1000 mal gehört...und es hat zoom gemacht

  • 1000 mal gehört...und es hat zoom gemacht

    Kennt Ihr das auch? Es gibt da ein Musikstück, das fandet ihr immer eher lau, es hat Euch wenig angesprochen. Habt es vielleicht lange nicht gehört. Und dann...auf einmal "macht es zoom".

    Ich meine jetzt nicht, dass man sich ein Werk allmählich aneignet, es bei jedem Hören besser und besser wird. Noch weniger meine ich "Liebe auf den ersten Blick". Im Gegenteil, das Stück ist schon bekannt, dann plötzlich von hier auf jetzt spricht Euch die Musik derart an, dass Ihr staunt, warum Euch das Werk vorher so fremd gewesen ist.

    Mir ist das jetzt extrem aufgefallen bei Schostakowitschs Klavierquintett. Ich hatte das einige wenige male gehört, ein Funke war nicht übergesprungen. Nach sehr langer Zeit habe ich es dann wieder gehört, und zwar neulich live im Konzert. Zuvor war ich nicht einmal motiviert, es "zur Vorbereitung" zu hören. Aber dann, im Konzert, hat mich jeder Takt des Werkes angesprochen. (Es war sicherlich auch eine fantastische Performance.) Und jetzt (das Stück ist dann sogleich auf mein Smartphone gewandert) höre ich es so gerne, dass ich fast keine Erklärung habe, dass mich das Werk jemals nicht angesprochen haben könnte. Ein anderes Beispiel dafür wäre das 12. Streichquartett von Schostakowitsch.

    Meine Erklärung in diesen Spezialfällen: Ich bin relativ spät, und dann sehr langsam, zur Kammermusik gekommen. Das Klavierquintett war mit auf einer meiner ersten CDs aus dem Genre. Ich schätze, es war damals einfach zu früh, meine Antennen für Kammermusik waren noch zu wenig ausgebildet. Erst jetzt, nach jahrelanger Hörerfahrung aus dem Bereich, konnte ich das Werk wertschätzen, und überhaupt erst "verstehen". Wahrscheinlich hätte dies auch schon etwas früher passieren könnnen, wenn ich dem Quintett mehr Chancen gegeben hätte. Erst der "Zufall" des Konzertprogramms hat mir diese Gelegenheit gegeben. --- Beim 12. Streichquartett scheint es mir etwas anders gelagert. Dies habe ich erst viel später als das Quintett kennengelernt, also auf einem höheren Erfahrungslevel als damals beim Quintett. Habe es desöfteren gehört, aber eher so im "Begleitmodus", und mein Verständis beschränkte sich eher auf das Virtuose, was sich von mal zu mal kaum änderte. Aber auch hier hat es dann später auf einen Schlag "zoom gemacht". Das Stück hat mich auf einmal ganz tief emotional berührt. Aber hier führe ich es im Gegensatz zum Quintett eher auf die Kompliziertheit dieses Quartetts zurück. Dennoch, gemeinsam ist die schlagartige Akzeptanz. In beiden Fällen hatte sich vorher (bewusst) kein stetiges, monoton wachsendes Verständnis ergeben, sondern "irgendwann" der Sprung von (fast) 0 auf hundert.

    Aber trotz der Erklärungen, es bleibt, besonders beim Quintett, ein Unverständnis ob der früheren Fremdheit zurück.

    Habt Ihr ähnliche Erfahrungen?

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Lieber Maticus!

    Vermutlich gibt es einige Stücke, für die das, was du schilderst, bei mir zutrifft. Spontan fallen mir zwei prominente Werke ein. Die fünfte Symphonie von Schostakowitsch, die ich lange Zeit langweilig fand. Irgendwann vor ein oder zwei Jahren hat es dann gefunkt, da habe ich sie in verschiedenen Aufnahmen rauf und runter gehört. Ein richtiges Schlüsselerlebnis gab es da allerdings nicht.
    Und die "Große Fuge" von Beethoven, für die ich früher nur Ehrfurcht empfand und bei der - ich denke mit der Belcea-Aufnahme - der Knoten geplatzt ist.

    Herzliche Grüße!

  • Die "große Fuge" ist das später als op.133 separat publizierte ursprüngliche Finale des Streichquartetts B-Dur op.130.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Neulich fand ich in einem Beiheft (einer der in Würzburg gekauften CDs) folgende Aussage, die vielleicht hierhin passt, auch wenn sie etwas zu spezifisch sein mag. Ich habe aber keine Lust, einen anderen Thread zu eröffnen:
    "Schubert ist für den Hörer nie 'schwierig' (für den Interpreten sieht die Sache jedoch anders aus). Worte bringen dem Zuhörer die Musik selbst nicht näher (wie die zum Beispiel bei Beethovens letzten Sonaten und Quartetten der Fall ist). Schuberts Formen sind klar, und obwohl seine Harmonien ausgesprochen komplex und schwer analysierbar sein können, sprechen sie den Zuhörer stets direkt an. [...] Bei seinen größten Werken [...] bewegt sich Schubert sicher in Bereichen, die sich nicht beschreiben lassen, wo nur Musik, ungeachtet der Einfachheit oder Schwierigkeit ihres Erscheinungsbildes, auf die menschliche Seele einwirkt, und die Worte fehlen."

    Piero Weiss im Beiheft zu dieser CD mit Schuberts Quintett

    Ich vermute ja eher, dass es sich um persönliche Unterschiede handelt, aber gibt es Musik, bei der es eher "zoom" macht, wenn man Erläuterungen in Worten dazu erhält? Und eben solche, bei der unanalysierbar gilt, "wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen"? Und finden wir die angeführten Beispiele (später Beethoven bzw. später Schubert) plausibel?

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • "Schubert ist für den Hörer nie 'schwierig' (für den Interpreten sieht die Sache jedoch anders aus). Worte bringen dem Zuhörer die Musik selbst nicht näher (wie die zum Beispiel bei Beethovens letzten Sonaten und Quartetten der Fall ist). Schuberts Formen sind klar, und obwohl seine Harmonien ausgesprochen komplex und schwer analysierbar sein können, sprechen sie den Zuhörer stets direkt an. [...] Bei seinen größten Werken [...] bewegt sich Schubert sicher in Bereichen, die sich nicht beschreiben lassen, wo nur Musik, ungeachtet der Einfachheit oder Schwierigkeit ihres Erscheinungsbildes, auf die menschliche Seele einwirkt, und die Worte fehlen."

    Piero Weiss im Beiheft zu dieser CD mit Schuberts Quintett

    Ich vermute ja eher, dass es sich um persönliche Unterschiede handelt, aber gibt es Musik, bei der es eher "zoom" macht, wenn man Erläuterungen in Worten dazu erhält? Und eben solche, bei der unanalysierbar gilt, "wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen"? Und finden wir die angeführten Beispiele (später Beethoven bzw. später Schubert) plausibel?

    Ist natürlich die spannende Frage, welche Worte nach Weiss' Meinung einem den späten Beethoven näher bringen. Ausführungen über allgemeinmenschliche Geheimnisse oder das persönliche Lebensgefühl Beethovens, die er musikalisch umgesetzt habe? Oder nur analytische Hinweise, durch die man die Musik besser versteht?
    Ein Näherbringen mit Worten gibt es wohl bei jeder Musik. Bei Schubert oder bei Pop. Im letzteren Fall gibt es einerseits die Bravo, die über die Stars fabuliert, aber einem auch mit dem Abdruck und der Übersetzung von Songtexten ein Lied näherbringt. Andererseits Radiosendungen wie den "Popkocher", der Lieder analysiert. Einführungen in klassische Werke von Interpreten wie Bernstein oder Gould enthalten wohl immer eine Mischung aus Angeboten, sich emotional zu identifizieren, wie Erklärungen, was in der Musik passiert.

    Ok, vielleicht bin ich jetzt etwas abgedriftet. Musik von Schubert hat mir jedenfalls schon im Vorschulalter gefallen. Insofern scheint es mir plausibel zu sein, was Weiss schreibt.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Ich weiß natürlich auch nicht so genau, was Weiss meint. Aber ich vermute, dass er meint, dass bei Schubert die unmittelbare emotionale Wirkung (für die Erläuterungen nicht helfen) stärker ist und bei Beethoven analytische Hinweise mehr zum Verständnis beitragen. Beethovens Formen sind sicher nicht unklar, aber, zumal im Spätwerk, manchmal recht ungewöhnlich. "Monstren" wie die Finali von op.106 und 130/133, die auf unterschiedlichen Ebenen erst einmal sehr irritierend wirken können, gibt es bei Schubert kaum oder gar nicht. Natürlich findet man bei Beethoven auch etliche emotional unmittelbar wirksame Stücke (wie die Cavatina in op.130), aber von der Tendenz her ist Weiss' Idee nachvollziehbar.
    Nehmen wir den 2. Satz des Streichquintetts. Allein aufgrund der Klanglichkeit ist der erste Hauptteil vermutlich für viele Hörer sofort einnehmend. Ebenso das "Aufbegehren" des Mittelteils. Wir haben einen sehr deutlichen Kontrast und grob gesagt, wechselt die "Stimmung" in einer Viertelstunde nur zweimal, der A'-Teil ist sehr leicht als solcher zu erkennen, selbst von wenig erfahrenen Hörern. Bei vergleichbaren Sätzen, zB Beethovens op.127,ii oder 131,iv ist weder die musikalische Grobstruktur so schnell und deutlich zu überschauen, die "Stimmungen" wechseln viel schneller, aber nicht in solch extremen Kontrasten. Während man bei Schubert erstmal 5 min ununterbrochen schwelgen kann, kommt bei Beethoven schon sehr bald eine scherzando-Variation, die freilich emotional eher neutral ist und nicht so aufgeladen wie der Mittelteil bei Schubert usw.
    (Das Beispiel ist ein wenig tendenziös, gewiss könnte man einen uneindeutigeren Satz Schuberts nehmen, zB das Finale des Quintetts und eindeutigere, leichter zu übersehende Beethoven-Sätze. Ob das op.127-Finale "eingängiger" als das von D 956 ist oder umgekehrt, weiß ich nicht.)

    Aus dem persönlichen Erleben kann ich nicht so viel beitragen, weil ich das nicht mehr so genau rekonstruieren kann. Ich habe einiges vom späten Beethoven schon als sehr unerfahrener Hörer kennengelernt, da war ich offensichtlich überfordert, Schubert größtenteils deutlich später.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ein wenig wie Maticus ging es mir zuletzt mit Berlioz' "Symphonie fantastique". Ich habe da schon länger mehrere Aufnahmen im Regal stehen, aber auch nach dem letzten Hören vergangenes Jahr (Anima Eterna Brügge / Jos van Immerseel, VÖ 2009) hat sie mich nicht sonderlich gefesselt.

    Dann lief vor einiger Zeit eine Sendung im Fernsehen (ich glaube es war auf ARTE), von der ich leider nur das Ende noch gesehen habe und ich war beim Waldbühnen-Konzert des West-Eastern Divan Orchestra, bei dem nach Ouvertüren und Vorspielen von Verdi und Wagner auch die Symphonie fantastique auf dem Programm stand.

    Meine Freundin, die mir die Karte geschenkt hatte, hatte was von Wagner/Verdi und Tschaikowsky (4te) erzählt und ich habe nicht noch einmal selber nach dem Programm geschaut. Also bin ich "unvorbereitet" mit ihr hin (Tschaikowskys 4te hatte ich mir in zwei Interpretationen angehört). Seit diesem Aha-Erlebnis stand sie in letzter Zeit einige Male auf meinem Hörprogramm und begeistert mich zusehends.

    Viele Grüße,
    Wolfgang

    Die Wahrheit zu sehen müssen wir vertragen können, vor Allem aber
    sollen wir sie unseren Mitmenschen und der Nachwelt überliefern,
    sei sie günstig oder ungünstig für uns. (August Sander)

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