Der Autor bedient sich diversen Vorurteilen, die er bei anderen kritisieren würde:
- Enge Männerfreundschaft: Die sind bestimmt schwul.
- Älterer Mann hat kein Interesse an bestimmten Frauen: Der muss schwul sein.
Sven Limbecks Text ist an besagter Stelle weniger eine Interpretation, sondern eine Analyse. Im Fall von Don Alonso nimmt er nicht nur das Libretto, sondern auch die Partitur unter die Lupe, um lediglich die Rechtfertigung der Frage zu untermauern, ob dieser den beiden Männern ebenso zugeneigt ist wie ihre Geliebten.
An anderer Stelle zitiert Limbeck Despinas Bezeichnung der beiden Jünglinge als „Ganimedi“ - eine historisch gebräuchliche, aber heutzutage weitgehend vergessene Anspielung auf Männer, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen. In jedem Fall ist es ein Hinweis darauf, dass das Thema Homosexualität in 'Cosi fan tutte' unterschwellig vorhanden ist.
In beiden Fällen ist Limbeck jedenfalls weit davon entfernt, plumpe Vorurteile oder schwules Wunschdenken zu äußern.
Wir neigen dazu zu vergessen, dass Homosexualität über lange Zeit ein absolutes, beinahe unaussprechliches Tabu war. Deswegen war sie allerdings nicht verschwunden, denn alles, was tabuisiert wird, eröffnet unbewusste Räume im Verdrängten.
Das betrifft nicht nur das homosexuelle Begehren an sich, sondern auch das Nichtwissen und das Mutmaßen von heterosexuell Liebenden um das Begehren anderer. Und damit auch die Angst, getäuscht zu werden. Noch problematischer wird es, wenn die Grenzen zwischen Liebe und Freundschaft fließend sind. Innerhalb dieses tabuisierten Rahmens, wenn es um Liebes- und Freundschaftsbeziehungen geht, betrifft es also jeden.
Mozart war sich dieses Tabus schon aufgrund seiner Biografie bewusst.
Zahlreiche Bezeichnungen für Homosexualität sind heute nicht mehr geläufig. Vielen dürfte „griechische Liebe“ noch ein Begriff sein. Den wenigsten ist jedoch etwa bekannt, dass „florenzen“ im Altdeutschen eine Bezeichnung für homosexuellen Analverkehr war und „Florenzer“ jemand, der sie ausübte - und zwar, weil Florenz in der Renaissance als eine Hochburg gleichgeschlechtlicher Liebe galt. Interessant ist das etwa für das Verständnis von Zemlinskys Oper „Eine florentinische Tragödie“, für die ein Text von Oscar Wilde als Grundlage genommen wurde.
Allein der Aufarbeitung des Verdrängten wegen war die Entscheidung der Herausgeber korrekt, das Repertoire vom Barock bis zum 19. Jahrhundert mit in den Opernführer aufzunehmen. Ganz unabhängig davon, dass Werke wie ‚La Traviata‘ und ‚Tosca‘ von schwulen Männern im Nachhinein als Bestandteil ihrer Subkultur angeeignet wurden.
Eine andere Entscheidung wäre geschichtsvergessen gewesen.