen „Englische“. Spieldauer meist ca. 37 Minuten.
Trotz des markanten elegischen g-Moll Themas, das Exposition, Durchführung und Reprise einleitet, bringt der erste Satz, ein Allegro con brio, positive, lebens- und farbenfrohe Musik, teilweise nahezu überschäumend. Das eigentliche lyrisch-pastorale Hauptthema beginnt auch markant, mit einem Dreiklangsaufstieg der Flöte.
Der zweite Satz, ein Adagio, beginnt mit einer aufsteigenden „melancholischen“ Triolenfigur. Dieses Motiv lässt sich in der Folge heiter, aber auch schicksalsschwer auskosten. Die instrumentatorisch fein schattierte Musik wirkt auf mich vielfach sehr böhmisch, kammermusikalische Elemente stehen neben großen Gebärden wie bei Tschaikowsky.
Die wehmütig-beschwingte Walzerweise des Allegretto grazioso Scherzos ist doch sicher ein Jahrhunderteinfall sondergleichen, oder? Bei dem reizvoll punktierten Trio habe ich die seltsame Klischee-Assoziation zu Western-Musik. Nachdem das Scherzo wiederholt wurde, erscheint das Trio noch einmal, aber anders als zuvor, zweckdienlich zur Stretta gewandelt.
Interessant der Finalaufbau – ein Allegretto man non troppo, in dem Exposition und Reprise als unterschiedliche Variationsabschnitte erscheinen. Sie werden jeweils mit Trompetenfanfaren (zur Reprise hin am Ende einer Steigerung) angekündigt. In der Exposition landet man bei einer besonders überschäumenden Variation, die wenn man sie einmal im Ohr hat fortan immer mitgedacht wird, wenn das Thema erstmals anklingt (mir geht es zumindest so). Und das ist das Geniale bei Dvořák: Mitten in diese überschäumende Variation schachtelt er eine Art virtuoses kurzes Flötenkonzert als eigene Variation hinein, eine tolle, ganz bunte Stelle. Die Durchführung gibt sich als strammer Marsch mit markanter Motivik. Und die Variationen der Reprise werden immer wehmütiger und träumerischer, sie evozieren fast „Abschiedstränen“, um umso effektvoller Raum zu lassen für die schmissige Stretta, die natürlich total von der überschäumenden Variation von vorhin zehrt.
Wer kurze Verlaufsanalysen bevorzugt wie sie etwa Treborian oder Ecclitico bei Capriccio anbieten, wird bei wikipedia fündig.
"http://de.wikipedia.org/wiki/8._Sinfon…C5%99%C3%A1k%29"
Alleine mit den Wiener Philharmonikern gibt es mindestens fünf Stereoaufnahmen dieses Werks, zwei mit Herbert von Karajan und je eine mit Lorin Maazel, Seiji Ozawa und Myung-Whun Chung. Die Berliner Philharmoniker kann man etwa auch mit Karajan (EMI), Rafael Kubelik oder Claudio Abbado mit diesem Werk hören. Bernard Haitink hat es (wie später auch Nikolaus Harnoncourt) mit dem Concertgebouw Orkest Amsterdam aufgenommen, Vaclav Neumann mit der Tschchischen Philharmonie. Für mich seltsam – Leonard Bernstein hat dieses Werk wohl nicht aufgenommen.
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Und Mauerblümchen ist seit kurzem Top-Experte für DIESE Aufnahme:
Herbert von Karajan hat sich gerne und vielfach auf die Wirkung des Werks verlassen, laut karajan.org hat er es neben mindestens drei Aufnahmen zwischen 1961 und 1988 insgesamt 43mal aufgeführt – am 30.9. und 1.10.1961 mit den Wiener Philharmonikern im Großen Wiener Musikvereinssaal (parallel dazu entstand im Sofiensaal die erste Aufnahme dieser Symphonie Karajans mit den Wienern für die DECCA), am 26.11.1961 ebenfalls mit den Wienern im Münchner Kongreßsaal des Deutsches Museums, am 29., 30. und 31.12.1961 in Berlin im Konzertsaal der Hochschule für Musik erstmals mit den Berliner Philharmonikern, im Jahr 1962 zweimal mit den Wienern bei Gastspielen, am 3.4.1962 im Falkoner Centret in Kopenhagen und am 11.4.1962 im Pariser Théatre des Champs-Elysées, 1963 schließlich mit den Berlinern unterwegs, am 5.3.1963 in der Stadthalle Kassel, am 8.3.1963 in Frankfurts Städtischen Bühnen, am 1.5.1963 in der Züricher Tonhalle und am 3.5.1963 in Basels Stadtcasino, am 6.9.1963 allerdings in Griechenland wieder mit den Wienern, bei einem Konzert im Odeon Herodes Atticus in Athen. Mit den Wienern und mit dieser Symphonie gastierte Karajan 1965 in der Stuttgarter Liederhalle (30.3.), in der Hamburger Musikhalle (31.3.) und in der Royal Festival Hall in London (5.4.). Eine einzige Aufführung mit einem anderen Orchester als den Wienern oder Berlinern ist genannt, sie fand am 15.8.1965 im Großen Festspielhaus in Salzburg mit der Staatskapelle Dresden statt. Danach bis Mitte 1974 durchgehend mit den Berliner Philharmonikern, vielfach auch im Fernen Osten: 17.4.1966 Japan, Sendai, 24.4.1966 Japan, Okayama, 30.5.1966 Tschechoslowakei, Prag, Smetana-Saal, 27.4.1969 Berlin Philharmonie, 1.7.1969 Holland, Rotterdam, De Doelen, 19.1.1969 wahrscheinlich Berlin Philharmonie, 17.5.1970 Japan, Tokio, Bunka Kaikan, 10.10.1971 Berlin Philharmonie, 2.11.1971 Hamburg, Musikhalle, 18.4.1972 München, Deutsches Museum, 22.4.1972 Nürnberg, Meistersingerhalle, 27.1.1973 Japan, Tokio, NHK – Hall, 4.11.1973 Japan, Osaka, und 5.5.1974 Braunschweig, Stadthalle Genau neun Jahre nach dem Konzert mit den Dresdnern führte Karajan die Symphonie mit den Wiener Philharmonikern im Großen Festspielhaus in Salzburg bei den Festspielen am 15.8.1974 wieder auf, ehe sie für die nächsten Karajan-Jahre wieder ganz den Berlinern gehören sollte: 13.10.1974 Berlin Philharmonie, 5.6.1975 Spanien, Madrid, Teatro Real, 7.6.1975 Spanien, Barcelona, Palau de la Musica Catalana, 4. und 5.1.1979 Berlin Philharmonie, 10. und 16.4.1979 Salzburg Großes Festspielhaus (bei den Osterfestspielen), 19.10.1979 Japan, Tokio, Fumon Kan Hall, 30.10.1979 Volksrepublik China, Peking, Alte Sporthalle, 24.10.1980 Mainz, Rheingoldhalle und 29.10.1980 Nürnberg, Meistersingerhalle. Am 16.8.1981 waren wieder die Wiener Philharmoniker in Salzburgs Großem Festspielhaus im Einsatz. Karajans Konflikte mit dem Berliner Orchester in den nächsten Jahren brachte ihn den Wienern näher, er dirigierte unter anderem am 12. und 13.1.1985 im Großen Musikvereinssaal in Wien ein Abo-Konzertwochenende des Orchesters mit der Symphonie, in dessen Umfeld auch die Neuaufnahme für CD und Video aufgenommen wurde. Am selben Ort mit demselben Orchester ist Karajans letzte Aufführung von Dvořáks Symphonie op. 88 genannt, mit dem 17.1.1988.
Allerorten wird die Symphonie immer wieder aufgeführt, im Sommer 2013 erklang sie im deutschen Sprachraum mindestens dreimal.
Am 19.7.2013 spielte sie etwa das Sinfonieorchester Con Brio unter der Leitung von Gert Feser in der Kulturhalle Grafenrheinfeld nach Mendelssohn-Bartholdys Ouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“ und Friedrich Guldas Cellokonzert (Solist Orfeo Mandozzi, Professor in Würzburg).
"http://www.frankentipps.de/veranstaltung116382"
Die Wiener Symphoniker spielten Dvořáks op. 88 am 5.8.2013 unter der Leitung von Sir Mark Elder im Rahmen der Bregenzer Festspiele nach Franz Schrekers Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente und Benjamin Brittens „Our Hunting Fathers“ op. 8 (Tenor: Ailan Clayton) im Bregenzer Festspielhaus, zu hören gewesen in der Ö1 Matinee am 11.8.2013.
"http://www.bregenzerfestspiele.com/de/kategorie/h…ner-symphoniker"
Und am 10.8.2013 erklang sie in der Stadthalle Bad Hersfeld mit der Jungen Hessischen Philharmonie unter Dozentenleitung neben Mussorgskys „Die Nacht auf dem kahlen Berge“.
"http://osthessen-news.de/n1235448/sinfo…ermine-hef.html"
Persönliche Höreindrücke:
Herbert von Karajans erste Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern (9 CD Box Decca 478 0155, Sofiensaal Wien 1961) wirkt auf mich brillant, und der tolle Decca Raumklang kommt auch noch dazu. Mit dieser Aufnahme das Werk kennenzulernen bzw. neu anzuspüren war für mich schon ein ganz starker Eindruck. Dass es ein Wiener Orchester ist, hört man zwischendurch schon auch durch (einige Wendungen im zweiten und dritten Satz).
Karajans Wiener Aufnahme vom Jänner 1985 (Großer Musikvereinssaal, CD DGG 431 095-2) bringt weichere, samtene Streicher und insgesamt ein Festspiel der prachtvollen Wiener Klangkultur. Karajan kostet den Klang und all seine Schattierungen voll aus, die Brillanz erscheint nicht ganz so herausgestellt wie in der Aufnahme von 1961. (Ohne sie geht es aber natürlich nicht bei diesem Werk.)
Lorin Maazels Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern (gehört aus der 50 CD Box Wiener Philharmoniker Symphony Edition, DGG 00289 479 0718, Großer Wiener Musikvereinssaal, März 1981) ist eine Art „Mischinterpretation“ zwischen Karajan 1961 und 1985 – herrlicher Philharmonischer Schönklang, samtene Streicher, farbige Bläser, effektvoll konzentriert, und da haut die Pauke drauf, versprochen. Der dritte Satz wirkt hier auf mich wie Ballettmusik. So ein Werk liegt Maazel hörbar.
Nun hatte ich schon drei Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern gehört, ich fragte mich, was Seiji Ozawa (CD Philips 434 990-2, Liveaufnahme mit Applaus aus dem Großen Musikvereinssaal vom April 1992) Neues zu sagen hatte – und wurde wirklich positiv überrascht. Ozawa durchpulst die Partitur, das Klangbild des Orchesters gleichwohl auch voll auskostend, ungemein lebendig. Bei ihm stehen nicht Brillanz und Effekt im Vordergrund, vielmehr erzählt er eine spannende Geschichte – eine Sage, ein Abenteuer, ein Märchen, eine Fantasiegeschichte, auf jeden Fall spielt es in der blühenden Natur. Ozawa bleibt dabei ganz im Fluss, spannt die großen Bögen stringent. Gerade im Vergleich zu Maazel, dessen 3. Satz mir wie Ballettmusik erschien – hier spielt der Satz auf der Moldau oder auf der Donau. Allein wie Ozawa den Orchesterklang beim Scherzothema mischt – wenn das nicht ein Fluss ist! Hier wird auch deutlich, wie viel die Abmischung bei einer Orchesteraufnahme ausmachen kann. Für mich war diese Aufnahme eine echte Entdeckung.
Wiener Philharmoniker, die fünfte Aufnahme, Myung-Whun Chung (CD DGG 469 046-2, Großer Wiener Musikvereinssaal April 1999) – wo setzt Chung an? Ich empfinde seine Interpretation wieder weniger „außermusikalisch“ als die Ozawas, sie ist selbstverständlich erneut klangschön und farbenprächtig, am nächsten vielleicht Karajans Aufnahme von 1985. Die Abmischung zeigt sich allerdings transparenter als dort, filigraner aufgefächert.
Nikolaus Harnoncourts Liveaufnahme mit dem Concertgebouw Orkest (CD Warner 3984 24487-2) entstand im Het Concertgebouw in Amsterdam im Dezember 1998. Harnoncourt entwirft ähnlich Ozawa ein schicksalhaftes Drama im böhmischen Wald, noch plastischer modelliert, episodenhafter, punktueller. Der zweite Satz stellt da große Fragen, und der dritte spielt wie bei Ozawa am Fluss. Mit Harnoncourt fühle ich mich erneut total in eine böhmische Sagen- oder Märchenwelt versetzt. Die radikalen Tempowechsel sorgen dafür, dass man „gezwungen“ wird, bewusst zuzuhören. Diese Aufnahme eignet sich also weniger zum Nebenbeihören (falls dies jemand möchte). Der Amsterdamer „Holzklang“ ist ideal für die Klangsprache des Komponisten.
Weil die Radioaufzeichnung in die Zeit der Beschäftigung mit der Symphonie fiel, habe ich mir am 11.8.2013 auch die Matinee in Ö1 angehört, mit den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Sir Mark Elder (Bregenzer Festspiele, Festspielhaus, 5.8.2013). Das op. 88 erklang nach Franz Schrekers Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente (ein Werk, das ganz spannend feingliedrig die schwüle Fin-de-siecle Zerbrechlichkeit atmet) und Benjamin Brittens „Our Hunting Fathers“ op. 8 (deklamatorische Gesänge, aufgewühlt bis verzweifelt, gehen sehr unter die Haut) – festspielwürdig wirkungsvoll, sehr erdig, im Klangbild nicht so spezifisch wie die Wiener Philharmoniker (ja wenn ich mich so fixiere, selber schuld!), das ist schon auch ein Spitzenorchester, mit dem sich so eine Symphonie gut mitleben lässt.
Wer seine Lieblingsaufnahmen dieses Werks vorstellen oder anderes dazu schreiben möchte, ist hier herzlich dazu eingeladen.