W. A. Mozart: Così fan tutte - eine vollkommene Oper?

  • ....ich hätte sonst für solche Gelegenheiten noch ein Riechsalz anzubieten....

    Danke fürs freundliche Angebot! Ich komme gelegentlich drauf zurück, wenn ich eine Despina benötigen sollte...

    ;)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Jetzt habe ich die ganze Salzburger 2020 Aufführung angesehen und gehört.

    Ich sehe es auch so, dass in dieser Inszenierung zumindest Ferrando zutiefst getroffen ist, von dem, was er angerichtet hat. Er geht deshalb mE am Ende kurz mit einem Messer auf Don Alfonso los und sticht auch zu. Ich habe sogar den Eindruck, dass er am meisten darunter leidet, weil er auf einmal bemerkt, wie bei ihm selbst auch Gefühle für die „Falsche“ aufkommen und wie „anfällig“ er selber damit ist.
    Guglielmo ist eher arrogant, meine ich, und deshalb dann zornig am Ende.

    Aber bei Don Alfonso ist m E keine Reue oder Einsicht zu sehen, nur ein Vorsatz, den beiden jungen, unerfahrenen Herren die Augen zu öffnen, da Vernunft in Sachen Liebe ja so hilfreich sei.

    Die Inszenierung zeigt aber 2 darüber hinausgehende Dinge:

    1. weint Don Alfonso während „un’aura amorosa“ . Das ist bemerkenswert. Man kann es bei etwa 58 -62 mins sehen. m E weint er, weil er selber Pech in der Liebe hatte oder in seiner eigenen jugendlichen Blauäugigkeit schwer enttäuscht wurde, deshalb ja auch sein „selbstloser“ Eifer, den beiden Jungen die Augen zu öffnen. Der Eindruck verstärkt sich im Anschluss an die Arie, während der ersten Worte von Despina. Ihm ist es früher schlecht ergangen und Ferrandos Worte haben eine offene Wunde getroffen.

    2. wird seine Erscheinung im Verlauf der Handlung mE keineswegs betroffener, sondern rein äusserlich unordentlicher. Er vernachlässigt sich selber wie jemand, der niemanden hat, für den er sich im besten Licht präsentieren möchte. Ganz typisch für jemanden, der in Sachen Liebe schon lange aufgegeben hat. Er lässt sich gehen, verwahrlosen.

    Ansonsten hat mir Elsa Dreisig im 2. Teil dann doch auch sehr gut gefallen. Insgesamt eine sehr schöne Sache, dieser Cosi !

  • Bonjour,
    ich sehe mir diese Cosi gerade auf Arte Concert an, bin erst bei der Hälfte angekommen, aber ziemlich begeistert. Dieses oft ziemlich absurde Verkleidungstheater gewinnt mit Christoph Loys zurückhaltender und unklamaukischer Inszenierung sehr viel psychologische Tiefe, die insbesondere den phantastischen Sänger-Schauspielern zugerechnet werden muss. Was für ein Casting! Ich frage mich, wo man gleichzeitig solche idealen Rollenverkörperungen plus passender Stimme findet- das würde fast noch ohne Musik überzeugen. Die Frauen überzeugen mich sogar noch etwas mehr als die Männer. Natürlich kann man stimmlich immer und überall noch steigern, wenn man Opern- Legenden für "Come scoglio" heranzieht, aber die Kombination im Ensemble finde ich hier fast perfekt. Genauso wie Rosamunde hat mich Don Alfonsos Ausdruck bei "Un aura amorosa" sehr berührt- und ich glaube genau wie sie, dass hier eine Projektion eigener schmerzlicher Liebesenttäuschung in Szene gesetzt wird. Genauso wie bei der zynischen Despina, die allerdings deutlich härter gesotten und scheinbar abgebrühter ist. Hingerissen bin ich vom Duo Fiordiligi-Dorabella- die perfekten Schwestern: optisch wie schauspielerisch und sängerisch. Ein unscheinbares Detail, das die Tiefenschärfe dieser Aufführung bestens spiegelt, ist der rezitaiv-Dialog und die gedehnt lange Pause im zweiten grossen Duett direkt nach "Io già decisi" und vor "Prendero quel brunettino"- bevor sie sich dann schliesslich trauen, die Untreue zu wagen und die beiden Bewerber schwesterlich unter sich aufteilen. Wirklich genial !!!!! :spock1: Weiter bin ich noch nicht, aber ich hatte grosses Bedürfnis schon mal zu lesen, was hier über die Inszenierung zu lesen ist und freue mich, dass es etliche Kommentare gibt.
    Und dass mit Joana Mallwitz endlich eine Frau in Salzburg Oper dirigiert, ist natürlich höchst erfreulich. Auf Arte gibt es übrigens auch noch den Dirigentinnen-Wettbewerb "La Maestra" anzuhören. Wir leben in spannenden Zeiten :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Genauso wie Rosamunde hat mich Don Alfonsos Ausdruck bei "Un aura amorosa" sehr berührt- und ich glaube genau wie sie, dass hier eine Projektion eigener schmerzlicher Liebesenttäuschung in Szene gesetzt wird.

    Interessant zu hören, dass Du das auch so siehst ! Man könnte ja mal eine statistische Erhebung anstrengen, ob diese Deutung eher mit dem weiblichen oder eher mit dem männlichen Geschlecht assoziiert ist :humor1: .
    Geniess die 2. Hälfte
    :wink:

  • Man könnte ja mal eine statistische Erhebung anstrengen, ob diese Deutung eher mit dem weiblichen oder eher mit dem männlichen Geschlecht assoziiert ist .

    Oder einen Leserbrief an Herrn Loy schreiben, welche Deutung er uns mitgeben wollte. :D

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Oder einen Leserbrief an Herrn Loy schreiben, welche Deutung er uns mitgeben wollte. :D

    Ach ja, da fällt mir gerade noch das hier dazu ein; habe ich aus Gurnemanzns Footer geklaut:

    "Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann"

  • Ich habe jetzt auch den 2.Teil gehört und gesehen und bleibe dabei, dass ich diese Salzburger Cosi für eine sehr gelungene Aufführung und Interpretation halte. Die Begegnungen der beiden "falschen" Paare- einfach toll gespielt. Es ist eher selten zu sehen, dass weder Dorabella noch Fiordiligi nach ihrer emotionalen "Verführung" nicht auch sexuell verführt werden, sondern die beiden "Albaner" sich frustriert mit ihren Halskettchen vom Acker machen..... das steigert die Demütigung der Frauen noch mal um ein Vielfaches.(von wegen Don Alfonsos Frauenfeindlichkeit......)
    Fiordiligi hat in der zweiten Arie noch deutlich zugelegt und Dorabellas Amor war ebenfalls hervorragend. Aber nach wie vor finde ich die psychologische Tiefenschärfe, die schauspielerische Leistung und die Harmonie des Ensembles und besonders der beiden Schwestern den Höhepunkt dieser Cosi. Einfach perfektes Casting! (Wer ist eigentlich in Salzburg dafür zuständig, die Darsteller auszusuchen? Félicitations!!!!!!!) :clap:
    Der Schluss hat mich zugegebenermassen etwas enttäuscht und da fehlt mir die letzte Konsequenz. Etwas mehr Wagemut von Seiten der Regie und das Ganze wirklich mal bis zum Ende denken. Ansätze waren zu sehen, in denen Z.B. Fiordiligi gleichzeitig bei Guillielmo und Ferrando stand oder Dorabella die beiden Männer stellenweise sogar verwechselt. Aber warum nicht am Ende die "echten Paare" sprich Tenor und Sopran und Bariton und Mezzo - hier auch noch so passend ge-castet: die beiden Blonden zusammen und die beiden Dunklen zusammen lassen? Oder wenigstens andeuten, dass es in Ferrara zumindest ein Menage à quatre geben wird? Temperamente, Stimmfach, und hier sogar das Aussehen- Alles will dahin.
    Mir ist es von jeher rätselhaft, was dieses absurde Opernende soll und wir hatten hier in alten Zeiten schon heftige und schöne Diskussionen darüber. Wäre eine Chance gewesen... schade! :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Mir ist es von jeher rätselhaft, was dieses absurde Opernende soll und wir hatten hier in alten Zeiten schon heftige und schöne Diskussionen darüber. Wäre eine Chance gewesen... schade!

    Mir auch.....aber wieso "schade" usw? Wir können es doch nochmal oder weiterdiskutieren, oder? Wo ist denn die Diskussion gewesen? Hier im Thread?

    Wenn Du es auf diese Inszenierung beziehen möchtsest, dann müsste ich mir allerdings den 2. Akt dieser Inszenierung nochmal ansehen. Ich habe es aber alles so in Erinnerung , wie Du beschreibst, mit ständigem Vermischen der Paare.

  • Bonsoir Rosamunde, das "Schade" bezog sich nicht auf die Diskussion in Capriccio sondern auf das Ende der Cosi in Salzburg. Es gab hier im Forum vor etlichen Jahren eine lebhafte Diskussion über die Cosi und besonders über die Rolle, Philosophie und Motivation von Don Alfonso .Wo diese Diskussion zu finden ist, weiss ich nicht. Das ist eine gefühlte Ewigkeit her. Bonne nuit
    :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Bonsoir Rosamunde, das "Schade" bezog sich nicht auf die Diskussion in Capriccio sondern auf das Ende der Cosi in Salzburg

    Good Evening Fairyqueen, ach so !
    Hm... das Ende kann ja keine Lösung bringen.

    Mir gefällt an der Oper nichts, selbst die Musik wird mir vergällt. Dennoch, es ist genau deshalb ein Meisterwerk.

  • Liebe Rosamunde, Dir gefällt an der Cosi wirklich gar nichts? Was die Musik angeht, gibt es da doch wirklich überreichlich Schönes..... Allein das Terzett Don Alfonso, Fiordiligi und Dorabella ist eine Perle zum Hinschmelzen. Die Duette, die Despina-Arien, Un aura amorosa und all die Ensembleszenen... also ehrlich gesagt finde ich , dass diese Oper genial komponiert ist. Das Verführungs Duett Fernando Fiordiligi sucht z.B. seinesgleichen an psycho-musikalischer Komplexität. Ich verstehe ja sehr gut, dass Du den Inhalt absurd oder grässlich oder frauenfeindlich oder was auch immer findest, aber die Musik........divinissima! Ich habe sehr viel davon schon gesungen und das macht sie mir umso kostbarer, aber auch das reine Hören ist immer wieder ein Genuss. Um von Inhalt zu abstrahieren: ich stelle mir einfach vor, dass am Ende Don Alfonso von der "echten" Liebe zwischen Ferrando und Fiordiligi bekehrt wird und es in der Wette ein Patt gibt. Das sich Dorabella und Guillellmo auf eine nette unverbindliche Beziehung einigen und die 4 in Ferrara mit Despinas Hilfe zusammen in einem einzigen Haushalt einige Kinderlein aufziehen, von denen keiner so genau weiss, on Guillielmo oder Ferrando der Papa ist. Und dass das auch total egal ist...... Happy End mit Zauberstab :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Ich verstehe ja sehr gut, dass Du den Inhalt absurd oder grässlich oder frauenfeindlich oder was auch immer findes

    Hm....Mozart übt Kritik an dem Frauenbild, welches die Männer hier haben. Die Oper ist also nicht frauenfeindlich. Sie ist auch nicht generell männerfeindlich, sondern speziell gegen eine bestimmte männliche Einstellung gerichtet, wie ja zB Figaro auch, oder Don G. Das ist alles nicht mein Problem bei der Oper.

    Mir gefällt die tiefere Sache nicht, nämlich der Zynismus gegenüber Liebe an sich und dass man, nachdem jeder jugendlich-naive Idealismus zerstört ist, am Ende der Oper einfach in ein Vakuum entlassen wird.

    Allerdings vermute ich, dass es einen doppelten Boden gibt, der sich aus dem krassen Gegensatz der himmlischen Musik und der höllischen Handlung ergibt. Dann könnte ich mich mit der Oper versöhnen. Es könnte nämlich sein, dass Mozarts Liebesideal genau das Gegenteil von Don Alfonsos „practical working model for marriage“ ist und dass er genau das durch seine himmlische Musik verdeutlichen wollte. Don Alfonsos Einsicht soll also eventuell durch die unbestreitbare Schönheit der Musik widerlegt und als lebenswidrig und pervers dargestellt werden.

    aber die Musik........divinissima! Ich habe sehr viel davon schon gesungen und das macht sie mir umso kostbarer, aber auch das reine Hören ist immer wieder ein Genuss.

    Ja, sicherlich ist die Musik himmlisch, nur wird sie mir vergällt. Ich kann Handlung und Musik nicht trennen, denn das käme mir wie Selbsttäuschung vor. Ich kann mir auch keine Fortsetzung vorstellen. Ich kann mich höchstens auf meine zuletzt geäusserte Vermutung oben vertrösten. Und je länger ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher kommt sie mir vor.

    Aber es ist ja alles nur eine Oper. Mozart ist kein Gott oder so. Er kann viel schreiben, ohne dass es für mich Relevanz haben muss. Nur war die Frage, warum die Oper mir bis jetzt nicht so zugesagt hat. Ich habe sie auch mehrmal gespielt. Mit Sir Thomas Allen als Don A. Das hat Spass gemacht. Einer der besseren Dienste, unbedingt.

    :wink:

  • Allerdings vermute ich, dass es einen doppelten Boden gibt, der sich aus dem krassen Gegensatz der himmlischen Musik und der höllischen Handlung ergibt. Dann könnte ich mich mit der Oper versöhnen. Es könnte nämlich sein, dass Mozarts Liebesideal genau das Gegenteil von Don Alfonsos „practical working model for marriage“ ist und dass er genau das durch seine himmlische Musik verdeutlichen wollte. Don Alfonsos Einsicht soll also eventuell durch die unbestreitbare Schönheit der Musik widerlegt und als lebenswidrig und pervers dargestellt werden.:

    Ich denke zwar, dass eine solche Vermutung zu eindimensional ist, aber eine Divergenz zwischen Handlung und Musik nimmt z.B. auch Dieter Borchmeyer wahr (der sich u.a. auf Stefan Kunze bezieht): "Seine [Mozarts] Musik ersetzt, ja konterkariert das materialistische Experiment durch den Geist der Empfindsamkeit" (D. Borchmeyer: Mozart oder Die Entdeckung der Liebe. FfM 2005). Das "materialistische Experiment" ist natürlich dasjenige Don Alfonsos, der die Figuren auf deren Körperlichkeit reduziere, während Mozarts Musik als empfindsame Gegenstimme erklinge. Borchmeyer spricht in seinem Buch in der Tat Mozarts der höfisch-galanten Liebe widerstrebendes Ideal der empfindsamen und dabei autonom zweckfreien Liebe an. Allerdings sei Mozart nicht der Versuchung erlegen gewesen, deren Gefährdungen und "Inkonsistenz" zu verkennen. Und insofern könnte man bei der "Cosi" wohl daran denken, dass er sich mit diesen Gefährdungen bzw. der Brüchigkeit des Ideals in einer Art und Weise auseinandergesetzt hat, die das Ende nicht als platte Karikatur des eigenen Verständnisses verballhornen, aber es deutlich durch die Musik in Frage stellen wollte. Die daraus entstehende Offenheit am Schluss, die dich anscheinend abtörnt, bringt Borchmeyer zu folgender Überlegung: "Mit der Spannung zwischen Libretto und Musik (...) - mit der Aporie des Finales zumal - muß das Musiktheater leben. Und vielleicht ist es gerade die (...) Irritation, welche diese Oper (...) heute, da wir [Rosamunde mal ausdrücklich ausgenommen; Anm. von mir] von der Kunst nicht mehr erwarten, daß sie absolute Lösungen bietet, sondern Fragen stellt - und Fragen offen läßt -, dem Publikum mehr denn je nahebringt."

    ...schreibt Christoph :wink:

  • Vielen Dank, Benutzername, das ist eine interessante Bestätigung meiner Vermutung.

    Allerdings hast Du mich in dieser Sache mE missverstanden:

    Mit der Spannung zwischen Libretto und Musik (...) - mit der Aporie des Finales zumal - muß das Musiktheater leben. Und vielleicht ist es gerade die (...) Irritation, welche diese Oper (...) heute, da wir [Rosamunde mal ausdrücklich ausgenommen; Anm. von mir] von der Kunst nicht mehr erwarten, daß sie absolute Lösungen bietet, sondern Fragen stellt - und Fragen offen läßt -, dem Publikum mehr denn je nahebringt."

    Ich sagte ja, dass die Handlung kein abgeschlossenes Ende haben kann. Man muss logischerweise, wenn man die Handlung akzeptiert wie sie abrollt, und sich keine Fortsetzung denkt, in ein Vakuum entlassen werden. Das ist selbstverständlich, und ich kritisiere das nicht.
    Mir gefällt aber die Gesamtheit der Aussage nicht. Der gesamte Zynismus. Ich hätte so eine Handlung, solch einen Gedankengang, niemals auch nur ansatzweise begonnen. Aber wenn man ihn anfängt, dann kann man ihn nur so zuende denken, nämlich mit dem Vakuum.

    Ich bin generell kein Mensch, der eine Lösung am Ende von Oper oder Literatur braucht. Im Gegenteil, meist empfinde ich es als besonders befriedigend, wenn keine angeboten wird. Von daher ist das Ende dieser Oper auch unter diesem Gesichtspunkt richtig für mich.

    Aber, wie gesagt, mir missfälllt das gesamte Gedankengebäude.
    Ich komme allerdings nur durch dieses Missfallen auf die Vermutung, dass Mozart das Gegenteil der materiellen Handlung mit seiner Musik verdeutlichen wollte.
    Man muss also erstmal die Ausmasse der katastrophalen Handlung verstehen, und dazu braucht man das Vakuum am Schluss. Man muss verstehen, wohin diese zynische Haltung der Liebe gegenüber letztendlich hinführt. Erst wenn man das begriffen hat, in aller seiner Tiefe und Breite, dann kann man eine Kehrtwende anhand der himmlischen Musik vollziehen und durch sie den wahren Sinn dieser Oper begreifen.

  • Ich frage mich, warum eigentlich alle ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass es am Schluss ein "Vakuum", eine "Aporie" oder ein "offenes Ende" gibt. Das Stück erzählt von all dem jedenfalls nichts. Da sind vielmehr vier junge Leute, die in der "Schule der Liebenden" in einem schmerzhaften und auch gefährlichen Prozess lernen, dass sie sich weder ihrer Partner noch sich selbst so sicher sein können, wie sie zu Anfang gedacht haben. Die Sache drohte zwischendurch außer Kontrolle zu geraten und fürchterlich schief zu laufen. Am Ende haben die vier (um mit Gabriel Garcia Marquez zu sprechen) gelernt, dass "nichts auf der Welt schwieriger als die Liebe" ist und wissen gerade deshalb den Wert ihrer alten Partnerschaften nun erst wirklich zu schätzen, zu denen sie dann zurückkehren. Es gilt heutzutage als schick, das Scheitern dieser Beziehungen für unausweichlich zu erklären oder sich gar (in meinen Augen ziemlich zynisch) eine "Ménage a quatre" als "Happy End mit Zauberstab" herbeizufantasieren, aber das Stück erzählt von all dem nichts. Das optimistische Ende finde ich bei weitem interessanter, klüger und bewegender als den für uns zeittypischen Pessimismus, der doch vielleicht viel eher zynischer Egoismus ist, für den es aber jedenfalls im Stück keine Grundlage gibt.

  • Da bin ich bei Christian. Es besteht kein wirklicher Grund, die Sache in Pessimismus enden zu lassen. In der Oper spiegelt sich, wenn man so will, die Zerrissenheit (geschwollener: die "sozialen Veränderungen") des Zeitalters ihrer Entstehung, das gesellschaftliche Schwanken zwischen der Freizügigkeit des 18.Jahrhunderts (die schon in Frage gestellt wird) und dem "modernen" romantischen Ideal treuer Liebe (das nicht so selbstverständlich zu verwirklichen ist wie im Märchen etwa der "Zauberflöte"), zwischen Konvenienz und echten Gefühlen - was alles Mozart im wirklichen Leben ja auch nicht fremd war. Sie kündet - musikalisch - von der Fragwürdigkeit menschlichen Verhaltens ebenso wie von den "hehren" Möglichkeiten. Am Ende muß man die Unvollkommenheit philosophisch erkennen, sie akzeptieren, aber daraus auch lernen. Und man muß mit ihr leben. Natürlich ist alles hineinverwoben, von Zynismus bis Schabernack, aber das gehört alles zum Leben und bedeutet keinen Weltuntergang. Das Spiel ist Spiel und Ernst zugleich. Man endet nicht im Büßerhemd und wird künftigen Schwächen auch nicht entgehen, aber letzendlich siegt die Heiterkeit.
    Das ist natürlich jetzt sehr, sehr vereinfacht ausgedrückt.

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!